Urteil vom Landgericht Hamburg (12. Kammer für Handelssachen) - 412 HKO 86/20
Tenor
1. Der im schriftlichen Verfahren vom 29.05.2020 bis zum 04.06.2020 gefasste Gesellschafterbeschluss, wonach der Kläger aus der Beklagten ausgeschlossen wird und seine Geschäftsanteile mit den Nrn. 25.001 bis 26.500 und 31.351 bis 36.200 im Nennbetrag von insgesamt € 6.650, - nach § 10 Abs. 1 d) i.V.m. § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages mit schuldrechtlicher Wirkung vom 29.05.2020 an die dies annehmende Beklagte übertragen werden, wird unter Abweisung des weitergehenden Feststellungsantrages für nichtig erklärt.
2. Der in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 01.07.2020 unter Tagesordnungspunkt 1 gefasste Beschluss, nach dem der im schriftlichen Verfahren vom 29.05.2020 bis zum 04.06.2020 vermeintlich gefasste Beschluss (im Protokoll der Versammlung fehlerhaft als Beschluss „im schriftlichen Umlaufverfahren vom 28.05.2020“ bezeichnet) bestätigt werden soll, wird unter Abweisung des weitergehenden Feststellungsantrags für nichtig erklärt.
3. Der in der Gesellschafterversammlung vom 01.07.2020 unter Tagesordnungspunkt 2 gefasste Beschluss, nach dem die dem Kläger gehörenden Geschäftsanteile der Beklagten mit den Nrn. 25.001 bis 26.500 und 31.351 bis 36.200 im Nennbetrag von insgesamt € 6.650, - bzw. 17,54 % des Stammkapitals nach § 10 Abs. 1 d) i.V.m. § 10 Abs. 4 der Satzung eingezogen und mit schuldrechtlicher Wirkung vom Tag der Beschlussfassung auf die Beklagte übertragen werden, wird unter Abweisung des Feststellungsantrages (Antrag zu 4, Teil 1) für nichtig erklärt.
4. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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In diesem Rechtsstreit geht es um die Zwangseinziehung von GmbH-Geschäftsanteilen.
- 2
Die Beklagte ist eine GmbH mit Sitz in Hamburg H., die sozialpädagogische Dienstleistungen sowie Ergotherapie erbringt (Anlage B 1). Die am 28. Dezember 2016 in das Handelsregister eingetragene GmbH ist durch Einbringung eines von ihrer seinerzeitigen Alleingesellschafterin S. R. gegründeten Einzelunternehmens entstanden, welches ausschließlich sozialpädagogische Leistungen erbrachte. Das Stammkapital betrug zunächst € 25.000,00. Im April 2017 erhielt der Kläger, welcher bereits seit dem Jahr 2010 in dem Unternehmen tätig war, im Wege einer Kapitalerhöhung um € 1.500,00 eine Beteiligung von 5,6%.
- 3
Die Satzung (Anlage K 1) sieht in § 7 Ziff. 8 vor, dass Gesellschafterbeschlüsse einstimmig gefasst würden und enthält in § 10 folgende Regelungen:
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1. Die Einziehung von Geschäftsanteilen kann beschlossen werden, wenn der betroffene Gesellschafter zustimmt oder wenn einer der folgenden Fälle vorliegt:
a) …
…
d) In seiner Person liegt ein wichtiger Grund, der die Ausschließung rechtfertigt; ein solcher Grund liegt vor, wenn ein weiteres Verbleiben des Gesellschafters in der Gesellschaft für diese untragbar ist, insbesondere wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit verletzt oder sonst durch sein Verhalten die Gesellschaftsinteressen erheblich schädigt,
…
3. Die Einziehung wird durch die Geschäftsführung erklärt. Sie bedarf eines Gesellschafterbeschlusses. Dem betroffenen Gesellschafter steht bei Beschlüssen gemäß Absatz 1 kein Stimmrecht zu. Der Einziehungsbeschluss wird mit seiner Mitteilung an den betroffenen Gesellschafter wirksam. Die Gesellschaft wird durch die übrigen Gesellschafter fortgeführt.
4. Anstelle der Einziehung können die übrigen Gesellschafter mit der durch diese Satzungsbestimmung - unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB - erteilten Ermächtigung des betroffenen Gesellschafters oder seiner Rechtsnachfolger beschließen, dass der der Einziehung unterliegende Geschäftsanteil auf die Gesellschaft oder die Gesellschafter oder einen zu bestimmenden Gesellschafter oder Dritten übertragen wird.
5. Beschlüsse im Sinne der Absätze 1 bis 3 können nur innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt des Ereignisses gefasst werden, das die Einziehung gemäß Absatz 1 rechtfertigt.
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In § 11 finden sich Regelungen zur Ermittlung der Abfindung nach einem vereinfachten Faktorverfahren.
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Am 18. November 2014, als das Unternehmen noch als Einzelunternehmen geführt wurde, gründeten Frau R. und der Kläger eine GbR, welche durch angestellte Therapeuten Leistungen auf dem Gebiet der Ergotherapie erbringen sollte, mit der Bezeichnung B. und L. R. und S. GbR. Die GbR benutzte Flächen in denselben Räumlichkeiten, die die Unternehmensgründerin für ihr Einzelunternehmen mit Gewerbemietvertrag vom 13. Mai 2014 (Anlage B3) angemietet hatte, und schloss zu diesem Zweck am 03. Dezember 2014 einen Untermietvertrag (Anlage B5) mit dem Einzelunternehmen ab. Der vereinbarte Mietzins betrug zunächst € 1.810,00. Die GbR wurde dann jedoch von Januar bis April 2015 von der Zahlung der Miete freigestellt, und der Mietzins wurde ab dem 01. Mai 2015 auf € 1.295, - reduziert (Anlage B6). Außerdem leistete das Einzelunternehmen verschiedene Beiträge an die GbR, sei es in Form von Zahlungen, sei es in Form von Anschaffungen von Spielgeräten für die Therapie.
- 7
Nach der Gründung der Beklagten wurde der Kläger neben der Mehrheitsgesellschafterin zum alleinvertretungsberechtigten, von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführer bestellt. Sein Dienstvertrag sah ein Bruttojahresgehalt in Höhe von € 180.000, - vor und enthielt eine Tantiemeregelung sowie verschiedene andere Leistungszusagen (Dienstwagen, etc.). In der Funktion als Geschäftsführer hatte der Kläger auch umfassende Kontovollmachten.
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Durch einen Gesellschafterbeschluss vom 28. Dezember 2017 wurde die GbR in die Beklagte eingebracht. Das Kapital der Beklagten wurde dabei um € 9.700, - erhöht. Dem lag eine Bewertung der Steuerberater der Beklagten, der Kanzlei S. von G. (Rechtsanwalt und Steuerberater C. S.) zugrunde, welche das Unternehmen der GbR mit € 233.579,00 bewertet hatten. Der Kläger und die Mehrheitsgesellschafterin übernahmen jeweils die Hälfte der neuen Geschäftsanteile (Anlage K2), sodass die Mehrheitsgesellschafterin anschließend über 82,46 % der Geschäftsanteile der Beklagten, der Kläger über 17,54 % der Geschäftsanteile verfügten.
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In der Folgezeit verschlechterte sich das Verhältnis der Mehrheitsgesellschafterin zum Kläger. Das führte am 9. Mai 2018 zur Abberufung des Klägers als Geschäftsführer und zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages (Anlage K 3) im Hinblick auf den Geschäftsführeranstellungsvertrag. Nach diesem Vertrag war die Vergütung einschl. aller Nebenbezüge bis zum 31.12.2019 weiter zu zahlen war, während der Kläger von seiner Pflicht zur Dienstleistung freigestellt wurde. Zusätzlich zu seinem Geschäftsführergehalt erhielt der Kläger eine Abfindung in Höhe von € 220.000, - brutto, zahlbar ab Vertragsschluss in 20 Monatsraten in Höhe von jeweils € 11.000, -, beginnend im Mai 2018 bis Dezember 2019.
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Mit Beschluss vom 9. Mai 2018 änderten die Gesellschafter die Satzung der Beklagten durch eine Erweiterung des Katalogs der zustimmungspflichtigen Geschäfte in § 6 (Anlage K 4).
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Für die Monate März und April 2019 verweigerte die Beklagte unter Berufung auf behauptete Unregelmäßigkeiten während der Geschäftsführungszeit des Klägers die Auszahlung der nach dem Aufhebungsvertrag vereinbarten Beträge. Darüber kam es vor einer Zivilkammer des Landgerichts Hamburg, Az.: 304 O 179/19, zu einem Rechtsstreit, in welchem die Beklagte durch Anerkenntnisurteil vom 27.09.2019 (Anlage K5) zur Zahlung verurteilt wurde.
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Der inzwischen durch die Beklagte beauftrage Rechtsanwalt Dr. M. P. wandte sich zunächst im Oktober 2019 telefonisch an die Verfahrensbevollmächtigten des Klägers. In einem Schreiben vom 7. Februar 2020 (Anlage K 10, falsch datiert auf „7. Januar 2019“) erhob der Bevollmächtigte der Beklagten verschiedene Vorwürfe gegen den Kläger. Dieser habe als Mitarbeiter des Einzelunternehmens von Frau R. bzw. Geschäftsführer der Beklagten diverse Zahlungen auf Kosten des Einzelunternehmens bzw. der Beklagten zugunsten der B. und L.… GbR veranlasst habe. Selbst seine Einlage in die GbR in Höhe von € 1.500,00 habe er am 23. Januar 2015 durch das Einzelunternehmen zahlen lassen, anstatt sie, wie vereinbart, aus eigenen Mittel aufzubringen. Der Mietzins für den Untermietvertrag der GbR sei zu niedrig gewesen. Die Untermiete habe anfänglich nur 30% der Miete für die Geschäftsräumlichkeiten betragen, während die GbR tatsächlich 50% der Fläche genutzt habe. Zum 1. Mai 2015 mit einer weiteren Senkung des Untermietzinses, da die GbR nicht wirtschaftlich gearbeitet habe, habe der Kläger dieses Missverhältnis noch weiter erhöht. Er habe es unterlassen, dies zu korrigieren, nachdem sich die Einnahmesituation der GbR verbessert habe. Daraus ergäbe sich für die Zeit von 2015 bis 2017 eine offene Mietforderung von € 59.388,13. Diese sei Frau R. nicht bekannt gewesen, da der Kläger kaufmännischer Leiter des Einzelunternehmens bzw. der Beklagten gewesen sei. Diese Differenzen seien auch dem Steuerberater gegenüber nicht offengelegt worden. Ferner habe der Kläger zu Unrecht Zahlungen in Höhe von € 30.802,00 für Investitionsgüter der GbR (Therapiegeräte) aus dem Vermögen des Einzelunternehmens geleistet. Der Unternehmenswert des Einzelunternehmens sei durch den Steuerberater in gutem Glauben nach einer vereinfachten Berechnung mit dem siebenfachen Jahresgewinn angesetzt worden. Wären die genannten Abflüsse gewinnmindernd berücksichtigt worden, hätte sich ein negativer Wert von € 392,213,62 ergeben. Der Kläger hätte dann bei der Einbringung der GbR keine weiteren Geschäftsanteile der Beklagten erhalten. Auch habe der Kläger im Jahr nur sporadische Arbeitsleistungen erbracht. Nach allem sei eine Forderung nach Abfindung unbegründet.
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Der Klägervertreter wies die Vorwürfe durch Schreiben vom 20. April.2020 (Anlage K11) zurück und verlangte für den Kläger im Falle eines Ausscheidens eine Abfindung auf der Grundlage eines Unternehmenswertes eines Unternehmenswertes von 3,22 Mio. Euro. Dies wurde durch Schreiben des Beklagtenvertreters vom 28. April 2020 (Anlage K12) zurückgewiesen.
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Mit E-Mail vom 29. Mai 2020 (Anlage K7), forderte die Mehrheitsgesellschafterin den Kläger unter Berufung auf § 2 des COVID 19 Gesetzes zu einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren über die Einziehung der Gesellschaftsanteile des Klägers auf. Der zur Abstimmung gestellte Beschluss lautete:
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Der Gesellschafter J. S. wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Die Geschäftsanteile des Herrn J. S. mit den Nr. 25.001 bis 26.500 und 31.351 bis 36.200 in Höhe des Nennbetrages von Euro 6.650,00, bzw. 17,54 % werden nach § 10 Abs. 1 d) i.V.m. § 10 Abs. 4 der Satzung mit schuldrechtlicher Wirkung auf den heutigen Tag auf die g. GmbH übertragen. Die g. GmbH nimmt die Abtretung an und verpflichtet sich, dem Gesellschafter J. S. eine Abfindung entsprechend den Maßgaben des § 11 der Satzung zu zahlen
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Es wurde um eine Rückmeldung bis zum 04. Juni 2020 gebeten. Zudem ging dem Kläger ein gleichlautender Brief zu. In Brief und E-Mail war der Name der Verfasserin in der Unterschriftenzeile mit dem Zusatz „Trägerleitung“ versehen. Der Beschlussantrag wurde i.a. damit begründet, dass der Kläger im Zuge der Einbringung der GbR in die Beklagte falsche Angaben gemacht habe, die zu einer Überbewertung der GbR geführt hätten. Infolgedessen habe er bei der Kapitalerhöhung infolge der Einbringung zu viele GmbH-Anteile erhalten.
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Der Kläger verfasste ein Antwortschreiben (Anlage K 8), welches er am 04. Juni 2020 um 17:51 Uhr per E-Mail an die Beklagte übersandte und behauptet, dass das Schreiben in Papierform durch seine Ehefrau am selben Tag um 18:05 Uhr in den Geschäftsbriefkasten der Beklagte eingeworfen worden sei. In seiner Antwort widersprach der Kläger einem Verzicht auf Formvorschriften, der Abstimmung durch die Mehrheitsgesellschafterin und den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Vorsorglich stimme er mit „Nein“.
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Mit E-Mail vom 08. Juni 2020 (Anlage K9) stellte die Beklagte fest, dass der Beschluss einstimmig zustande gekommen sei. Dem Gesellschafter J. S. stehe nach § 10 Abs. 3 S. 2 der Satzung kein Stimmrecht zu. Dessen ungeachtet liege keine wirksame Abstimmung mit „Nein" vor, da zum einen eine Abstimmung auf der Beschlussvorlage nicht erfolgt sei. Auch das Schreiben mit einer „vorsorglichen" Abstimmung mit „Nein" sei nicht zu berücksichtigen, da es der Gesellschaft erst am 5. Juni und damit nach Ablauf der Frist des 4. Juni zugegangen ist. Eine Abfindung sei nicht zu zahlen, da mit übersteigenden Schadensersatzansprüchen aufgerechnet werden.
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Mit Schreiben vom 16. Juni 2020 (Anlage K15) erhielt der Kläger eine Einladung zu einer weiteren Gesellschafterversammlung am 01 Juli 2020, in der unter Tagesordnungspunkt 1 „die Bestätigung des Beschlusses vom 27. Mai 2020“ sowie unter Tagesordnungspunkt 2 der erneute Ausschluss des Gesellschafters J. S. angekündigt wurde.
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Zu der Gesellschafterversammlung vom 01.Juli 2020 erschienen die Gesellschafter mit ihren Anwälten. Es wurde einstimmig beschlossen, die Versammlungsleitung und Protokollführung dem Anwalt der Mehrheitsgesellschafterin zu überlassen, wobei der Klägervertreter darauf einer Beschlussfestellungskompetenz des Versammlungsleiters widersprach. Unter Tagesordnungspunkt 1 wurde über die Bestätigung des Beschlusses im schriftlichen Verfahren vom 08.Juni 2020 und unter Tagesordnungspunkt 2 wurde über die erneute Zwangseinziehung der Gesellschaftsanteile des Klägers und die Übertragung der Anteile des Klägers an die Beklagte abgestimmt. Frau R. stimmte für den jeweiligen Beschluss, der Kläger stimmte dagegen. Der Versammlungsleiter wies darauf hin, dass der Kläger seiner Auffassung nach gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 der Satzung und § 47 Abs. 4 GmbHG nicht stimmberechtigt sei und stellte fest, dass die jeweiligen Beschlüsse gefasst worden seien (Versammlungsprotokoll Anlage B16).
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Der Kläger hält die Einziehungsbeschlüsse für nichtig, weil sie schon den formellen Anforderungen nicht genügten. Die Aufforderung zur Beschlussfassung im Umlaufverfahren sei schon deswegen unwirksam, weil Frau R. mit dem Zusatz „Trägerleitung“ unterschrieben habe. Erforderlich sei eine Einladung durch die Geschäftsführung. Zu beanstanden sei auch, dass die Stimmabgabe für Frau R. bereits angekreuzt gewesen sei und die Unterlage als ein bereits am Vortag gefasster Beschluss erscheine. Ferner sei die Einberufungsfrist nicht eingehalten. Diese betrage vier Wochen und in einem dringenden Ausnahmefall, der hier jedoch nicht vorgelegen habe, eine Woche. Zudem habe der Kläger mit „Nein“ gestimmt, sodass der Beschluss wegen des Einstimmigkeitserfordernisses nicht zustande gekommen sei. Ein Ausschluss des Klägers scheide auch deswegen aus, da die Zwangseinziehung im Gesellschaftsvertrag geregelt sei, was zur Folge habe, dass dies den gesetzlichen Ausschlussregeln vorgehe. Hierzu verweist der Kläger auf die Entscheidung des OLG Stuttgart vom 23. März 1989 (2 U 36/88). In materieller Hinsicht seien die Beschlüsse anfechtbar, da die in § 10 Abs. 5 der Satzung geregelte Sechs-Monats-Frist ab Kenntnis der den Vorwurf begründenden Umstände nicht eingehalten sei und weil es in der Sache keinen wichtigen Grund gäbe. Der Kläger bestreitet insbesondere, dass er die Alleinverantwortung für das Finanzwesen gehabt habe und dass er dies ausgenutzt habe, um sich auf Kosten der Beklagten oder Mehrheitsgesellschafterin zu bereichern.
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Der Kläger beantragt,
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1) festzustellen, dass der im schriftlichen Verfahren vom 29.05.2020 bis zum 04.06.2020 gefasste Beschluss, wonach der Kläger aus der Beklagten ausgeschlossen wird und seine Geschäftsanteile mit den Nrn. 25.001 bis 26.500 und 31.351 bis 36.200 im Nennbetrag von insgesamt € 6.650, - nach § 10 Abs. 1 d) i.V.m. § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages mit schuldrechtlicher Wirkung vom 29.05.2020 an die dies annehmende Beklagte übertragen werden, nichtig ist.
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2) hilfsweise: Der im schriftlichen Verfahren vom 29.05.2020 bis zum 04.06.2020 gefasste Beschluss, wonach der Kläger aus der Beklagten ausgeschlossen wird und seine Geschäftsanteile mit den Nrn. 25.001 bis 26.500 und 31.351 bis 36.200 im Nennbetrag von insgesamt € 6.650, - nach § 10 Abs. 1 d) i.V.m. § 10 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages mit schuldrechtlicher Wirkung vom 29.05.2020 an die dies annehmende Beklagte übertragen werden, wird für nichtig erklärt.
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3) festzustellen, dass der in der Gesellschafterversammlung vom 01.07.2020 unter Tagesordnungspunkt 1 gefasste Beschluss, nach dem ausweislich des Protokolls des Herrn Dr. P. ein Beschluss „im schriftlichen Umlaufverfahren vom 28.05.2020“ bestätigt sein soll, womit der schriftlichen Verfahren vom 29.05.2020 bis zum 04.06.2020 vermeintlich gefasste Beschluss gemeint sein dürfte, nicht gefasst wurde und nichtig ist und die bestehenden Verfahrensmängel des zu bestätigenden Beschlusses nicht geheilt hat, hilfsweise wird der Beschluss vom 01.07.2020 unter Tagesordnungspunkt 1 für nichtig erklärt.
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4) festzustellen, dass der in der Gesellschafterversammlung vom 01.07.2020 unter Tagesordnungspunkt 2 gefasste Beschluss, nach dem die Geschäftsanteile des Klägers mit den Nrn. 25.001 bis 26.500 und 31.351 bis 36.200 im Nennbetrag von insgesamt € 6.650, - bzw. 17,54 % des Stammkapitals nach § 10 Abs. 1 d) i.V.m. § 10 Abs. 4 der Satzung eingezogen und mit schuldrechtlicher Wirkung vom Tag der Beschlussfassung auf die Beklagte übertragen werden, wobei die Beklagte erklärte, die Abtretung anzunehmen und sich verpflichtete, dem Beklagten eine Abtretung entsprechend den Maßgaben des § 11 der Satzung zu zahlen, nicht gefasst wurde und nichtig ist, hilfsweise wird dieser Beschluss für nichtig erklärt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, dass die Verantwortung des Klägers im Rahmen der mit Frau R. gemeinsam betriebenen Unternehmungen von Anfang an im betriebswirtschaftlichen Bereich gelegen habe. Der Kläger habe keine wesentlichen pädagogischen Leistungen eigenständig erbracht und keinen wesentlichen Kontakt zu Kunden oder Behörden gehabt. Zu seinem Tätigkeitsbereich hätten nur die Aufgaben des Zahlungsverkehrs, der Buchhaltung und der Vertragssachen, hierfür war er Ansprechpartner der Mitarbeiter gehört. Hierbei habe Frau R. dem Kläger „blind“ vertraut.
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Der Kläger habe die Beklagte darüber getäuscht, dass die GbR aufgrund ihres Untermietvertrages eine wesentlich geringere Miete zahlte, als der genutzten Fläche entsprach, und habe auch nach dem entsprechenden Hinweis einer Mitarbeiterin für keine Anpassung der Zahlungen gesorgt. Daraus, und aufgrund nicht gezahlter Nebenkosten. ergäben sich Mietnachforderungen für die Jahre 2015 bis 2017 in Höhe von € 59.388,13.
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Auch habe der Kläger im Jahr 2015 auf Kosten des Einzelunternehmens Therapiegegenstände für die GbR im Wert von € 30.000,00 angeschafft, Frau R. habe davon keinerlei Kenntnis gehabt bzw. sei der Meinung, der Kläger würde die Beträge ausgleichen.
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Bei der Einbringung der GbR in die Beklagte seien die vorstehenden Positionen unberücksichtigt geblieben, weil der Kläger den Steuerberater vorsätzlich und in Täuschungsabsicht nicht über Abzugspositionen informiert. Wäre dies geschehen, wäre ein negativer Unternehmenswert von (minus) 392.213,62 € ermittelt worden, der nicht zu einer Erhöhung des Kapitalanteils des Klägers an der Beklagten geführt hätte. Der Kläger hätte sich die ihm im Zuge dieser Kapitalerhöhung zugeteilten Anteile von ca. 12% somit erschlichen.
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Die Beendigung des Geschäftsführerdienstverhältnisses des Klägers mit der Beklagte erforderlich geworden, weil der Kläger gegenüber der Mitgesellschafterin, den Mitarbeitern sowie Kunden ein unangemessenes und großspuriges Verhalten an den Tag gelegt habe und kaum noch seiner Arbeit nachgegangen sei.
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Im Oktober 2019 habe Frau R. sodann durch eine zufällige Recherche in alten Unterlagen der Ergotherapie Praxis von den bereits erwähnten Zahlungen ihres damaligen Einzelunternehmens an die GbR erfahren.
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Bezüglich des etwaigen im Umlaufverfahren gefassten Beschluss, festgestellt am 8. Juni 2020, sei von einem Zugang erst am 05. Mai 2020 auszugehen (Anlage B15). Die Beklagte hält den Beschluss für wirksam, weil der Kläger einem Stimmverbot unterlegen habe. Die Täuschungen des Klägers in Bezug auf die geschilderten Zahlungen /Mietschulden, die sich auch bei der Bewertung der eingebrachten GbR ausgewirkt hätten, rechtfertigten die Einziehung.
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Eine Verfristung der Einziehung gem. § 10 Abs. 5 der Satzung liege nicht vor, weil es für die sechsmonatige Frist auf die Kenntnis der Umstände ankomme. Diese Kenntnis habe die Mehrheitsgesellschafterin frühestens im Februar 2020 erlangt. Zudem greife die Sechs-Monats-Frist auch deswegen nicht, weil das Verhalten des Klägers den Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfülle.
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Auch die Beschlüsse vom 01. Juli 2020 seien wirksam. Die Einladungsfrist, die in dringenden Fällen eine Woche, sei eingehalten worden, und der Beschlussgegenstand sei (trotz eines erkennbaren Tippfehlers) hinreichend deutlich beschrieben. Der wichtige Grund zur Einziehung hätte fortbestanden.
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Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet, soweit der Kläger beantragt hat, die angefochtenen Beschlüsse für nichtig zu erklären. Nichtig waren die Beschlüsse nicht, weswegen die entsprechenden Feststellungsklagen abzuweisen waren.
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Die drei streitgegenständlichen Gesellschafterbeschlüsse sind jeweils analog § 243 AktG anfechtbar.
I.
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Die angefochtenen Beschlüsse sind nicht nichtig.
- 42
Im Hinblick auf den am 8. Juni 2020 festgestellten Umlaufbeschluss kam Nichtigkeit in Betracht, weil die gemäß § 51 GmbHG geregelte Mindestfrist von einer Woche nicht eingehalten wurde. Wie dieses Gericht bereits mit der in diesem Gesellschafterstreit ergangenen einstweiligen Verfügung ausgeführt hat (412 HKO 78/20, GmbHR 2020, 1354), sind für die Wirksamkeit einer kontroversen Beschlussfassung nach § 2 COVMG (Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht, BGBl. I 2020 S. 569) Mindestfristen einzuhalten, die sich an der Wochenfrist für die Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 51 GmbHG) bzw. einer etwaigen längeren satzungsmäßigen Einberufungsfrist orientieren (vgl. Seulen/Heinrichs, DB 2020, 1225; zustimmend Höfer, GmbHR 2020, 1355). Bei einer Absendung der Ladung am Freitag, den 29.5.2020, hätte eine Beschlussfassung in einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung erst am Dienstag, den 9. Juni 2020, erfolgen können. Selbst wenn die Nein-Stimme des Antragstellers also am 5.6.2020 bei der Gesellschaft eingegangen sein sollte, hätte sie (vorbehaltlich der Frage der Stimmberechtigung des Klägers) grundsätzlich berücksichtigt werden müssen.
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Auch im Rahmen des § 2 COVMG ist ein solcher „Einberufungsmangel“ zwar erheblich, aber nicht so schwerwiegend, dass einem darauf basierenden Beschluss von vornherein jede Wirksamkeit abgesprochen werden muss. Im Allgemeinen gilt, dass eine Ladung unter Verkürzung der Einberufungsfristen nur dann zur Nichtigkeit führt, wenn sie nach den Umständen so kurzfristig erfolgt, dass dem auf diese Weise „geladenen“ Gesellschafters eine Teilnahme / wirksame Beteiligung am Willensbildungsprozess praktisch nicht mehr möglich ist und die Ladung damit einer Nichtladung gleichsteht (vgl. Leinekugel, BeckOK GmbhG, Ziemons/Jaeger/Pöschke, Anh. § 47, Rn. 299 ff; Altmeppen, GmbHG, 10. Auflage 2021, Anh. § 47, Rn. 9f). Das ist hier nicht der Fall, da dem Kläger sowohl eine Stimmabgabe als auch eine Stellungnahme innerhalb der verkürzten Frist möglich war.
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Auf der anderen Seite ist durch diese Beteiligung des Klägers keine Heilung eingetreten, da der Kläger in seiner Stellungnahme vom 4. Juni 2020 (Anlage K 8) ausdrücklich gegen das Verfahren protestiert hat und deutlich gemacht hat, dass seine Stimmabgabe nur vorsorglich erfolgt.
- 45
Der im Umlaufverfahren gefasste Beschluss ist auch nicht deswegen nichtig, weil die im Rahmen der Beschlussfeststellung vom 8. Juni 2020 (Anlage K 9) seitens der weiteren Gesellschafterin abgegebene Begründung unzutreffend ist. Diese stützt sich unter anderem darauf, dass der Kläger seine Stimme nicht innerhalb der gesetzten Frist abgegeben habe, was nicht zutrifft, sowie darauf, dass der Kläger seine Stimme nicht auf dem dafür vorgesehenen Formular abgegeben habe, was die Stimme nicht unwirksam machen würde. Die Stimme war allein deswegen nicht mitzuzählen, weil die Satzung in § 10 Ziffer 3 vorsieht, dass dem von einer beabsichtigten Einziehung betroffenen Gesellschafter bei der entsprechenden Abstimmung kein Stimmrecht zusteht. Zumindest bei Gesellschaften, bei denen zu einer Beschlussfassung Einstimmigkeit vorausgesetzt wird, ist eine solche Regelung nicht zu beanstanden. Sie führt dazu, dass der betroffene Gesellschafter das Nichtbestehen von Einziehungsgründen ggf. im Wege der Anfechtungsklage geltend machen muss. Das Fehlen eines Stimmrechts entbindet die Gesellschaft jedoch nicht davon, dem betroffenen Gesellschafter im Übrigen an der gesellschaftlichen Willensbildung zu beteiligen, sodass er sich für die Anfechtung von Beschlüssen auch auf Fristverstöße berufen kann.
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Der Beschluss ist auch nicht aufgrund seiner Formulierung nichtig, wonach der betroffene Gesellschafter … aus der Gesellschaft „ausgeschlossen“ wird und seine Anteile an die Gesellschaft übertragen werden. Ein Ausschluss durch Gesellschafterbeschluss kommt nur bei einer entsprechenden Regelung in der Satzung in Betracht, die es hier nicht gibt. Ansonsten müsste aufgrund eines entsprechenden Beschlusses, der hier nicht vorliegt, eine Ausschließungsklage erhoben werden, die hier nicht beabsichtigt war. Zu Recht weist die Klägerseite auch darauf hin, dass eine Ausschließungsklage auch nur zulässig wäre, wenn die Satzung keine Regelung zur Einziehung von Geschäftsanteilen vorsieht. Wird dies berücksichtigt, ergibt eine Auslegung der Formulierung des Beschlussvorschlags / des Beschlusses nach den §§ 133, 157 BGB, dass hier eine offensichtlich falsche Wortwahl vorliegt und nicht die „Ausschließung“ des Gesellschafters, sondern die Einziehung seines Geschäftsanteils nach § 10 der Satzung gemeint war. Es kommt für die Auslegung von Willenserklärungen nicht auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks, sondern auf den wirklichen Willen an, wie er sich nach dem objektiven Empfängerhorizont darstellt. Auch aus der Sicht des Klägers konnten danach keine Zweifel darüber bestehen, was die Beklagte erreichen wollte.
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Im Hinblick auf den in der Gesellschafterversammlung vom 1. Juli 2020 möglicherweise gefassten „Bestätigungsbeschluss“ (Klagantrag zu 2) kam zwar zunächst Nichtigkeit in Betracht, da auch eine Bestätigung einem nichtigen Umlaufbeschluss nicht zur Wirksamkeit verholfen hätte. Da der Umlaufbeschluss aber nicht nichtig ist, entfällt der entsprechende etwaige Nichtigkeitsgrund auch beim Bestätigungsbeschluss. Weitere potenzielle Nichtigkeitsgründe sind hier nicht zu erkennen. Insbesondere war die Gesellschafterversammlung ordnungsgemäß einberufen und der Beschlussgegenstand in der Ladung ordnungsgemäß angekündigt worden.
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Letzteres gilt auch im Hinblick auf den weiteren, in der Gesellschafterversammlung vom 1. Juli 2020 gefassten Einziehungsbeschluss, für den keine Nichtigkeitsgründe erkennbar sind. Die Ankündigung mit der Wortwahl: „Erneuter Ausschluss des Gesellschafters … und Einziehung des Geschäftsanteils“ ist zwar (wie gesagt) im Hinblick auf den „Ausschluss“ unzutreffend, das ist aber unschädlich.
II.
- 49
Die Anfechtungsklagen sind zulässig. Sie sind insbesondere innerhalb der in § 7 Ziff. 10 der Satzung normierten Monatsfrist eingereicht worden.
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Ihre Zulässigkeit scheitert auch nicht daran, dass im Hinblick auf die Beschlüsse aus der Gesellschafterversammlung vom 1. Juli 2020 die Beschlussfeststellungskompetenz der Versammlungsleitung gefehlt hat. Diese Kompetenz ergibt sich weder aus dem Gesellschaftsvertrag noch hat ihr der Kläger zugestimmt. Im Gegenteil, ausweislich des Protokolls der Gesellschafterversammlung vom 1. Juli 2020 hat der Bevollmächtigte des Klägers einer Beschlussfeststellungskompetenz des gewählten Versammlungsleiters ausdrücklich widersprochen. Für die Klärung der Wirksamkeit des Beschlusses wäre daher die (negative) Beschlussfeststellungsklage der am besten passende Rechtsbehelf gewesen. Gleichwohl kann es der Klägerseite nicht verwehrt werden, auch im Wege der Anfechtungsklage vorzugehen, welche strengeren Voraussetzungen unterliegt, zumal die Frage der Beschlussfeststellungskompetenz zum Zeitpunkt der Klagerhebung als streitig bzw. ungeklärt angesehen werden musste.
III.
- 51
1. Die Anfechtbarkeit des im Umlaufverfahren nach § 2 COVMG getroffenen, am 8. Juni 2020 festgestellten Beschlusses ergibt sich bereits daraus, dass die Einberufungsfrist nicht eingehalten war. Dem Gesellschafter ist, unabhängig von seiner Stimmberechtigung, eine Überlegungsfrist von mindestens einer Woche einzuräumen. Diese Frist ist hier nicht gewahrt. § 10 Ziff. 5 der Satzung sieht vor, dass eine nicht ordnungsgemäß einberufene Gesellschafterversammlung Beschlüsse nur fassen kann, wenn alle Gesellschafter vertreten sind und kein Widerspruch gegen die Beschlussfassung erhoben wird. Bei einer entsprechenden Anwendung auf Beschlüsse, die im Umlaufverfahren gefasst werden, begründet dies die Anfechtbarkeit des betreffenden Beschlusses.
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2. Die Beschlüsse vom 1. Juli 2020 sind anfechtbar, weil die Ereignisse, auf welche sich die Einziehung stützt, zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits länger als 6 Monate zurücklagen. Für diese Fälle regelt § 10 Ziffer 5 der Satzung, dass eine Einziehung ausgeschlossen ist. Dabei folgt das Gericht der Auffassung der Beklagtenseite, dass es entgegen dem Wortlaut der Regelung nicht darauf ankommt, wann der Kläger die ihm vorgeworfenen Handlungen vorgenommen hat, sondern wann die Beklagte davon Kenntnis erlangt hat. „Kenntnis“ ist jedoch nicht gleichzusetzen mit „Verständnis“. Es kommt allein darauf an, wann der Beklagten die Tatsachen bekannt waren, aufgrund derer sie Vorwürfe erhebt, nicht jedoch auf den Zeitpunkt, zu welchem sie aus den ihr bekannten Tatsachen die Folgerung zieht, dass sich der Kläger in vorwerfbarer Weise verhalten habe. Die in § 10 Ziff. 5 vorgesehen Sechs-Monats-Frist bezieht sich auf den Erkenntnisprozess. § 10 Ziff. 5 besagt, dass ein solcher Zeitraum ausreichen muss, um aus den auf die Vorwürfe hindeutenden Tatsachen die entsprechenden Erkenntnisse zu gewinnen. Gemessen daran, waren die Beschlüsse vom 1. Juli 2020 nicht rechtzeitig gefasst worden, ohne dass es darauf ankommt, ob die zur Begründung herangezogenen Tatsachen die durch die Beklagte gezogenen Schlussfolgerungen rechtfertigen.
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3. Die Kenntnis der Beklagten bzw. ihrer Mehrheitsgesellschafterin von den die Einziehung stützenden Tatsachen ist mehr als sechs Monate vor dem 1. Juli 2020 eingetreten.
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a) Die Ladung vom 8. Juni 2020 (Anlage K 15) zu der am 1. Juli 2020 anberaumten Gesellschafterversammlung nennt –entsprechend dem vorangegangenen Umlaufbeschluss - folgende Gründe für die Einziehung:
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Das Vertrauensverhältnis der Mehrheitsgesellschafterin zum Kläger sei zerstört, weil sich im Zuge der jüngsten Gespräche über das Ausscheiden des Klägers aus der Gesellschaft herausgestellt habe, dass er vor seinem Eintritt falsche Angaben zu Verbindlichkeiten der „B. und L.“ GbR gemacht habe. Ohne diese Täuschung wäre er nicht Gesellschafter bzw. Geschäftsführer geworden. Insbesondere habe er verschwiegen:
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- dass die B. und L. GbR bei dem Einzelunternehmen von Frau R. Mietschulden in Höhe von ca. € 60.000,00 gehabt habe
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. dass vom Konto des Einzelunternehmens ca. € 30.000,00 dazu verwandt worden seien, um Therapieutensilien (Spielgeräte), für die GbR anzuschaffen, ohne dass eine Rückzahlung erfolgt sei.
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Die rechtsgrundlosen Zahlungen und die Nichtzahlung der Miete seien als Untreue zu werten. Diese habe weiter dazu geführt, dass bei der Einbringung der GbR in die Beklagte der Jahresgewinn, welcher im vereinfachten Faktorverfahren einer Bewertung der GbR zugrunde gelegt worden sei, mit € 39.993,33 angesetzt worden sei. Nach Abzug der genannten Verschiebungen hätte der Bewertung Verlust im maßgeblichen Jahr 2016 von ca. € 50.000,00 zugrunde gelegt werden müssen, der zu einem negativen Firmenwert geführt hätte. Dann hätte der Kläger infolge der Einbringung der GbR auch keine weiteren Geschäftsanteile an der Beklagten erhalten. Die Forderung einer Abfindung für den Fall des Ausscheidens ohne Berücksichtigung der täuschungsbedingen Falschbewertung mache seinen Ausschluss unerlässlich.
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In der Klagerwiderung werden die gegen den Kläger gerichteten Vorwürfe erweitert und präzisiert:
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Dem Kläger allein sei die kaufmännische Leitung des Einzelunternehmens anvertraut gewesen. Die Inhaberin / spätere Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten habe ihm vollständig vertraut. Daher habe sie nicht erkannt, dass der Kläger schon bei Gründung der GbR, bei der jeder Gesellschafter einen Beitrag von € 1.800,00 habe leisten sollen, aus eigenen Mitteln nur € 300,00 gezahlt habe, während er im Übrigen € 3.000,00 vom Konto des Einzelunternehmens überwiesen habe, mit der Bezeichnung „Einzahlung 05/15 R. und S.“ (Auszug Commerzbank vom 30.4.2015). Mit Frau R. sei dies nicht abgestimmt gewesen und sie habe davon nichts gewusst.
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Die bei der Bewertung unberücksichtigten Mietschulden leiteten sich daraus her, dass die GbR Teile der von dem Einzelunternehmen bzw. der Beklagten angemieteten Gesamtfläche (299qm) genutzt habe, und zwar in der Zeit von Januar 2015 bis Februar 2016 123qm, von März 2016 bis Dezember 2017 sogar € 183qm. Die Gesamtmiete habe € 5.358,33 betragen. Ein Untermietvertrag vom 3. Dezember 2014 (Anlage B 5) habe für die 123 qm eine Warmmiete von € 1.810,00 vorgesehen. Schon der anfängliche Anteil von knapp 30% sei zu wenig gewesen, bei einer Nutzung von ca. 45% der Fläche. Für Januar 2015 bis April 2015 habe die GbR gar keine Miete gezahlt und ab 1. Mai 2015 sei der Mietzins gemäß einer Änderung des Untermietvertrages (Anlage B 6) auf € 1.295,00 reduziert worden. Dabei sei es auch ohne Anpassung geblieben, als sich die Nutzung auf 183 qm ausgedehnt habe. Richtigerweise seien monatlich € 1.985,19 zu zahlen. Die Ermittlung der daraus resultierenden „Mietschulden“ wird durch die Beklagtenseite nochmals im Einzelnen dargelegt im Schriftsatz vom 19. Februar 2021, dort Seite 7 ff, bei Zugrundelegung der behaupteten tatsächlichen Nutzung der Flächen durch die GbR. Darin enthalten ist ein Teil für nicht gezahlte Betriebskosten für den Zeitraum 2015 bis 2017 von € 7.824,49. Dass hier ein Ausgleich nicht erfolgte, habe der Kläger für sich behalten.
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Die durch das Einzelunternehmen geleisteten Zahlungen für Therapiegeräte seien weder mit Frau R. abgestimmt worden, noch seien habe sie Kenntnis davon gehabt, noch habe der Kläger sie oder den Steuerberater darüber informiert, dass diese Zahlungen nicht als Verbindlichkeiten der GbR gebucht worden seien. In ihrer persönlichen Anhörung hat die Beklagte dies dahingehend korrigiert, dass sie von der Anschaffung der Geräte gewusst habe und dass es ganz klar gewesen sei, dass der Kläger die Beträge durch das Einzelunternehmen überweist, sie sei aber der Meinung gewesen, er rechne dies auf seinen Anteil zurück. Er habe die Zahlungen notieren und von seinem Gewinn abrechnen sollen.
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b) Der Kläger bestreitet, dass er allein mit der kaufmännischen Leitung beauftragt gewesen sei.
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In Bezug auf die Überweisungen vom Einzelunternehmen auf das Konto der GbR führte der Kläger aus, dass auch er davon ausgegangen sei, dass diese Zahlungen ausgeglichen werden müssten; er sei jedoch davon ausgegangen, dass dies durch die Buchhaltung aus der ihm zustehenden Gewinnbeteiligung erfolgen würde.
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Bezüglich der Mietflächen (deren Nutzungsverhältnis der Kläger mit Nichtwissen bestreitet) seien nach dem Klägervortrag sämtliche Zahlungsverpflichtungen zwischen dem Kläger und Frau R. abgestimmt gewesen. Die Miete für die Monate Januar bis April 2015 sei der GbR erlassen worden. Die durch das Einzelunternehmen bzw. die Beklagte angemieteten Räume seien nämlich auch für den Bedarf der GbR weit überdimensioniert gewesen. Es sei auch klar gewesen, dass sich die GbR diese Flächen nicht leisten könne. Sie habe dann die vorhandenen großen Räume, die für sie nicht erforderlich gewesen seien, genutzt. Den Vorschlag des Klägers, kleinere Räume anzumieten, habe Frau R. abgelehnt und darauf bestanden, dass die Räume weiter genutzt würden. Deswegen sei es zu der Mietreduzierung gekommen.
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Die der Kapitalerhöhung zugrundeliegende Berechnung des Werts des Einzelunternehmens seien nicht nur durch ihn, sondern auch durch Frau R. mit dem Steuerberater abgestimmt worden.
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c) Bei einer zusammenfassenden Betrachtung der verschiedenen Darstellungen ergibt sich, dass die Mehrheitsgesellschafterin der Beklagte alle Tatsachen, auf die sie ihre Vorwürfe stützt, nicht erst ein halbes Jahr vor dem Einziehungsbeschluss vom 1. Juli 2020 erfahren hat.
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Sie wusste bereits im Jahr 2015, dass das Einzelunternehmen Zahlungen in Höhe von ca. € 30.000,00 für Therapiergeräte geleistet hatte. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass ihr die Anschaffung der Therapiegeräte nicht verborgen bleiben konnte, und dass eine Anschaffung seitens der GbR mangels der dazu erforderlichen Betriebsmittel auch nicht denkbar war. Dementsprechend hat die Mehrheitsgesellschafterin in ihrer Anhörung auch bestätigt, dass sie von der Anschaffung der Therapiegeräte wusste und ihr klar war, dass diese nur durch das Einzelunternehmen angeschafft worden sein konnten (Protokoll, 11. Dezember 2020, Seite 3, Blatt 123 der Akten),
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Sie wusste auch, wie hoch die Hauptmiete war und welche Untermiete die GbR zu zahlen hatte. Sie hatte nämlich nicht nur den Hauptmietvertrag, sondern auch den Untermietvertrag und die Vereinbarung über die Reduzierung der Untermiete mitunterschrieben. Ihr war über den gesamten Zeitraum bekannt, welche Flächen die GbR nutzte. Auch war ihr bekannt, dass die Fälligkeit der Untermiete für die Monate Januar bis April 2015 aufgehoben worden war. Das ergibt sich aus der Änderungsvereinbarung (Anlage B 6) zum Untermietvertrag, in der es auf Seite 2 heißt:
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„Der erste Mietzins ist ab den (!) Monat Mai 2016 fällig.
Die (!) Monate Januar bis April sind nur die Nebenkosten zu zahlen.“
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Sie hatte auch keine weitere Änderung des Untermietvertrages unterschrieben, aus der sich ergeben hätte, dass die Untermiete der GbR im späteren Verlauf geändert worden wäre, und sie hatte keine Absprache mit dem Kläger getroffen, die ihrer Auffassung nach zurückgestellten Beträge nunmehr einzufordern, und der Kläger hatte ihr auch nicht von einer solchen Änderung berichtet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in BWAs oder anderen Dokumenten zur finanziellen Situation der Beklagten, wie sie in jedem Unternehmen dieser Größe regelmäßig erstellt und der Geschäftsführung vorgelegt werden, falsche Angaben über die Miethöhe enthalten gewesen wären.
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Ferner wusste Frau R., welche konkreten Gewinnanteile der GbR auf den Kläger entfielen. Dies folgert das Gericht daraus, dass ein Steuerberater vorhanden war, dessen Aufgabe die Gewinnermittlung und die Erstellung der Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung war. Üblicherweise wird die entsprechende Erklärung durch die Steuerpflichtigen selbst unterschrieben, jedenfalls aber nach Kenntnisnahme in deren Vollmacht. Für Frau R. war daher auch sichtbar, dass entgegen der in ihrer Anhörung geäußerten Annahme auf dieser Ebene keine Korrektur bezüglich der Zahlungen für die Therapiegeräte erfolgt war. Sie wusste auch, dass der Kläger ihr persönlich keine Ausgleichszahlungen für die von ihr vorgenommene Einlage in die GbR in Höhe von ca. € 30.000,00 geleistet hatte und dass sie diese Einlage nicht zurückbekommen hatte.
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Konkrete Täuschungshandlungen des Klägers, welche die Kenntnis der Mehrheitsgesellschafterin neutralisieren würden, hat die Beklagte nicht behauptet. Der Kläger hat insbesondere keine Erklärungen abgegeben, wonach er die Beträge für die Spielgeräte - auf welchem Wege auch immer – erstattet habe oder wonach eine Untermietanpassung vorgenommen worden sei.
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Die maßgeblichen Informationen lagen der Mehrheitsgesellschafterin also vor, sie hat es nur unterlassen, die an ihrer jetzigen Interpretation der Tatsachen ausgerichteten Schlussfolgerungen zu ziehen.
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Auch sämtliche der genannten Informationen, welche nach Auffassung der Beklagten bei der Bewertung der GbR hätten berücksichtigt werden müssen, waren der Mehrheitsgesellschafterin bereits zum Bewertungszeitpunkt bekannt. Auf der anderen Seite nahm sie nicht an, dass der Steuerberater Mietnachforderungen oder die Kosten für Anschaffungen von Spielgeräten in seine Berechnungen hatte einfließen lassen oder dass der Kläger dem Steuerberater von solchen Forderungen berichtet hätte.
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Dem Gericht ist nach allem nicht erkennbar, dass die Beklagte bei der Gesellschafterversammlung im Juli 2020 etwas wusste, was ihr nicht auch schon. seit Jahren oder jedenfalls länger als sechs Monate bekannt gewesen ist. Das gilt umso mehr, als Frau R. – laut der Schilderung in der Klagerwiderung – bereits im Januar 2019 durch die Mitteilung ihres damaligen Rechtsanwalts S. „alarmiert“ war, dass bei der Bewertung möglicherweise Fehler gemacht worden seien. Dies veranlasste sie zum Einbehalt der für die Monate März und April 2019 geschuldeten Zahlungen bis Oktober 2019, dem Monat, in dem sie auch wieder auf die Rechnungen / Zahlungsnachweise für die Therapiegeräte stieß, mit denen sie im späteren Verlauf ein Fehlverhalten des Klägers begründen wollte. Darauf folgten diverse Auskunftsersuchen an den Kläger, die allesamt nichts erbrachten und ihr keine zusätzlichen Informationen lieferten. Dass sie aus den ihr bereits seinerzeit vorliegenden Informationen erst im Februar 2020 die Schlussfolgerungen zog, mit denen sie den wichtigen Grund für die Einziehung begründen wollte, lässt ihre vorherige Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen nicht entfallen.
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Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Einziehung liegen zudem bei der Beklagten. Dazu gehört auch die Einhaltung der Sechs-Monats-Frist. Das ergibt sich aus § 10 Ziff. 5 des Gesellschaftsvertrages, wonach Einziehungsbeschlüsse nur innerhalb von sechs Monaten nach Eintritt des Ereignisses gefasst werden könnten, das die Einziehung rechtfertigt. Die Wahrung der Frist ist hier als positive Anspruchsvoraussetzung formuliert, d.h. von demjenigen darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft. Das ist der Beklagten nicht gelungen. Sie hat nicht darlegt, welche die Einziehung rechtfertigenden Tatsachen sie erst im Jahr 2020 erfahren hat.
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4. Soweit sich die Vorwürfe gegen den Kläger darauf gründen, dass er als Verantwortlicher für die Finanzen, der er nach der Behauptung der Beklagten gewesen sein soll, bei der Einbringung der GbR schuldhaft falsche Angaben gegenüber dem Steuerberater gemacht haben soll, vermag dieser Vorwurf schon wegen der erteilten Generalquittung die Einziehung der Geschäftsanteile nicht zu rechtfertigen. Die (behauptete) Finanzverantwortung des Klägers ergibt sich aus seiner Funktion als Geschäftsführer. Die für seine Geschäftsführertätigkeit in Ziffer 12 des Aufhebungsvertrages (Anlage K 3) vom 9. Mai 2018 erteilte Generalquittung, wonach sämtliche Ansprüche der Parteien gegeneinander aus dem Dienstverhältnis und dessen Beendigung erledigt sind, soweit sie nicht auf einer unerlaubten Handlung beruhen, bewirkt auch, dass sich die Beklagte in einer gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzung nicht mehr auf ein darunterfallendes Fehlverhalten des Geschäftsführers berufen kann. Die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung sind nicht ausreichend dargelegt. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die entsprechenden Informationen vorsätzlich zurückhielt, um eine Fehbewertung zu seinen Gunsten zu erreichen, bestehen nicht. Die Möglichkeit, dass der Kläger die lange zurückliegenden Zahlungen der Mehrheitsgesellschafterin aus dem Jahr 2015 bzw. die Frage von Mietnachforderungen als für die Bewertung nicht relevant ansah oder überhaupt nicht in Betracht zog, lässt sich nicht von der Hand weisen. Das gilt umso mehr, als der Einfluss auf die Bewertung tatsächlich äußerst fraglich ist, und nach Auffassung des Gerichts nicht besteht (s.u. Ziffer 5).
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5. In objektiver Hinsicht rechtfertigen weder „Mietforderungen“ noch die von der Mehrheitsgesellschafterin getragenen Auslagen für Spielgeräte, noch lückenhafte Informationen des Steuerberaters bei der Bewertung der GbR die Einziehung.
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Die Mietforderungen mit Ausnahme der Nebenkosten bestehen nicht, da die GbR die geschuldeten Mieten, gezahlt hat. Eine automatische Mietanpassung an die genutzte Fläche war, wie gesagt, nicht vorgesehen. Dass der Kläger über die Nichtzahlung der Nebenkosten getäuscht habe, ist nicht ersichtlich. Die geschuldeten Beträge ergeben sich aus den Verträgen, die gezahlten Beträge aus den Kontoauszügen. Dass die Nebenkostenforderungen in der vereinbarten Höhe nicht in die durch den Steuerberater betreute Buchhaltung eingeflossen sind, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
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Bei den Aufwendungen für Therapiegeräte handelt es sich um eine Gesellschaftereinlage. Daran sollten beide Gesellschafter gleichermaßen beteiligt werden. Das bedeutet, dass der Kläger an die Mehrheitsgesellschafterin zu gegebener Zeit einen entsprechenden Ausgleich leisten sollte, was er nicht getan hat. Für den Gewinn der GbR ist ein solcher Ausgleich jedoch belanglos. Der Ausgleich vollzieht sich ggf. ausschließlich zwischen den Gesellschaftern. Das Gleiche gilt für die auf die verabredete Einlage des Klägers von € 1.800,00 geleistete Zahlung des Einzelunternehmens in Höhe von € 1.500,00.
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6. Soweit dem Kläger ein Pflichtenverstoß zur Last fallen sollte, sofern er den Steuerberater nicht über die bestehende Nebenkostenforderung informiert haben sollte, liegt hier ein durch die Generalquittung vom 9. Mai 2019 ausgeschlossener Geschäftsführungsfehler vor, der dem Kläger auch im Rahmen des Rechtsverhältnisses als Gesellschafter nicht mehr vorgehalten werden kann. Unter die Generalquittung fällt auch die durch den Kläger vorgenommen Zerstörung der Festplatte seines Dienstcomputers am 8. Mai 2019 (vgl. S. 9 Klagerwiderung).
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7. Die Einziehung lässt sich auch nicht auf eine durch den Kläger verursachte Zerrüttung stützen. Dem Umstand, dass zwischen den Gesellschaftern in der Geschäftsführung keine gedeihliche Zusammenarbeit mehr möglich war, ist durch das Ausscheiden des Klägers aus der Geschäftsführung hinreichend genüge getan worden. Dass aber eine Zusammenarbeit auf Gesellschafterebene nicht mehr möglich sei, ist bislang nicht ersichtlich. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass dieser Zusammenarbeit infolge des Einstimmigkeitserfordernisses bei Beschlüssen und des sehr weitgehenden Katalogs zustimmungspflichtiger Geschäfte eine wesentlich höhere Bedeutung zukommt, als dies normalerweise bei einer rein kapitalmäßigen Beteiligung der Fall ist. Entsprechend niedriger ist auch die Schwelle anzusetzen, bei der ein gemeinsames Verbleiben in der Gesellschaft nicht mehr zumutbar ist und ein wichtiger Grund für die Auseinandersetzung der Gesellschaft, ggf. auch für die Zwangseinziehung von Geschäftsanteilen, bestehen kann, z.B. wenn wichtige Geschäftsentscheidungen blockiert werden.
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Berücksichtigt hat das Gericht auch, dass sich die Ausgangslage im vorliegenden Fall deutlich vom Normalfall einer Geschäftsbeziehung unterscheidet. Die Mehrheitsgesellschafterin hat dem Kläger ein ungewöhnlich großes Vertrauen entgegengebracht, welches sich in sehr hohen Geschäftsführungsbezügen und der Gewährung einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung unter Vereinbarung eines Einstimmigkeitserfordernisses für Beschlussfassungen niedergeschlagen hat. Dieses Vertrauensverhältnis ging viel weiter, als das Vertrauen, welches landläufig zwischen Geschäftspartnern in einer GmbH besteht, die sich zwar schätzen, aber nicht aufhören, sich gegenseitig zu kontrollieren. Eine solche Kontrolle fand in wirtschaftlichen Dingen auf Seiten der Mehrheitsgesellschafterin nicht statt und war ihrer Erwartung nach auch nicht erforderlich. Diese Großzügigkeit hat der Kläger nicht zum Anlass genommen, von sich aus Ungleichgewichte zu beseitigen, wie z.B. die überschießenden Einlagen von Frau R. in die GbR auszugleichen oder die fälligen Nebenkosten zu zahlen. Er hat vielmehr abgewartet, ob in diesen Angelegenheiten noch einmal Forderungen gestellt würden und sich im Übrigen wie jemand verhalten, der hofft, mit seinem ihm nicht zustehenden Ertrag davonzukommen. Möglicherweise hat er den Vorgängen keine große Bedeutung beigemessen, möglicherweise auch geglaubt, dass seine Leistungen, die sich beim Aufbau des Unternehmens zweifellos auch sehr positiv ausgewirkt haben, dies rechtfertigten oder sich gesagt, dass schließlich auch die Mehrheitsgesellschafterin ungerechtfertigte Vorteile erziele. Jedenfalls ist diese Einstellung nicht kompatibel mit dem hier ursprünglich bestehenden besonderen Vertrauensverhältnis. Als wichtiger Grund für eine Einziehung des Geschäftsanteils reicht dies jedoch ebenso wenig aus wie die Forderung etwaiger, nach Auffassung der Beklagten überhöhter Abfindungen für die Aufgabe des Geschäftsanteils.
IV
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II ZPO. Der Kläger ist zwar mit den Feststellungsklagen unterlegen, hat aber sein wesentliches Prozessziel auch durch den Erfolg in den Anfechtungsklagen erreicht. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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Beschluss
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Referenzen
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- GmbHG § 47 Abstimmung 1x
- 412 HKO 78/20 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 1x
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