Urteil vom Landgericht Kiel (17. Zivilkammer) - 17 O 205/06

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, gegenüber seiner Schwester ... zu erklären, dass er von ihr die gemachte Schenkung in Höhe seiner Pflichtteilsansprüche und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Ableben seiner leiblichen Eltern zurückfordert.

Der Beklagte wird weiter verurteilt, die ihm gegenüber seiner Schwester ..., zustehenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Ableben der gemeinsamen leiblichen Eltern geltend zu machen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

1

Der Beklagte ist der leibliche Vater der minderjährigen Kläger, die im Haushalt der Großeltern ... leben und von diesen versorgt und betreut werden. Die Mutter der Kläger ist in der Nacht vom 01. auf den 02.01.2001 von dem Beklagten durch mehrere Messerstiche tödlich verletzt worden. Der Beklagte verbüßt zur Zeit eine lebenslange Freiheitsstrafe, zu der er mit Urteil des Landgerichts Kiel vom 09.11.2002 verurteilt worden ist, in der Justizvollzugsanstalt in Lübeck.

2

Der Beklagte hat die Vaterschaft und die Verpflichtung zur Unterhaltsleistung für beide Kinder in vollstreckbaren Urkunden gegenüber dem Kreisjugendamt des Kreises Rendsburg-Eckernförde im Jahre 1996 bzw. 1998 anerkannt.

3

Im Frühling 2005 verstarb die Mutter des Beklagten und kurze Zeit später auch der Vater des Beklagten. Gemäß testamentarischer Verfügung der verstorbenen Eheleute ..., mit der diese sich zunächst gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben, ist als Erben des Letztversterbenden der beiden Eheleute die Schwester des Beklagten, ... eingesetzt. Der Nachlass besteht im wesentlichen aus einem an zwei Parteien vermieteten Hausanwesen.

4

Mit Erklärung vom 12.11.2005 erklärte der Beklagte, etwaige Pflichtteilsansprüche gegenüber seiner Schwester nicht geltend zu machen. Die Schwester des Beklagten nahm den Verzicht auf etwaige Pflichtteilsansprüche an.

5

Die Kläger behaupten, der Nachlass habe einen Wert von etwa 380.000,00 €.

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Sie beantragen,

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1. der Beklagte wird verurteilt, die ihm gegenüber seiner Schwester ..., zustehenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Ableben der gemeinsamen leiblichen Eltern geltend zu machen,

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hilfsweise,

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2. a) der Beklagte wird verpflichtet, gegenüber seiner Schwester ... zu erklären, dass er von ihr die gemachte Schenkung in Höhe seiner Pflichtteilsansprüche- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Ableben seiner leiblichen Eltern, zurückfordert,

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b) für den Fall, dass dem hilfsweisen Antrag zu 2 a) stattgegeben wird, den Beklagten zu verurteilen, die ihm gegenüber seiner Schwester ... zustehenden Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche nach dem Ableben der gemeinsamen leiblichen Eltern geltend zu machen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

13

Er ist der Auffassung, dass er nicht verpflichtet sei, Pflichtteilsansprüche zu realisieren. Darüber hinaus sei ihm dies auch nicht mehr möglich, nachdem er rechtswirksam auf die Ansprüche verzichtet habe. Er behauptet, dies aus Respekt vor dem Willen seiner verstorbenen Eltern getan zu haben, die die Schwester deshalb als Alleinerbin eingesetzt hätten, weil er seinen Kindern die Mutter genommen habe.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist zulässig und begründet.

16

Die Unterhaltspflicht des Beklagten beruht auf § 1601 BGB und ist dem Grunde nach zwischen den Parteien nicht streitig.

17

Gegenüber minderjährigen Kindern besteht gemäß § 1603 Abs. 2 BGB eine gesteigerte Unterhaltspflicht. Danach ist der Beklagte verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Zu den verfügbaren Mitteln gehört grundsätzlich auch das Vermögen eines Unterhaltpflichtigen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Verwertung des Vermögens unzumutbar ist oder den Eigenbedarf gefährdet.

18

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist der Beklagte gehalten, auch den ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch - und gegebenenfalls Pflichtteilsergänzungsansprüche - zur Verwirklichung des Unterhaltsanspruches seiner minderjährigen Kinder einzusetzen.

19

Wegen der familiären Verbundenheit zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten ist zwar grundsätzlich allein letzterem die Entscheidung darüber vorbehalten, ob er seinen Anspruch gegen den Erben durchsetzen will oder nicht (BGHZ 123, 183, 186). Dies gilt jedoch nicht im Bereich des Unterhaltsrechts. Hier ist der Unterhaltsverpflichtete gerade nicht frei in der Frage, ob er Pflichtteilsansprüche zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht geltend macht oder nicht (vgl. BGH FamRZ 1982, 420 unter Hinweis auf RG WarnR 1990 Nr. 98, Seite 151). Soweit es zur Erfüllung der Unterhaltspflicht notwendig ist, muss eine pflichtteilsberechtigte Person ihren Pflichtteilsanspruch geltend machen, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalles dies unzumutbar erscheinen lassen (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 1981, 163, Ermann/Habermann BGB, § 1603 Rn. 78).

20

Die von dem Beklagten angeführten Gründe, die ihn daran hinderten, seine Pflichtteilsansprüche gegenüber seiner Schwester geltend zu machen, vermögen eine Unzumutbarkeit nicht zu begründen. Der von dem Beklagten ins Feld geführte Respekt vor dem Willen seiner verstorbenen Eltern kann es nicht gebieten, den Kindern, denen der Beklagte durch die von seinen Eltern verabscheute Tat die Mutter und die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen hat, weiter dadurch Schaden zuzufügen, dass er auf die Realisierung von Vermögenswerten verzichtet, mit denen zumindest der Unterhalt für die beiden Kinder sichergestellt wird. Es kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass die verstorbenen Eltern des Beklagten es unter moralischen und ethischen Gesichtspunkten unbedingt erwartet hätten, dass der Beklagte alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um zumindest seinen Unterhaltspflichten gegenüber den durch ihn ihrer Mutter beraubten Kindern nachzukommen.

21

Allerdings ist dem Beklagten der unmittelbare Zugriff auf seinen Pflichtteilsanspruch derzeit nicht möglich.

22

Indem der Beklagte sich gegenüber seiner Schwester verpflichtet hat, Pflichtteilsansprüche ihr gegenüber nicht geltend zu machen, und diese den „Verzicht“ angenommen hat, ist ein Erlassvertrag gemäß § 397 BGB zwischen den Geschwistern zustande gekommen (vgl. BGH NJW 1997, 521 BGB). Als Folge des Erlasses ist der Pflichtteilsanspruch des Beklagten gegenüber seiner Schwester erloschen. Der Verzicht des Beklagten gegenüber seiner Schwester auf die Geltendmachung des Pflichtteils ist zwar wegen der von dem Beklagten vorgebrachten und nicht widerlegten Motivlage nicht als sittenwidrig zu qualifizieren und deshalb grundsätzlich wirksam.

23

Der Beklagte ist aber gemäß § 528 BGB gegenüber seiner Schwester zur Rückforderung der in seinem Verzicht auf die Pflichtteilsansprüche liegenden Schenkung berechtigt, so dass auf diesem Wege der Verzicht rückgängig gemacht werden kann.

24

Der durch den Erlassvertrag herbeigeführten Vermögensminderung auf Seiten des Beklagten (Erlöschen des Pflichtteilsanspruches) steht eine Vermögensmehrung auf Seiten der Schwester des Beklagten gegenüber, die darin zu sehen ist, dass sie sich nunmehr keinem Pflichtteilsanspruch mehr ausgesetzt sieht. Da diese Vermögensverschiebung unentgeltlich erfolgt ist, erfüllt sie die Voraussetzungen einer Schenkung i.S.d. § 516 BGB.

25

Der Beklagte ist zur Rückforderung der Schenkung nach § 528 Abs. 1 Satz 1 BGB berechtigt, weil er infolge der Vollziehung dieser Schenkung außer Stande ist, die ihm gegenüber seinen Kindern gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen. Rechtsfolge des Rückforderungsverlangens aus § 528 Abs. 1 BGB ist die Pflicht des Beschenkten zur Rückgabe des geschenkten Gegenstandes. Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass die Geltendmachung des Rückforderungsanspruches den Erlassvertrag hinfällig werden lässt und der Pflichtteilsanspruch des Beklagten wieder geltend gemacht werden kann, soweit dies zur Erfüllung der Unterhaltspflichten erforderlich ist.

26

Die Kläger können von dem Beklagten verlangen, dass er seine Schenkung gegenüber der Schwester nach § 528 BGB zurück verlangt, weil der Rückforderungsanspruch des Beklagten ebenfalls einen Vermögensbestandteil darstellt, auf den zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche zugegriffen werden kann. Demgemäß war der Beklagte nach den hilfsweise gestellten Klaganträgen zu verurteilen.

27

Die Kosten des Rechtsstreits sind dem Beklagten gemäß § 91 ZPO auferlegt worden. Da die hilfsweise gestellten Klaganträge, nach denen der Klage statt gegeben worden ist, kein Minus gegenüber dem Hauptantrag darstellen, liegt ein teilweises Unterliegen der Kläger mit der Kostenfolge aus § 92 ZPO nicht vor.

28

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit entspricht § 709 ZPO.


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