Beschluss vom Landgericht Heilbronn - 3 AR 11/17; 3 KLs 63 Js 200334/12; 3 AR 11/17 - 3 KLs 63 Js 200334/12

Tenor

Aus den rechtskräftigen Straferkenntnissen des

1. Landgerichts Heilbronn vom 27. Juni 2016 (3 KLs 63 Js 20334/12) und des

2. Amtsgerichts Bruchsal vom 16. Juni 2016 (Aktenzeichen 6 Ls 260 Js 10044/15)

wird nach Auflösung der im Straferkenntnis Ziffer 1 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe und unter Einbeziehung der dort festgesetzten Einzelstrafen nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren gebildet.

Die im Straferkenntnis Ziffer 1 angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird mit der Maßgabe aufrecht erhalten, dass vor der Unterbringung sechs Monate der Freiheitsstrafe zu vollziehen sind.

Gründe

 
I.
Der Genannte wurde wie folgt rechtskräftig verurteilt:
1. Durch Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juni 2016 (3 KLs 63 Js 20334/12) wurde der Genannte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und bandenmäßig begangenen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem unerlaubtem sich Verschaffen von Betäubungsmitteln und in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem sich Verschaffen von Betäubungsmitteln, jeweils in Tateinheit mit einer mitgliedschaftlichen Beteiligung in einer kriminellen Vereinigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, bestehend aus Einzelstrafen von zwei Jahren und drei Monaten, zwei Jahren und sechs Monaten, zwei Jahren und drei Monaten und drei Jahren und sechs Monaten, verurteilt. Zugleich wurde die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB mit der Maßgabe angeordnet, dass vor der Unterbringung ein Monat und zwei Wochen Freiheitsstrafe zu vollziehen sind. Die in dieser Entscheidung abgeurteilten Straftaten sind sämtlich zwischen dem 18. September 2012 und dem 22. November 2012 begangen worden. Den Taten lag die Einbindung des Angeklagten in eine Gruppierung russischstämmiger Gefangener in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn zugrunde, welche sich unter anderem den gewinnbringenden Handel mit Betäubungsmitteln innerhalb der Vollzugsanstalt und die Versorgung ihrer teilweise selbst anhängigen Mitglieder zum Ziel gesetzt und in der Umsetzung dieses Zieles eine Vielzahl entsprechender Geschäfte, unter anderem mit Subutex-Tabletten organisiert und durchführt hatte. Der Angeklagte, dem seit September 2012 eine herausgehobene Stellung in der mittleren Führungsebene der Gruppierung zufiel, übernahm hierbei in den drei abgeurteilten Fällen jeweils organisatorische Tätigkeiten.
Das bisher nicht vollstreckte Urteil ist seit 5. Juli 2016 rechtskräftig. Der Verurteilte befindet sich weiterhin in anderer Sache in Strafhaft.
2. Des Weiteren wurde der Genannte vom Amtsgericht Bruchsal bereits am 16. Juni 2016 im Verfahren 6 Ls 260 Js 10044/15 wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal einen Mitgefangenen mit Unterstützung eines anderen Gefangenen körperlich misshandelte, um ihn so zur auch zukünftigen Übergabe des diesem ärztlich verordneten Ritalins zu bewegen.
Das Urteil ist seit 16. Juni 2016 rechtkräftig und bis dato ebenfalls noch nicht vollstreckt.
II.
Obwohl bzgl. aller in den genannten Straferkenntnissen abgeurteilter Straftaten die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe (§ 55 StGB) vorliegen, ist über die Bildung einer solchen bisher nicht entschieden worden, so dass eine Entscheidung nach § 460 StPO veranlasst ist.
1. Gesamtstrafe
Bei der Bemessung der neuen Gesamtfreiheitsstrafe war insbesondere der enge sachliche Zusammenhang der im Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 27. Juni 2016 abgeurteilten Taten zu berücksichtigen. Dieser ist sowohl durch die für die Taten mitursächliche eigene Abhängigkeit des Angeklagten als auch durch die Zugehörigkeit des Angeklagten zu der den Betäubungsmittelhandel organisierenden Gruppierung maßgeblich geprägt. Auch in zeitlicher Hinsicht ist diesbezüglich ein enger Zusammenhang gegeben, welcher einen straffen Zusammenzug der ausgeurteilten Einzelstrafen rechtfertigt. Letzten Endes gilt dies auch für die Einbeziehung der im Urteil des Amtsgerichts Bruchsal verhängten Freiheitsstrafe. Zwar ist diese Tat außerhalb der Heilbronner Gruppierung begangen und stellt unmittelbar auch keinen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz dar, steht aber gleichwohl ebenfalls im Zusammenhang mit der Suchtmittelabhängigkeit des Angeklagten, die dieser durch die versuchte Erpressung eines Mitgefangenen zu befriedigen suchte. Auch wenn die zugrunde liegende Tat zeitlich wesentlich später und zudem unter dem Eindruck des laufenden Verfahrens vor dem Landgericht Heilbronn begangen wurde, rechtfertigt sich gleichwohl auch insoweit ein enger Zusammenzug.
Unter Berücksichtigung insbesondere der vorgenannten Strafzumessungsgründe hat die Kammer insoweit auf die zur Abgeltung des Gesamtunrechts erforderliche aber auch ausreichende Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren erkannt.
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2. Unterbringung nach § 64 StGB / Vorwegvollzug
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Entsprechend § 55 Abs. 2 StGB war die Aufrechterhaltung der im Urteil des Landgerichts Heilbronn ausgesprochenen Unterbringung in der Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auszusprechen, nachdem diese bisher weder erledigt noch sonst gegenstandslos geworden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, § 460 Rn. 18).
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Obergerichtlich - soweit ersichtlich - nicht entschieden ist bisher die Frage, ob im Zuge der Gesamtstrafenbildung im Nachtragsverfahren nach § 460 StPO die Dauer des Vorwegvollzugs gemäß § 67 Abs. 2 StPO abgeändert werden darf.
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Nach der Rechtsansicht der Kammer ist als Annex der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der angeordneten Unterbringung auch über die Dauer des Vorwegvollzugs nach § 67 Abs. 2 StGB neu zu entscheiden.
14 
Die Kammer geht hierbei von folgenden Erwägungen aus:
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§ 460 StPO und § 55 StGB sind vom Gesetzgeber in erster Linie auf die Zusammenführung von Strafen ausgerichtet. Folgerichtig verweist § 55 Abs. 1 StGB insoweit auch umfassend auf die Regelungen der §§ 53, 54 StGB, die sich mit der Bildung von Gesamtstrafen befassen. Den Fall des Zusammentreffens bzw. der Einbeziehung von (mehreren) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen regeln diese Vorschriften indes gerade nicht. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber in § 55 Abs. 2 StGB lediglich bestimmt, dass diese, soweit auf sie in der früheren Entscheidung erkannt war, aufrechtzuerhalten sind, soweit sie nicht gegenstandslos geworden sind.
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Darin zeigt sich der gesetzgeberische Wille, einmal rechtskräftig angeordnete Maßregeln soweit als möglich unangetastet bestehen zu lassen und etwaige Änderungen bzw. Anpassungen regelmäßig dem Vollstreckungsverfahren anheim zu stellen.
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Selbst im Falle der Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren nach § 55 StGB ist eine Änderung der im einbezogenen Urteil verhängten Maßregel nur sehr eingeschränkt zulässig.
18 
So ist eine Änderung der einbezogenen, die Maßregel anordnenden Entscheidung im Hinblick auf den Maßregelausspruch nach einhelliger Ansicht selbst dann unzulässig, wenn zwischenzeitlich deren materielle Voraussetzungen nachweislich entfallen sind. So etwa bei § 64 StGB, weil kein Therapieerfolg mehr zu erwarten ist oder der Hang des Angeklagten inzwischen nicht mehr vorliegt oder im Hinblick auf § 69a StGB, weil die Ungeeignetheit des Angeklagten zum Führen von Kraftfahrzeugen, etwa aufgrund von Nachschulungen oder psychotherapeutischer Behandlung etc., nicht länger besteht.
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In letztgenanntem Fall ist selbst die Abkürzung der Sperrfrist unzulässig. Eine Änderung der angeordneten Dauer der Sperrfrist ist im Falle der Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB nur dann zulässig, wenn die sachliche Prüfung im neuen Verfahren auch bezüglich der dort neu abzuurteilenden Tat(en) die Voraussetzungen der Anordnung der Maßregel erfüllt. In diesem Fall ist das Gericht frei, die Sperrfrist (unter Aufrechterhaltung der Maßregelanordnung der früheren Entscheidung) innerhalb des Rahmens des § 69a Abs. 1 StGB neu festzusetzen (Fischer, StGB, 64. Auflage, § 55 Rn. 32f).
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Über diese bereits dem erkennenden Gericht bei der Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB gesetzten Grenzen hinaus ist für die vorliegende Entscheidung weiterhin zu berücksichtigen, dass es sich beim Nachtragsverfahren gemäß § 460 StPO nicht um ein Erkenntnisverfahren, sondern lediglich um ein Beschlussverfahren handelt, das nur mit geringeren verfahrensmäßigen Garantien ausgestattet ist. Nach herrschender Meinung darf der Gesamtstrafenrichter im Verfahren gemäß § 460 StPO, anders als bei der Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB, den Verurteilten daher auch nicht durch zusätzliche Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (erstmals) belasten (Schönke/Schröder/Bosch/Sternberg-Lieben StGB § 55 Rn. 75, beck-online, m.w.N.).
21 
Vor diesem Hintergrund könnte eine Anpassung i.S.e. Verlängerung der Dauer des Vorwegvollzugs auf den ersten Blick bedenklich sein.
22 
Im Ergebnis greifen diese Bedenken indes nicht durch, da die gesetzlichen Regelungen über die Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolgs dienen, so dass es sich beim Vorwegvollzug nach der obergerichtlichen Rechtsprechung schon nicht um eine den Verurteilten belastende Maßnahme handelt (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 1 StR 162/14 –, juris Rn. 12; BGH, Beschluss vom 21. August 2007 – 3 StR 263/07 –, juris).
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Darüber hinaus ist auch dem Verfahren nach § 460 StPO eine Verschlimmerung nicht völlig wesensfremd, wie etwa die Rechtsprechung zur diesbezüglichen Bewährungsentscheidung eindrücklich zeigt.
24 
Insoweit ist - regelmäßig unter Verweis auf § 58 Abs. 2 StGB - ganz herrschende Ansicht, dass durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung der Bewährungsausspruch der einzelnen Urteile gegenstandslos wird und der Gesamtstrafenrichter unter Berücksichtigung auch zwischenzeitlich eingetretener Änderungen eine neue Prognoseentscheidung zu treffen hat (BGH, Beschluss vom 03. Juli 1981 – StB 31/81 –, BGHSt 30, 168-172 Rn. 5; Appl in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Auflage, § 460 Rn. 25; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. Rn. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2013 – III-3 Ws 254 - 257/13 –, juris Rn. 33.)
25 
Auch die Anordnung der Dauer des Vorwegvollzugs gemäß § 67 Abs. 2 StGB ist ihrem Wesen nach Ausfluss einer prognostischen Entscheidung des erkennenden Gerichts, welches sich, sachverständig beraten, ein Urteil über die im konkreten Fall und unter Berücksichtigung der individuellen Persönlichkeit des Angeklagten zu erwartende voraussichtliche Therapiedauer bilden muss.
26 
Dieses prognostische Element legt im Hinblick auf die Frage der Abänderbarkeit im Zuge der Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO eine der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung vergleichbare Behandlung nahe.
27 
Eine solche Handhabung führt auch zu Ergebnissen, die der gesetzgeberischen Intention im Hinblick auf den Regelungszweck des Nachtragsverfahrens entsprächen. Durch die Regelung des § 460 StPO wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die materiell-rechtlichen Vorschriften über die Gesamtstrafenbildung auch dann noch zur Wirksamkeit gelangen, wenn der erkennende Richter bei dem späteren Urteil die Möglichkeit der Gesamtstrafenbildung entweder übersehen hat oder die Gesamtstrafe ausnahmsweise noch nicht bilden konnte. Durch die Nachholung der unterlassenen Gesamtstrafenbildung im Nachtragsverfahren nach § 460 StPO soll der Verurteilte so gestellt werden, als habe der letzte Tatrichter die Gesamtstrafe gebildet; das Nachtragsverfahren darf daher weder zu einer Schlechterstellung noch zu einer ungerechtfertigten Besserstellung des Verurteilten führen (Appl a.a.O. Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O. Rn. 1).
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Hätte aber die die Unterbringung anordnende erkennende Strafkammer von der rechtskräftigen Verurteilung des Amtsgerichts Bruchsal Kenntnis gehabt und die erforderliche Gesamtstrafenbildung vorgenommen, so hätte sie unter Zugrundelegung der von ihr sachverständig beraten ermittelten voraussichtlichen Verweildauer im Maßregelvollzug den von ihr grundsätzlich für geboten gehaltenen Vorwegvollzug in einer entsprechend verlängerten Dauer festgesetzt.
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Das gesetzgeberische Ziel der Gleichbehandlung auch bei zunächst getrennter Aburteilung lässt sich im Hinblick auf den Vorwegvollzug vorliegend letztlich zuverlässig auch nur dadurch erreichen, dass die ausnahmsweise Durchbrechung der Rechtskraft für zulässig erachtet wird.
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Ließe man die Anpassung der Dauer des Vorwegvollzugs im Wege der Gesamtstrafenbildung nach § 460 StPO nicht zu, so würde dem Verurteilten in derartigen Fällen regelmäßig die vom Gesetzgeber bezweckte Schaffung der Möglichkeit der Halbstrafenentlassung nach Abschluss der Therapiemaßnahme (§ 67 Abs. 5 StGB) entzogen.
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Eine Verweisung des Verurteilten auf das Vollstreckungsverfahren liefe regelmäßig ins Leere. Eine nachträgliche Anpassung der Dauer des Vorwegvollzugs durch die Strafvollstreckungskammer nach § 67 Abs. 3 StGB kommt nämlich nur dort in Betracht, wo die Änderung durch in der Person des Verurteilten liegende Umstände veranlasst ist. Abänderungen aus anderen Gründen, insbesondere zur Korrektur unrichtiger tatrichterlicher Entscheidungen, sind nach ganz herrschender Meinung unzulässig (Schöch in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 67 Rn. 105f; BGH, Beschluss vom 22. September 2011 – 2 StR 322/11 –, juris).
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Nach alledem ist die Kammer berechtigt und verpflichtet die Dauer des Vorwegvollzugs den geänderten Umständen anzupassen.
33 
Bei der konkreten Bemessung sind - entsprechend der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung - zunächst die der Ausgangsentscheidung zugrunde liegenden Feststellungen zu berücksichtigen, so etwa die Feststellung zur voraussichtlichen Therapiedauer von zwei Jahren. Darüber hinaus waren auch die zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen, vorliegend die Erhöhung der Gesamtfreiheitsstrafe um 9 Monate auf 5 Jahre, zu berücksichtigten.
34 
Entsprechend der Vorgaben des § 67 Abs. 2 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 StGB wird die Dauer des Vorwegvollzugs unter Berücksichtigung der oben genannten Umstände auf nunmehr 6 Monate festgesetzt.

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