Beschluss vom Landgericht Magdeburg (9. Zivilkammer) - 9 O 781/12 (195), 9 O781/12
Tenor
Den Antragsgegnern wird untersagt,
a) in Bezug auf den Antragsteller zu äußern oder äußern zu lassen, „dass er schwangeren Frauen in den Bauch tritt“,
b) den Antragsteller als „asozialen Versager“ zu bezeichnen.
Wegen einer jeden Zuwiderhandlung wird ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von € 250.000,- und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht.
Die Antragsgegner haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
Streitwert: € 5.000,01.
Gründe
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I. Der Antragsteller ist MdL Sachsen-Anhalt und parl.Geschäftsführer der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Unter http://www.npd-sachsen-anhalt.de/ bzw. http://www.npd-sachsen-anhalt.de/index.php/aktuelles/245-offener-brief-an-den-gruenen-politiker-sebastian-striegel-zum-thema-insel ist folgender Text publiziert (glaubhaft gemacht und zudem durch den Kammervorsitzenden eingesehen):
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„Offener Brief an den Grünen-Politiker Sebastian S zum Thema "I"
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Details
Veröffentlicht am Montag, 04. Juni 2012 18:49
Herr
Sebastian S
Fraktion „Bündnis ´90 / Die Grünen“ im Landtag von Sachsen-Anhalt
D 6 – 9
_____ M
M, am 4. Juni 2012
O F F E N E R B R I E F
Sehr geehrter Herr S,
ich möchte und muss mich bei Ihnen entschuldigen! Vor dem 20. März 2011 habe ich Sie stets für einen asozialen Versager, nach diesem Datum dann allerdings für einen asozialen Versager mit hohem durch den Steuerzahler finanzierten Monatseinkommen gehalten. Heute, kurz nach Ihren aktuellen Einlassungen zu den Vorgängen im Altmarkort I, muss ich meine Meinung revidieren und möchte mich bei Ihnen..., ach so, das hatten wir ja schon. Mein Bild von Ihnen war bislang das eines linken Krawallmachers der versucht, seine politische Unfähigkeit dadurch zu kaschieren, dass er schwangeren Frauen in den Bauch tritt. Auch wenn es schon ein paar Jahre her ist, erinnern Sie sich zweifellos an diesen Vorfall am Rande einer Demonstration in H/S. Um so mehr habe ich mich über Ihre Entscheidung gefreut, sich endlich einmal um ein wirklich drängendes Problem in unserem gemeinsamen Bundesland Sachsen-Anhalt zu kümmern, nämlich um die beiden perversen Frauenschänder, welche es gewissermaßen durch zufällig-historische Zusammenhänge in die Altmark verschlagen hat. Ihrem Aufruf an unseren Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, sich endlich persönlich in die Angelegenheit einzuschalten, kann man nur zustimmen.
Bedauerlicherweise ist vom derzeitigen sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten nicht mehr zu erwarten als die bereits bekannten Lippenbekenntnisse, welche inzwischen in Drohungen gegen die Ier „Normalbevölkerung“ münden. Genauso wie ich wissen doch auch Sie um die völlige Politikunfähigkeit dieses ehemaligen Verwalters der Arbeitslosenzahlen. Herr Haseloff hat hier - wie für alles andere auch - keine Lösungen anzubieten. Somit wäre es doch nun eigentlich für Sie an an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Als guter Mensch mit noch besserem Einkommen und einem nicht zu unterschätzenden politischen Einfluss haben Sie es doch im Grunde genommen gar nicht nötig, sich hinter dem Ministerpräsidenten oder anderen sachsen-anhaltischen Politversagern zu verstecken. Sie könnten das Ier Problem - und zwar das der alteingesessenen Bevölkerung wie auch das der beiden zugezogenen Serienvergewaltiger - doch ganz einfach selber lösen. Nehmen Sie diese beiden bedauernswerten und verfolgten Menschen doch bei sich zu Hause auf. Ich verspreche Ihnen, damit würden Sie ein unmissverständliches Zeichen dafür setzten, Toleranz nicht nur zu „predigen“, sondern auch zu leben.
Stellen Sie sich doch einfach mal vor, wie Sie sich von der ganzen Politbande abheben würden, die den Ier Bürgerinnen und Bürgern seit nunmehr rund einem Jahr das sprichwörtliche Blaue vom Himmel herunter versprochen hat, ohne auch nur ein einziges Mal Wort zu halten! Zumindest in I wäre Ihr Landtagsverbleib für 2016 gesichert, und vielleicht würden Sie bei der nächsten Wahl sogar besser abschneiden als die NPD. Ich würde mich an Ihrer Stelle jedenfalls nicht auf den nächsten Tsunami verlassen, der in irgendeinem Atomkraftwerk einen Supergau auslöst. Und für eine solche Erfolgsaussicht würde ich jede persönliche und/oder räumliche Einschränkung - selbst im privatesten Bereich - in Kauf nehmen. Sie etwa nicht? Außerdem ist ja auch nicht ausgeschlossen, dass Ihnen das Zusammenleben mit den beiden Sexualstraftätern gefällt. Gleichzeitig wäre dafür gesorgt, dass Sie den Kontakt mit Ihren Wählern - also den einfachen Menschen - nicht verlieren. Ersatzweise könnten Sie ja auch bei der Ihnen politisch ja nun wirklich sehr nahe stehenden grünen Landesregierung in Baden-Württemberg vorstellig werden, und um die Rücknahme der beiden von dort stammenden Problemverursacher bitten.
Mit freundlichen Grüßen
Michael G
Pressesprecher des NPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt“
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Der Antragsteller hat eidesstattlich versichert, zu keinem Zeitpunkt Gewalttätigkeiten gegen Schwangere verübt zu haben.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Verfügung aufzugeben, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, sich in Bezug auf den Antragsteller zu äußern oder äußern zu lassen:
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a)“..., dass er schwangeren Frauen in den Bauch tritt“,
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b) den Antragsteller als „asozialen Versager“ zu bezeichnen.
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II. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht. Es hat seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen und der persönlichen Ehre (Art. 5 II GG). Nach der Wechselwirkungstheorie des BVerfG ist das allgemeine Gesetz aber im Lichte der überragenden Bedeutung der ungehinderten Meinungsfreiheit auszulegen und in einer die Bedeutung des Grundrechts wahrenden Wirkung zu begrenzen. Der Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung ist nur dann und insoweit gerechtfertigt, als er zum Schutz mindestens gleichwertiger Rechtsgüter geboten ist.
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Bei verbalen Eingriffen in ein absolut geschütztes Recht ist zu unterscheiden zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungskundgaben. Eine Tatsachenbehauptung liegt vor, wenn der Inhalt der Äußerung einer objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offen steht. Sie kann richtig oder falsch sein. Demgegenüber liegt bei Meinungskundgaben nur eine Stellungnahme zu Tatsachen oder zu einer gewissen Situation vor. Allerdings können Äußerungen zugleich Tatsachenbehauptung und Wertung sein.
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Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährt das Recht auf freie Rede, ohne zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil zu unterscheiden. Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann. Mit seiner Meinungsäußerung verfolgt er das Ziel, geistige Wirkung auf die Umwelt auszuüben, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Deshalb sind Werturteile, welche eine geistige Wirkung erzielen, nämlich andere überzeugen wollen, generell durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt. Es ist dabei unerheblich, ob die Äußerungen „wertvoll“ oder „wertlos“, „richtig“ oder „falsch“, emotional oder rational begründet ist.
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Allerdings gilt dies nicht grenzenlos. Wenn der Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung nur insoweit gerechtfertigt ist, als er zum Schutz mindestens gleichwertiger Rechtsgüter geboten ist, dann bedeutet dies, dass eine Güterabwägung zu erfolgen hat. Der sich Äußernde ist außerdem nur dann schutzwürdig, wenn er mit seiner Äußerung meinungsbildend und überzeugend wirken will. Ergibt sich aus der Form der Äußerung und den Umständen, dass er nur schmähen will, ist kein sachlicher Bezug zu dem vertretenden Standpunkt erkennbar, dann ist die Äußerung kein adäquates Mittel des Meinungskampfes mehr. Das ist ein Missbrauch, der von Art. 5 Abs. 1 GG nicht umfasst wird.
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Weitere Einschränkungen gelten bei Tatsachenbehauptungen. Niemandem kann ein objektiv gerechtfertigtes Interesse an der Verbreitung von erwiesen oder bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen zuerkannt werden. Indessen überlagert der Begriff der Meinung i. S. des Art. 5 Abs. 1 GG zum Teil den Begriff der Tatsachenbehauptung. Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Das gilt auch dann, wenn sich diese Elemente - wie häufig - mit Elementen der Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt (OLG Karlsruhe NJW 1989, 1360 f.)
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Wird ein ehrverletzender Beitrag in ein Forum eingestellt, ist der Betreiber als Störer i.S. von § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB zur Unterlassung verpflichtet. Ebenso wie der Verleger die Quelle einer von einem Presseerzeugnis ausgehenden Störung beherrscht und deshalb grundsätzlich neben dem Autor eines beanstandeten Artikels verantwortlich ist, kann beim Fernsehen das Sendeunternehmen als „Herr der Sendung“ zur Unterlassung verpflichtet sein. Diese Grundsätze gelten auch für den Betreiber eines Internetforums, der insoweit „Herr des Angebots“ ist. Der gegen ihn gerichtete Unterlassungsanspruch des Verletzten besteht in gleicher Weise unabhängig von dessen Ansprüchen gegen den Autor eines dort eingestellten Beitrags (BGH GRUR 2007, 724, 726).
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III. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat Erfolg.
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Der Antragsteller hat gegen die Antragsgegner Anspruch auf Unterlassung der im Tenor genannten Äußerungen gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG, § 823 Abs. 2, 1004 BGB i.V.m. §§ 185ff. StGB.
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Die Behauptung, der Antragsteller trete schwangeren Frauen in den Bauch, ist zu unterlassen. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die Tatsachenbehauptung falsch ist.
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Auch die Bezeichnung des Antragstellers als asozialer Versager ist zu unterlassen. Sie ist lediglich auf persönliche Schmähung angelegt, auf Diffamierung der Person, was die Schwelle des Missbrauchs der Meinungsfreiheit überschreitet.
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Der Antragsgegner zu 1. ist als Verfasser passivlegitimiert, die Antragsgegnerin zu 2. als Betreiberin ihrer Internetpräsenz.
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Die Kammer bejaht für beide Äußerungen Wiederholungsgefahr, zumal sie bei Einsichtnahme durch den Kammervorsitzenden sogar noch im Internet veröffentlicht waren. Eine Unterlassungserklärung haben die Antragsgegner auch nicht abgegeben.
IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO.
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