Urteil vom Landgericht Hamburg (6. Zivilkammer) - 306 S 50/16
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 13.05.2016, Az. 31c C 482/15, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringt.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 307,85 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung weiterer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
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Der Kläger erlitt am 10.10.2014 mit seinem Pkw, amtliches Kennzeichen ..., in H. auf der Straße T. einen Verkehrsunfall. Die Beklagte ist die Haftpflichtversicherung des den Unfall verursachenden gegnerischen Pkws. Die volle Haftung der Beklagten für den Unfallschaden des Klägers ist dem Grunde nach unstreitig. Streitig ist allein die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für die vorgerichtliche Tätigkeit, die die Beklagte dem Kläger zu erstatten hat.
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Nach dem Unfall holte der Kläger ein Schadensgutachten des Sachverständigen W. ein (Anlage K 4). Danach belaufen sich die Bruttoreparaturkosten des Fahrzeugs auf € 17.712,35. Den Wiederbeschaffungswert gab der Sachverständige mit € 9.200,00 und den Restwert mit € 4.200,00 an. Der Kläger nahm zur Durchsetzung seiner Ansprüche außergerichtlich die Hilfe seiner Prozessbevollmächtigten in Anspruch. Diese berieten ihn über die ihm zustehenden Schadensersatzansprüche. Der Kläger schaffte sich daraufhin ein Ersatzfahrzeug an und gab das verunfallte Fahrzeug in Zahlung. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers forderten die Beklagte dann mit Schreiben vom 17.10.2014 (unter anderem) zur Zahlung des Wiederbeschaffungsaufwandes (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) auf. Die Beklagte regulierte mit Schreiben vom 06.11.2014 (Anlage B 1) den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von € 5.000,00 sowie Sachverständigenkosten, eine Auslagenpauschale und Ab- und Anmeldekosten, mithin insgesamt € 6.184,21, sowie mit Schreiben vom 11.11.2014 Mietwagenkosten in Höhe von € 362,95.
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Mit Rechnung vom 11.11.2014 rechneten die Prozessbevollmächtigten des Klägers diesem gegenüber ihre außergerichtliche Tätigkeit unter Zugrundelegung einer 1,3fachen Geschäftsgebühr nach einem Gegenstandswert von € 6.547,16 ab (Anlage B 2). Den sich hieraus ergebenden Betrag erstattete die Beklagte. Unter dem Datum des 28.04.2015 erstellten die Prozessbevollmächtigten des Klägers eine neue, abweichende Rechnung, der nunmehr ein Gegenstandswert von € 10.747,16 zugrunde liegt (Anlage K 1). Hieraus ergibt sich eine Mehrforderung von € 307,85, die Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist. Die unterschiedliche Höhe des Gegenstandswertes beruht darauf, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers bei der Rechnung vom 28.04.2015 den Wiederbeschaffungswert (€ 9.200,00) und nicht den Wiederbeschaffungsaufwand (€ 5.000,00) zugrunde gelegt haben.
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Der Kläger meint, als Gegenstandswert für die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei bei einem wirtschaftlichen Totalschadensfall der volle Wiederbeschaffungswert (ohne Abzug des Restwerts) bei der Gegenstandswertbestimmung einzustellen. Er bezieht sich insoweit u.a. auf ein Urteil des Amtsgerichts Norderstedt vom 15.09.2015, Az.: 47 C 118/15 (Anlage K 2) sowie auf ein Urteil des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler vom 21.01.2016, Az.: 36 C 677/15 (Anlage K3) sowie des AG Kitzingen vom 19.08.2016, Az. 4 C 356/16 (Anlage K 5).
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin restliche vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 307,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte meint, dem Kläger stünden keine weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Es sei seit Jahrzehnten zwischen allen Beteiligten der Verkehrsunfallschadenregulierung und auch vom BGH anerkannt, dass sich der Gegenstandswert für die Kostenerstattung der außergerichtlichen Anwaltsgebühren ausschließlich nach der Höhe des vom Haftpflichtversicherer zu zahlenden Betrages richtet. Das sei hier der Wiederbeschaffungsaufwand und nicht der Wiederbeschaffungswert.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass im Falle einer Totalschadensabrechnung der vorhandene Restwert stets in den Schaden einbezogen werden müsse. Der Schaden entstehe deshalb nie in voller Höhe der Wiederbeschaffungskosten. Dementsprechend sei auch nicht der Wiederbeschaffungswert zur Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren maßgeblich sondern der Wiederbeschaffungsaufwand.
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Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung beantragt der Kläger,
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das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte entsprechend des erstinstanzlichen Antrages zu verurteilen.
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Er beantragt darüber hinaus hilfsweise die Zulassung der Revision.
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Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist der Ansicht, dass der Schaden im Falle eines Totalschadens im Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs bestehe. Der Geschädigte könne eine Entschädigung in eben dieser Höhe in Geld verlangen. Zu ersetzen sei das Integritätsinteresse, mithin der Geldbetrag, der zur Wiederherstellung des Zustandes erforderlich sei, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Der Restwert müsse bei der Betrachtung außen vor bleiben, da der Geschädigte hinsichtlich der Restwertrealisierung die Wahl habe, sie selbst vorzunehmen oder die beschädigte Sache dem Schädiger zur Verwertung zu überlassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen das erstinstanzliche Urteil.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen sowie auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils (§ 540 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO).
II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung von weiterem Schadensersatz gemäß §§ 7 StVG, 823, 249 ff. BGB, 115 VVG in Höhe der in der Rechnung vom 28.04.2015 (Anlage K 1) ausgewiesenen Rechtsanwaltskosten zu. Der materiell-rechtliche Anspruch des Klägers auf Ersatz der durch den Verkehrsunfall verursachten Kosten für die außergerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten ist vielmehr durch die Zahlung des in der Rechnung vom 11.11.2014 (Anlage B 2) ausgewiesenen Betrages von € 650,34 vollständig erloschen, § 362 BGB.
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Zutreffend hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass für die Berechnung der erstattungsfähigen außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren derjenige Gegenstandswert anzusetzen ist, der der berechtigten Schadensersatzforderung entspricht (BGH NJW 1970, 1122; BGH 2005, 1112; BGH NJW 2008, 1888 Münchner Anwaltshandbuch Vergütungsrecht, 2. Aufl. 2011, § 29 Rnr. 8). Denn eine Kostenerstattung auf Grund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs kann der Geschädigte vom Schädiger grundsätzlich nur insoweit verlangen, als seine Forderung diesem gegenüber objektiv auch berechtigt ist. Denn Kosten, die dadurch entstehen, dass er einen Anwalt zur Durchsetzung eines unbegründeten Anspruchs beauftragt, können dem Schädiger nicht mehr als Folgen seines Verhaltens zugerechnet werden (BGH NJW 2005, 1112).
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Bei Zerstörung oder Verlust einer Sache sind die Kosten für eine Wiederbeschaffung zu ersetzen. Das ist jedoch der Wiederbeschaffungsaufwand und etwa nicht der Wiederbeschaffungswert (Palandt-Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 249 Rz. 15 u. 22). Denn nur in dieser Höhe ist das Vermögen des Geschädigten, dem nach dem Schadensereignis der Restwert des Fahrzeugs „verbleibt“ gemindert. Der zu ersetzende Schaden bemisst sich daher regelmäßig mit der Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert (vgl. auch BGH NJW 1992, 903), die für sich genommen jeweils nur separate Rechnungsposten zur Ermittlung der Schadenshöhe darstellen. Dementsprechend hat der Geschädigte im sogenannten „Totalschadensfall“ grundsätzlich auch immer nur einen Anspruch auf Zahlung dieses Wiederbeschaffungsaufwandes. Bei darüber hinausgehenden Reparaturkosten hat er wegen der Anerkennung des Integritätsinteresses nur in bestimmten Grenzen und unter bestimmten zusätzlichen Voraussetzungen (d.h. bei einer Wiederherstellung der Verkehrssicherheit und Weiternutzung des Fahrzeugs im Falle eines Reparaturaufwandes unterhalb des Wiederbeschaffungswertes bzw. einer vollständigen sach- und fachgerechten Reparatur und Weiternutzung des Fahrzeugs bei Reparaturkosten bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes) einen Anspruch auf Zahlung eines höheren Betrages. Solche Voraussetzungen sind hier aber unstreitig nicht gegeben.
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Der Wiederbeschaffungsaufwand stellt demnach die begründete Schadenshöhe dar und ist deshalb auch bei der außergerichtlichen Geltendmachung des Schadensersatzanspruches als Gegenstandswert maßgeblich, sofern - wie hier - außergerichtlich auch nur auf einer solchen „Totalschadensbasis“ abgerechnet wird. Auf die Frage, wie der Geschädigte den Wiederbeschaffungsaufwand im einzelnen realisieren möchte (d.h. durch eine Eigenverwertung des beschädigten Fahrzeugs oder eine Andienung an den Schädiger) kommt es dabei nicht an. Dementsprechend hat auch der BGH ebenso pauschal wie zutreffend entschieden, dass sich der Anspruch des Geschädigten auf Erstattung der ihm außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten gemäß Nr. 2300 VV RVG n.F. unter Zugrundelegung des nach Abzug des Restwerts ermittelten Schadensbetrags bemisst (BGH NJW 2008, 1941). Jede andere Betrachtung würde im Übrigen zu dem unbilligen Ergebnis führen, dass selbst bei „Kleinstschäden“, bei denen der Reparaturaufwand deutlich unter dem Wiederbeschaffungswert liegt, gleichwohl auf den höheren Wiederbeschaffungswert als Gegenstandswert für die außergerichtliche Geltendmachung des Schadens abgestellt werden könnte, allein aufgrund der theoretisch möglichen Alternative des Geschädigten einer Ersatzbeschaffung bei gleichzeitiger Andienung des beschädigten Fahrzeugs an den Schädiger.
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Dass ein Geschädigter grundsätzlich die Wahl zwischen mehreren Alternativen zur Schadensabwicklung haben kann, hat auf die Bemessung des Gegenstandswertes im vorliegenden Fall keinen Einfluss. Denn maßgeblich ist für die Frage der Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten die von dem Geschädigten tatsächlich gewählte Alternative, die von seinem Rechtsanwalt im Rahmen der außergerichtlichen Tätigkeit geltend gemacht wird. Soweit es den Fahrzeugschaden betrifft, gilt dieses nicht nur für die Wahl zwischen einer abstrakten oder konkreten Schadensabrechnung, sondern auch für diejenigen Fälle, in denen ein wirtschaftlicher Totalschaden am Fahrzeug vorliegt, und der Geschädigte seinen (begründeten) Schaden mittels einer bestimmte Abrechnungsart (hier: Zahlung des Wiederbeschaffungsaufwandes nach vorheriger eigener Verwertung des beschädigten Fahrzeugs) beziffert.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Das Gericht hat gemäß § 543 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Die von dem Kläger eingereichten Urteile zeigen, dass die hier zugrunde liegende Rechtsfrage unterschiedlich beurteilt wird.
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Referenzen
- §§ 7 StVG, 823, 249 ff. BGB, 115 VVG 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 7 Wohnsitz; Begründung und Aufhebung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 4 C 356/16 1x (nicht zugeordnet)
- 47 C 118/15 1x (nicht zugeordnet)
- 31c C 482/15 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- 36 C 677/15 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 362 Erlöschen durch Leistung 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x