Urteil vom Landgericht Kiel (13. Zivilkammer) - 13 O 169/10

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schmerzensgeld in Höhe von 9.000,-- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09. Oktober 2010 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin auf den bis Ende Februar 2012 entstandenen Haushaltsführungsschaden 9.014,40 € nebst fünf Prozent jährlicher Zinsen seit dem 09. Oktober 2010 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit ab März 2012 bis 6.9.2018, vorbehaltlich früheren Ablebens, monatlich im voraus Haushaltsführungsschaden i. H. von 107,31 € zu ersetzen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin weitere zukünftige immaterielle, derzeit nicht absehbare oder in Betracht zu ziehende Schäden und zukünftige materielle Schäden aus dem Unfall vom 13. Februar 2009 auf der ... in ... zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sein werden, wobei mittelbare Schäden in Form von Dauerfolgen des Unfalls lediglich in Höhe von 10 % auszugleichen sind.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin auf deren vorgerichtliche Kosten 2.315,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28. Dezember 2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 55 % und die Beklagte 45 % zu tragen.

Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin verlangt Schadensersatz nach einem von der Beklagten bestrittenen Wegeunfall.

2

Die Klägerin wurde am 13. Februar 2009 gegen 12.00 Uhr im Stadtgebiet der Beklagten in der ... liegend von einer Arbeitskollegin vorgefunden und anschließend mit einer Knieverletzung in ein Krankenhaus verbracht. Die Klägerin war bis zu jenem Zeitpunkt in einem Kindergarten beschäftigt, der auf einem an die genannte Straße angrenzenden Gelände befindlich ist. Sie war, wie regelmäßig, damit beschäftigt gewesen, um die genannte Zeit Kinder von einer Schule abzuholen und in den Kindergarten zu bringen.

3

Die Klägerin hatte einen Bruch des Tibiakopfes rechts erlitten. Das Kniegelenk rechts war bereits durch Operationen und Einsetzung von zunächst einer Schlittenprothese im Jahre 2002 und einer Vollprothese im Jahre 2005 behandelt worden. Nach dem 13. Februar 2009 wurde eine neue Vollprothese eingesetzt. Einem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt schloss sich eine langwierige Rehabilitationsperiode an, die nicht zu einer vollständigen Wiederherstellung führte. Es verblieb insbesondere eine erhebliche Bewegungseinschränkung des rechten Knies, die zu Einschränkungen im Hinblick auf Fahrradfahren, Treppensteigen, die Länge zu Fuß zurücklegbarer Wegstrecken und zu Beeinträchtigungen beim Hocken und Knien führte. Die Klägerin war insgesamt achtundsiebzig Wochen lang krank geschrieben und wurde sodann vom Bezug des Krankengeldes ausgesteuert. Sie kann die Tätigkeit im Kindergarten nicht wieder aufnehmen.

4

Die Klägerin behauptet, die in der ... räum- und streupflichtige Beklagte sei ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen. Die Oberfläche des Straßenkörpers sei seinerzeit ungeräumt und ungestreut gewesen. Infolge der Straßenglätte sei sie an der Stelle gestürzt, die in der der Klageschrift angefügten Anlage K 1, Foto Blatt 13 d.A., mit einem Kreuz markiert sei. Die Wegeoberfläche sei dort glatt und schneebedeckt und nicht vom Eis befreit gewesen. Über die eingetretene Berufsunfähigkeit hinaus sei sie über längere Zeiträume und nach wie vor andauernd in ihrer Fähigkeit zur Haushaltsführung beeinträchtigt, insbesondere seit Oktober 2009 in Höhe von 50 %, woraus ein entsprechender Ersatzanspruch für die Vergangenheit und für die Zukunft resultiere. Unabhängig hiervon macht die Klägerin ein Schmerzensgeld in angemessener, in das Ermessen des Gerichts gestellter Höhe geltend.

5

Sie beantragt, wie folgt zu erkennen:

I.

6

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2010 zu zahlen.

II.

7

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen rückständigen Haushaltsführungsschaden in Höhe von EUR 13.371,36 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2010 zu zahlen.

III.

8

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ab November 2010 einen vierteljährlich vorauszahlbaren Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1.627,60 EUR, jeweils im Voraus zum 01.02., 01.05., 01.08. und 01.11. eines jeden Jahres bis zum 06.09.2018 zu zahlen.

IV.

9

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Glätteunfall am 13.02.2009 auf der ..., ... zu zahlen.

V.

10

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 2.716,54 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab zehn Tagen nach Zustellung zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Sie bestreitet, dass die Klägerin glättebedingt gestürzt sei. Sie bestreitet die Ursächlichkeit eines glättebedingten Sturzes für die Verletzung der Klägerin. Die Beklagte behauptet, ihrer Räum- und Streupflicht ihrer eigenen Satzung entsprechend nachgekommen zu sein. Der Winterdienst sei seinerzeit morgens gegen 8.00 Uhr aufgenommen, gegen 8.30 an der betreffenden Stelle ausgeführt und bis 14.00 Uhr auf der „Innentour A“ weiter durchgeführt worden. Es habe durchgehend Schneefälle gegeben, so dass während dieses Zeitraumes ohnehin keine Räumpflicht bestanden habe. Bis gegen 14.00 Uhr seien etwa 5 cm Neuschnee gefallen. Der Räum- und Streudienst sei entsprechend den Plänen bzw. dem Bericht gemäß Anlagen B 4 – B 6 zur Klagerwiderung (Blatt 66 – 68 d.A.) durchgeführt worden, wobei die ... bei der Ausführung der Arbeiten Perorität genieße. Die auf der Straße unstreitig verbliebene Schneedecke sei nicht zu beseitigen gewesen, da die Straßenoberfläche wassergebunden sei und das Räumschild des eingesetzten Fahrzeuges und die Straßenoberfläche Schaden nehmen würde, wenn ersteres unmittelbar auf den Boden aufgesetzt würde. Deswegen werde der entsprechende Bereich auch zusätzlich im Handbetrieb abgestreut. Nach dem Maschinengang gegen 8.30 Uhr und gegen 12.00 Uhr des 13. Februar 2009 sei an der betreffenden Stelle per Hand Winterdienst ausgeführt worden.

14

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Erklärungen der Parteien zur Sitzungsniederschrift vom 27. Januar 2011 (Blatt 89 – 91 d.A.) Bezug genommen.

15

Die Kammer hat Beweis erhoben aufgrund von Beschlüssen vom 27. Januar 2011 (Blatt 92 – 94 d.A.)., vom 14. April 2011 (Blatt 126 f d.A.) und vom 26. November 2011 (Blatt 188 f d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 24. März 2011 (Blatt 103 – 117 d.A.), das Gutachten des Deutschen Wetterdienstes vom 13. Juli 2011 (Blatt 143 - 148 d.A.) und das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Oberarzt Dr. ... vom 09. November 2011 (Blatt 197 – 221 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist teilweise begründet.

17

Die Klägerin hat einen Anspruch aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gem. § 823 Abs. 1 BGB durch die unstreitig räum- und streupflichtige Beklagte.

18

Zunächst ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, dass die Klägerin an der von ihr angegebenen Stelle am 13. Februar 2009 glättebedingt gestürzt ist. Die Zeuginnen ... und ... haben bekundet, ohne dass Anzeichen für die Unrichtigkeit ihrer Angaben erkennbar sind, dass Mitglieder der von der Klägerin seinerzeit geführten Kindergruppe in den Kindergarten gekommen seien und berichtet hätten, dass die Klägerin gefallen sei. Die Zeugin ... hat die Klägerin an der Unfallstelle liegen sehen und festgestellt, dass sie nicht mehr selbständig aufstehen konnte. Die den Unfall bestreitende Beklagte hat trotz dieser Angaben, auch der im Wesentlichen korrespondierenden Darstellung der Zeugin ..., keinen nachvollziehbaren Anhaltspunkt auch nur in den Raum gestellt, nach dem die Verletzung der Klägerin anders als von dieser vorgetragen und von den Zeuginnen bestätigt eingetreten sein könnte.

19

Der teilweise übereinstimmende Vortrag der Parteien und die Beweisaufnahme ergeben, dass es am 13. Februar 2009 in der ... in ... Straßen- und Wegeverhältnisse gegeben hat, die die Pflicht zur Ausführung von entsprechenden Tätigkeiten seitens der Beklagten auslösten. Die Beklagte selbst trägt vor, dass es seinerzeit bis 14.00 Uhr 5 cm Neuschnee gegeben habe. Dessen ungeachtet haben jedoch keine Niederschlagsverhältnisse bestanden, die nach ständiger Rechtsprechung die Verpflichtung zur Ausführung von Räum- und Streuarbeiten vorläufig entfallen lassen, weil diese Tätigkeiten wegen fortlaufend weiterer Niederschläge ohnehin wirkungslos oder in ihrer Wirkung gemindert seien. Auch nach Behauptung der Beklagten hatte es von vor 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr nur 5 cm Neuschnee gegeben. Selbst wenn diese Schneehöhe als unstreitig angesehen würde, was sie nicht ist, ergibt sich jedenfalls über mehr als sechs Stunden verteilt ein lediglich geringfügiger Schneefall, der keinesfalls Räum- und Streutätigkeiten als unsinnig hätte erscheinen lassen. Dieses ergibt sich auch aus dem Gutachten des Deutschen Wetterdienstes, nach dem es am 13. Februar 2009 durchaus auch in ..., morgens beginnend und über den Tag verteilt in wechselnder Intensität und mit Unterbrechungen, geschneit haben und etwa um 8.30 Uhr eine durchgehende Schneedecke gelegen haben könnte. Vorhergegangen war nach der Begutachtung durch den Wetterdienst im Raum ... ein schneefreier Tag, davor jedoch bereits zwei Tage mit Schneefall und eine Frostperiode, die sich zum 13. Februar 2009 abschwächte und über die Mittagszeit zu Temperaturen knapp im Plus- Bereich geführt hatte. Nach den Aussagen der Zeuginnen ..., ... und ... hatte es zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr geschneit. Der Zeuge ... hat hiermit übereinstimmend ausgeführt, dass er davon ausgehe, dass es zwischen 10.00 Uhr und 11.00 Uhr in ... aufgehört habe zu schneien, da die von ihm in der Anlage B 5 als ausgeführt angegebene Räumtätigkeit des Zeugen ... mit der Maschine mit dem Räumschild bis 14.00 Uhr anderenfalls nicht beendet gewesen wäre. Die Schicht hätte im Falle weiteren Schneefalls verlängert werden müssen, erst recht , wenn hätte abgewartet werden müssen, ob zunächst wegen Dauerschnees sinnlose Räum – und Streuarbeiten nach Aufhalten der Niederschläge geboten sein würden. Die Ausführung von Streuarbeiten ist im Übrigen nicht allein dadurch bedingt, dass es keinen Schneefall gibt, der das Streugut sofort massiv überdeckt. Glätte entsteht gerade auf festem, zuvor gefrorenem Untergrund auch unabhängig von aktuellem Schneefall. Vom Vorhandensein von Glätte infolge übergefrorenen Schnees ist bereits für die Zeit vor Beginn des am Morgen des Unfalltages einsetzenden Schneefalls nach dem Gutachten des Wetterdienstes, der Aussage der Zeugin ... und im Übrigen dem Vortrag auch der Beklagten auszugehen, die ausführt, dass an der entsprechenden Straßenstelle eine vollständige Räumung ohne Beschädigung der Straßenoberfläche und/oder des Räumschildes des Fahrzeugs J. Deere nicht erfolgen könne. Es kann insoweit durchaus davon ausgegangen werden, dass die beschädigungsfreie Ausführung der Räumarbeit mit dem Schneeschild am Fahrzeug auf der „Innentour A“ im Bereich der Sackgasse zu Kindergarten erschwert ist, weil die Straßenoberfläche dort wassergebunden ist . Insoweit ist aber offen, ob, wenn die Räumung nicht mit diesem Fahrzeug möglich ist, sie zumutbarerweise mit anderem Werkzeug durchzuführen ist. Unabhängig hiervon ergibt sich jedenfalls das Erfordernis, die durch Schneefall fortlaufend bedeckt bleibende Straßenoberfläche in erhöhtem Maß abzustreuen.

20

Den insoweit bestehenden Erfordernissen ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Beklagte nicht vollständig nachgekommen. Der Zeuge ... hat ausgeführt, dass er u.U. wie gewöhnlich mit dem Fahrzeug J. Deere den zum Kindergarten führenden Stichweg rückwärts und vorwärts auf gleicher Fahrspur abgefahren sein werde, ohne sagen zu können, ob er dabei mit dem Räumschild geräumt habe. Jedenfalls aber habe er, w e n n er wie gewöhnlich verfahren sei, gestreut. Er sei ggf. am Zaun entlanggefahren, jedoch nicht direkt an diesem entlang. Glättebildung infolge weiteren Schneefalls oder Temperaturwechsels zwischen etwa 8.30 Uhr bis gegen 12.00 Uhr war ohne weiteres möglich, insbesondere auch in der von den Zeuginnen beschriebenen Form, dass unter Neuschnee Glätte vorhanden gewesen sei. Der Zeuge ... hat im Übrigen ausgeführt, dass er die maschinelle Räumarbeit auf der Innentour A durchaus nicht immer in fester Abfolge etwa der Reihenfolge der auf der Anlage B 4 aufgeführten Straßen absolviere, sondern dass Witterungsgegebenheiten und Zweckmäßigkeitserfordernisse durchaus Einfluss auf die Abfolge und Art der Ausführung der Arbeiten haben könnten, und dass er selbst am in Rede stehenden Tag auch nicht ein weiteres Mal mit seinem Räumfahrzeug an Ort und Stelle gewesen sei.

21

Gemäß Anlage B 4 besteht die Räumfläche ... aus Straße und Gehweg. Nach dem mit der Klage vorgelegten Foto läuft der mit Gehwegplatten befestigte Gehweg im Kurvenbereich zur Abzweigung der zum Kindergarten führenden Sackgasse aus, ist aber durchaus im Übergangsbereich noch kenntlich, dass ein Bürgersteig oder Randstreifen durch in den Boden eingelassene Bordsteine markiert wird. Die Beklagte nimmt das Vorhandensein eines Gehwegs a.a.O., in Abrede. Ob er auch für die zur Straße gehörende Sackgasse ausgewiesen ist, mag indessen dahinstehen. Jedenfalls trägt die Beklagte vor, dass die behauptete Räumarbeit mit dem Fahrzeug J. Deere in der Mitte der Strasse erfolgt sei. Das Fahrzeug J. Deere hat eine Räumbreite von 1,50 m. Die von der Klägerin angegebene Unfallstelle ordnet die Beklagte dem äußersten linken Rand zu, dessen gefährlichere Benutzung sie der Klägerin vorwirft. Der Zeuge ... hat aus den Unterlagen, die ihm zur Verfügung stehen, geschlossen, dass gegen 8.30 Uhr auf der Innentour A maschinell im minimalen Umfang Schnee geschoben und gestreut worden ist. Die von ihm erläuterten Anlagen B 4 – B 6 ergeben, dass der Maschineneinsatz des Zeugen ... für die Zeit von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr durch ihn, den Zeugen ..., bescheinigt worden ist. Dazu, dass, entsprechend der Anlage B 6 „Streuplan Handstrecke (NB)…“ der in Rede stehende Bereich „Waldkindergarten Zaun bis Haupteingang“ per Hand abgestreut worden wäre, bevor der Unfall sich ereignete, ist demgegenüber nichts ersichtlich. Der Plan sagt über seine Umsetzung und deren eventuellen Zeitpunkt nichts aus. Die Anlage B 5 enthält insoweit keine Aussage und lässt insbesondere offen, was es mit dem scheinbar abgebrochenen Eintrag „gestreut gegen.“ auf sich hat. Insoweit ist auf den unstreitigen Umstand zu verweisen, dass um die Mittagszeit im Handbetrieb im Bereich der Unfallstelle gestreut worden ist. Nach den Aussagen der Zeuginnen ..., ... und ... ist indessen nicht nur davon auszugehen, dass es zu jenem Zeitpunkt im Bereich der Unfallstelle glatt war, sondern auch davon, dass, wie die beiden erstgenannten Zeuginnen ausgeführt haben, nach dem Unfall eine fernmündliche Information an die Beklagte gegeben habe, die zur nachträglichen Ausführung entsprechender, per Hand ausgeführter Streuarbeiten geführt habe. Der Zeugen ... hat einen entsprechenden Ablauf als möglich eingeräumt und den Unterlagen keinen Beleg dafür entnommen, dass am Unfalltag vor dem Unfall von Hand gestreut worden wäre. Information der Beklagten in Betracht gezogen hat und davon ausgeht, dass mittags ein Mitarbeiter der Beklagten noch einmal vor Ort gewesen sei.

22

Gem. § 2 Abs. 2 Buchstabe a b gilt die Reinigungspflicht, zu der der Winterdienst gehört, für die Straßen- und Wege für die Straßenteile Gehwege und begehbare Seitenstreifen. Soweit ein erkennbarer Seitenstreifen nicht vorhanden ist, betrifft die Räumpflicht gegebenenfalls den Rand eines gehweglosen, wassergebundenen Weges, der Verkehrsbedeutung hat. Der begehbare Seitenstreifen ist im Zweifel der Rand der Verkehrsfläche, auf dem Fußgänger gewöhnlich unterwegs sind. Insoweit ist es mit einer lediglich straßenmittigen Räumung bereits nach der Satzung der Beklagten nicht getan. Dies gilt im Zweifel erst recht, wenn es, wie vorliegend, um eine Verkehrsfläche mit regem An- und Abfahrtsverkehr durch Anlieger und Fahrzeuge geht, mit denen die schriftsätzlich angegebene hohe Anzahl von Kindern zum Kindergarten gebracht und von ihm abgeholt wird. Dass gerade für Fußgänger, insbesondere Kinder auf dem Weg zum Kindergarten, nicht ohne weiteres die Benutzung der Straßenmitte vorgesehen sein kann, folgt aus dem allgemeinen Gedanken der Verkehrssicherungspflicht, die u.a. in § 2 Abs. 4 der Satzung der Beklagten auch ihren Niederschlag gefunden hat.

23

Die Gehwege bzw. begehbaren Seitenstreifen sind in erforderlicher Breite, mindestens jedoch in einer Breite von 1,50 m, von Schnee freizuhalten und bei Glätte zu streuen, auf wassergebundenen Gehwegen ist die Glätte zu beseitigen, § 3 Abs. 4 der Satzung. Da angesichts der Verkehrsbedeutung der Sackgasse für Kindergarten und Anlieger von dem Erfordernis eines begehbaren Seitenstreifens auszugehen ist und der Klägerin keinesfalls anzusinnen war, mit der Kindergruppe bei winterlichen Straßenverhältnissen in der Mitte der Straße zu gehen, ist ihr die Benutzung des am Zaun entlangführenden Seitenstreifens der Sackgasse entgegen der Auffassung der Beklagten keinesfalls vorzuwerfen.

24

Ein anspruchsminderndes Mitverschulden der Klägerin kommt unter den obwaltenden Umständen nicht in Betracht, da gerade infolge der unzureichenden Räum- und Streuverhältnisse zwar durchaus grundsätzlich Vorsicht seitens der Klägerin geboten war, indessen keinerlei Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, dass die Klägerin erkennbar gegen die im Eigeninteresse erforderliche Sorgfalt verstoßen hätte. Vielmehr hatte sie eine Kindergruppe zu beaufsichtigen und zu führen und, gerade seinerzeit, auch darauf zu achten, dass den Kindern nicht durch die Glätte als solche oder durch glättebedingtes Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer Schaden drohte.

25

Die Beklagte haftet der Klägerin demnach für die Zahlung eines Schmerzensgeldes gem. § 253 BGB. Im Hinblickt auf die Erheblichkeit der Verletzungsfolgen ist ein Betrag in Höhe von 9.000,-- € angemessen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Beklagte bislang jegliche Verantwortlichkeit von sich abgewiesen hat und andererseits die Unfallfolgen für die Klägerin ausgesprochen erheblich sind, da Berufsunfähigkeit eingetreten ist und da sich dem Unfall eine ausgesprochene langwierige und aufwendige Heilbehandlung angeschlossen hat. Auch im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes ist zwar zu berücksichtigen, dass die Klägerin erheblich vorgeschädigt war und bereits in den Jahren 2002 und 2005 Knieprothesen hatte einsetzen lassen müssen. Dessen ungeachtet ist für einen Einmalschaden die Mitursächlichkeit des Schädigers, hier der Beklagten, neben eine Vorschaden für die Verantwortlichkeit für den Erfolg ausreichend (Schadensanlagefall). Die Vorschäden der Klägerin liegen keinesfalls außerhalb dessen, was im Normalfall von Seiten des Schädigers jedenfalls in Betracht gezogen werden muss, so dass für die unmittelbaren Folgen eine uneingeschränkte Mitverantwortlichkeit besteht.

26

Darüber hinaus hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz des Haushaltsführungsschadens bis zum derzeitigen Zeitpunkt. Sie führt mit ihrem Ehemann zusammen einen Zwei- Personen- Haushalt und trägt vor, dass die Arbeiten im Haushalt bis zum Zeitpunkt des Unfalls von ihr mit einem wöchentlichen Aufwand von 31,3 Stunden bewerkstelligt worden sind, wohingegen der verbleibende Stundenaufwand von ihrem Ehemann erbracht worden sei, der in Vollzeit tätig ist. Die Klägerin war im Umfang von sechs Stunden täglich im Kindergarten beschäftigt war. Für die Größe des zum Reihenhaus gehörenden Gartens ist von einer nur nachgewiesenen Gesamt- Grundstücksfläche von 325 qm auszugehen. Die Wohnfläche des Reihenhauses ist plausibel und nicht substantiiert angegriffen mit 95 qm vorgetragen, so dass gem. § 287 Abs. 2 ZPO von der von der Klägerin angegebenen wöchentlichen Arbeitsleistung von 31,3 Stunden bis zum Unfall ausgegangen werden konnte. Die Begutachtung des Dauerschadens der Klägerin durch den medizinischen Sachverständigen hat ergeben, dass bis Ende Mai 2009 eine Beeinträchtigung in Höhe von 100 % im Bereich der Haushaltsführung zu verzeichnen war, dass bis Ende September 2009 von einer hälftigen Beeinträchtigung auszugehen ist und dass ab Oktober 2009 eine Beeinträchtigung entsprechend der festgestellten MDE von 40 % vorliegt, wobei 30 % auf den bereits vorhanden gewesenen Vorschaden entfallen. Schadensrechtlich ist dieser Ablauf so zu behandeln, dass die dem Unfall unmittelbar zuzurechnenden Schäden infolge der Mitursächlichkeit der Rechtsverletzung für den eingetretenen Erfolg eine uneingeschränkte Haftung auslösen, wohingegen für den Bereich der Dauerschäden darauf abzustellen ist, dass die im Ergebnis insgesamt vorhandene MdE bereits zu ¾ vorhanden war, als der Unfall sich ereignete, so dass für die als solche anzunehmenden Dauerfolgen lediglich eine Mitursächlichkeit der Beklagten in Höhe von 10 % anzunehmen ist. Der Prozentsatz der Steigerung der MdE besagt zwar nicht direkt etwas für das Maß der Mitverursachung. Der medizinische Sachverständige hat aber insoweit im Hinblick auf die ihm gestellten Beweisfragen V. und VI. ausdrücklich den Haushaltsführungsschaden nach dem Grad der MdE bemessen, abgestellt, wohingegen er für die Zeit bis Ende September 2009 auf die tatsächlich infolge des singulären Ereignisses vom 13. Februar 2009 eingetretene Beeinträchtigung abgestellt hat. Hieraus folgt für die Zeit bis Ende Mai 2009 ein Schaden in der von der Klägerin behaupteten Höhe von
3.756,00 €.

27

Für die folgenden siebzehn Wochen bis Ende September 2009 ergibt sich auf der Basis einer hälftigen Beeinträchtigung eine Ausfallzeit von 15,65 Stunden pro Woche. Auf der Basis des Stundenverrechnungssatzes von 8,00 € ergibt sich hieraus ein zu ersetzender Betrag in Höhe von
2.128,40 €.

28

Ab Anfang Oktober 2009 ergibt sich für die Zeit bis einschließlich Februar 2012 ein abzudeckender Zeitraum von 125 Wochen x 1/10 der Wochenarbeitsleistung von 31,3 Stunden, somit ein Ersatzanspruch von 125 x 3,13 x 8,00 € =
3.139,00 €.

29

Gem. § 258 ZPO kann die Klägerin ferner Klage auf künftige Zahlung auf den andauernden Haushaltsschaden führen. Auch in Zukunft ist von einem durch den Unfall um 10 % erhöhten Ausfall bei der Wahrnehmung der Haushaltsarbeiten auszugehen, somit von 3,13 Stunden pro Woche. Pro Monat ergibt dies einen Ausfall gemäß Multiplikation mit 30/7, gem. Verrechnung mit 8,00 € pro Stunde somit einen zu ersetzenden Ausfall in Höhe von monatlich
107,31 €.

30

In diesem schadensrechtlichen Zusammenhang könnten Reserveursachen anspruchsausschließend sein.

31

Diesen Anspruch kann die Klägerin antragsgemäß bis zum siebzigsten Geburtstag erheben. Der Unterschied zu entsprechenden Ersatzleistungen für Erwerbsausfall liegt vorliegend darin, dass durch den Renteneintritt der Klägerin bei normalen Verlauf der Dinge eine Änderung der Verhältnisse in der Haushaltsführung in der Form einer Änderung des Arbeitsentgelts nicht eintreten würde. Der Übergang in den Altersruhestand bringt im Bereich der Haushaltsführung grundsätzlich keine weitgehenden Änderungen mit sich. Der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin im Zweifel vor dem 06. September 2018 in den Altersruhestand eingetreten sein wird und U.U. im vermehrten Umfang in der Lage sein könnte, zur Haushaltsführung beizutragen, ändert an dieser Betrachtungsweise grundsätzlich nichts, weil es insoweit zum einen der Feststellung der konkreten Verhältnisse im Fall der Klägerin und ihres Ehemannes bedürfte, insbesondere dahingehend, dass der Ehemann zu erhöhter Arbeitsleistung tatsächlich in der Lage sei. Zum anderen ist es grundsätzlich Sache der Entschließung der Eheleute, die Verhältnisse der Haushaltsführung nach Änderung der Erwerbssituation eines der Beteiligten zu ändern, solange nicht ersichtlich Missbrauch zu Lasten eines zahlungspflichtigen Schädigers getrieben wird. Davon kann indessen nicht die Rede sein, wenn, wie vorliegend, die Klägerin auch über den Eintritt ihres Ehemann in den Ruhestand hinaus von einer von ihr zu erbringenden Arbeitsleistung von 31,3 Stunden pro Woche insgesamt im Haushalt ausgeht. Sie ist nicht gehalten, im Interesse der Beklagten überobligatorisch Unterhaltsansprüche zu erheben.

32

Schließlich ist die Beklagte, der begehrten Feststellung entsprechend, verpflichtet, der Klägerin künftige immaterielle, soweit sie derzeit nicht erfassbar sind, und eventuelle zukünftige materielle Schäden aus dem seinerzeitigen Unfall zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind. Im Hinblick auf die in den gesundheitlichen Verhältnissen der Klägerin bereits zum Unfallzeitpunkt angelegten persönlichen Verhältnisse ist indessen von einer Mitursächlichkeit der Beklagten im Hinblick auf dauerhafte eingetretene Schäden gegebenenfalls lediglich in Höhe von 10 % auszugehen.

33

Schließlich hat die Klägerin Anspruch auf Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten. Aufgrund der Darstellungen zum Umfang der in Rede stehenden Tätigkeit geht das Gericht durchaus von der Angemessenheit einer in gewissem Umfang erhöhten Mittelgebühr und somit von einer Angemessenheit von 1,5 der Geschäftsgebühr aus. Insoweit ist der Klägerin allerdings ein Anwaltsermessen zuzugestehen, so dass die Abrechnung durch das Streitgericht auf der Grundlage einer 17/10- Gebühr zu erfolgen hat, die sich auf 1.909,10 € beläuft. Dieser Betrag ist um die Auslagenpauschale und die Umsatzsteuer zu erhöhen, der sich daraus ergebende Gesamtbetrag um weitere 20,-- € gesondert abzurechnender Auslagen, so dass sich zu ersetzende Kosten ergeben in Höhe von
2.315,63 €.

34

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288, 291 BGB.

35

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO.


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