Beschluss vom Landgericht Nürnberg-Fürth - 5 T 7615/18

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwabach vom 14.11.2018 (Aktenzeichen 1 M 1529/18) aufgehoben.

2. Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens

Gründe

1. Die Gläubigerin vollstreckt eine Forderung aus einer Grundschuldbestellungsurkunde des Notars T. in Nürnberg vom 27.11.2012, Urkundennummer, in welcher die Schuldnerin ihre persönliche Haftungsübernahme mit Vollstreckungsunterwerfung zu Gunsten der AG in Frankfurt am Main erklärt hat. Zu Gunsten der letztgenannten Gesellschaft hat der Notar am 13.12.2012 eine Vollstreckungsklausel erteilt. Die Zustellung des Titels erfolgte an die Schuldnerin selbst am 13.03.2018. Zu diesem Zeitpunkt war der Gläubigerin die Prozessvollmacht der Vertreter der Schuldnerin bekannt.

Auf Antrag der Gläubigerin vom 04.07.2018 erließ das Amtsgericht Schwabach am 10.07.2018 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, mit welchem Forderungen der Schuldnerin gegen die Drittschuldner gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurden. Auf die hiergegen eingelegte Erinnerung der Schuldnerin vom 11.09.2018 hob das Amtsgericht Schwabach mit Beschluss vom 14.11.2018 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 10.07.2018 auf (Blatt 71 der Akten). Das Amtsgericht führte unter Bezug auf die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 08.10.2018 (Az. 5 T 3685/18) aus, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten, da die Gläubigerin trotz Kenntnis der Prozessvollmacht der Kanzlei K. den Vollstreckungstitel entgegen § 171 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO nicht an diese, sondern allein an die Schuldnerin selbst zugestellt habe. Die Zustellung sei daher unwirksam.

Hiergegen wendet sich die Gläubigerin mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 20.11.2018, mit welcher sie geltend macht, dass § 172 ZPO im vorliegenden Vollstreckungsverfahren nicht anwendbar sei. Zum Zeitpunkt der Zustellung sei noch kein gerichtliches Verfahren anhängig gewesen. Zur Untermauerung ihre Argumentation bezieht sie sich auf einen Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 12.10.2017 (Aktenzeichen 15 W 1742/17). Im Übrigen wird ergänzend auf die Beschwerdebegründung Bezug genommen (vergleiche Blatt 76 f. der Akte).

2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Zustellung des Vollstreckungstitels an die Schuldnerin persönlich war im vorliegenden Falle zur Einleitung der Zwangsvollstreckung ausreichend. Die Vorschrift des § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist vorliegend nicht anwendbar, da der Zwangsvollstreckung kein gerichtliches Verfahren vorausging. Die Kammer hält an ihrer in dem Beschluss vom 08.10.2018 (Az. 5 T 3685/18) zum Ausdruck gebrachten gegenteiligen Rechtsauffassung nicht mehr fest.

a) Der Wortlaut des § 172 Abs. 1 ZPO spricht eindeutig gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift für den Fall der Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde.

§ 172 Abs. 1 Satz 1 ZPO schreibt vor, dass in einem anhängigen Gerichtsverfahren Zustellungen an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen haben. Dies gilt nach § 172 Abs. 1 Satz 2 ZPO auch für Prozesshandlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht unter anderem infolge eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung betreffen, wobei gemäß § 172 Abs. 1 Satz 3 ZPO das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht zum ersten Rechtszug gehört. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut und Sinn ist die Vorschrift des § 172 Abs. 1 ZPO aber nur auf ein bereits anhängiges gerichtliches Verfahren bezogen und sagt nichts über die Frage des richtigen Zustellungsadressaten bei außergerichtlichen Streitigkeiten aus (BGH NJW 2011, 1105 juris Rn. 6). Im Falle der Vollstreckung ohne vorangehendes Erkenntnisverfahren ist oder war zum Zeitpunkt der Zustellung des Titels ein gerichtliches Verfahren nicht anhängig, so dass § 172 ZPO nicht anwendbar ist (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 12.10.2017, Az. 15 W 1742/17 - juris). Der Begriff der „Anhängigkeit“ ist dabei eindeutig und fordert nach Überzeugung der Kammer immer die Befassung eines Gerichts mit dem zu regelnden Sachverhalt. Anhängig ist ein Verfahren damit ab Einreichung einer Klage oder eines sonst das Verfahren einleitenden Gesuchs oder Antrags oder einer Rechtsmittelschrift (vg. Stöber in Zöller, § 172 Rn. 3). Allein die Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien über einen streitigen Gegenstand führt nicht zur Anhängigkeit eines Verfahrens im Sinne der Regelungen der Zivilprozessordnung. Vorliegend wurde ein gerichtliches Verfahren erst mit der Einreichung des Antrags auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beim Amtsgericht Schwabach mit Schreiben vom 04.07.2018 anhängig.

b) Die Tatsache, dass Zustellungen zur Einleitung der Zwangsvollstreckung bereits zur Zwangsvollstreckung gehören, was auch in der Kostentragungsregelung des § 788 Abs. 1 Satz 2 ZPO zum Ausdruck kommt, sagt nichts darüber aus, ob zum Zeitpunkt der Zustellung ein gerichtliches Verfahren mit der Folge der Anwendbarkeit der Vorschrift des § 172 ZPO anhängig ist. Da die Zustellung notariell beurkundeter Vollstreckungstitel auf Betreiben der Parteien erfolgt (vgl. Zöller, § 191 Rn. 1), ist nicht zu erkennen, wie es hierdurch zu einem bei Gericht anhängigen Verfahren kommen sollte.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der ausdrücklichen Zuweisung in § 172 Abs. 1 S.3 ZPO, denn dort wird nicht auf das Zwangsvollstreckungsverfahren verwiesen, sondern nur auf das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht. Ob die Zustellung des Vollstreckungstitels ein solches zur Folge haben wird, steht aber bei ihrer Vornahme nicht fest, sondern liegt allein in der Hand des Vollstreckungsgläubigers.

c) Auch teleologische oder praktische Erwägungen rechtfertigen es nach Überzeugung der Kammer nicht, entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 172 ZPO auch ohne vorangegangenes Erkenntnisverfahren eine Zustellung des Titels an den Prozessbevollmächtigten zu fordern.

Zwar besteht der Zweck der Vorschrift des § 172 ZPO darin, im Interesse der Prozessökonomie und der Privatautonomie sicher zu stellen, dass der von der Partei bestellte Prozessbevollmächtigte, in dessen Verantwortung die Prozessführung liegt, über den gesamten Prozessstoff informiert wird und sich somit in dessen Hand alle Fäden des Prozesses vereinigen. Für den Gesetzgeber lag der Grund für die obligatorische Zustellung an den Prozessbevollmächtigten in der Annahme, dass die Partei durch die Erteilung der Prozessvollmacht das Betreiben des Prozesses aus der Hand gegeben hat und deshalb der Prozessbevollmächtigte und nicht das Gericht die Partei über den jeweiligen Stand des Prozesses auf dem Laufenden zu halten habe. Dem Interesse der Partei sei im Falle der Zustellung an ihren Anwalt mehr gedient, als wenn an sie selbst zugestellt werde. Denn in den meisten Fällen werde sich die Partei ohnehin an ihren Anwalt wenden müssen, weil sie außer Stande sei, die Angemessenheit oder Notwendigkeit der weiteren Schritte beurteilen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Dezember 2010 - XII ZB 38/09 -, juris mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Jedoch ist vorliegend ein „Prozess“, dessen Betreiben die Partei durch die Erteilung einer Prozessvollmacht „aus der Hand gegeben“ hat, zum Zeitpunkt der Zustellung des Vollstreckungstitels nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO in der Regel gerade nicht gegeben. Auch gewährleistet die zweiwöchige Wartefrist des § 798 ZPO, dass dem Schuldner, sollte er sich nach Zustellung des Titels der Hilfe seines Bevollmächtigten bedienen wollen, hierfür genügend Zeit verbleibt. Da es keinerlei Zusammenhang zwischen der Zwangsvollstreckung und einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren gibt, ist nicht gesichert, dass die Zustellung an einen Bevollmächtigten für den Schuldner tatsächlich vorteilhaft ist.

d) Zuletzt sprechen auch die Erwägungen zur Gesetzessystematik nicht für die Anwendung des § 172 ZPO auf Zustellungen zur Einleitung der Zwangsvollstreckung aus Urkunden gemäß § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Zwar ist offensichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Benennung einzelner Prozesshandlungen in § 172 Abs. 1 Satz 2 und 3 ZPO nicht die Absicht verfolgte, einen erschöpfenden Katalog der noch zum Rechtszug zählenden Verfahrensabschnitte zu erstellen. Vielmehr wollte er lediglich einzelne Zweifelsfälle einer ausdrücklichen Regelung zuführen. Dafür spricht auch die Unvollständigkeit der genannten Prozesshandlungen. So wird das Kostenfestsetzungsverfahren (§ 103 ff. ZPO) nicht genannt, das nach einhelliger Meinung Teil des (ersten) Rechtszuges im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO ist, obwohl es bei Eintritt der formellen Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache häufig noch nicht abgeschlossen ist. Auch im Prozesskostenhilfeüberprüfungsverfahren sind Zustellungen an den Prozessvertreter zu bewirken, wenn dieser auch im Prozesskostenhilfeverfahren tätig war (vgl. BGH, a.a.O. Rn. 21). Jedoch wird bei dem durch die Rechtsprechung normierten über den Wortlaut des § 172 ZPO hinausgehenden Anwendungsbereich deutlich, dass in jedem Falle eine vorherige wie auch immer geartete gerichtliche Befassung mit dem Streitgegenstand erforderlich war. Dieses Erfordernis ist, auch bei der durch den Zweck der Vorschrift gebotenen weiten Auslegung der Norm, in Fällen wie dem vorliegenden gerade nicht erfüllt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

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