Beschluss vom Landgericht Karlsruhe - 3 Qs 70/08

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des B. M. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 15.7.2008 - 3 Ds 460 Js 13876/08 - wird als unbegründet

verworfen.

2. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

 
I.
Am 1.8.2003 erließ das Amtsgericht Bruchsal einen Strafbefehl gegen B. M. wegen wiederholten Verstoßes gegen eine räumliche Beschränkung nach dem Asylverfahrensgesetz, nachdem dieser sich am 8.3.2003 - wie bereits zuvor am 17.1.2003 - außerhalb des ihm zugewiesenen räumlichen Aufenthaltsbereichs aufgehalten hatte. In dem Strafbefehl wurde eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 2,- EUR festgesetzt; der Strafbefehl ist seit 20.8.2003 rechtskräftig.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 3.4.2008 beantragte der Verurteilte die Wiederaufnahme des Verfahrens, die Aufhebung des Strafbefehls sowie den sofortigen Freispruch gemäß § 371 Abs.2 StPO. Zur Begründung trug der Verteidiger vor, dass bezüglich des Heimatlands des Verurteilten - Sri Lanka - zum Zeitpunkt der Tat am 8.3.2003 ein dauerndes tatsächliches und rechtliches Abschiebehindernis im Sinne des § 58 Abs.4 S.1 letzte Alternative AsylVfG bestanden habe und daher ein Wideraufnahmegrund nach § 359 Nr.5 StPO vorliege. Zum Beleg verwies er auf folgende Umstände:
1. Der Verurteilte sei seit 27.1.2005 ununterbrochen vollziehbar ausreisepflichtig. Dass sich der Verurteilte drei Jahre später immer noch in Deutschland aufhalte, lasse sich - angesichts der Verpflichtung der Regierungspräsidien in Baden-Württemberg, vollziehbar Ausreisepflichtige schnellstmöglich abzuschieben - nur mit dem Vorliegen eines dauerhaften Abschiebehindernisses erklären. Dieses müsse dann selbstverständlich auch schon zur Tatzeit am 8.3.2003 vorgelegen haben.
2. Ferner verwies er auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9.7.2002, aus denen nach seiner Auffassung hervorgeht, dass bereits 2002 ein Abschiebehindernis für Sri Lanka bestand. Diesbezüglich fügte er ein Kurzzusammenfassung der Entscheidung in englischer Sprache bei.
3. Schließlich verwies er auf einen Erlass des Innensenators Bremens vom 29.4.2002, wonach die Botschaft von Sri Lanka am 13. Dezember 2001 mitgeteilt habe, dass sie Asylbewerbern, abgelehnten Asylbewerbern sowie illegal ausgereisten oder aufhältigen Bürgern von Sri Lanka keinen Reisepass ausstelle. Den Erlass fügte er bei.
Das für das Wiederaufnahmeverfahren zuständige Amtsgericht Karlsruhe hat in der Folge beim Regierungspräsidium Karlsruhe angefragt, ob in der fraglichen Zeit ein Abschiebehindernis für Sri Lanka bestand. Das hat das Regierungspräsidium verneint und mitgeteilt, dass in Baden-Württemberg im Zeitraum Dezember 2002 bis Mai 2003 vier abgelehnte Asylbewerber tamilischer Volkszugehörigkeit abgeschoben wurden.
Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin beantragt, den Wiederaufnahmeantrag als unbegründet zu verwerfen.
Das Amtsgericht Karlsruhe hat den Wiederaufnahmeantrag durch Beschluss vom 15.7.2008 als unzulässig verworfen und dem Verurteilten die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei dem Vorbringen des Verurteilten lediglich um die Äußerung von Vermutungen oder Schlussfolgerungen handelte.
Gegen diesen am 21.7.2008 zugestellten Beschluss legte der Verurteilte, vertreten durch seinen Verteidiger, am 23.7.2008 sofortige Beschwerde ein.
II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Verurteilte hat zwar eine neue Tatsache im Sinne von § 359 Nr. 5 StPO beigebracht. Diese ist vorliegend aber nicht geeignet, die Freisprechung des Verurteilten zu begründen.
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1. Als Tatsachen im wiederaufnahmerechtlichen Sinne sind alle als existierend feststellbaren Vorgänge oder Zustände zu verstehen, die der Gegenwart oder der Vergangenheit zugehören. Ob eine derartige Tatsache neu ist, beurteilt sich allein danach, ob das Gericht sie bereits bei der Urteilsfindung verwertet hat. Neu ist damit grundsätzlich alles, was der Überzeugungsbildung des Gerichts nicht zugrunde gelegt worden ist, auch wenn es ihr hätte zugrunde gelegt werden können (BVerfG StV 2003, 225 f.; BVerfG NJW 2007, 207 ff.).
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Bei Strafbefehlen, die einem rechtskräftigen Urteil gleichstehen (§ 410 Abs.3 StPO) und auf die die für die Wiederaufnahme geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind (§ 373a Abs.2 StPO), ist hinsichtlich der Beweiswürdigung und für die Beurteilung, ob neue Tatsachen und Beweismittel vorliegen, auf die Aktenlage abzustellen (BVerfG, aaO.). Dabei ist es im Wiederaufnahmeverfahren gegen einen Strafbefehl rechtsstaatlich geboten, sich aus den Akten aufdrängende, klar auf der Hand liegende Fehler bei der Tatsachenfeststellung zu beachten (BVerfG aaO.).
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In der Konstellation eines Wiederaufnahmeantrags gegen eine im Strafbefehlsverfahren erfolgte Verurteilung nach §§ 85 Nr.2, 56 Abs.1 AsylVfG ist die Abschiebesituation betreffend ein bestimmtes Zielland neu im wiederaufnahmerechtlichen Sinne, wenn sich für deren Berücksichtigung im Strafbefehlsverfahren keine Anhaltspunkte in den Verfahrensakten finden, selbst wenn dem Amtsgericht bei Strafbefehlserlass bekannt gewesen sein sollte, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Asylbewerber mit der Staatsangehörigkeit des betreffenden Ziellandes handelte (BVerfG aaO.).
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So liegt der Fall hier: In der Akte finden sich bis zum Erlass des Strafbefehls keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Amtsgericht Bruchsal die Abschiebesituation im Hinblick auf Sri Lanka bekannt war oder es diese geprüft hätte.
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2. Das Rechtsinstitut der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens ist dazu bestimmt, den Konflikt zwischen den Grundsätzen der materialen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit zu lösen, die sich beide verfassungskräftig aus dem Rechtsstaatsprinzip ableiten. Dem gemäß ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass im Wiederaufnahmeverfahren zunächst die Zulässigkeit gemäß § 368 Abs.1 StPO zu prüfen ist, dass mithin der Antrag als unzulässig verworfen wird, wenn er nicht in der vorgeschriebenen Form angebracht ist, wenn weder ein gesetzlicher Grund der Wiederaufnahme geltend gemacht noch ein geeignetes Beweismittel angeführt wird und wenn die Strafprozessordnung bei der Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen und Beweismittel (§ 359 Nr.5 StPO) eine Vorprüfung vorsieht, ob das Vorbringen geeignet ist, die Freisprechung des Angeklagten oder - in Anwendung eines milderen Strafgesetzes - eine geringere Bestrafung zu begründen (BVerfG aaO.).
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Die Abschiebesituation betreffend das Heimatland des Verurteilten ist grundsätzlich geeignet, bei einer Verurteilung nach §§ 85 Nr.2, 56 Abs.1 AsylVfG die Freisprechung zu begründen. Denn ein Verstoß gegen - und damit eine Strafbarkeit wegen - § 85 Nr. 2 AsylVfG scheidet aus, wenn die Abschiebung des Ausländers gemäß § 58 Abs.4 AsylVfG aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf Dauer ausgeschlossen ist (OLG Karlsruhe, StV 2005, 27 f.; OLG Stuttgart, NStZ-RR 2002, 221 f.).
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Die Kammer erachtet jedoch im vorliegenden Fall das konkrete Vorbringen in Bezug auf ein dauerndes Abschiebehindernis hinsichtlich der Person des Verurteilten nicht für geeignet, seine Freisprechung zu begründen.
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Notwendig, aber auch genügend ist es insofern, dass die neuen Tatsachen - konkret - geeignet sind, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung in tatsächlicher Hinsicht zu begründen bzw. die den Schuldspruch tragenden Feststellungen des Urteils zu erschüttern (KK-Schmidt, StPO, 5. Auflage 2003, § 359 Rn 30 und § 360 Rn 12). Es ist also vom Standpunkt des erkennenden Gerichts aus zu prüfen, ob dessen Urteil bei Berücksichtigung der neuen (Tatsachen oder) Beweise anders ausgefallen wäre (KK-Schmidt, StPO, aaO., § 368 Rn 10 mwN.). Dazu ist zunächst zu unterstellen, dass die in dem Antrag behaupteten Tatsachen richtig sind und dass die beigebrachten Beweismittel den ihnen zugedachten Erfolg haben werden (Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage 2007, § 368 Rn 8). Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung ist in gewissen Grenzen zulässig, soweit das ohne förmliche Beweisaufnahme möglich ist (KK-Schmidt, StPO, aaO., § 368 Rn 10, Meyer-Goßner, StPO, aaO., § 368 Rn 9 - jeweils m.w.N.). Denn das geltende Recht enthält keine Einengung auf eine abstrakte Schlüssigkeitsprüfung. Indem das Gesetz für den Beschluss nach § 370 StPO nur auf die Bestätigung der aufgestellten Behauptung abstellt, gibt es zu erkennen, dass nur konkrete Zweifel an der Richtigkeit des Urteils die Zulassung des Wiederaufnahmeantrags rechtfertigen (KK-Schmidt, StPO, aaO., § 368 Rn 10 und 12). Dabei schließt das Zulassungsverfahren eine Wahrscheinlichkeitsprognose ein (BGHSt 39, 75 ff.; BVerfG StV 2003, 225 f.).
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze war das Vorbringen in Bezug auf ein dauerndes Abschiebehindernis hinsichtlich der Person des Verurteilten nicht geeignet, seine Freisprechung zu begründen.
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a) Vorgebracht ist zunächst, dass der Verurteilte seit 27.1.2005 ununterbrochen vollziehbar ausreisepflichtig ist, sich aber dennoch nach wie vor in Deutschland aufhält. Daraus wird - angesichts der Tatsache, dass die Regierungspräsidien in Baden-Württemberg verpflichtet sind, vollziehbar Ausreisepflichtige schnellstmöglich abzuschieben - der Schluss gezogen, dass ein dauerndes Abschiebehindernis vorliegen müsse. Dieses müsse dann - so die weitere Schlussfolgerung - „selbstverständlich“ auch schon zur Tatzeit am 8.3.2003 vorgelegen haben.
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Bereits für die seit dem 27.1.2005 nicht erfolgte Abschiebung werden keine Gründe genannt, die ein Abschiebehindernis darstellen könnten. Vielmehr wird lediglich eine Schlussfolgerung mitgeteilt, nämlich dass angesichts einer seit drei Jahren nicht erfolgten Abschiebung ein dauerndes Abschiebehindernis vorliegen müsse. An das so geschlussfolgerte Abschiebehindernis wird eine weitere Schlussfolgerung geknüpft, dass dieses Abschiebehindernis dann „selbstverständlich“ bereits zur Tatzeit - fast zwei Jahre vorher - vorgelegen haben müsse.
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Dieses Vorbringen ist schon deshalb unbeachtlich, weil keine Tatsachen vorgebracht werden, sondern lediglich Vermutungen und Schlussfolgerungen. Ein Antrag ist jedoch unzulässig, wenn nur Vermutungen geäußert oder nur Schlussfolgerungen mitgeteilt werden (Meyer-Goßner, StPO, aaO., § 359 Rn 45). Abgesehen davon entbehren die Schlussfolgerungen jeder Grundlage.
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b) Darüber hinaus wird behauptet, dass schon 2002 für Tamilen ein Abschiebehindernis in Bezug auf Sri Lanka bestand und insofern auf eine beigefügte Zusammenfassung einer Entscheidung des EGMR in englischer Sprache vom 9.7.2002 verwiesen.
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Die Kammer geht davon aus, dass mit der Berufung auf eine Entscheidung des EGMR nicht etwa der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr.6 StPO - zumal dieser fern liegt - geltend gemacht werden soll, sondern die Entscheidung als Beleg für die Bedrohung tamilischer Volksangehöriger in Sri Lanka und mögliche Verletzung von Artikel 3 EMRK [Verbot der Folter], damit für ein Abschiebehindernis, vorgebracht wird (zum Vortrag und Nachweis eines faktischen Abschiebestopps durch Vorlage gerichtlicher Entscheidungen vgl. BVerfG NJW 2007, 207 ff.).
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Der Verteidiger des Verurteilten nimmt in seiner Begründung des Wiederaufnahmeantrags die - englischsprachige - Zusammenfassung der Entscheidung des EGMR vom 9.7.2002 explizit zur Darlegung des Abschiebehindernisses in Bezug. Diese ist aber unbeachtlich: Nach § 184 GVG ist die Gerichtssprache deutsch. Schriftliche Eingaben in fremder Sprache sind unbeachtlich (Meyer-Goßner, StPO, aaO. § 184 GVG Rn 2). Ohne die englischsprachige Zusammenfassung der Entscheidung des EGMR bleibt aber lediglich die allgemeine Behauptung, dass für Tamilen im Jahr 2002 ein Abschiebehindernis nach Sri Lanka bestand.
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Ein solcher Pauschalsatz ohne jede nähere Darlegung der Gründe - wie etwa eine Bürgerkriegssituation, Verfolgung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, etc. - und ohne jeden beachtlichen Beleg genügt jedoch nicht den Erfordernissen eines konkreten Vorbringens und ist daher nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung aufkommen zu lassen.
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Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass sie - selbst unter Berücksichtigung der englischsprachigen Entscheidung des EGMR - die vorgetragenen Umstände nicht für geeignet erachtet, ein dauerndes Abschiebehindernis darzutun. Das ergibt sich bei näherer, konkreter Würdigung der Entscheidung des EGMR. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren machen zwei Tamilen, deren Asylbegehren in den Niederlanden erfolglos blieb, geltend, ihre Abschiebung nach Sri Lanka verstoße gegen das Folterverbot des Artikel 3 EMRK. Bei der Entscheidung vom 9.7.2002 handelt es sich nicht um eine verfahrensabschließende Entscheidung des EGMR, sondern um die Zulassung der beiden - ausweislich des Aktenzeichens - seit dem Jahr 2000 anhängigen Verfahren zu einer verfahrensabschließenden Entscheidung. Zugleich hat der EGMR entschieden, die vorläufigen Maßnahmen - die offensichtlich bereits im Jahr 2000 mit Eingang der Verfahren angeordnet wurden und bei denen es sich um eine Anordnung, die beiden Tamilen bis zur endgültigen Entscheidung nicht abzuschieben, handeln dürfte - zu verlängern. In der Zusammenfassung heißt es, dass es angesichts der gegenwärtigen Situation in Sri Lanka, obwohl Fortschritte in Richtung eines Abkommens zwischen der LTTE (terroristische Unabhängigkeitsbewegung der Tamilen) und der Regierung gemacht worden sind, noch zu früh ist um zu sagen, Tamilen seien nicht mehr länger in Gefahr.
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Daraus ergibt sich, dass sich die Situation in Sri Lanka in letzter Zeit verbessert hat und dass es derzeit noch zu früh ist, um eine Gefahr für Tamilen auszuschließen. Zu berücksichtigen ist, dass der EGMR keineswegs eine endgültige Entscheidung getroffen hat, sondern bis dato zunächst einmal nur vorläufige Maßnahmen angeordnet und diese dann am 9.7.2002 nochmals verlängert hat. Zu beachten ist insbesondere auch, dass die Situation in Sri Lanka zuletzt eine positive Entwicklung genommen hat. Selbst wenn das nicht den Schluss zulässt, dass bereits Anfang 2003 eine Situation eintreten würde, die eine Abschiebung zulässt, so ist dieser Vortrag unter den genannten konkreten Umständen - nur vorläufige Maßnahmen, positive Entwicklung - nicht geeignet, ein dauerndes Abschiebehindernis darzutun. Vor diesem Hintergrund wäre dieses Vorbringen - selbst unter Berücksichtigung der englischsprachigen Entscheidung - nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung aufkommen zu lassen.
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c) Schließlich wird vorgebracht, die Abschiebung des Verurteilten sei zum Tatzeitpunkt auch deshalb unmöglich gewesen, weil die Botschaft von Sri Lanka in den Jahren 2002 und 2003 illegal nach Deutschland eingereisten (ehemaligen) tamilischen Asylbewerbern keine Pässe ausgestellt habe. Zum Beleg ist der Erlass des Innensenators Bremens beigefügt, in dem es heißt, dass der betreffenden Personengruppe kein „Reisepass“ ausgestellt wird. Damit wird nicht auf die Situation im Heimatland abgestellt, sondern auf den Umstand, dass die Passlosigkeit ein dauerhaftes Abschiebehindernis begründen kann.
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Auch dieser Vortrag ist letztlich nicht geeignet, eine Freisprechung des Verurteilten zu begründen.
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Zunächst einmal ist festzustellen, dass der Erlass des Innensenators Bremens für den Verurteilten insofern keine unmittelbare Bedeutung hat, als der Vollzug des Ausländerrechts eine Angelegenheit der Länder ist. Unmittelbare Bedeutung kommen damit lediglich den Erlassen desjenigen Innenministers zu, in dessen Hoheitsgebiet sich der Asylbewerber aufzuhalten hat, im vorliegenden Fall also einem Erlass des Innenministers Baden-Württembergs (vgl. dazu auch die den Entscheidungen des BVerfG in StV 2003, 225 f. und NJW 2007, 207 ff. zugrunde liegenden Sachverhalte, in denen jeweils Erlasse des zuständigen Innenministeriums vorgelegt worden waren).
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Die Kammer hat ihrer Entscheidung dennoch die in dem Erlass des Innensenators Bremens mitgeteilte Tatsache, dass dem genannten Personenkreis keine Reisepässe ausgestellt werden, zugrunde gelegt, da diese einer unterschiedlichen Bewertung durch die Innenbehörden der Länder - anders etwa als die Verfolgungssituation im Heimatland - kaum zugänglich sein dürfte. Diese Tatsache ist indes nicht geeignet, die „Passlosigkeit“ als dauerndes Abschiebungshindernis zu begründen. Denn „Passlosigkeit“ im Sinne eines dauernden Abschiebungshindernisses liegt nicht bereits dann vor, wenn der Betreffende nicht im Besitz eines Reisepasses ist, sondern erst dann, wenn ihm auch in absehbarer Zeit über die entsprechende Botschaft keine Passersatzpapiere, die ebenfalls eine Abschiebung ermöglichen, beschafft werden können (allgemein zum Passersatz vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Auflage 2005, § 3 AufenthG Rn 12 und allgemeine Anwendungshinweise sowie § 3 AufenthVO; zum Fehlen gültiger Reisedokumente als tatsächliches Abschiebehindernis vgl. OLG Karlsruhe, StV 2005, 27 f.).
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Entsprechend dem Erlass des Innensenators Bremens wurde aber lediglich die Tatsache vorgetragen, dass die Botschaft von Sri Lanka einem bestimmten Personenkreis keinen Reisepass ausstellt. Über die Praxis, diesen Personen gegebenenfalls - insbesondere auch zur Ermöglichung der Abschiebung - Passersatzpapiere auszustellen, sagt der Erlass nichts aus und wird auch an anderer Stelle des Wiedereinsetzungsantrags nichts vorgetragen. Das konkrete Vorbringen ist daher nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung aufkommen zu lassen.
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Das steht auch nicht im Gegensatz zur genannten Entscheidung des OLG Karlsruhe (StV 2005, 27 f.), wonach es keine aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung gewonnene Regel - ohne Ausnahme - gibt, dass für jeden (iranischen) Asylbewerber ohne gültige Reisedokumente die Beschaffung von Ersatzpapieren über die (iranische) Botschaft innerhalb angemessener Frist möglich ist. Denn die Kammer hat ihrer Entscheidung keinen solchen Erfahrungssatz zugrunde gelegt. Vielmehr obliegt es dem Verurteilten im Wiederaufnahmeverfahren diejenigen Tatsachen vorzutragen, die seine Freisprechung - unter Zugrundelegung einer Wahrscheinlichkeitsprognose (vgl. BVerfG, aaO.) - zu begründen geeignet sind. Dass ihm die entsprechende Botschaft keinen Reisepass ausstellt, genügt hierfür nicht. Solange keine konkreten Tatsachen vorgetragen werden, dass die Botschaft auch keine Passersatzpapiere ausstellt, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung. Denn die Abschiebung erfolgt regelmäßig gerade nicht mit einem Reisepass, sondern mit einem Passersatzpapier als Reisedokument.
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Die Kammer hat bei ihrer Entscheidung die durch das Amtsgericht beim Regierungspräsidium eingeholte Auskunft zur Abschiebesituation in Bezug auf Sri Lanka zu Beginn des Jahres 2003 nicht verwertet. Denn dem Wiederaufnahmegericht ist es verfassungsrechtlich verwehrt, im Zulassungsverfahren im Wege der der Eignungsprüfung Beweise zu würdigen und Feststellungen zu treffen, die nach der Struktur des Strafprozesses der Hauptverhandlung vorbehalten sind (BVerfG, NStZ 1995, 43 f.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1 Satz 1 StPO.

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