Urteil vom Landgericht Koblenz (12. Zivilkammer) - 12 S 197/09

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Montabaur vom 25.08.2009, Aktenzeichen: 15 C 420/09, abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

Die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässige Berufung ist begründet.

2

Die Feststellungsklage ist zulässig, aber nicht begründet.

3

Das Vertragsverhältnis der Parteien über einen DSL-Anschluss ist nicht durch den Widerruf der Klägerin vom 15.01.2009 wirksam beendet worden.

4

Zwar haben die Parteien im vorliegenden Fall einen Fernabsatzvertrag geschlossen, da die Klägerin die Beklagte im Rahmen einer online-Bestellung mit der Bereitstellung des DSL-Anschlusses zu dem Tarif …- Doppel-Flat 16.000 beauftragte.

5

Bei der Klägerin handelt es sich auch um eine Verbraucherin. Damit stand ihr gemäß §§ 312 d Abs. 1 S. 1, 355 BGB ein Widerrufsrecht zu.

6

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 15.01.2009, das der Beklagten am 19.01.2009 zugegangen ist, den Telekommunikationsvertrag „gekündigt“. Die Kündigung ist als Widerruf im Sinne des § 355 Abs. 1 BGB auszulegen, § 133 BGB.

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Gemäß § 355 Abs. 1 S. 2 BGB kann ein Verbraucher einen Verbrauchervertrag innerhalb von zwei Wochen widerrufen, wobei zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung genügt, § 355 Abs. 1 S. 2, 2. Halbsatz BGB.

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Die Widerrufsfrist beginnt bei einem Fernabsatzvertrag gemäß § 312 d Abs. 2 S. 1 BGB nicht vor Erfüllung der Informationspflichten gemäß § 312 c Abs. 2 BGB zu laufen. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Klägerin in der Auftragsbestätigung vom 30.12.2008, die am 03.01.2009 bei der Klägerin eingegangen ist, über das Widerrufsrecht belehrt. Damit begann die Widerrufsfrist am 03.01.2009 zulaufen. Die Absendung des Widerrufs am 15.01.2009 erfolgte damit grundsätzlich innerhalb der Frist der §§ 355 Abs. 1, 312 d Abs. 2 BGB.

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Dennoch ist die Klägerin im vorliegenden Fall an ihre auf Abschluss des Vertrages gerichtete Willenserklärung gebunden, weil ihr Widerrufsrecht vor Ausübung desselben gemäß § 312 d Abs. 3 Nr. 2, 2. Alt. BGB alter Fassung erloschen war.

10

§ 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F. ist im vorliegenden Fall anwendbar. Zwar wurde die Vorschrift des § 312 d Abs. 3 BGB mit Wirkung vom 04.08.2009 durch das Gesetz zur Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung und zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei besonderen Vertriebsformen vom 29.07.2009 (BGBl. I S. 2413) neu gefasst. Eine Übergangsvorschrift fehlt.

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Damit ist die Vorschrift des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F. grundsätzlich mit dem Inkrafttreten der Neuregelung am 04.08.2009 gegenstandslos geworden. Dennoch ist nach Ansicht der Kammer auf Verträge, die vor dem 04.08.2009 abgeschlossen wurden, die alte Fassung des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB anzuwenden. Dies folgt zum einen aus dem Rechtsstaatsprinzip. Der rechtsstaatliche Grundsatz des Vertrauensschutzes gebietet, dass der dem Recht verpflichtete Bürger nicht durch Beseitigung erworbener Rechte über die Verlässlichkeit der Rechtsordnung getäuscht wird, vor allem, wenn dies rückwirkend geschieht. Der Bürger soll sich grundsätzlich bei seiner persönlichen Lebensgestaltung und seinen wirtschaftlichen Dispositionen auf die geltende Rechtsordnung verlassen können (BVerfGE 45, 142/167 f.). Zum anderen gebietet Art. 14 GG bzw. das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb die Anwendung des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F. auf Verträge, die vor dem 04.08.2009 abgeschlossen worden sind. Denn nach § 312 d Abs. 6 BGB neuer Fassung hat der Verbraucher bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen Wertersatz für die erbrachte Dienstleistung nur zu leisten, wenn er vor Abgabe seiner Vertragserklärung auf diese Rechtsfolge hingewiesen worden ist und wenn er ausdrücklich zugestimmt hat, dass der Unternehmer vor Ende der Widerrufsfrist mit der Ausführung der Dienstleistung beginnt. Dem Unternehmer war es aber nicht möglich, den Verbraucher vor dem 04.08.2009 entsprechend § 312 d Abs. 6 BGB neuer Fassung zu belehren, da diese Belehrung vor dem 04.08.2009 nicht gesetzeskonform gewesen wäre, mit der Folge, dass sämtliche so abgeschlossene Verträge widerrufbar wären.

12

Somit ist § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB alter Fassung hier anwendbar. Nach § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F. erlischt das Widerrufsrecht bei einer Dienstleistung, die nicht eine Finanzdienstleistung ist, wenn der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat oder der Verbraucher diese selbst veranlasst hat.

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Im vorliegenden Fall konnte dahinstehen, ob die Beklagte bereits dadurch mit der Ausführung der Dienstleistung begonnen hatte, indem sie - was streitig ist - den Netzbetreiber mit der Freischaltung des DSL-Anschlusses beauftragt hatte. Denn das Widerrufsrecht der Klägerin ist im vorliegenden Fall jedenfalls dadurch erloschen, dass die Klägerin sich am 15.01.2009 um 11 Uhr 34 über den DSL-Anschluss der Beklagten in das Internet eingewählt hat (vgl. Räntsch in Bamberger/Roth, BeckOK, §312 d, Rn. 30; Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 312 d, Rn. 7a; BGH NJW 2006, 1971). Damit hat sie die Dienstleistung der Beklagten selbst veranlasst.

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Zwar hat die Beklagte erstmalig in der Berufung vorgetragen, die Klägerin habe sich am 15.01.2009 über den freigeschalteten DSL-Anschluss ins Internet eingewählt. Das neue Vorbringen der Beklagten ist aber unbestritten geblieben. Es ist damit nicht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert.

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Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB alter Fassung nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass der Ausschluss des Widerrufsrechts nur bei unteilbaren Dienstleistungen gilt und dass teilbare Dienstleistungen, also Dauerschuldverhältnisse wie Mobilfunkverträge, durch einen Widerruf ex nunc beendet werden können.

16

Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass es dem Unternehmer insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen meist ohne weiteres zuzumuten sei, den Vertrag bei Widerruf des Verbrauchers ex nunc zu beenden (Wendehorst/Münchner Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 312 d, Rn. 56; Thüsing/Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2005, § 312 d, Rn. 36 a. E.). Begründet wird diese Auffassung damit, dass das Alles-oder-Nichts-Prinzip - d.h. volle Widerrufsmöglichkeit bei Dienstleistungen bis zum Beginn der Ausführung, aber keinerlei Widerrufsmöglichkeit nach Beginn der Ausführung - nicht mit dem Schutzzweck des § 312 d BGB in Einklang zu bringen sei. Denn auch und gerade nach der Ausführung der Dienstleistung bestehe ein schützenswertes Interesse des Verbrauchers, sich vom Vertrag wieder lösen zu können. Der Verbraucher könne erst dann beurteilen, ob er an dem Vertrag über eine Dienstleistung festhalten wolle, wenn die Dienstleistung ausgeführt worden sei und er die Möglichkeit gehabt habe, die Qualität der Leistung zu bewerten. Auch bei Fernabsatzverträgen über Dienstleistungen bestehe daher ein grundsätzlicher Schutzbedarf des Verbrauchers. Dieser Schutz werde ihm versagt, wenn ihm das Widerrufsrecht aufgrund des Alles-oder-nichts-Prinzips de facto abgeschnitten werde ((Wendehorst/Münchner Kommentar, a.a.O.; Thüsing/Staudinger, a.a.O.).

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Nach anderer Auffassung ist eine teleologische Reduktion des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB alter Fassung nicht geboten (Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 312 d, R. 7a; OLG Brandenburg, MMR 2009, 561). Begründet wird diese Auffassung mit dem eindeutigen Wortlaut des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB alter Fassung. Auch bestehe kein gesteigertes Schutzbedürfnis des Verbrauchers bei Abschluss eines längerfristigen Mobilfunkvertrages im Wege des Fernabsatzes. Denn auch der Verbraucher, der einen Mobilfunkvertrag in einem Ladengeschäft abschließe, könne in der Regel die Qualität der Leistung dort nicht überprüfen oder sich einen persönlichen Eindruck vom Unternehmer der Mobilfunkleistung verschaffen.

18

Die Kammer folgt der letztgenannten Auffassung und macht sich deren Argumentation zu eigen.

19

Der Gesetzgeber hat in § 312 d BGB alter Fassung eine detaillierte Regelung getroffen. Er hat dabei das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Dienstleistungen weitreichend eingeschränkt, weil Dienstleistungen im Unterschied zu Verträgen über die Lieferung von Waren nicht in natura rückabgewickelt werden können. Da der Unternehmer nicht das Risiko eingehen wird, eine Dienstleistung zu erbringen, bevor er weiß, ob es tatsächlich bei dem geschlossenen Vertrag bleibt, wird er immer die volle Widerrufsfrist abwarten, bevor er mit der Leistungserbringung beginnt. Das Interesse des Verbrauchers an einer sofortigen Erbringung der Dienstleistung lässt sich daher nur verwirklichen, wenn der Unternehmer bei einem frühzeitigen Ausführungsbeginn auf Wunsch des Verbrauches nicht mit einem Widerruf rechnen muss. Aus diesem Grunde sieht §312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F. vor, dass das Widerrufsrecht in dem Moment erlischt, in dem der Unternehmer die vertragsgemäße Dienstleistung auf Wunsch des Verbrauchers oder auf dessen Veranlassung hin erbringt (Räntsch in Bamberger/Roth, BeckOK, § 312 d, Rn. 27). Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber eine sorgfältige Interessenabwägung der Parteien vorgenommen hat. Ein Bedürfnis nach einer Rechtsfortbildung besteht daher nicht.

20

Für die Auffassung der Kammer spricht auch, dass der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 16.03.2006 (BGH NJW 2006,1971) ausgeführt hat, dass ein etwaiges Widerrufsrecht der Beklagten nach § 312 d Abs. 3 BGB a. F. untergegangen sei. Der Bundesgerichtshof hat in der vorgenannten Entscheidung keine teleologische Reduktion vorgenommen, sondern dargelegt, dass das Widerrufsrecht nach der Bestimmung des § 312 d Abs. 3 Nr. 2 BGB a. F. erlischt , wenn der Unternehmer mit der Ausführung der Dienstleistung mit ausdrücklicher Zustimmung des Verbrauchers vor Ende der Widerrufsfrist begonnen hat oder der Verbraucher diese selbst veranlasst hat.

21

Da das Widerrufsrecht der Klägerin durch die Benutzung des von der Beklagten freigeschalteten DSL-Anschlusses erloschen ist, konnte sie den Telekommunikationsvertrag durch ihre „Kündigung“ vom 15.01.2009 nicht mehr wirksam beenden. Die Feststellungsklage der Klägerin war daher abzuweisen.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

23

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO.

24

Beschluss

25

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis zu 600,00 € festgesetzt.

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