Urteil vom Landgericht Köln - 20 O 139/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Der Kläger schloss bei der Beklagten für seine Gaststätte in der O ##, #### L, eine Betriebsschließungsversicherung ab. Der Versicherungsschein sieht für „Schließungsschäden“ eine Tagesentschädigung einschließlich 10 % Vorsorge in Höhe von 1.410,00 EUR vor. Auf den Versicherungsschein vom 23.06.2017 (Anlage K1) wird im Übrigen Bezug genommen. Danach regeln sich die gegenseitigen Rechte und Pflichten nach dem Antrag, dem Versicherungsschein sowie nach den „Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr beim Menschen (Betriebsschließungsversicherung) – BS 2008“.
3§ 25 BS 2008 lautet auszugsweise wie folgt:
4„1. Der Versicherer leistet bis zu den in § 30 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 4)
5a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Nr. 4 schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;
6b) …
7(…)
84. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger
9Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:“
10(Es folgt eine Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserreger, darunter finden sich weder Covid 19 noch SARS-CoV2).
11§ 5 BS 2008 lautet auszugsweise:
12„§ 5 Nicht versicherte Gefahren und Schäden:
13a) Nicht versichert sind ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen Schäden sowie damit zusammenhängende Kosten jeder Art durch Kriegsereignisse jeder Art, innere Unruhen, Überschwemmung, Rückstau, Erdbeben, Erdfall, Erdrutsch, Schneedruck, Lawinen, Vulkanausbruch, Grundwasser, Ableitung von Betriebsabwässern, nukleare Strahlung, radioaktive Substanzen, Kernenergie.
14(…)
15c) Der Versicherer haftet nicht
16(…)
17cc) bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf.“
18Zu den weiteren Einzelheiten der BS 2008 wird auf Anlage K2 Bezug genommen.
19Infolge der Corona Pandemie musste der Kläger die von ihm betriebene Gaststätte aufgrund Allgemeinverfügung der Stadt Köln ab dem 16.03.2020 schließen. Ausgenommen von der Untersagung des Gastronomiebetriebes war der Außer- Hausverkauf sowie die Lieferung von vorbestellten Speisen und Getränken. Der Gastronomiebetrieb im Lokal war nach der Allgemeinverfügung bis einschließlich 19.04.2020 untersagt (Vergleiche Anlage K3). Der Gastronomiebetrieb wurde aufgrund der Corona Schutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Folgezeit zunächst weiterhin untersagt. Mit Schreiben vom 24.04.2020 (Anlage K6) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der geltend gemachte Schadenfall nach ihrer Auffassung nicht versichert sei.
20Der Kläger begehrt mit seiner Klage eine Tagesentschädigung für 30 Schließungstage à 1.410,00 EUR. Er hält dafür, dass der Versicherungsfall auch in Ansehung des Coronavirus und der dadurch bedingten Untersagungsverfügung der Stadt Köln eingetreten sei. Nach dem Versicherungsvertrag sei es nicht erforderlich, dass eine versicherte Krankheit im Betrieb des Klägers aufgetreten sei. Vielmehr verstehe der durchschnittliche Versicherungsnehmer die Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz in den Bedingungen der Beklagten dahingehend, dass auf die jeweils aktuelle Fassung des Infektionsschutzgesetzes verwiesen werde; alles andere mache keinen Sinn. Jedenfalls ähnele SARS-CoV2 im Hinblick auf Symptome und Übertragungswege den unter § 25 Nr. 4 BS 2008 erwähnten Influenzaviren. Der Kläger beruft sich auf die Unwirksamkeit der den Versicherungsschutz einschränkenden Klauseln. Ausschlüsse vom Versicherungsschutz müssten ausdrücklich vereinbart sein; das sei in Bezug auf das Pandemierisiko nicht der Fall. Ein solches werde unter den Ausschlüssen im Versicherungsvertrag gerade nicht genannt. Ob die Untersagungsverfügung der Stadt Köln rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen sei, spiele für den Eintritt des Versicherungsfalles keine Rolle. Schließlich könne die Beklagte den Kläger auch nicht auf einen trotz der Untersagungsverfügung noch möglichen Außerhausverkauf oder auf eine Lieferung von vorbestellten Speisen und Getränken verweisen. Es liege eine vollständige Betriebsschließung vor.
21Der Kläger beantragt mit der am 18.06.2020 zugestellten Klage,
22die Beklagte zu verurteilen, an ihn 42.300,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen.
25Sie ist der Ansicht, nur die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen tabellarisch aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger könnten einen Versicherungsfall begründen. Im Übrigen fehle es an einer wirksamen behördlichen Anordnung. Die Allgemeinverfügung der Stadt Köln leide an inhaltlichen Mängeln, im Übrigen sei es auch keine konkrete Verfügung in Bezug auf den Kläger. Insofern liege auch keine betriebsbedingte Schließung des klägerischen Betriebes vor. Es liege nur eine Betriebseinschränkung, aber keine Betriebsschließung vor. Erforderlich sei insoweit eine vollständige Schließung des versicherten Betriebes. Ferner könne der Kläger keinen Anspruch auf Entschädigung geltend machen, da er Schadensersatz aufgrund des öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechtes beanspruchen könne. Insoweit habe der Kläger auch gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, indem er es unterlassen habe, Ansprüche gegen Dritte anzumelden und gegebenenfalls auch durchzusetzen.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe:
28Die Klage ist unbegründet.
29Dem Kläger steht kein Entschädigungsanspruch wegen der coronabedingten Betriebsschließung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Betriebsschließungsversicherungsvertrag zu.
30Die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen sehen einen Deckungsschutz nur bei Betriebsschließungen aufgrund der unter § 25 Nr. 4 BS 2008 im Einzelnen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger vor. Covid 19/SARS-Cov-2 sind dort nicht mitaufgeführt. Covid 19/SARS-Cov-2 waren zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages noch nicht bekannt.
31Die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen sind klar und eindeutig gefasst. Sie halten auch einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle stand.
32Allgemeine Versicherungsbedingungen sind – wie allgemein anerkannt (vgl. Armbrüster, in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 258 ff. m.w.N.) – aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auszulegen. Maßgeblich ist die Verständnismöglichkeit eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und verständig – unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs – würdigt. Maßgeblich ist in erster Linie der Klauselwortlaut. Vom Versicherer verfolgte Zwecke sind nur insoweit maßgeblich, sofern sie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen Ausdruck gefunden haben, so dass sie dem aufmerksamen und verständigen Versicherungsnehmer erkennbar sind oder ihm zumindest Anlass zu einer Nachfrage geben. Risikoausschlüsse dürfen dabei nicht weiter ausgelegt werden, als ihr Zweck es erfordert. Der Versicherungsnehmer muss nicht mit Deckungslücken rechnen, die ihm die Klausel nicht hinreichend verdeutlicht. Auf die – dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer in der Regel unbekannte – Entstehungsgeschichte der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und auf den Vergleich mit anderen – dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer in der Regel ebenfalls unbekannten – Bedingungswerken kommt es nicht an. Maßgeblich sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
33Legt man diese Auslegungsgrundsätze zugrunde, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dass Betriebsschließungen aufgrund von Covid 19/SARS-Cov-2 bei dem vorliegenden Vertragswerk nicht in der Deckung sind.
34Die Fassung des Leistungsversprechens in § 25 Nr. 1 in Verbindung mit § 25 Nr. 4 BS 2008 ist eindeutig: Die Versicherungsbedingungen versprechen eine Entschädigungsleistung nur für den Fall, dass eine der in den Versicherungsbedingungen namentlich aufgeführten Krankheiten oder Krankheitserregern, zu denen Covid 19/SARS-CoV-2 nicht gehören, der Betriebsschließung zugrunde liegen. Der Zusatz, dass es sich um in §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannte Krankheiten handelt, ändert hieran nichts. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat keinen Anlass anzunehmen, eine Entschädigungspflicht entstehe auch, wenn nach Abschluss des Versicherungsvertrages weitere Krankheiten oder Krankheitserreger im IfSG (oder in einer aufgrund des IfSG ergangenen Rechtsverordnung) namentlich genannt werden. Einen Verweis auf die Rechtsgrundlage, auch für nicht in §§ 6 und 7 IfSG mit Namen („namentlich“) genannte Krankheiten und Krankheitserreger eine Meldepflicht zu statuieren (§§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG), enthält die Klausel gerade nicht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird die sprachlich eindeutige Aufzählung vielmehr als abschließend ansehen und auch nicht auf den Gedanken kommen, die Aufzählung unter § 25 Nr. 4 BS 2008 beinhalte nur eine nachrichtliche Mitteilung, welche Krankheiten und Krankheitserreger zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages in §§ 6, 7 IfSG namentlich aufgelistet sind. Der Wortlaut der Klausel lässt das nicht erkennen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird vom Regelfall ausgehen und im Regelfall beinhalten Versicherungsbedingungen Regelungen und keine bloßen Mitteilungen ohne Regelungscharakter. Auch der durchschnittliche Versicherungsnehmer weiß, dass der Versicherer grundsätzlich bestrebt ist, keine Deckung für Fälle zu versprechen, die er nicht kennt, wie etwa vorliegend das Auftreten neuer Krankheiten und Krankheitserreger, die dann unter das IfSG fallen können nach §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG.
35Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat auch keine Veranlassung, aus dem Deckungsausschluss in § 25 Nr. 5 c) cc) BS 2008 betreffend Prionenerkrankungen zu schließen, entgegen dem klaren Wortlaut unter § 25 Nr. 4 BS 2008 handele es sich doch nicht um eine abschließende Regelung. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat nicht nur auf juristischem Gebiet keine Spezialkenntnisse sondern auch nicht auf medizinischem Gebiet. Er weiß nicht, dass und ob die Krankheiten und Krankheitserreger, die in § 25 Nr. 4 BS 2008 aufgelistet sind, nie in einem Zusammenhang mit Prionenerkrankungen stehen. Er wird den Deckungsausschluss vielmehr dahingehend verstehen, dass der Versicherer kein Leistungsversprechen in den Fällen abgibt, in denen die in § 25 Nr. 4 BS 2008 aufgezählten Krankheiten aufgrund (neuerer) medizinischer Erkenntnisse ihren Grund in einer sogenannten Prionenerkrankung haben. Ob juristisch besonders qualifizierte Personen Bedenken wegen des Umfangs des Deckungsschutzes entwickeln, ist für die Auslegung nicht maßgeblich.
36Es handelt sich bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 25 Nr. 4 BS 2008 auch nicht um eine Deckungseinschränkung, sondern um eine primäre Beschreibung des Leistungsversprechens. Weder der Versicherungsschein, der ausdrücklich auf die entsprechenden Bedingungen Bezug nimmt, noch die Bedingungen selbst stellen den Satz auf, dass grundsätzlich Deckungsschutz für alle Betriebsschließungen aufgrund des IfSG gewährt wird, denn § 25 Nr. 1 BS 2008 nimmt durch den Klammerzusatz „siehe Nr. 4“ wiederum ausdrücklich Bezug auf die Aufzählung in § 25 Nr. 4 BS 2008. Selbst wenn man § 25 Nr. 4 BS 2008 als Deckungseinschränkung auffassen wollte, nähme dies der Regelung nicht ihre Eindeutigkeit.
37Da die Klauseln in § 25 Nr. 1 und 4 BS 2008 eindeutig sind, ist auch für die Anwendung der AGB-rechtlichen Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) ebenso wenig Raum wie für die Annahme eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB).
38Die Klausel stellt in Bezug auf die Formulierung ihres abschließenden Charakters auch keine unangemessene Benachteiligung i.S. des § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB dar. Es ist bereits fraglich, ob eine Inhaltskontrolle nach der vorbezeichneten Vorschrift überhaupt zulässig ist, denn primäre Leistungsbeschreibungen sind grundsätzlich nicht auf ihre Angemessenheit AGB-rechtlich überprüfbar (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 307 Rn. 44 ff.). Aber selbst wenn man von der Zulässigkeit der Inhaltskontrolle ausgeht, bestehen insoweit keine Bedenken. Kein Versicherungsnehmer kann davon ausgehen, dass grundsätzlich alle Risiken auf einem bestimmten Gebiet in der Deckung sind, sofern sich dies nicht aus den Versicherungsbedingungen ergibt. Gegen eine solche Erwartung spricht auch der Umstand, dass der Versicherungsnehmer auf ein umfangreiches Bedingungswerk hingewiesen wird, das in dieser Ausführlichkeit nicht erforderlich wäre, wenn alles und jedes in der Deckung wäre. Der Vertragszweck des vorliegenden Betriebsschließungsvertrages besteht darin, Deckungsschutz zu gewähren bei Betriebsschließungen aus Anlass des Auftretens der im Einzelnen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger. Die Erreichung dieses Vertragszwecks wird durch die Beschränkung der Einstandspflicht auf Betriebsschließungen aufgrund von Krankheiten oder Krankheitserregern, die im Einzelnen benannt werden, in keiner Weise gefährdet. Den Gerichten ist es über § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht gestattet, das Leistungsversprechen über den eindeutigen Wortlaut und Sinn hinaus auszudehnen, weil sie der Ansicht sind, eine andere – aber eben nicht vereinbarte – Regelung, die umfassender Deckungsschutz gewähren würde, sei angemessener.
39Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.
40Streitwert: 42.300,00 EUR
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Referenzen
- BGB § 307 Inhaltskontrolle 2x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- IfSG § 7 Meldepflichtige Nachweise von Krankheitserregern 5x
- BGB § 305c Überraschende und mehrdeutige Klauseln 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- IfSG § 6 Meldepflichtige Krankheiten 5x
- ZPO § 2 Bedeutung des Wertes 1x