Endurteil vom Landgericht Regensburg - 45 O 1594/21

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund deliktischer Produktmanipulation an einem Pkw.

Der Kläger mit Wohnsitz in erwarb am 09.08.2017 das im Antrag näher bezeichnete Fahrzeug VW Passat vom Autohaus, zu einem Kaufpreis von 24.499,00 EUR bei einem Kilometerstand von 12.000 km. Am 06.10.2021 betrug die Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 106.497 km.

Im Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA288 eingebaut.

Der Klägervertreter hat die Beklagte mit Schreiben vom 23.04.2021 zur Zahlung von Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW aufgefordert. Dem kam die Beklagte nicht nach. Die Klagepartei trägt vor, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, mit der außerhalb eines bestimmten Temperaturrahmens die Wirkungsweise des Abgasrückführungssystems reduziert bzw. abgeschaltet werde (sog. Thermofenster), wodurch die Stickoxidemissionen erheblich anstiegen.

Die Klagepartei behauptet weiterhin insbesondere, das Fahrzeug sei mit einer Umschaltlogik (Prüfstanderkennung) ausgestattet, mit der die Fahrzeugelektronik dafür sorge, dass die Stickoxid-Reduktion nur auf dem Prüfstand im neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erfolge, im realen Fahrbetrieb aber weitgehend inaktiv sei. Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dieser Ausstattung des Fahrzeugs gehabt.

Hinsichtlich der des weiteren Vortrags und der technischen Einzelheiten wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Klägerseite verwiesen.

Die Klagepartei meint, dass die Beklagte sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Sie macht Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, insbesondere aus § 826 BGB und aus § 831 BGB, geltend.

Die Klagepartei hat mit der Klageschrift vom 22.07.2021, die der Beklagten am 25.08.2021 zugestellt worden ist, folgende Anträge angekündigt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadenersatz i.H.v. 17.523,59 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.05.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW Passat mit der FIN

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW Passat mit der FIN seit dem 08.05.2021 im Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 619,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.05.2021 zu zahlen.

Mit Schriftsatz vom 16.11.2021 hat die Klagepartei unter Berücksichtigung der Finanzierungskosten für das streitgegenständliche Fahrzeug die Klage hinsichtlich des Klageantrags Ziff. 1 wie folgt erweitert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadenersatz i.H.v. 20.172,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.05.2021 und weitere 1.830,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW Passat mit der FIN W 5.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2021 hat die Klagepartei den Klageantrag nach Ziffer 1 hinsichtlich des zwischen Klageeinreichung und dem Tag der mündlichen Verhandlung angelaufenen Nutzungsersatzes für zurückgelegte Kilometer für erledigt erklärt. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung nicht zugestimmt.

Der Kläger beantragt zuletzt,

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Schadenersatz i.H.v. 16.460,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.05.2021 und weitere 1.830,51 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs VW Passat mit der FIN 5.

1. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges VW Passat mit der FIN seit dem 08.05.2021 im Annahmeverzug befin det.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei die durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 619,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.05.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte bestreitet, dass der Klagepartei ein Schaden entstanden ist, für den die Beklagte haften müsse. Insbesondere verfüge das Fahrzeug nicht über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Es fehle an einer sittenwidrigen Handlung der Beklagten, insbesondere habe diese die Klagepartei nicht getäuscht. Der Klagepartei sei auch kein Schaden entstanden. Jedenfalls fehle es an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten.

Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2021 Bezug genommen.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klage ist nicht begründet, weil ein Anspruch aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 831 BGB oder auch aus sonstigen Anspruchsgrundlagen nicht besteht. Die hierfür erforderliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) bzw. ein Betrug (§ 263 StGB) liegen nämlich nach dem Vortrag der Klagepartei nicht vor. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die hier in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche gegenüber dem Hersteller unter weit strengeren Voraussetzungen stehen als Gewährleistungsrechte, die bei einem Mangel des Fahrzeugs gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht werden könnten.

Im vorliegenden Fall mag zwar das sogenannte Thermofenster nach dem klägerischen Vortrag einen Mangel i.S.d. § 434 BGB darstellen. Für die strengeren Voraussetzungen einer deliktischen Haftung auf der Grundlage der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB bietet schon der klägerische Vortrag aber keine hinreichende Grundlage, wie im Folgenden auszuführen ist.

3. Die Fallkonstellation ist bezüglich des Thermofensters nicht vergleichbar mit derjenigen, bei welcher die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; abzurufen unter der Internetseite des Bundesgerichtshofes; die nachfolgend genannten Randnummern beziehen sich auf diese Fundstelle) Schadensersatzansprüche in sogenannten VW-Dieselfällen bejaht hat.

Dort wurde für die Fälle der Ausstattung von Fahrzeugen mit dem Dieselmotor der Baureihe EA 189 das Verhalten der dortigen Beklagten objektiv als sittenwidrig qualifiziert, da die Beklagte dort auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA 189 in siebenstelligen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (RdNr. 16).

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes beruht insbesondere auch darauf, dass dort (unstreitig) eine verstärkte Abgasrückführung bei erkanntem Prüfstandlauf aktiviert wurde und bei Erlangung der jeweiligen Typengenehmigungen dem KBA durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt wurde, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben würde, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, wodurch die Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht worden sei, um die Typengenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten (RdNr. 17, 18). Dies wiederum hat der Bundesgerichtshof dann für verwerflich gehalten, wenn auf Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungsund Marktüberwachungsbehörde (KBA) die Erhöhung des Gewinns erreicht werden soll, und dies mit der Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer von möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt (RdNr. 23).

4. Nach diesen, für die Bejahung von Ansprüchen durch den Bundesgerichtshof wesentlichen, Umständen, kann das Thermofenster für sich eine sittenwidrige Schädigung nicht begründen (so auch Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021, Aktenzeichen VI ZR 433/19; abzurufen unter der Internetseite des Bundesgerichtshofes). Die Klägerseite stellt das Thermofenster zwar als unzulässig und nicht dem Stand der Technik entsprechend dar. Es hat (für sich allein) aber auch nach ihrer Darstellung nicht das Ziel, bewusst die Überwachungsbehörde zu täuschen und so die Typengenehmigung herbeizuführen. Der wesentliche Vorwurf, aus dem nach Ansicht des Bundesgerichtshofes, welcher auch das hier entscheidende Gericht folgt, die Annahme einer betrügerischen Erlangung der Betriebsgenehmigung und somit einer sittenwidrigen Gewinnerzielungsabsicht folgt, ist jedoch gerade die softwareprogrammierte Veränderung des auf dem Prüfstand gegenüber dem Realbetrieb erzielbaren Schadstoffausstoßes.

Eine sittenwidrige oder betrügerische Handlung kann demnach in der Installation des sogenannten Thermofensters nicht gesehen werden. Dass es sich dabei nach dem Klägervortrag um ein Abweichen von der zu erwartenden und technisch möglichen Beschaffenheit, also einen Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts nach § 434 BGB, handelt, spielt für die strenge Beurteilung der deliktischen Haftung gegenüber dem Hersteller, der nicht Verkäufer ist, keine Rolle (s.o.).

5. Soweit dagegen die Klage ergänzend auch auf die Ausstattung mit einer Prüfstandserkennung (Umschaltlogik) gestützt wird, welche geeignet wäre, objektiv eine Sittenwidrigkeit zu begründen (s.o.), handelt es sich seitens der Klagepartei um Vermutungen, die in Analogie zur VW-Motorgattung EA189 vorgetragen werden. Insofern handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um Vermutungen „ins Blaue hinein“, für die keine hinreichenden tatsächlichen Umstände angegeben werden.

6. Darüber hinaus fehlt jedenfalls ein über die Behauptung „ins Blaue hinein“ hinausgehender Vortrag, dass der Vorstand der Beklagten Kenntnis von einer solchen Ausstattung und sittenwidrige Beweggründe hatte. Die Klägerin nimmt erkennbar auf die Fälle des VW-Motors EA189 Bezug; dies ist zwar nachvollziehbar, stellt aber für die hier gegenständliche Motorgattung keinen hinreichend konkreten Vortrag dar. Insbesondere führt dieser Vortrag auch nach den Kriterien der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; hier Rn. 39) noch nicht zur sekundären Darlegungslast der Beklagtenseite.

7. Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, war die Klage auch hinsichtlich der geltend gemachten Finanzierungskosten und Nebenforderungen abzuweisen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, 2 ZPO.

III. Der Streitwert war auf 20.172,38 EUR festzusetzen. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1295 f.).

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