Urteil vom Landgericht Münster - 02 O 417/13
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Klägerin macht Ansprüche aufgrund eines Vorfalls am 21.09.2012 geltend.
3Die Klägerin besuchte am Abend des 21.09.2012 mit mehreren Bekannten – u.a. dem Beklagten – das sog. Oktoberfest an der Hafenarena in Münster.
4Gegen 21:00 Uhr forderte sie den Beklagten zum Tanzen auf. Sie beabsichtigte, auf der Tanzfläche zu tanzen. Sie hatte bereits zuvor bei anderer Gelegenheit mit dem Beklagten getanzt und zwar in Form des Paartanzes (Discofox). Zu der Zeit standen viele Besucher auf den vor Ort befindlichen sog. Bierbänken.
5Die Parteien begaben sich zusammen Richtung Tanzfläche. Kurz vor der Tanzfläche befand sich eine freie sog. Bierzeltgarnitur, d.h. ein Tisch mit zwei Bierbänken. Der Beklagte stieg als erster auf die Bierbank. Ihm folgte die Klägerin, wobei die Einzelheiten streitig sind. Kurze Zeit später – die genaue Zeitdauer ist ebenfalls streitig – begann die Bierbank zu wackeln und die Klägerin verlor das Gleichgewicht und stürzte von der Bierbank, gefolgt von dem Beklagten.
6Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe sie – ohne vorherige Abstimmung und ungewollt – auf die Bierbank hochgezogen. Des Weiteren hat sie zunächst behauptet, der Beklagte habe – noch bevor sie richtig gestanden habe – das Gleichgewicht verloren und sie von der Bank gezogen. Im Rahmen der persönlichen Anhörung hat die Klägerin unstreitig gestellt, dass sie zuerst von der Bierbank gefallen ist.
7Die Klägerin behauptet weiter, sie habe sich bei dem Sturz erhebliche Verletzungen zugezogen, nämlich eine Supraspinatussehnenruptur im Bereich der rechten Schulter. Sie sei neun Wochen arbeitsunfähig gewesen; auch danach hätten erhebliche Restbeschwerden bestanden. Bis heute sei sie nicht in der Lage, den rechten Arm frei zu bewegen. Nur unter Schmerzen sei sie in der Lage, den Arm knapp über die Schulterhöhe anzuheben. Auch die Bewegungen nach hinten seien eingeschränkt. Der Schulterbereich sei schmerzbehaftet und stark verspannt. Es sei von einem Dauerschaden auszugehen.
8Sie ist der Ansicht, ihr sei eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € zu ersetzen. Darüber hinaus ist sie der Ansicht, ihr stehe ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 7.500,00 € zu.
9Die Klägerin beantragt,
101.
11den Beklagten zu verurteilen, an sie 25,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit sowie vorprozessual entstandene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit;
122.
13den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
143.
15festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, zukünftige materielle und immaterielle Ansprüche der Klägerin aus dem Schadensfall vom 21.09.2012 zu ersetzen, sofern diese nicht auf öffentlichrechtliche Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Er behauptet, die Klägerin habe aus freien Stücken, d.h. freiwillig und eigenverantwortlich, die Bierbank betreten. Er ist der Ansicht, eine Haftung seinerseits bestehe nicht. Gegebenenfalls müsse sich die Klägerin auch ein Mitverschulden entgegenhalten lassen.
19Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.08.2014 (Bl. 64 ff. d.A.) verwiesen.
20Entscheidungsgründe
21Die zulässige Klage ist unbegründet.
22I.
23Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie einer Unkostenpauschale gem. §§ 823 Abs. 1, 249, 253 BGB oder aus anderem Rechtsgrund.
24Ein Anspruch der Klägerin scheitert bereits daran, dass sich eine Verletzungshandlung durch den Beklagten nicht feststellen lässt, die Voraussetzung für eine Haftung gem. § 823 Abs. 1 BGB ist.
25Unstreitig hat der Beklagte die Klägerin nicht beim Herunterfallen von der Bierbank mitheruntergezogen. Insoweit hat die Klägerin ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung dahingehend klargestellt, dass sie zuerst von der Bierbank gefallen ist.
26Eine Verletzungshandlung lässt sich aber auch nicht dahingehend feststellen, dass der Beklagte die Klägerin auf die Bierbank „hochgezogen“ hat. Dies würde nämlich voraussetzen, dass der Beklagte die Klägerin ohne ihr Zutun auf die Bierbank „gestellt“ hätte, also die Klägerin selbst nicht daran mitgewirkt hätte, dass sie im Ergebnis auf der Bierbank stand. Dies ist bei durchschnittlich gebauten Erwachsenen – wie es die Parteien sind – bereits praktisch schon kaum denkbar. Denn selbst wenn der Beklagte groß und entsprechend kräftig sein sollte, ist es praktisch kaum vorstellbar, dass er die Klägerin – während er auf der Bierbank steht – an den Händen im wahrsten Sinne des Wortes auf die Bank „hochzieht“. Dass der Beklagte die Klägerin etwa – was praktisch vorstellbar erscheint – auf die Bierbank hochhebt, während er noch auf der Erde steht, hat die Klägerin bereits nicht behauptet. Aber auch, dass der Beklagte sie „hochgezogen“ habe, ergibt sich im Ergebnis nicht aus der Schilderung der Klägerin, wie sie sie im Rahmen der persönlichen Anhörung vorgenommen hat. Danach hielt der Beklagte nämlich maximal eine Hand der Klägerin fest, stieg vor ihr auf die Bierbank und dann war die Klägerin „auch schon halb oben“. Soweit die Klägerin dies als „hochziehen“ beschrieben hat, ist dies nicht i.S. eines Hochziehens zu verstehen, bei dem der Beklagte das gesamte Gewicht der Klägerin „hochzieht“, sondern vielmehr in dem Sinne, dass der Beklagte die Klägerin – möglicherweise aufgrund des Umstandes, dass man sich an der Hand festgehalten hat – dazu gebracht hat, auf die Bank zu steigen und zwar im Sinne eines Bewegungsflusses. In der Art hat die Klägerin das Geschehen anlässlich ihrer Anhörung auch geschildert. Allein darin, dass der Beklagte die Hand der Klägerin gehalten hat, auf die Bank gestiegen ist und die Klägerin dem Beklagten – mehr oder weniger unvermeidlich – gefolgt ist, liegt aber keine dem Beklagten (vorwerfbare) Verletzungshandlung gegenüber der Klägerin. Denn insofern ist zunächst jeder für seine eigenen Handlungen verantwortlich.
27Auch eine Verletzungshandlung des Beklagten dadurch, dass er die Bank zum Wackeln gebracht hat und damit die Ursache für den Sturz der Klägerin gesetzt hat, lässt sich nicht feststellen, wird von der Klägerin auch nicht behauptet.
28Eine Haftung des Beklagten lässt sich auch dann nicht begründen, wenn man darauf abstellen wollte und es zuträfe – was der Beklagte bestritten hat –, dass der Beklagte zuerst das Gleichgewicht verloren hätte. Anknüpfungspunkt wäre in dem Fall nicht das Verlieren des Gleichgewichts, denn dabei handelt sich nicht um eine Handlung, d.h. ein der Bewusstseinskontrolle und Willenslenkung unterliegendes beherrschbares Verhalten, das nicht durch physischen Zwang oder durch infolge Fremdeinwirkung ausgelösten unwillkürlichen Reflex veranlasst ist (vgl. BGH NJW 1963, 953), sondern vielmehr das vorherige Steigen auf die Bierbank (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2010, 450).
29Auch in dem Fall fehlte es aber – wenn man das Besteigen der Bierbank als Anknüpfungspunkt für eine Haftung des Beklagten ansehen wollte – an einem dem Beklagten vorwerfbaren Verhalten. Denn es läge ein sozialadäquates Verhalten vor und der Beklagte hätte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht außer Acht gelassen, § 276 BGB. Dies gilt jedenfalls dann, wenn man auch das Stehen auf einer Bierbank bei einem Oktoberfest – sei es in München oder Münster – als Teil der üblichen Nutzung ansieht (vgl. AG München, Urteil vom 12.06.2007, 155 C 4107/07).
30Schließlich scheitert eine Haftung des Beklagten auch in dem Fall aber jedenfalls an einem überwiegenden Mitverschulden der Klägerin, § 254 BGB. Es liegt ein Fall des Handelns auf eigene Gefahr vor. Dies ist der Fall, wenn sich jemand bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Auflage, § 254 Rn. 32). Dies hat die Klägerin vorliegend getan. Denn es ist davon auszugehen, dass die Klägerin selbst einen Schritt auf die Bank getätigt hat, denn es lässt sich – wie bereits ausgeführt – nicht feststellen, dass der Beklagte sie ohne oder gegen ihren Willen auf die Bierbank gezogen hat. Damit hat die Klägerin aber die Gefahr, die einem Stehen auf der Bierbank innewohnt, in Kauf genommen. Diese Inkaufnahme der Gefahr überwiegt auch dermaßen, dass eine etwaige Haftung des Beklagten dahinter zurücktritt.
31II.
32Mangels Anspruchs in der Hauptsache hat die Klägerin auch keinen Anspruch gegen den Beklagten auf die Nebenforderungen. Auch ein Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger materieller und immaterieller Ansprüche scheitert an einer fehlenden Haftung des Beklagten.
33III.
34Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 ZPO.
35IV.
36Der Streitwert wird auf 12.525,00 € festgesetzt.
37Unterschrift |
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Referenzen
- BGB § 253 Immaterieller Schaden 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- 155 C 4107/07 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 254 Mitverschulden 1x
- BGB § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 2x
- BGB § 249 Art und Umfang des Schadensersatzes 1x