Beschluss vom Landgericht Itzehoe (9. Zivilkammer) - 9 S 31/13

Tenor

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten des Vergleichs, die gegeneinander aufgehoben werden.

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten über die Kosten eines Räumungsrechtsstreits, der sich in der Hauptsache durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs erledigt hat.

2

Es wird zunächst entsprechend § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die nachfolgend dokumentierten tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen:

3

„Die Beklagte hat die streitgegenständliche Wohnung mit Wirkung ab dem 01.01.1980 von der seinerzeitigen Eigentümerin gemietet. Sie ist zum heutigen Zeitpunkt 71 Jahre alt und bewohnt die Wohnung mithin seit etwa 33 Jahren. Für den Inhalt des Mietvertrages wird auf die Anlage K1, Bl. 5 ff. d.A., verwiesen. Im Jahr 2011 erwarb der Zeuge W. die streitgegenständliche Wohnung. Der Zeuge W. ist der ehemalige Lebensgefährte der Klägerin. Die Klägerin und der Zeuge W. haben eine gemeinsame Tochter im Alter von 10 Jahren, die im Haushalt der Klägerin lebt. Die Klägerin bewohnt derzeit eine Wohnung in der H.-Straße 10 in Q., bestehend aus drei Zimmern, für die sie eine Gesamtmiete einschließlich Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser und Vorauszahlung für die übrigen Betriebskosten in Höhe von 710,00 € monatlich aufbringen muss. Durch Schreiben des Prozessbevollmächtigen der Klägerin kündigte der Zeuge W. mit Schreiben vom 10.10.2011 das Mietverhältnis mit der Beklagten zum 31.10.2012 wegen Eigenbedarfs.

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Dieses Kündigungsschreiben, Anlage K3, Bl. 18 ff. d.A., enthält unter anderem folgenden Text:

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‚Als Kündigungsgrund macht mein Mandant Eigenbedarf geltend.

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Herr W. benötigt die Wohnung für seine ehemalige Lebensgefährtin, Frau S., sowie für die gemeinsame Tochter, J. S., geboren am 18.03.2002. Das gemeinsame Kind wohnt bei der ehemaligen Lebensgefährtin. Die derzeit von ihr bewohnte Wohnung muss u.a. aus Kostengründen aufgegeben werden.

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Mein Mandant wünscht, dass sowohl die ehemalige Lebensgefährtin als auch das eigene Kind abgesichert sind.

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Die von Ihnen bewohnte Wohnung ist zu diesem Zwecke auch angemessen. Weiterer Ersatzwohnraum oder weitere Wohnungen stehen nicht zur Verfügung.‘

9

Für den weiteren Inhalt wird auf die Anlage K3 verwiesen.

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Durch notariellen Vertrag vom 27.12.2011 erwarb die Klägerin die streitgegenständliche Wohnung von dem Zeugen W.

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Die Beklagte erhob durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.08.2012 den Widerspruch gemäß § 574 BGB und führte aus, dass die Aufgabe des für sie jahrzehntelang gewohnten Lebensumfeldes eine in ihrem Alter unzumutbare Härte darstellen würde. Ihr sei die Verschaffung von Ersatzwohnraum nicht möglich. Sie verlangte die Fortsetzung des Mietverhältnisses auch über den 31.10.2012 hinaus.

12

Die Klägerin behauptet, dass sie beabsichtigte, gemeinsam mit ihrer Tochter in die streitgegenständliche Wohnung einzuziehen. Für den Kauf der streitgegenständlichen Wohnung habe sie einen Kredit aufnehmen müssen, für den sie monatlich ca. 420,00 € aufbringen müsse. Sie habe ein Einkommen von monatlich etwa 1.256,00 €.

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Sie (die Beklagte) behauptet, dass Ersatzwohnraum für die Beklagte nicht zu beschaffen sei. Die Beklagte habe sich seit November 2011 erfolglos um Ersatzwohnraum bemüht. Sie ist der Auffassung, dass ein Umzug für die Beklagte aufgrund der persönlichen Umstände eine unzumutbare Härte bedeuten würde und verlangt die Fortsetzung des Mietverhältnisses.“

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Ergänzend hat die Kammer Folgendes festgestellt:

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In dem notariellen Grundstückskaufvertrag (KV), den die Klägerin mit dem Zeugen W. abschloss, verzichtete diese auf persönlichen Unterhalt (§ 3a KV); den Wert des Verzichts bestimmten beide mit 25.000,00 € (Anlage K 6).

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Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben. Es ist davon ausgegangen, dass das Mietverhältnis aufgrund der Eigenbedarfskündigung des Zeugen W. vom 10.10.2011 (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) geendet hat. Die Kündigung sei formell wirksam, denn das Kündigungsschreiben enthalte eine nach § 573 Abs. 3 BGB ausreichende Begründung. Bei einer Eigenbedarfskündigung sei daher grundsätzlich die Angabe der Person, für die die Wohnung benötigt werde, und die Darlegung des Interesses, das diese Person an der Erlangung der Wohnung habe, ausreichend (BGH, Urt. v. 06.07.2011 – VIII ZR 317/10, WuM 2011, 518). Diesen Anforderungen genüge das Schreiben vom 10.10.2011. Darin sei aufgeführt, dass die Klägerin gemeinsam mit ihrer Tochter in die streitgegenständliche Wohnung einziehen möchte. Ferner sei angegeben, dass der Umzug unter anderem aus Kostengründen erfolgen solle.

18

Die Kündigung sei auch materiell wirksam. Es sei zunächst unerheblich, dass nach Ausspruch der Kündigung ein Eigentümer- und damit Vermieterwechsel stattgefunden habe. Die Kündigung stützt sich auf den gleichen Eigenbedarfsgrund, nämlich den Einzug der Klägerin und ihrer Tochter. Es bestehe auch ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Beendigung des Mietverhältnisses, da sie die Räume als Wohnung für sich und die Angehörige ihres Haushalts benötige (vgl. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Ausreichend seien vernünftige, nachvollziehbare Gründe sowie die ernsthafte Nutzungsabsicht des Vermieters. Diese Voraussetzungen lägen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor. Der Zeuge W. habe bestätigt, dass die Klägerin die nunmehr in ihrem Eigentum stehende Wohnung selbst nutzen wolle, um die Mietkosten ihrer aktuellen Wohnung einzusparen. Ihre finanzielle Situation sei derzeit sehr schwierig. Er habe nach der Trennung von der Klägerin seine Tochter absichern wollen und in diesem Zusammenhang die streitgegenständliche Wohnung an die Klägerin verkauft. Ein Einzug der Klägerin mit ihrer Tochter sei jedoch von Anfang an geplant gewesen.

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Der form- und fristgerecht eingelegte Kündigungswiderspruch der Beklagten gem. § 574 BGB habe keinen Erfolg. Die Beklagte habe nicht substanziiert vorgetragen, dass angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden könne. Zudem habe sie einige der von ihr dokumentierten Mietwohnungen offensichtlich wegen Umständen abgelehnt, deren Hinnahme ihr durchaus zuzumuten gewesen sei. Allein das hohe Alter der Beklagten stelle für sich keine Härte dar; sie habe keine konkreten Umstände vorgetragen, warum sie, abgesehen von ihrem Alter und der Dauer des Mietverhältnisses, nicht umziehen könne. Eine Räumungsunfähigkeit habe sie nicht vorgetragen.

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Mit ihrer Berufung hat die Beklagte das Urteil in vollem Umfang angegriffen. Sie ist Auffassung gewesen, die Kündigung sei bereits formell unwirksam, weil der geltend gemachte Eigenbedarf nicht prüfbar dargelegt sei. Das Nutzungsinteresse werde nur mit einer Leerformel pauschal behauptet, die angeführten „Kostengründe“ seien nicht überprüfbar. Es fehle an jeglicher Information über die finanziellen Verhältnisse sowie die derzeitigen Wohnverhältnisse der Bedarfsperson.

21

Der im Kündigungsschreiben des Zeugen W. mitgeteilte Nutzungswille beziehe sich auf den Bedarf der Klägerin als seiner ehemaligen Lebensgefährtin. Diese sei jedoch keine nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierte Person. Nachdem sie sich infolge nachträglicher Änderung der Verhältnisse nunmehr auf einen eigenen Wohnbedarf berufen könne, habe sie einen neuen, nunmehr eigenen Nutzungswillen. Um diesen geltend zu machen, sei eine neuerliche Kündigung erforderlich.

22

Darüber hinaus hat sich die Beklagte gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gewendet. Die Aussage des Zeugen W. könne den Kündigungsgrund schon deswegen nicht stützen, weil der Zeuge als Vater des Kindes der Bedarfsperson ein erhebliches eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits habe. Die Beklagte hat im Übrigen geltend gemacht, dass der Verzicht der Klägerin auf laufende Unterhaltsansprüche im Wert vom 25.000,00 € bei ihren Vermögensverhältnissen berücksichtigt werden müsse.

23

Die Beklagte hat im Berufungsrechtszug die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Abweisung der Klage beantragt. Die Klägerin hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

24

Die Beklage hat behauptet, sie habe bislang keinen angemessenen Ersatzwohnraum zu einem mit der streitgegenständlichen Wohnung vergleichbaren Preis finden können. Insoweit hat sie auf die bei ihr vorhandene Belegordnung mit gesammelten Zeitungsausrissen des Immobilienteils der Tagespresse verwiesen, in denen sie nach Wohnungen gesucht habe.

25

Die Kammer hat Beweis erhoben durch erneute Vernehmung des Zeugen Michael W. zum Beweisthema: Wohnbedarf der Klägerin hinsichtlich der Wohnung An der R. 9 in Q. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll der Kammer von 01.11.2013 (Bl. 164 ff. d.A.) Bezug genommen.

26

Die Parteien haben anschließend einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, in welchem sich die Beklagte im Hinblick auf den geltend gemachten Eigenbedarf zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung bis spätestens 31.05.2014 verpflichtet hat. Wegen der Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs haben die Parteien eine Entscheidung nach § 91a ZPO beantragt.

II.

27

Nachdem sich der Rechtsstreit durch Ausschluss des Vergleichs erledigt hat, hat die Kammer auf Antrag der Parteien entsprechend § 91a Abs. 1 ZPO nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden. Dies geschieht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands. Es hat billigem Ermessen entsprochen, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten des Vergleichs aufgelegen; diese sind gegeneinander aufzuheben. Ohne den Abschluss des Vergleichs wäre die Räumungsklage der Klägerin begründet gewesen.

1.

28

Die seinerzeit noch von dem Rechtsvorgänger der Klägerin, dem Zeugen W., am 10.10.2011 ausgesprochene Kündigung (Anlage K 3) hat das Mietverhältnis zum Ablauf des Monats Oktober 2012 beendet (vgl. § 542 Abs. 1 BGB, § 565 BGB a.F. i. V. mit Art. 229 § 3 Nr. 10 EGBGB). Kündigungsgrund ist ein Eigenbedarf der Klägerin i. S. des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

29

a) Die Kündigung ist formell ordnungsgemäß. Insbesondere ist das Begründungserfordernis des § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB gewahrt. Nach dieser Vorschrift sind die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters in dem Kündigungsschreiben anzugeben. Der Zweck der Bestimmung liegt darin, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn dadurch in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen (BGH, Urt. v. 17.03.2010 – VIII ZR 70/09 Tz. 8, WuM 2010, 301, 302; Urt. v. 06.07.2011 – VIII ZR 317/10 Tz. 8, WuM 2011, 518). Diesem Zweck wird im Allgemeinen Genüge getan, wenn das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann. Bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs ist daher grundsätzlich die Angabe der Personen, für welche die Wohnung benötigt wird, und die Darlegung des Interesses, das diese Personen an der Erlangung der Wohnung haben, ausreichend (BGH, Urt. v. 17.03.2010, a.a.O.; Urt. v. 27.07.2007 – VIII 271/06 Tz. 23, WuM 2007, 515).

30

Diesen Anforderungen wird das Kündigungsschreiben vom 10.10.2011 gerecht. Der vormalige Vermieter W. hat darin „seine ehemalige Lebensgefährtin, Frau S.“ (die jetzige Klägerin) sogar namentlich bezeichnet. Er hat weiterhin mitgeteilt, dass die seinerzeit von dieser bewohnte Wohnung „aus Kostengründen“ aufgegeben werden muss, dass er eine „Absicherung“ für sie und das gemeinsame Kind erstrebt und dass das streitgegenständliche Mietobjekt zur Deckung ihres Wohnbedarfs auch „angemessen“ ist. Der Beklagten ist zwar zu konzedieren, dass die Ausführungen zum Bedarfsgrund in dem Kündigungsschreiben recht knapp ausgefallen sind. Allerdings genügt es, wenn in dem Kündigungsschreiben die Kerntatsachen für den Kündigungsgrund genannt werden; demgegenüber können Tatsachen, die nur der näheren Erläuterung, Ergänzung, Ausfüllung sowie dem Beweis des geltend gemachten Kündigungsgrundes dienen, auf Verlangen des Mieters grundsätzlich auch noch im Prozess nachgeschoben werden (BayObLG, Rechtsentscheid v. 14.07.1981 – Allg. Reg. 32/81, WuM 1981, 200, 202 f.; Rechtsentscheid v. 17.02.1984 – ReMiet 6/84, WuM 1985, 50, 51). Kerntatsachen in diesem Sinne sind die in dem streitgegenständlichen Kündigungsschreiben mitgeteilten Probleme der (jetzigen) Klägerin, ihre seinerzeit bezogene Wohnung zu finanzieren, darüber hinaus aber auch der Wille des kündigenden Zeugen W., die Klägerin sowie die gemeinsame Tochter abzusichern. Damit ist es der Beklagten möglich zu prüfen und zu beurteilen, ob sie dem Kündigungsbegehren Folge leisten oder sich dagegen zu Wehr setzen will; ihrem Informationsbedürfnis ist insoweit Genüge getan. Hat sich die Beklagte in diesem Fall dazu entschlossen, sich gegen die Kündigung zu verteidigen, so ermöglichen ihr die im Kündigungsschreiben enthaltenen Informationen, durch ein gezieltes Bestreiten im Räumungsrechtsstreit darauf hinwirken, dass die Klägerin weitere Einzelheiten zum Kündigungsgrund vorträgt. Damit ist der Zweck des Begründungserfordernisses erreicht.

31

b) Die von dem Zeugen W. ausgesprochene Kündigung ist auch materiell begründet. Der Zeuge hat im Zeitpunkt seines Kündigungsausspruchs ein berechtigtes Kündigungsinteresse i. S. des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geltend gemacht, denn er hat die Wohnung (zumindest auch) für eine nahe Familienangehörige, nämlich seine im Jahre 2002 geborene Tochter J. S., benötigt. Dieses Kündigungsinteresse darf die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Zeugen W. weiterverfolgen. Denn durch die Veräußerung des Grundstücks und dem Übergang des Eigentums auf sie, einhergehend mit einer Neuentstehung des Mietverhältnisses gem. § 566 Abs. 1 BGB zwischen ihr und der Beklagten zum bisherigen Inhalt (vgl. BGH, Urt. v. 25.07.2012 – XII ZR 22/11, WuM 2012, 560, 562 Tz. 25), ist es nicht entfallen. Auch die Klägerin macht geltend, dass ihr – mit dem Zeugen W. gemeinsames – Kind fortan in der Wohnung leben soll. Es liegt insofern kein neuer Kündigungsgrund vor, welchen der Vermieter nur unter den Voraussetzungen des § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB nachschieben dürfte; vielmehr besteht der bisherige Kündigungsgrund in der Person der neuen Vermieterin, nämlich der Klägerin fort. Damit ist dem gebotenen Schutz des vertragstreuen Wohnraummieters vor willkürlichen Kündigungen (vgl. BT-Drs. 7/2011, S. 7; BGH, Urt. v. 16.01.2008 – VIII ZR 254/06, WuM 2008, 233, 234) hinreichend Rechnung getragen. Dass die Person des Vermieters nach Ausspruch der Kündigung identisch bleibt, ist nicht erforderlich (OLG Hamm, Rechtsentscheid v. 21.07.1992 – 30 REMiet 1/92 = NJW-RR 1992, 1164, 1165; LG Karlsruhe, Urt. v. 06.04.1990, WuM 1990, 353; im Schrifttum: Schmidt-Futterer/Streyl, Mietrecht, 11. Aufl. 2013 Rn. 119; Gsell, WuM 2012, 411, 412 f.).

32

Die von der Beklagten zitierte Passage aus der Kommentarliteratur (Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, [jetzt] 11. Aufl. 2013, § 573 Rn. 76) betrifft eine andere Fallgestaltung. Dort geht es darum, dass der im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bestehende Nutzungs- bzw. Überlassungswille des Vermieters weggefallen und an dessen Stelle ein neuer Nutzungs- bzw. Überlassungswille getreten ist. Als Beispiel wird auf eine Entscheidung des LG Mannheim (ZMR 1994, Heft 12, XV [Ls]) hingewiesen, in welcher der Vermieter wegen Eigenbedarfs gekündigt, später das Haus zum Verkauf angeboten und im Räumungsprozess erklärt hat, er habe zwischenzeitlich von der Verkaufsabsicht Abstand genommen und nunmehr zu seinem ursprünglichen Selbstnutzungswillen zurückgefunden. Hier liegt eine Zäsur zwischen dem zunächst in dem Kündigungsschreiben und sodann nochmals im Räumungsrechtsstreit geäußerten Nutzungswunsch vor. An einer solchen Zäsur fehlt es jedoch im vorliegenden Fall, denn der im Kündigungsschreiben erklärte Überlassungswunsch zugunsten der minderjährige Tochter des Klägers besteht auch nach dem Eigentumswechsel ohne Unterbrechung fort.

33

Die Kammer hat auch keinen Zweifel an einem Nutzungswillen der Klägerin. Nach deren persönlicher Anhörung in der mündlichen Verhandlung und einer erneuten Vernehmung des Zeugen W. geht die Kammer davon aus, dass ein solcher Nutzungswille im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bestanden hat und auch gegenwärtig – jedenfalls bei Schluss der mündlichen Verhandlung – noch fortbesteht. So hat die Klägerin ausgeführt, nach wie vor die Absicht zu haben, in die streitgegenständliche Wohnung mit der gemeinsamen Tochter einzuziehen und darin zu wohnen. Auch der Zeuge W. hat bekundet, die Klägerin habe nach der Trennung von ihm mit der gemeinsamen Tochter in die streitgegenständliche Wohnung einziehen wollen; diese Nutzungsabsicht habe sie seiner Kenntnis nach zu keiner Zeit aufgegeben. Ein gewisses Indiz für die Ernsthaftigkeit der Nutzungsabsicht der Klägerin erblickt die Kammer auch in dem von dem Zeugen W. mitgeteilten Umstand, dass die Klägerin die Wohnung zunächst auch besichtigt hat, um sich ein Bild davon zu machen.

34

Das nunmehr von der Klägerin weiterverfolgte Nutzungsinteresse ist auch als berechtigt i. S. des § 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB anzusehen, denn es basiert auf vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.2010 – VIII ZR 78/10, WuM 2010, 757 Tz. 12 m. w. Nachw.). Bereits der Wunsch, in den „eigenen vier Wänden“ zu wohnen bzw. diese einem nahen Familienangehörigen zu überlassen, ist anerkennenswert, sofern er unter den konkreten Umständen nicht als völlig unsinnig erscheint (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.1993 – 1 BvR 696/93, NJW 1994, 309; ferner Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Aufl., Rn. XI 38). Hiervon kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgegangen werden. Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass die Klägerin die Wohnung zur Deckung ihres eigenen Wohnbedarfs und vor allem des Wohnbedarfs ihrer und des Zeugen W. gemeinsamen Tochter von diesem Zeugen käuflich erworben hat. Der Erwerb einer Eigentumswohnung, um diese mit einem minderjährigen Kind zu beziehen, ist ohne Weiteres vernünftig und verständlich.

35

Im Übrigen ist die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Klägerin bereits aus wirtschaftlichen Gründen auf den Bezug der hier in Rede stehenden Wohnung angewiesen ist. Nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung beläuft sich die derzeitige monatliche Gesamtmietbelastung auf 710,00 € bei monatlichen Nettoeinkünften von lediglich 1.200,00 €. Damit übersteigen ihre Wohnkosten bereits die Hälfte der verfügbaren Einkünfte. Auch vor diesem Hintergrund ist ihr Wunsch auf Nutzung der streitgegenständlichen Wohnung gänzlich nachvollziehbar.

36

Die derzeit angespannte wirtschaftliche Situation der Klägerin hat der Zeuge W. zur vollen Überzeugung der Kammer bestätigt. Er hat bekundet, dass ihre ausschließlichen monatlichen Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit im Telefonmarketing etwa bei 1.200,00 € netto lägen und er auch heute über den monatlichen Kindesunterhalt von 200,00 € Kindesunterhalt hinaus noch etwa 300,00 bis 350,00 € an sie zahle, damit sie überhaupt über die Runden komme. Die Kammer hatte keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen W. Seine Angaben sind ersichtlich aus der Erinnerung heraus erfolgt, sie waren schlüssig und widerspruchsfrei. Es haben auch keine Anhaltpunkte dafür bestanden, dass der Zeuge die Klägerin begünstigt hat. Allein der Umstand, dass der Zeuge W. als vormaliger Eigentümer der streitgegenständlichen Mietwohnung und Urheber der hier beurteilten Kündigung ein gewisses Interesse am Ausgang des Rechtsstreits haben könnte, rechtfertigt es nicht, seine Angaben in Frage zu stellen.

37

Angesichts ihres legitimen Nutzungswunsches braucht sich die Klägerin auch nicht etwaige fiktive Einkünfte in Gestalt von Unterhaltsansprüchen gegen den Zeugen W. anrechnen zu lassen. Der Klägerin hat es freigestanden, im Hinblick auf die Auflösung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit diesem eine Vereinbarung zu treffen, die für sie finanziell akzeptabel ist. Anhaltspunkte dafür, dass der notarielle Kaufvertrag (Anlage K 6), der in § 3a den Unterhaltsverzicht beinhaltet, allein dem Zweck gedient hat, eine Eigenbedarfssituation zugunsten der Klägerin zu schaffen und damit die Beklagte zu übervorteilen, liegen nicht vor und sind insbesondere von der Beklagtenseite – die diesen Aspekt erstmals im nachgelassenen Schriftsatz im Berufungsverfahren anführt – auch nicht vorgetragen.

3.

38

Die Beklagte hat auch eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach der Sozialklausel des § 574 Abs. 1 BGB nicht verlangen können. Schon nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten stellt die Beendigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses für sie keine Härte dar, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre. Als Härtegrund kommt hier allein das Fehlen von angemessenem Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen (vgl. § 574 Abs. 2 BGB) in Betracht. Angemessen ist Ersatzwohnraum, wenn er den Wohnbedürfnissen des Mieters gerecht wird. Eine Gleichwertigkeit zur gegenwärtigen Mietwohnung ist jedoch nicht erforderlich; der Mieter muss eine gewisse Verschlechterung der Wohnverhältnisse hinnehmen (LG Bremen, Urt. v. 22.05.2003 – 2 S 315/02, WuM 2003, 333, 334; LG Hamburg, Urt. v. 12.12.1989 – 16 S 98/89, WuM 1990, 118). Aus der als Anlagenkonvolut B 1 vorgelegten Dokumentation zur Wohnungssuche ergibt sich, dass die Beklagte mehrere Wohnungen, namentlich die Objekte in H (2 Zi-Whg, 50 qm) sowie in Q., K.-Straße 14 und Am F., abgelehnt hat, weil diese ihr qualitativ nicht zugesagt haben. Gerade bei den beiden Wohnungen in Q. hat die Beklagte jedoch keine triftigen Gründe genannt, warum sie diese nicht angemietet hat. Dass sie ihre Möbel nicht so aufstellen kann wie in der bisherigen Wohnung, ein spezieller Platz für Staubsauger und Eimer nicht vorhanden ist oder – weil es sich um eine Erdgeschosswohnung handelt – es an einem Balkon fehlt, führt nicht zur Unzumutbarkeit des betreffenden Ersatzwohnraums. Dies gilt vor allem in Anbetracht des Umstands, dass die Beklagte Wohnungen im unteren Preissegment sucht. Bei der Wohnung in der Innenstadt von E. fällt auf, dass die Beklagte einen mangelnden Rückruf des Maklers Sch. moniert, ihrerseits aber offenbar keine weiteren Anstrengungen in Hinblick auf eine Kontaktaufnahme unternommen hat. Dies wäre jedoch im Hinblick auf die ihr gegenüber ausgesprochene Eigenbedarfskündigung geboten gewesen.

39

Auch der Hinweis der Beklagten auf einen bei ihr vorhandenen Belegordner mit gesammelten Annoncen aus dem Immobilienteil von Tageszeitungen hat nicht weitergeführt. Derartige Annoncen enthalten keine Aussage darüber, welche Anstrengungen sie bei der Wohnungssuche tatsächlich unternommen hat.

40

Andere Härtegründe sind nicht ersichtlich. Das (relativ) hohe Alter der Beklagten sowie die bisherige Dauer des Mietverhältnisses stellen weder für sich genommen noch in Kumulation eine unzumutbare Härte i. S. des § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Indes bestehen für eine Räumungsunfähigkeit der Klägerin keine Anhaltspunkte. Eine solche würde zumindest voraussetzen, dass sich der Gesundheitszustand der Klägerin oder deren allgemeine Lebenssituation durch den Umzug erheblich verschlechtern würde (vgl. BGH, Urt. v. 16.10.2013 – VIII ZR 57/13 Tz. 18, WuM 2013, 739, 740). Derartiges ist nicht erkennbar.

4.

41

Die Kosten des Vergleichs sind indes gegeneinander aufzuheben. Der Abschluss des Vergleichs hat dem Interesse beider Parteien an einer abschließenden Klärung ihres Rechtsstreits in der zweiten Instanz gedient.

5.

42

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (vgl. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 Satz 1 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind rechtlichen Grundsatzfragen nicht im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 91a ZPO zu klären (BGH, Urt. v. 21.12.2006 – IX ZR 66/05, NJW 2007, 1591, 1593; Beschl. v. 17.03.2004 – IV ZB 21/02, NJW-RR 2004, 1219).


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