Urteil vom Landgericht Magdeburg (11. Zivilkammer) - 11 O 379/13

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.415, 94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 16.11.2012 und weiteren 272, 87 € zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Im Übrigen ist es vorläufig vollstreckbar.

Zugleich wird beschlossen: Der Streitwert wird auf 5.151 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin, Versicherungsnehmerin der Beklagten, unterhält bei dieser eine private Krankenversicherung (VersNr. KV 266...). Vereinbart sind der Tarif BSK und die Musterbedingungen 2009 -MB/KK 2009 - des Verbandes der privaten Krankenversicherung.

2

In § 3.2 der Bedingungen ist u.a. vereinbart.

3

Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht....

4

In § 6.4. der Bedingungen ist u.a. folgendes vereinbart:

5

….

6

„Der Versicherer leistet im vertraglichen Umfang für Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso erfolgversprechend bewährt haben oder angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung schulmedizinischer Methoden und Arzneimittel angefallen wäre“

7

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vereinbarten Bedingungen Bezug genommen.

8

Die Klägerin ist an einem metastasierenden Nierenzellenkarzinom erkrankt. Die Metastasenbildung erstreckt sich auf Leber, Lunge und Lymphknoten.

9

Die Klägerin wurde ab März 2012 zunächst mit einem chemotherapeutischen Verfahren (Medikamentierung mit Sunitinib) und im weiteren Verlauf des Jahres mit Bestrahlungen (Brachytherapie) mit einer Energiedosis von 15 Gray (gy) behandelt, sah sich aber außerstande die Chemotherapie aufgrund der toxischen Nebenwirkungen des eingesetzten Medikaments (Anlage BLD 15, Bl. 159 d.A.) fortzuführen. Der Gesamtzustand der Patientin hatte sich im Verlaufe der Therapie aufgrund einer rapiden Gewichtsabnahme insgesamt verschlechtert. Ärztlicherseits wurden Bedenken im Hinblick auf weitere, auf längere Sicht unabsehbare Risiken, wegen der auftretenden Strahlenbelastung geäußert (Anlage K 2, Blatt 15 f d.A. ), weshalb sie in der Zeit vom 12.9.2012 bis zum 20.11.2012 und dann wieder ab 4.2.2013 auch eine Hyperthermiebehandlung aufnahm. Bei den angewandten Verfahren werden die Tumorzellen auf 42 ° erwärmt, um auf diese Art und Weise eine Zerstörung bzw. Beschädigung der Tumorzellen zu erreichen. Die jeweilige Behandlungsdauer variiert je nach angewandter Methode zwischen 1 und 3 Stunden. Die Aufwendungen wurden zunächst von der Beklagten auch erstattet, dann aber verweigert.

10

Am 29.6.2012 ließ die Klägerin im Transfusionsmedizinischen Zentrum in B einen Befundbericht über ihre zirkulierenden Tumorzellen erstellen. Dieser Befundbericht dient dem Zweck, einen Basiswert festzustellen, der Arzt und Patient die Möglichkeit eröffnet zu kontrollieren, wie sich die Zahl der tumorverdächtigen Zellen im weiteren Therapieverlauf verändert (sog. Maintracbefund). Festgestellt wurde eine mäßig erhöhte Anzahl von im Blut zirkulierenden, vitalen tumorverdächtiger Zellen, die sich im beginnenden Zelltodstadium befanden. Ferner wurden spezifische Zellfragmente festgestellt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 10 Bezug genommen.

11

Nach durchgeführter Brachytherapie ließ die Klägerin den Verlauf der Therapie am 11.2.2013 im Universitätsklinikum M – Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin - untersuchen. Die Klinik kam zu folgender Beurteilung:

12

1. Bei Z.n. Nierenzellkarzinom kein Hinweis auf ein Lokalrezidiv

13

2. Vollständige Remission der mittels Brachytherapie behandelten Metastasen im linken Leberlappen und retroperitoneal

14

3. Die mittels Brachytherapie behandelte Metastase pulmonial im LOL ist bildmorphologisch deutlich größenregredient, zeigen aber noch eine leichtgradige Nuklidanreicherung, Vorrangig ist von einer Remission der abladierten Metastase auszugehen, eine residuelle Tumoraktivität kann aber nicht ausgeschlossen werden.

15

4. Progrediente glukosepyermetabole Metastasen im rechten Ober- und Mittellappen

16

5. Regrediente Glukosestoffwechselsteigerung am Jejunum ventral der paraaortalen Ablationszone ohne morphologisches Korrelat, DD reaktiv post Brachytherapie

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6. Keine neu auftretenden metastasensuspekten Glukosestoffwechselsteigerungen in den untersuchten Körperabschnitten.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 12 Bezug genommen.

19

Am 8.3.2013 erstellte das Transfusionsmedizinische Zentrum B der Klägerin einen erneuten Zellstatus und stellte folgendes fest:

20

„Das eingesandte Zellmaterial war gut beurteilbar. Es fand sich jetzt nur noch eine ganz gering erhöhte Anzahl im Blut zirkulierender, vitaler tumorverdächtiger Zellen, die sich im Vergleich zum Vorbefund vom Juni 2012 auf ein 15-tel reduziert hat. Daneben waren viele spezifische Zellfragmente nachweisbar ….

21

„Ein Rückgang der Zellzahl unter Therapie korreliert mit Therapie-Ansprechen. Jedoch können wir einen derartigen Abfall auch manchmal vor dem Auftreten von neuen Metastasen beobachten....“

22

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 11 Bezug genommen.

23

Mit Schriftwechsel vom 25.3.2013 und 26.3.2013 vereinbarten die Parteien im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ( LG M, 11 O 380/13), dass die Beklagte auf die gelegten Rechnungen 2.500 € unter dem Vorbehalt der Rückforderung bezahlt, wobei der Rückforderungsfall vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängig gemacht wurde. Ferner sagte die Beklagte unter dem Vorbehalt der Rückforderung einen Betrag in Höhe von 1.750 € auf weitere Rechnungen zu.

24

Die Klägerin ist der Auffassung, die Behandlungen seien medizinisch vertretbar und auch erforderlich gewesen und verlangt mit der Klage die Erstattung folgender noch offener Rechnungsbeträge, die von der Beklagten nicht bezahlt worden seien, wobei sie nur einen Teilbetrag in Höhe von 95,19 € nicht mehr geltend macht ( SS 19.6.2013, Blatt 132 d.A.) :

25

14.9.2012:  330,50 €
21.9.2012:  290,28 €
28.9.2012:  290,28 €
05.10.2012: 713,39 €
12.10.2012 318,43 €
16.11.2012 394,96 €
23.11.2012 173,29 €

26

Wegen der Einzelheiten wird auf die Rechnungen Bezug genommen. Ferner verlangt sie auch die Feststellung künftiger Leistungen.

27

Die Klägerin beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen an sie 2.415,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2012 zu bezahlen,

29

ferner, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiteren künftig entstehenden Kosten für die Hyperthermiebehandlungen der Klägerin im vertraglichen Umfang zu erstatten.

30

Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

32

Sie wendet zunächst ein, wie vereinbart an die Klägerin auf die geltend gemachten Forderungen einen Betrag in Höhe von 2.500 € unter Vorbehalt der Rückzahlung geleistet zu haben, weshalb es rechtlich nur noch um die Frage des Vorbehalts gehe.

33

Die Feststellungsklage hält sie wegen ihrer unbestimmten Weite bereits für unzulässig, weil die Klägerin keinen Heil- und Kostenplan vorgelegt habe. Dieser sei erforderlich, weil die Klägerin zukünftige Leistungen begehre, weshalb der zukünftige Behandlungsbedarf, der ärztlicherseits für notwendig erachtet werde, festgestellt werden müsse.

34

Die Voraussetzungen der vereinbarten Versicherungsbedingungen lägen im Übrigen nicht vor. Danach sei nur die „medizinisch notwendige Heilbehandlung“ erstattungsfähig. Die von der Klägerin in Anspruch genommenen Behandlungen seien medizinisch nicht notwendig, weil es sich bereits um keine geeignete Behandlungsmethode handele. In der Sache selbst anerkennt sie zwar die vorgelegten Befunde, bestreitet aber, dass die Befundverbesserung in einem ursächlichen Zusammenhang mit der durchgeführten Hyperthermiebehandlung stehe. Die Behandlung sei wissenschaftlich weder anerkannt, noch gebe es einen „medizinischen Ansatz der die Wirkungsweise der vorliegenden Methode erklären könne“ (SS 6.4.2013, Blatt 56 d.A.). Unter Bezugnahme auf eine ärztliche Stellungnahme der Abteilung für medizinische Beratung der Beklagten trägt sie im Einzelnen vor, es fehle an einer zielgerichteten Erwärmung der betroffenen Organbereiche, an einer genauen Therapieplanung und an einer Temperaturmessung im Zielbereich. Es sei irreführend, die Elektrohyperthermie als Verfahren der onkologischen Hyperthermie darzustellen. Hierzu gebe es keine ausreichenden klinischen Studien. Sinnvoll seien hyperthermische Verfahren nur als ergänzende Verfahren, die in einem engen zeitlichen und konzeptionellen Zusammenhang mit einer zytotoxischen Behandlung vorgenommen werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage BLD 15 (Blatt 129, 130 d.A.) Bezug genommen. Im Übrigen sei die Komplexität und Unwägbarkeit der Abläufe im menschlichen Körper zu berücksichtigen, weshalb auch eingetretene Behandlungserfolge nicht immer einer Behandlungsmethode zugeordnet werden können. Es entspreche deshalb einhelliger Meinung, dass der Behandlungserfolg bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlungsmaßnahme außer Betracht zu bleiben habe. Die medizinische Notwendigkeit sei deshalb von einem „ex ante“ Standpunkt zu beurteilen.

35

Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 28.6.2013 erweiterte die Klägerin ihre Klage um weitere 3.301,29 € für Rechnungen aus dem Zeitraum 15.2.2013 – 17.05.2013.

Entscheidungsgründe

I.

36

Die Klage ist teilweise begründet.

37

a) Die Klägerin hat aus dem Versicherungsvertrag Anspruch auf Bezahlung der noch offenen Rechnungsbeträge der Rechnungen vom

38

14.9.2012:  330,50 €
21.9.2012:  290,28 €
28.9.2012:  290,28 €
05.10.2012: 713,39 €
12.10.2012 318,43 €
16.11.2012 394,96 €
23.11.2012 173,29 €

39

abzüglich des nicht mehr geltend gemachten Betrages von 95, 19 €, mithin in Höhe von 2.415,94 €, weil die Beklagte die geltend gemachten Aufwendungen zu erstatten hat.

40

b) Der vereinbarte Versicherungsfall, nämlich die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen einer Krankheit ( § 3 .2. der Bedingungen ), liegt vor. Die Diagnose die der Klägerin erstellt wurde, zählt nicht nur zu den schulmedizinisch anerkannten Krankheiten die eine Heilbehandlung notwendig werden lassen, sondern ist darüber hinaus auch als lebensbedrohende Erkrankung anerkannt. Das stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.

41

c)Steht der Eintritt des Versicherungsfalles fest, hat die Beklagte den nach § 6 .4. vereinbarten Leistungsumfang zu erbringen. Die von der Beklagten thematisierte Frage einer wissenschaftlich anerkannten „medizinischen Notwendigkeit“ ist insoweit falsch gestellt. Sie ist nicht beim geschuldeten Leistungsumfang zu prüfen, sondern gehört sachlich zu den Diagnosevoraussetzungen bei der Feststellung des Versicherungsfalles, mithin der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung (näher hierzu BGH VersR 1996, 1224, bei juris Rn 16). Die Frage der medizinischen Notwendigkeit bedarf bei der Bestimmung des Leistungsumfangs im Hinblick auf eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmaßnahme im Übrigen keiner Erörterung. Denn eine Klausel, die den geschuldeten Leistungsumfang der Beklagten auf eine wissenschaftlich anerkannte, mithin schulmedizinisch anerkannte Behandlungsmaßnahme beschränkt, haben die Parteien weder vereinbart, noch wäre sie überhaupt vereinbarungsfähig. Die sog. Wissenschaftlichkeitsklausel, die aus dem geschuldeten Leistungsumfang wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden aus der privaten Krankenversicherung herausgenommen hat, hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits im Jahre 1993 für unwirksam erklärt (BGH vom 23.6.1993, IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 = VersR 1993, 957). Dass die von der Klägerin zur Abrechnung gestellten Hyperthermiebehandlungen in der Schulmedizin überwiegend nicht anerkannt sind, legt die Kammer im Übrigen als offenkundige Tatsache nach § 291 ZPO zugrunde. Diese fehlende schulmedizinische Anerkennung beruht im Wesentlichen aber nicht darauf, dass den jeweiligen Behandlungsmethoden der Hyperthermie von vornherein jegliche medizinische Wirksamkeit abzusprechen wäre, sondern beruht – wie auch die Beklagte jedenfalls in ihrer beigezogenen ärztlichen Stellungnahme im Kern ausgeführt hat - darauf, dass die wissenschaftlichen Anforderungen an die schulmedizinische Erkenntnislage hinreichend randomisierte Vergleichsstudien mit entsprechend ausreichender Probandenzahl voraussetzen, aber für das Gebiet der Hyperthermiebehandlung augenscheinlich bislang nicht verfügbar sind (vgl. hierzu den Zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses ärztliche Behandlung des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bewertung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V der Hyperthermie vom 15.6.2005, unter 6.8., veröffentlicht unter http://www.g-ba.de/downloads/40-268-236/2005-06-15-BUB-Hyperthermie.pdf ). Jüngere Erkenntnisse sind der Kammer bislang jedenfalls nicht bekannt.

42

d) Einer weitergehenden sachverständigen Klärung bedarf die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der von der Klägerin in Anspruch genommenen Behandlungsmethoden deshalb ebenso wenig, wie die weitere Frage, ob die zur Abrechnung gestellte Methode sich in der Praxis als erfolgversprechend bewährt hat. Denn die Beklagte ist nach dem vereinbarten Satz 2 des § 6. 4 der Bedingungen auch für alternative Behandlungsmaßnahmen leistungspflichtig; nämlich bereits dann, wenn die Methode in der Praxis nur angewandt wird und keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen. Das ist durch die Konjunktion „oder“ in Satz 2 des § 6.4. zweifelsfrei klargestellt.

43

aa) Allerdings setzt der Anspruch der Klägerin voraus, dass keine schulmedizinische Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen.

44

Diese Voraussetzung liegt in diesem Fall vor.

45

Denn dass die Behandlung mit Sunitinib, ein Chemotherapeutikum das zur Behandlung von Nierenzellkarzinomen jedenfalls bei Erwachsenen zugelassen ist, aufgrund der toxischen Wirkungen eingestellt werden musste, hat die Beklagte selbst vorgetragen. Das ergibt sich aus der als Anlage BLD 15 vorgelegten Stellungnahme der Abteilung für medizinische Beratung der Beklagten (Blatt 129 d.A.). Dass die Brachytherapie wegen der Besorgnis nicht vorhersehbarer Nebenwirkungen unterbrochen wurde, war ebenfalls unstreitig und ist für die Kammer auch objektiv nachvollziehbar. Denn das Nebenwirkungspotential einer Brachytherapie hängt sowohl von dem behandelten Tumor, dem Zustand der Klägerin, die unstreitig aufgrund des Gewichtsverlustes bereits geschwächt gewesen ist, als auch der erforderlichen Bestrahlungsintensität ab, die hier mit 15 Gray bereits hochdosiert gewesen ist. Nachvollziehbare Erwägungen, die es rechtfertigen eine ersichtlich auf Vorsicht beruhende ärztliche Aufklärung zu beanstanden, noch überhaupt Erwägungen, die es angesichts der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung rechtfertigen könnten, in das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient einzugreifen, hat die Beklagte weder dargelegt, noch sonst überhaupt eine verträgliche schulmedizinische Behandlungsalternative aufgezeigt, die es der Klägerin unter Berücksichtigung ihres Gesamtzustandes ermöglicht hätten, zum damaligen Zeitpunkt in ärztlich vertretbarer Weise eine schulmedizinische Behandlung bedenkenfrei fortzuführen.

46

bb) Die weiteren Einwände der Beklagten, mit denen sie -anwaltlich vertreten- einen fehlenden medizinischen Ansatz verneint, der die Wirkungsweise der Hyperthermiebehandlung erklären könne und den Ursächlichkeitsnachweis des eingetretenen Behandlungserfolges bekämpft, greifen ebenfalls nicht durch.

47

Gerade im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ist es in der Rechtsprechung des BVerfG als auch in der Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf das Lebensschutzgebot des Art 2 Abs. 2 GG zunächst seit langem anerkannt, dass der Lebensschutz zwar keinen Anspruch auf eine bestimmte oder spezielle Gesundheitsleistung gewährleistet (etwa BVerfGE 77, 170, 215). Gleichwohl verlangt die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates sich vor den Lebensschutz zu stellen, dass eine ärztliche Heilbehandlung bereits dann als solche anzuerkennen ist, wenn diese nur eine spürbare positive Entwicklung auf den Krankheitsverlauf nimmt. Das gilt auch für alternative Behandlungsmaßnahmen (BGH VersR 1996, 1224, bei juris Rn 20; BVerfG vom 6.12.2005, 1 BvR 347/98 = BVerfG 115, 25 ff, sog. „Nikolausbeschluss“). Da jeglicher Behandlungsmethode, solange sie von der Schulmedizin noch nicht allgemein anerkannt worden ist, in gewisser Weise nur Versuchscharakter beikommt, fällt unter den Begriff der ärztlichen Heilbehandlung demzufolge nicht nur die Heilung im engeren Sinne, sondern jede medizinisch begründbare ärztliche Leistung, die von ihrer Art her darauf gerichtet ist, Besserung oder Linderung der Krankheit zu erreichen. Gleichgestellt mit diesem Ziel ist ferner das ärztliche Bemühen eine Verschlimmerung einer Erkrankung zu vermeiden (vgl. hierzu BGH VersR 1996, 1224, bei juris Rn 12 und Rn 20).

48

e) Die Frage der medizinischen Begründbarkeit der in Rede stehenden Hyperthermiebehandlungen lässt sich nicht verneinen, weil es nicht widerlegbar ist, dass die Behandlungen zumindest geeignet gewesen sind, der Klägerin Besserung zu verschaffen. Mehr muss bei einer Maßnahme mit Versuchscharakter nicht bewiesen werden.

49

aa) Denn das wissenschaftliche Prinzip des „trial and error“ verlangt bei Maßnahmen mit Versuchscharakter nicht, dass bereits eine positive Vorhersage erwiesen ist, sondern, dass eine angenommene positive Vorhersage aufgrund des Ergebnisses des Versuchs eliminiert, d.h. falsifiziert wird (vgl. etwa bei Karl Popper, Wissenschaftslehre in entwicklungstheoretischer und in logischer Sicht, 1972, in „Alles Leben ist Problemlösen“, Sonderausgabe 2003). Von etwas anderem geht die Beklagte selbst auch tatsächlich nicht aus, wenn sie geltend macht, dass für die Beurteilung der Wirksamkeit der Maßnahme im Hinblick auf einen Behandlungserfolg ein „ex ante“ Standpunkt, also die Beurteilung der Lage vor der Maßnahme, einzunehmen ist.

50

bb) Eine Falsifikation, also ein wissenschaftlicher Rückschluss auf die medizinische Unwirksamkeit der Maßnahme lässt sich von diesem Standpunkt aus nicht ziehen.

51

Zutreffend hat die Beklagte im Ergebnis zwar darauf hingewiesen, dass nicht unterschieden werden könne, ob die Besserung, also der Rückgang der tumorverdächtigen Zellen auf 1/15 des Vorbefundes aufgrund der schulmedizinischen oder der alternativen Behandlung eingetreten sei bzw. mehrere Behandlungen zusammengewirkt haben. Diese Erwägung beruht allerdings auf einem unzulässigen Perspektivenwechsel, weil es sich hierbei um die Betrachtung des Ergebnisses nach der Behandlung, also aus der „ex post“-Perspektive handelt und deshalb nur eine (begrenzte) Aussage über mögliche zukünftige Verläufe zulässt, nicht aber die medizinischen Beurteilungsgrundlagen zu Beginn der Maßnahme beeinflussen kann.

52

cc)Die medizinische Beurteilungsgrundlage zu Beginn der Maßnahme wird allerdings von der weiteren Erwägung der Beklagten berührt, es gäbe keinen „medizinischen Ansatz der die Wirkungsweise der vorliegenden Methode erklären könne“. Diese Behauptung der Beklagten ist unzutreffend. Sie beruht auf einer falschen Prämisse. Tatsächlich verhält es sich so, dass das Konzept der Hyperthermiebehandlung nicht nur in der Praxis angewendet wird, sondern auch Gegenstand einer umfassenden wissenschaftlichen Diskussion ist, die von dem experimentell geführten Beweis ausgeht, dass bei Temperaturen von 42,5 – 43 ° ein Zeitraum von etwa 40 – 60 Minuten zu einer Abtötung maligner Zellen führt, aber auch geringere Temperaturen Zellen zumindest schädigen können. Insoweit bedarf es dann einer Verlängerung der Temperatureinwirkung. Es gilt ebenso als gesichert, dass der menschliche Körper jedenfalls über kurze Zeiträume höhere Temperaturen vertragen kann, bei längerer Einwirkung aber auch relativ niedrige Temperaturen zu einer Zellschädigung führen können. Schließlich gilt im Wesentlichen auch als gesichert, dass keine Beziehung zwischen der Art der Induktion einer Hyperthermie und ihrer Wirksamkeit besteht. Auf die Methode als solche kommt es deshalb nicht zwingend an. Maßgeblich ist, ob eine Temperatur und ein Temperaturverlauf erreicht werden können, die geeignet sind, die Maßnahme als ärztliche Heilbehandlung zu qualifizieren. Diese Anknüpfungstatsachen sind nicht weiter beweisbedürftig, weil sie die Kammer gemäß § 291 ZPO ebenfalls als offenkundig zugrunde legen kann. Dem bereits erwähnten zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses ärztliche Behandlung des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bewertung gemäß § 135 Abs. 1 SGB V der Hyperthermie vom 15.6.2005 lassen sich auch diese Zusammenhänge entnehmen ( a.a.O unter 6.4 ).

53

dd) Die wissenschaftlichen Einzelfragen zu den jeweiligen Einsatzgebieten und der konkreten Art und Weise der Durchführung von Hyperthermiebehandlung, wozu die in der ärztlichen Stellungnahme der Beklagten angeführten Einzelheiten allerdings allesamt zählen und die in der Tat in vielfacher Hinsicht umstritten und Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung sind, bedürfen in diesem Zusammenhang keiner weiteren Erörterung, weil es, aus den angeführten vertragsrechtlichen Gründen, auf die schulmedizinische Anerkennung und Beurteilung der Methode gerade nicht ankommt. Die von der Beklagten herangezogene ältere Judikatur (BGH VersR 79,221; OLG K VersR 93,1514 und OLG Hamm VersR 72,777) kann deshalb auf sich beruhen. Denn diesen Entscheidungen haben die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht zugrunde gelegen.

54

Nach den vereinbarten Bedingungen genügt es, dass die Behandlungen der sich die Klägerin unterzogen hat, sich als alternative Behandlungsmaßnahme darstellen. Zwar sind die Maßnahmen – was unstrittig geblieben ist - nur mit einem Temperaturwert von 42 ° C ausgeführt worden. Die Behandlungsdauer haben aber überwiegend deutlich mehr als nur 40- 60 Minuten erreicht. Den Angaben der Klägerin die, wenn auch ohne hinreichende zeitliche Einordnung von 1 und 2 Stunden und sogar bis zu 3 Stunden berichtet hat, lässt sich insoweit kein offener Widerspruch zu den vorgelegten Rechnungen entnehmen ( Anlage K 1 ). Den Rechnungen vom 21.9.2012, 28.9.2012, 5.10.2012, 12.10.2012 liegen jeweils 1 Einheit Tiefenhyperthermie von jeweils 1 Stunde zugrunde, die aber nacheinander ausgeführt worden sind, mithin also 2 Stunden betragen haben. Der Rechnung vom 16.11.2012 liegen zwei Einheiten Halbtiefen-Hyperthermiebehandlungen zugrunde, der Rechnung vom 23.11.2012 liegt eine Einheit Tiefenhyperthermie zugrunde.

55

Damit liegen die durchgeführten Behandlungen, insgesamt betrachtet, innerhalb des Meinungsbildes, das sie zwar zur wissenschaftlichen Streitfrage erklärt, ihnen aber nicht von vornherein jegliches Wirksamkeitspostulat abspricht, zumal gerade der Aspekt der Unterstützung schulmedizinischer Behandlungsansätze auch von den Gegnern der Hyperthermiebehandlung eingeräumt wird. Das stellt selbst die Beklagte, soweit sie ihren Vortrag auf fachliche Ausführungen gestützt hat, nicht in Abrede (Anlage BLD 15, Blatt 130) d.A.

56

Ein kontextueller Zusammenhang mit einer schulmedizinischen Maßnahme liegt – was die Beklagte verkennt- aber auch hier vor, weil die Klägerin zunächst mit schulmedizinischen Maßnahmen behandelt worden ist und sich bezogen auf den Zeitraum der streitgegenständlichen Hyperthermiebehandlungen jedenfalls auch noch in der Verlaufskontrolle der Brachytherapie befunden hat. Das ergibt sich aus dem Befund der Universitätsklinik M, der vom 11.2.2013 datiert.

57

f) Demzufolge war die Beklagte zum Ersatz der mit den Rechnungen geltend Aufwendungen zu verurteilen, die im Übrigen, also soweit sie die mit der Hyperthermiebehandlung verbunden weiteren Kostenpositionen enthalten haben, unstreitig gewesen sind.

58

Dass die Beklagte den geltend gemachten Betrag bereits ausgeglichen hätte (§ 362 BGB), weshalb es in der Sache nur noch um den Vorbehalt gegangen wäre, ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht bewiesen gewesen. Der vorgelegten Leistungsabrechnung, Anlage BLD 7 (Blatt 77 d.A.), lässt sich keine entsprechende Zweckbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) entnehmen. Sie bezieht sich nicht auf die streitgegenständlichen Rechnungen, bezeichnet auch nicht den im einstweiligen Verfügungsverfahren (11 O 380/13) geschlossenen Vergleich, sondern einen Vorgang Dr. Peter Wolff vom 27.3.2013. Der zuletzt vorgelegten Leistungsaufstellung vom 24.5.2013 lassen sich auch keine Zahlungen auf die streitgegenständlichen Rechnungen entnehmen.

59

Inwieweit es sich hierbei nur um eine Unzuträglichkeit handelt, die nur auf ein Missverständnis oder eine Falschbezeichnung zurückzuführen wäre, kann die Kammer dahingestellt lassen. Es würde jedenfalls nicht das Rechtsschutzbedürfnis an einem Zahlungsantrag beseitigen. Prozessordnungsgemäß vorzutragen ist Sache der Parteien.

II.

60

Darüber hinaus ist die Klage unzulässig. Der Feststellungsantrag ist zwar nach § 259 ZPO prinzipiell möglich, weil die rechtserzeugenden Tatsachen des Rechtsverhältnisses die den Anspruch begründen, nämlich der Versicherungsfall, bereits eingetreten ist und die Beklagte durch die Verweigerung der Bezahlung der Rechnungen Anlass gegeben hat, anzunehmen, dass sie sich künftiger Leistungspflichten entziehen wird. Der Antrag ist aber nicht hinreichend bestimmt, weil er weder die gebotene zeitliche noch sachliche Eingrenzung enthält. Der zeitliche Begrenzungspunkt wäre nach § 3.2 der Vertragsbedingungen das Ende des Versicherungsfalles, mithin das Ende der Behandlungsbedürftigkeit. Da Streitgegenstand eine alternative ärztliche Behandlung nach § 6 Ziff 4 der Bedingungen ist, wird die sachliche Begrenzung auch durch den Zeitpunkt der Wiederverfügbarkeit einer schulmedizinischen Behandlungsmethode mitbestimmt. Dass die schulmedizinische Behandlungsfähigkeit auch für die Zukunft uneingeschränkt ausgeschlossen wäre, davon kann, nach dem persönlichen Eindruck den die Kammer bei der Anhörung der Klägerin gewonnen hat, nicht ausgegangen werden, weil sich ihr Allgemeinzustand in der Zwischenzeit augenscheinlich wieder verbessert hat und sie den Eindruck hinterlassen hat, dass sie jedenfalls einigermaßen wieder zu Kräften gekommen ist. Da die fehlende Verfügbarkeit der schulmedizinischen Behandlung allerdings zu den Anspruchsvoraussetzungen zählt, verlangt ein Feststellungsbegehren, schon aus Gründen der Sachgerechtigkeit, die Verknüpfung des Antrags mit einem Behandlungsplan der auf den Gesundheitszustand der Klägerin abgestimmt ist. Dieser wurde nicht mehr vorgelegt.

61

Die Problematik der Bestimmtheit des Antrags hat die Kammer mit der Klägerin erörtert. Anlass den Antrag anzupassen, hat sie nicht gesehen.

62

Im Übrigen hat der Schriftsatz vom 28.6.2013 keinen Anlass gegeben, wieder in die mündliche Verhandlung einzutreten. Klageerweiterungen die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingehen, sind gemäß den §§ 296a, 297 Abs.1 ZPO grundsätzlich unzulässig. Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung war auch nicht nach den §§ 296a S. 2, 156 Abs. 1 ZPO sachdienlich, weil die weiter vorgelegten Rechnungen bis in den Mai 2013 hineinreichen, die Klägerin aber keine weitere Verlaufskontrolle hat vornehmen lassen. Diese wäre geboten gewesen, weil die Klägerin in dem Bericht vom 8.3.2013 ausdrücklich auch darauf hingewiesen worden ist, dass in der Medizin auch eine Korrelation zwischen dem Rückgang von Tumorzellen und dem Auftreten einer neuen Metastasierung bekannt ist. Derartige Umstände weisen ihrerseits auf Behandlungsrisiken hin, die auch die Frage der weiteren Fortführbarkeit der Hyperthermiebehandlung berühren können und deshalb auch zu besonderer Sorgfalt bei Kontrolle und Planung des weiteren Behandlungsverlaufs zwingen.

III.

63

Die Nebenforderung beruht auf den §§280, 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 BGB, weil die Beklagte die Zahlungen spätestens mit Schreiben vom 16.11.2012 (Anlage 4) ernsthaft verweigert hat.

64

Die nicht anrechenbaren außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten hat die Kammer der Obsiegens- und Unterliegensquote angepasst und gemäß Ziff 2300 VV mit dem Faktor 1,3 bewertet: (( 209,3 € + 20 € ) x 0,19 ) + 229,3 € ). Ein besonderer Umfang oder eine besondere Schwierigkeit der Sache war nicht dargelegt.

65

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 269 Abs. 3, 92 Abs. 1 ZPO. Die Unterliegensquote beträgt nur wenige Prozentpunkte über 50 % und hindert deshalb noch nicht die Kostenaufhebung. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 709, 708 Nr. 11 ZPO.

66

Der Streitwert ergibt sich aus der Summe der Zahlungs- und der Feststellungsklage, wobei der geschätzte Wert des Feststellungsantrages zu korrigieren war. Die letzte mit Zahlungsantrag geltend gemachte Rechnung datiert vom 23.11.2012. Auch unter Berücksichtigung der Schätzgrundlage der Klägerin, die als voraussichtliche Behandlungsdauer vorläufig 6 Monate zugrunde gelegt hat, ergeben sich nicht mehr als weitere 3.301 €. Das ergibt sich aus dem Schriftsatz vom 28.6.2013, der für die Beurteilung des Streitwerts berücksichtigt werden kann, weil die Streitwertfestsetzung keine weitere mündliche Verhandlung erfordert. Davon war ein Wert von 0, 8 anzusetzen, weil es sich um eine positive Feststellungsklage handelt. Das führt gerundet insgesamt zu 5.151 €.


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