Urteil vom Landgericht Magdeburg (11. Zivilkammer) - 11 O 641/13

Tenor

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Zugleich wird beschlossen:

Der Streitwert wird auf 10.850 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein Versicherungsnehmer, verlangt von der Beklagten, der Versicherung, eine Leistung aus einer mit dieser abgeschlossenen Kaskoversicherung (Versicherungsschein Nr. ...).

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Nach den Vereinbarungen versicherte die Beklagte aufgrund der Angaben des Klägers mit Wirkung vom 5.6.2012 ein Kraftrad des Herstellers KTM mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ... mit einer Leistung von 5 kW. In dem Versicherungsschein heißt es u. a.:

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„Fahrzeugversicherung: Vollkasko 300 € Selbstbeteiligung, einschließlich Teilkasko mit 150 € Selbstbeteiligung.

4

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.

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Das Kraftrad finanzierte der Kläger mittels eines Kredits der S Consumer Bank, nachdem ihm die Q GmbH in Quedlinburg am 2.6.2012 für das Fahrzeug eine Rechnung über 11.000 €, inklusive Straßenzulassung ausstellte (Blatt 31 d.A.).

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Der Kläger behauptet, ihm sei das bei der Beklagten versicherte Motorrad eine KTM 250, Fahrzeug-Identifizierungs-Nr. ..., am 14.10.2012 in T entwendet worden.

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Er habe es dort gegen 10.00 auf dem Parkplatz zum Bodetal abgestellt und das Vorderrad mit einem Bremsscheibenschloss gesichert. Als er zu dem Parkplatz etwa 1 Stunde später zurückkehrte, habe er das Motorrad nicht mehr vorgefunden.

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Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 17.12.2012 eine Schadensregulierung verweigerte und u. a. Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärte, beantragt der Kläger zuletzt,

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die Beklagte zu verurteilen, an die S Consumer Bank 10.850 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23.3.2013 zu bezahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bestreitet die Entwendung des Motorrads und wendet darüber hinaus im Wesentlichen ein, sie sei vom Kläger arglistig getäuscht worden. Der Kläger habe bei Vertragsabschluss über die Leistungsdaten des versicherten Kraftrades getäuscht. Tatsächlich handele es sich um eine KTM 250 SCX Roczen Replica mit einer Leistung von 29 kw, die über keine Straßenzulassung verfüge. Die Roczen Replica sei ein Motorrad mit dem Moto Cross Rennen gefahren werden.

13

Es sei so vorgegangen worden, dass dem Motorrad ein straßentauglicher Zustand bescheinigt wurde, damit es zugelassen und versichert werden konnte. Anschließend sei vor Auslieferung an den Kläger von einer Motorsportfirma der Rückbau des Motorrads in den rennfähigen Zustand veranlasst worden. Davon habe der Kläger Kenntnis gehabt. Gleichwohl habe er bei Vertragsschluss angegeben, dass das Motorrad nur eine Leistung von 5 kw habe. Die Beklagte sei deshalb leistungsfrei.

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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Herren K, K und R als Zeugen. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll vom 24.9.2013 Bezug genommen; wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auszahlung der von ihm begehrten Versicherungsleistung – auch nicht an die S Consumer Bank – weil die Beklagte leistungsfrei ist.

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aa) Die Beklagte ist leistungsfrei, weil der Versicherungsvertrag nach § 142 Abs. 1 BGB nichtig ist. Der Versicherungsvertrag ist nach § 142 Abs.1 BGB nichtig, weil er mit Schreiben vom 17.12.2012 gemäß den §§ 22 VVG, 123 Abs. 1 BGB wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten worden ist.

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bb) Die Beklagte hat den Versicherungsvertrag mit Schreiben vom 17.12.2012 wirksam nach § 123 Abs. 1 BGB angefochten, weil bewiesen ist, dass der Kläger bei Abschluss des Versicherungsvertrages über die Tatsache einer verkehrswesentlichen Eigenschaft des zu versichernden Motorrads, nämlich dessen Leistungsdaten, arglistig getäuscht hat.

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Der Kläger hat die Beklagte bei Abschluss des Versicherungsvertrages über die Leistungsdaten arglistig getäuscht, weil er gegenüber der Versicherung angegeben hat, dass das Motorrad über eine Leistung von 5 kw verfügt habe, obwohl er es tatsächlich in der Rennversion mit einer Leistung von 29 kw erworben hat. Vorsätzlich hat der Kläger bereits deshalb gehandelt, weil er um den tatsächlichen Leistungsstand des Motorrads wusste (dazu unten b, cc ).

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Auf die Frage, ob der Kläger auch wusste, dass und in welche Wagnisklasse das Motorrad mit einer Leistung von 29 kw einzuordnen gewesen wäre, kommt es nicht an, weil es genügt, dass der Versicherungsnehmer über eine Tatsache täuscht. Dass sich die Täuschungshandlung auch auf einen gefahrerheblichen Umstand erstrecken muss, verlangt der Gesetzgeber in § 22 VVG nicht mehr, sondern lässt die Arglistanfechtung der Versicherung ohne diese Einschränkung zu (vgl. Schwintowski/Brömmelmeyer, VVG, § 22 Rn 5; ebenso auch Prölls/Martin VVG 28. Aufl., § 22 Rn 1 f). Dass die Leistungsdaten von Kraftfahrzeugen für die Zuordnung der Wagnisklasse und damit auch für die Prämienberechnung erheblich sind und deshalb von allen Versicherungsgesellschaften vor Antragstellung abgefragt werden, gehört im Übrigen zu den allgemein kundigen Tatsachen (§ 291 ZPO).

21

cc) Das bewusste Verschweigen erheblich abweichender tatsächlicher Leistungsdaten lässt bei einer Kraftfahrzeugversicherung jedenfalls den Rückschluss zu, dass der tatsächlich erheblich höhere Leistungsstand gerade deshalb verdeckt werden sollte, um sich einen vermögenswerten Vorteil zu verschaffen. Ob der Kläger im Hinblick auf die ihm ausgestellten Papiere und erstellten Gutachten ebenfalls arglistig gewesen ist, kann offen bleiben. Diese Frage ist in diesem Rechtsstreit nicht erheblich. Jedenfalls gibt es keinen konkreten Anhaltspunkt, wonach dem Kläger zumindest nach Laienart nicht geläufig gewesen ist, dass eine Versicherung für ein leistungsstarkes Motorrad zumindest teurer gewesen wäre.

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b) Die Beklagte hat aufgrund des vorgelegten Schriftverkehrs, der sonstigen Urkunden und der Aussagen der Zeugen K und K bewiesen, dass das Motorrad von KTM als Roczen Replica zunächst mit einer Leistung von 29 kw ausgeliefert wurde und sodann unter Mitwirkung der Firma des Zeugen K technisch verändert, gedrosselt und einem Gutachter vorgestellt wurde, um die Zulassung für das Motorrad zu erhalten. Sodann wurde es, wiederum unter Mitwirkung der Firma des Zeugen K, wieder in den Leistungszustand mit 29 kw versetzt, bevor es an den Kläger ausgeliefert wurde.

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aa) Zunächst ergibt sich aus der Auslieferungsurkunde von KTM vom 1.6.2012 (Anlage B 10, Blatt 107 d.A. ) und dem Versicherungsschein (Blatt 8 d.A.), dass es sich bei dem, von dem Kläger, über die Händlerfirma K und K GmbH und der Q Quedlinburg GmbH, erworbenen Motorrad und das bei der Beklagten versicherten Motorrads um dasselbe Modell 250 SX-F Roczen Replica gehandelt hat. Das stellt der Kläger auch selbst nicht in Abrede. Die Fahrzeugnummer in der Auslieferungsurkunde und in dem Versicherungsschein stimmen im Übrigen überein. Dass die Firma Q Quedlinburg in die Lieferkette eingebunden gewesen ist, wie der Zeuge K ausgeführt hat, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen (Protokoll vom 24.9.2013, Seite 4). Ferner ergibt sich aus der schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen M. (Anlage B 9, Blatt 106 d.A), wie auch der Zeuge K in seiner Vernehmung bestätigt hat, dass in der Branche und in der Szene jedenfalls zwischen einer Straßenversion und einer Rennversion des Motorrads unterschieden wird, die neben anderen Einzelheiten insbesondere durch die unterschiedlichen Leistungsdaten gekennzeichnet ist, wobei die vom Kläger erworbene Roczen Replica im Rennzustand über 29 kw (ca. 42 PS) verfügt, die Straßenversion hingegen nur über 5 kw verfügt.

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bb) Schließlich hat der Zeuge K in seiner Vernehmung bestätigt, dass er das Schreiben vom 2.12.2012 (Anlage B 4, Blatt 96 d.A.) verfasst habe und es inhaltlich bedeute, dass unter Mitwirkung seiner Firma die Roczen Replica zunächst auf 5 kw gedrosselt wurde um die Straßenzulassung zu erhalten und sie sodann vor Auslieferung an den Kunden – das ist nach der Auslieferungsurkunde der Kläger - wieder auf 29 kw (42 PS) zurückgebaut wurde. Die technischen Einzelheiten, ob also diese Vorgänge mittels eines eigenen Umbausatzes von KTM durchgeführt wurden oder auf einem anderen technischen Wege herbeigeführt wurden, können dahinstehen. Die weiteren Angaben des Zeugen K, die sich hierzu verhalten haben und auch die kryptischen Ausführungen in dem Schreiben Anlage B 4, der Umbau sei „organisiert“ worden, sind in diesem Zusammenhang deshalb nicht erheblich.

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cc) Schließlich hält es die Kammer auch für erwiesen, dass der Kläger Kenntnis davon gehabt hat, dass er das Motorrad mit einem tatsächlichen Leistungsstand von 29 kw erworben hat. Zwar hat sich der Zeuge K ersichtlich bemüht, darzutun, dass der Kläger insoweit gutgläubig gewesen sei und es die Firma Q Quedlinburg gewesen sei, die das Motorrad bestellt habe. Dieser Teil der Aussage ist aber weder plausibel noch sonst glaubhaft gewesen. Zum einen ist das Motorrad unstreitig für den Kläger und nicht für die Q Quedlinburg bestimmt gewesen, weshalb es sich bei dieser Firma allenfalls um ein Glied in der Lieferkette gehandelt haben kann.

26

Die Vorstellung, dass die Firma Q Quedlinburg ohne Kenntnis des Klägers nach einer Drosselung auf 5 kw einen Rückbau auf 29 kw veranlasst, um ihm anschließend sodann das Motorrad – ebenfalls ohne sein Wissen - als „5 kw Maschine“ zu verkaufen, ergibt angesichts des technischen Aufwandes der mit diesem Vorgang verbunden ist, ersichtlich keinen Sinn. Dieser Teil der Darstellung erklärt im Übrigen auch nicht, aus welchem Grunde sich der Kläger „zufällig“ bei der Firma K in S aufgehalten hat, wenn er das Motorrad doch über die Q Quedlinburg erworben hat. Hiervon hat der Zeuge K allerdings berichtet und im weiteren Verlauf auch erläutert, dass es üblicherweise ein Formular gäbe mit dem über den tatsächlichen Leistungszustand von 29 kw aufgeklärt werde. Es sei aber wohl „vergessen“ worden, dass der Kläger dieses Formular unterschreibe. Aus einer vergessenen Unterschrift folgt jedoch noch nicht, dass der Kläger unaufgeklärt geblieben ist. Die Kammer hält es allerdings für erheblich, dass sich der Besuch in der Firma K und K GmbH allein dadurch vernünftig erklären lässt, dass der Kläger derjenige gewesen ist, der als Nutzer des Motorrads das maßgebliche Interesse daran hat, dass es nach der zunächst vorgenommenen Drosselung auch wieder die Leistungsdaten einer Roczen Replica in der Rennversion aufweist. Mit diesen Umbaumaßnahmen hat nämlich die Firma Q Quedlinburg GmbH unmittelbar nichts zu tun gehabt, weil diese Hergänge unter der Mitwirkung der Firma des Zeugen K stattfanden. Wäre es das Anliegen des Klägers gewesen, die „abgespeckte“ Straßenversion zu erwerben, hätte er dies allerdings ohne jede Drosselungs- und Umbaumaßnahmen tun können, weil ein derartiges Motorrad von KTM, zudem preisgünstiger, angeboten wird, wie der Zeuge K bekundet hat. Davon abgesehen, ist es auch aufgrund des Fahrverhaltens des Motorrads nicht vorstellbar, dass einem Motorradfahrer der Unterschied zwischen 5 kw und annähernd 29 kw verborgen bleiben kann. Zu einer derartigen Annahme hat sich selbst der Zeuge K nicht verstiegen. Die Kammer hat deshalb keinerlei Zweifel, dass der Besuch des Klägers bei der Firma K und K GmbH gerade dem Zweck gedient hat, sich persönlich zu vergewissern, dass er nicht nur ein Motorrad erwirbt, dass wie eine Roczen Replica aussieht, sondern auch über die Leistungsdaten der Rennversion verfügt hat.

27

c) Demzufolge hat die Kammer auch keinen vernünftigen Zweifel, dass der Beklagten die Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung gelungen ist und sie bereits deshalb leistungsfrei geworden ist. Die weitere Frage, ob das Motorrad am 14.10.2012 entwendet worden ist und dem Kläger als Versicherungsnehmer die Beweiserleichterung des äußeren Entwendungstatbestands zugebilligt werden kann, kann die Kammer deshalb ebenfalls offen lassen.

II.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.


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