1. Es wird festgestellt, dass der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ zwischen den Parteien vom 18.04.2002 unwirksam ist.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 50.000,00 EUR.
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Künstlervertrages.
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Die Klägerin begehrt mit der Klage die Feststellung, dass der zwischen ihr und dem Beklagten geschlossene „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 unwirksam ist.
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Die Klägerin ist 30 Jahre alt und bestrebt, eine Karriere als Sängerin unter dem Künstlernamen „R.“ aufzubauen.
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Der Beklagte betreibt seit längerer Zeit ein kleines Tonstudio im Erdgeschoss seines Hauses in H. Das Tonstudio wird von ihm allein betrieben. Unter der Bezeichnung „M“ produziert er Tonträger, die er über seine Internetseiten vertreibt.
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Der erste Kontakt zwischen den Parteien entstand 1999, als die Klägerin noch Sängerin der Band „Q.“ war und der Beklagte die Tontechnik der Band übernahm. Die Parteien nahmen in der Folgezeit Vorproduktionen zur Herstellung eines Tonträgers auf. Sie konnten sich zum damaligen Zeitpunkt nicht auf den Abschluss eines Künstlervertrages einigen und stellten die gemeinsame Arbeit ein.
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Auf Initiative der Klägerin wurde der Kontakt der Parteien zur Herstellung eines Tonträgers im Jahr 2002 erneuert.
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Am 18.04.2002 schlossen die Parteien in F. den „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“. Der Vertrag hat folgenden Wortlaut:
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Der Beklagte orientierte sich bei der Ausarbeitung des Vertrages an einem Vertragsmuster aus dem Musiker Jahrbuch von Seelenmeyer, Verlag Musiker Press, Lüneburg 99/00 (Anlage B 1, Bl. 50 ff. d.A.). Dem Vertragsformular ist ein fünfseitiger, erläuternder Einführungstext vorangestellt. Auf den Einführungstext und das Vertragsformular im „Musiker Jahrbuch“ wird in vollem Umfang Bezug genommen.
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Auf S. 333 des „Musiker Jahrbuchs“ steht im zweiten Absatz zur Vertragslaufzeit:
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„Schon hier stellt sich für die Künstler die Frage, wie lange man sich vernünftigerweise an eine Schallplattenfirma binden sollte. Es ist ja nichts dagegen einzuwenden, wenn eine große Schallplattenfirma einen Künstlervertrag inkl. Optionen über viele Jahre abschließt. Man kann von diesen Firmen ja erwarten, dass sie ganz andere finanzielle Startrisiken eingehen als kleine Labels. Allerdings ablehnen sollte man den Versuch einer nicht zu kleinen Anzahl von Kleinst-Labels, wenn sie die gleiche Vertragszeit mit den Künstlern beanspruchen wie die großen Labels. Hier sollte man dem Künstler klar machen, dass die Länge der Vertragszeit immer in Relation mit dem wirtschaftlichen Vermögen und vertraglichen Zusagen der Schallplattenfirma einhergehen sollte.“
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Auf S. 333 des „Musiker Jahrbuchs“ steht im fünften Absatz zu den Promotions- und Produktionskosten:
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„Einige windige Musikproduzenten aber auch kleinere Schallplattenfirmen bürden im Rahmen des Künstlervertrages sowohl die Promotions- wie auch Produktionskosten den Künstlern auf, oder konfrontieren sie mit Abzugsregelungen, die dann irgendwo im Kleingedruckten stehen. Bei einem derartigen auffälligen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung kann ein Künstlervertrag wegen Sittenwidrigkeit für nichtig erklärt werden. Natürlich haben auch davon die meisten jungen Künstler keine Ahnung und so kommt es immer wieder vor, dass Künstlerverträge unterschrieben werden, in denen die Nachwuchsmusiker dazu verpflichtet werden, letztendlich die Produktionskosten über einbehaltene Lizenzbeteiligungen alleine zu finanzieren.“
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Auf S. 334 des „Musiker Jahrbuchs“ steht im dritten Absatz zur persönlichen Exklusivität:
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„Innerhalb eines Künstlervertrages sollte sich der Künstler auf keinen Fall länger als 3 Jahre mit einer persönlichen Exklusivität an die Tonträgerfirma binden. Verträge, in denen die Tonträgerfirma den Künstler länger als auf 5 Jahre bindet, gelten rechtlich als fragwürdig. Diese Feststellung gilt für den gesamten Bindungszeitraum, also auch für die durch Optionen seitens des Produzenten ausgesprochene Vertragsverlängerung.“
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Am 19.07.2003 fand die Release-Party für die erste CD .... statt.
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Die Klägerin behauptet, dass der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 unwirksam sei. Die Gesamtwürdigung des Vertrages ergebe eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin entgegen Treu und Glauben, einen Verstoß gegen das Transparenzgebot und die guten Sitten wegen grob auffälligem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Darüber hinaus handele es sich bei dem Vertrag um einen sogenannten „Knebelungsvertrag“, der die wirtschaftliche Freiheit der Klägerin so sehr beschränke, dass sie ihre freie Selbstbestimmung verliere.
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Die Nichtigkeit des Vertrages sei zwingende Folge der Gesamtwürdigung sämtlicher Vertragsbestandteile. Die Vertragslaufzeit in § 13 stelle wegen einer zu langfristigen Bindung der Klägerin eine sittenwidrige Knebelung dar. Die Vertragslaufzeit von zwei Jahren könne durch die Ausübung des einseitigen Optionsrechts des Beklagten dreimal um jeweils ein Jahr verlängert werden. Zusätzlich zu dieser exklusivvertraglichen Bindungsdauer von fünf Jahren nach Belieben des Beklagten sehe der Vertrag weitere Verlängerungsmöglichkeiten vor. Da das Optionsrecht erst sechs Monate nach Veröffentlichung der vorhergehenden LP/Single erfolgen müsse, könne die Vertragslaufzeit durch die verzögerte Optionsausübung um jeweils sechs Monate auf insgesamt sechseinhalb Jahre verlängert werden. Darüber hinaus sehe die Regelung in § 6 Abs. 2 des Vertrages eine weitere Verlängerungsmöglichkeit bei einem Aufnahmerückstand vor. Neben dieser langjährigen persönlichen Exklusivität sichere sich der Beklagte in § 3 Abs. 5 des Vertrages zusätzlich eine umfassende Titelexklusivität für zehn Jahre ab der Erstveröffentlichung, von der selbst anderweitige Verwertungsformen wie Videos und Musik-Bildtonträger erfasst seien.
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Die Klägerin werde durch den Vertrag unangemessen benachteiligt. Sie übertrage dem Beklagten exklusiv sämtliche Rechte örtlich, zeitlich und sachlich uneingeschränkt. Diese umfassende Übertragung aller Leistungsschutzrechte gelte selbst für Videos ohne Abbildung der Klägerin, Musik-Bildtonträger, Werbebearbeitungen und Merchandising-Rechte. Nach §§ 2 Abs. 6, 14 des Vertrages könne der Beklagte die Merchandising-Rechte selbst noch zwei Jahre nach Vertragsende nutzen, unabhängig davon, ob er während der Vertragslaufzeit eine Verwertung vorgenommen habe.
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Zwischen der Leistung der Klägerin und der Gegenleistung des Beklagten bestehe ein auffälliges Missverhältnis. Der umfassenden Rechtsübertragung durch die Klägerin stehe keine Auswertungs- und Vermarktungspflicht des Beklagten hinsichtlich der Vertragsaufnahmen gegenüber. Das kleine Tonstudio des Beklagten biete wegen seiner begrenzten wirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten von vornherein keine angemessene Auswertung und Vermarktung der Vertragsaufnahmen. Den Beklagten treffe nach dem Vertrag auch keine Verpflichtung für Werbe- und Promotionsmaßnahmen.
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Das wirtschaftliche Risiko trage allein die Klägerin. Sie müsse nach dem Vertrag die Produktionskosten tragen und werde letztlich nur prozentual am späteren Umsatz beteiligt. Die Klägerin sei auf eine Vermarktung der Vertragsaufnahmen angewiesen, wozu sich der Beklagte jedoch nicht verpflichtet habe. Die Klägerin erhalte die Umsatzbeteiligung nur solange der Beklagte die Vertragsaufnahmen auswerte oder auswerten lasse. Nach § 9 Abs. 7 des Vertrages stünden die Einnahmen der Klägerin somit im Belieben des Beklagten. Hinzu komme, dass der Beklagte nach § 5 Abs. 2 des Vertrages allein über die Veröffentlichung von Vertragsaufnahmen entscheiden könne. Im Übrigen sei die Umsatzbeteiligung der Klägerin von der Preisgestaltung der Tonträger abhängig, die nach § 7 Abs. 1 des Vertrages allein der Beklagte festlegen könne.
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Die tatsächliche Umsatzbeteiligung liege bei 3,73 % des Händlerabgabepreises und damit weit unter der Branchenübung von 7 bis 12 % des Händlerabgabepreises. Zwar sei in § 9 Abs. 1 des Vertrages eine Umsatzbeteiligung von nominell 10 % des Händlerabgabepreises vereinbart worden. Tatsächlich reduziere sich diese Umsatzbeteiligung wegen des Direktabsatzes über das Internet und nach Abzug der Kosten der Tonträgerumhüllung und Technikkosten auf 3,73 %.
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Schließlich müssten von dieser Umsatzbeteiligung sogar noch die Produktionskosten abgezogen werden, die nach dem Vertrag von der Klägerin zu tragen seien, ohne dass sie auf deren Höhe einen Einfluss habe. Erschwerend komme für die Klägerin hinzu, dass sie entgegen der Branchenübung keinen Anspruch auf einen Vorschuss habe.
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Der subjektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit sei ebenfalls erfüllt. Der Beklagte habe sich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen, dass sich die Klägerin nur aufgrund ihrer Unerfahrenheit und der Umstände beim Abschluss des Rechtsgeschäfts auf den einseitig und übermäßig beschwerenden Vertrag eingelassen habe. Die Klägerin sei eine unerfahrene Künstlerin, während der Beklagte ein erfahrener Produzent mit Tonstudio sei. Im Übrigen habe der Beklagte das Vertragsformular im „Musiker Jahrbuch“ bewusst zum Nachteil der Klägerin verändert. Der Beklagte habe der Klägerin die Kosten für die Produktion der Vertragsaufnahmen auferlegt und gleichzeitig die vorgesehene Regelung für eine Vorauszahlung gestrichen. Darüber hinaus habe der Beklagte dem erläuternden Einführungstext im „Musiker Jahrbuch“ entnehmen können, dass das Vertragsformular für den vorliegenden Sachverhalt nicht geeignet sei und eine einseitige Belastung der Klägerin darstelle.
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Die Sittenwidrigkeit nach Gesamtwürdigung des Vertrages und die unangemessene Benachteiligung der Klägerin durch die einzelnen vorformulierten Klauseln des Vertrages führe zur Gesamtnichtigkeit. Die salvatorische Klausel in § 16 Abs. 2 des Vertrages sei unwirksam, da Vertragsbestimmungen von grundlegender Bedeutung nichtig seien.
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Hilfsweise erklärt die Klägerin die fristlose Kündigung und den Rücktritt vom „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002.
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Es wird festgestellt, dass der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ zwischen den Parteien vom 18.04.2002 unwirksam ist.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Der Beklagte behauptet, dass der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 wirksam sei. Der Vertrag sei weder objektiv noch subjektiv sittenwidrig und er enthalte auch keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin entgegen Treu und Glauben. Zwischen den vertraglichen Pflichten der Parteien bestehe kein grobes Missverhältnis.
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Der verwendete Vertragsentwurf entspreche der Branchenübung. Er sei dem „Musiker Jahrbuch“ entnommen worden und sehe keine Benachteiligung der Klägerin vor. Der Klägerin habe der Vertragstext seit Februar 2000 vorgelegen und sie habe gewusst, dass er aus dem „Musiker Jahrbuch“ übernommen worden sei. Sie habe jederzeit die Möglichkeit gehabt, Änderungen am Vertragsformular vorzuschlagen. Auf eine Vorschussklausel habe man im gegenseitigen Einvernehmen verzichtet, da der Beklagte dazu finanziell nicht in der Lage gewesen sei.
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Der Beklagte habe der Klägerin die Möglichkeit für eine künstlerische Entwicklung geboten. Die Klägerin, die über keine Gesangsausbildung verfüge, habe durch den Beklagten erstmals Aufnahmen von eigenen Titeln in einem Studio machen können. Der Beklagte habe die Arrangements entwickelt und der Klägerin die Aufnahmen der Songs ermöglicht. Die Klägerin sei weder benachteiligt noch in ihrer künstlerischen Entwicklung blockiert worden.
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Der Beklagte habe gemeinsam mit anderen und einer Werbeagentur Vermarktungsstrategien entwickelt. Die Zusammenarbeit mit der Werbeagentur habe allein aus Kapazitätsgründen nicht fortgesetzt werden können.
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Darüber hinaus sei der subjektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Der Beklagte habe mangels eigener Erfahrung mit Vertragswerken das Musterformular aus dem „Musiker Jahrbuch“ übernommen. Den erläuternden Einführungstext habe er bei der Übernahme des Vertragsformulars nicht zur Kenntnis genommen. Der Beklagte sei davon ausgegangen, dass im „Musiker Jahrbuch“ Vorschläge von Praktikern und Profis unterbreitet würden, die mehr oder weniger 1 : 1 übernommen werden könnten. Auf Einzelheiten habe er dabei keinen besonderen Wert gelegt. Im Übrigen habe der Beklagte der Klägerin Gelegenheit zur Überlegung und Änderung des Vertragstextes gegeben.
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Die Klägerin habe bei Abschluss des Vertrages gewusst, dass der Beklagte ein kleines Einmann-Tonstudio in seinem Haus betreibe. Sie sei nicht über die Gegebenheiten und Vermarktungschancen getäuscht worden.
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Die Gesamtnichtigkeit des Vertrages sei wegen der salvatorischen Klausel in § 16 Abs. 2 des Vertrages ausgeschlossen. Die Unwirksamkeit beschränke sich allenfalls auf einzelne Klauseln, die nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages führen könnten.
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Die Klägerin habe auch kein Recht zur Kündigung oder zum Rücktritt vom Vertrag.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf alle Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.02.2004.
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Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
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Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart folgt aus §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 13 ZPO i.V.m. 105 Abs. 1 UrhG i.V.m. 13 Abs. 1 der Verordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg über gerichtliche Zuständigkeiten vom 20.11.1998. Es handelt sich um eine Urheberrechtsstreitsache, da der streitgegenständliche Künstlervertrag nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als urheberrechtlicher Verwertungsvertrag eigener Art zu qualifizieren ist (vgl. BGH, GRUR 1989, S. 198, 201; Fromm/Nordemann/Hertin Urheberrecht, 9. Auflage 1998, § 78 Rdnr. 6). Neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen ist auch das besondere Feststellungsinteresse gegeben. Die Klägerin hat ein schutzwürdiges Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses, da eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit über die Rechte und Pflichten aus dem urheberrechtlichen Verwertungsvertrag besteht.
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Die Feststellungsklage ist begründet, da der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ zwischen den Parteien vom 18.04.2002 gemäß § 138 Abs. 1 BGB insgesamt sittenwidrig und damit nichtig ist.
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Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGHZ 107, S. 92, 97 ff.; Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage 2004, § 138, Rdnr. 8). Begründet der Gesamtcharakter des Rechtsgeschäftes die Sittenwidrigkeit, ist beim Handelnden weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich. Es genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt. Dem steht es auch gleich, wenn sich der Handelnde bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (vgl. BGHZ 20, S. 43, 50 ff.; OLG Karlsruhe ZUM 2003 S. 785, 786). Danach können gegenseitige Verträge, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt (vgl. BGH NJW 1993, S. 1587, 1588; BGH NJW 2001, S. 1127, 1127 ff.). Bei der Beurteilung von Leistung und Gegenleistung ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäftes abzustellen.
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Bei umfassender Würdigung des Gesamtcharakters des „Vertrages Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 sind die objektiven (vgl. 1.) und subjektiven (vgl. 2.) Voraussetzungen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäftes erfüllt. Der Vertrag ist wegen seines sittenwidrigen Gepräges insgesamt nichtig (vgl. 3.).
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1. Der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 enthält objektiv ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Bei Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalles im Zeitpunkt des Vertragsschlusses steht die Gegenleistung des Beklagten in keinem vertretbaren Verhältnis zur Leistung der Klägerin. Das wirtschaftliche Risiko des Künstlervertrages wird fast ausschließlich auf die Klägerin abgewälzt. Den zahlreichen Regelungen zugunsten des Beklagten stehen krass benachteiligende Regelungen zu Lasten der Klägerin gegenüber.
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a) Der Künstlervertrag vom 18.04.2002 sieht weitreichende Leistungspflichten der Klägerin vor.
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aa) Nach § 2 des Vertrages überträgt die Klägerin ihre Leistungsschutzrechte umfassend auf den Beklagten. Die Klägerin überträgt auf den Beklagten das ausschließliche und übertragbare Auswertungsrecht an ihren Darbietungen auf Tonträger und Bild-Tonträger. Die exklusive Rechtsübertragung schließt sämtliche Leistungsschutzrechte und daraus folgende Ansprüche sowie alle sonstigen Rechte der Klägerin ein, die sie an den Vertragsaufnahmen erwirbt. Selbst die Merchandising-Rechte werden nach §§ 2 Abs. 6 i.V.m. 14 des Vertrages umfassend auf den Beklagten übertragen. Diese Rechtsübertragung gilt nach § 14 Abs. 2 des Vertrages auch noch bis zu zwei Jahre nach Ablauf der Vertragsdauer.
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bb) Die Klägerin gewährt dem Beklagten gemäß § 3 Abs. 1, 2 des Vertrages die persönliche Exklusivität für die Aufnahme und Auswertung von Darbietungen, Videos ohne Abbildung der Klägerin und Musik-Bildtonträger während der Vertragsdauer. Darüber hinaus sieht § 3 Abs. 5 eine noch weiter reichende Titelexklusivität für die Dauer von zehn Jahren ab der Erstveröffentlichung einer Vertragsaufnahme vor.
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cc) Die geschuldeten Vertragsaufnahmen hat die Klägerin vor Beginn der Produktion nach § 5 Abs. 1 des Vertrages auf eigene Kosten aufnahmereif einzustudieren. Die Entscheidung darüber, ob die Aufnahmen zur Veröffentlichung geeignet sind, trifft gemäß § 5 Abs. 2 dann aber der Beklagte. Nach § 5 Abs. 3 werden die Produktionskosten der Vertragsaufnahmen einseitig auf die Klägerin abgewälzt. Die nach Art und Umfang unbestimmten „Musikerhonorare, Studiokosten usw.“ werden vom Beklagten auf Vorauszahlungen oder Umsatzbeteiligungen angerechnet. Diese Haftung der Klägerin für die Produktionskosten ist ohne jede Begrenzung, obwohl sie selbst auf die Entstehung und Höhe keinerlei Einfluss hat.
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dd) Nach § 8 des Vertrages muss die Klägerin dem Beklagten Abbildungen und biographisches Material zur Verfügung stellen. Darüber hinaus muss sie Werbe- und Promotionsmaßnahmen des Beklagten unentgeltlich unterstützen und öffentliche Auftritte sowie gegebenenfalls Tourneen zum Zwecke der Verkaufsförderung der Vertragsaufnahmen durchführen.
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ee) Gemäß § 12 Abs. 2 des Vertrages verpflichtet sich die Klägerin zur Produktion von Musik-Bildtonträgern und überträgt dem Beklagten umfassend ihre Leistungsschutzrechte an den Aufnahmen, einschließlich der Rechte am eigenen Bild. Die Klägerin erhält für die ausschließlich zu Werbe- und Promotionszwecken verwendeten Musikbild-Tonträger nach § 12 Abs. 6 kein Entgelt.
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ff) Die Regelung über die Vertragsdauer in § 13 des Vertrages benachteiligt die Klägerin ebenfalls einseitig. Der Künstlervertrag gilt zunächst für zwei Jahre. Nach § 13 Abs. 2 des Vertrages erhält allein der Beklagte die Option, den Vertrag dreimal um jeweils ein weiteres Jahr zu verlängern. Das Optionsrecht des Beklagten kann sogar unabhängig vom Jahresablauf bis zu sechs Monate nach Veröffentlichung der vorhergehenden LP/Single der Klägerin verlängert werden. Durch diese verlängerte Ausübungsmöglichkeit des Optionsrechts ist der Beklagte einseitig berechtigt, den Vertrag auch über fünf Jahre hinaus in Kraft zu setzen. Ihm wird eine nicht mehr hinnehmbare zeitliche Ausdehnung der Vertragslaufzeit ermöglicht. Neben der Titelexklusivität von zehn Jahren ab der Erstveröffentlichung der Vertragsaufnahme kann sich der Beklagte einseitig die persönliche Exklusivität über einen Zeitraum von deutlich mehr als fünf Jahren sichern. Demgegenüber steht der Klägerin keinerlei Verlängerungsmöglichkeit der grundsätzlich zweijährigen Vertragsdauer zu. Sofern sich also die wirtschaftlichen Erwartungen des Beklagten nicht realisieren lassen, endet das Vertragsverhältnis nach zwei Jahren. Sofern sich aber der wirtschaftliche Erfolg einstellt, kann der Beklagte die Klägerin durch die einseitig belastende Regelung in § 13 Abs. 2 des Vertrages langfristig an sich binden. Das wirtschaftliche Risiko wird somit auch bei der Regelung zur Vertragsdauer einseitig auf die Klägerin übertragen.
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b) Die Leistungen des Beklagten standen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in keinem vertretbaren Verhältnis zu diesen Leistungen der Klägerin. Der Beklagte unterhält im Erdgeschoss seines Hauses in H. ein kleines Tonstudio, das er allein betreibt. Die von ihm produzierten Tonträger vertreibt er über seine Internetseiten. Sein Einmann-Tonstudio „M.“ ist somit ein sogenanntes „Kleinst-Label“ in der Musikbranche. Die organisatorischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Beklagten zur Auswertung und Vermarktung der Vertragsaufnahmen waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses stark eingeschränkt. Im Gegensatz zu den großen Tonträgerproduzenten konnte der Beklagte der Klägerin keine erfolgversprechende Auswertung und Vermarktung der Vertragsaufnahmen anbieten. Umfangreiche Werbe- und Promotionsmaßnahmen, wie sie gerade am Beginn einer Musikerkarriere erforderlich sind, konnte der Beklagte von vornherein weder organisatorisch noch wirtschaftlich leisten. Dessen ungeachtet, hat sich der Beklagte gleich einem großen Tonträgerproduzenten sämtliche Leistungsschutzrechte von der Klägerin übertragen lassen. Die umfassenden Rechte hat sich der Beklagte gleichsam auf Vorrat, ohne erkennbare erfolgversprechende Verwertungsmöglichkeit, übertragen lassen.
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aa) Der umfassenden Rechtsübertragung der Klägerin steht keine korrespondierende Auswertungs- oder Vermarktungspflicht des Beklagten gegenüber. Nach § 7 des Vertrages steht die Veröffentlichung der Vertragsaufnahmen im Belieben des Beklagten. Er ist einseitig zur Veröffentlichung der Vertragsaufnahmen berechtigt, ohne diesbezüglich eine Verpflichtung gegenüber der Klägerin einzugehen. Der Beklagte ist sogar darin frei, die Vertragsaufnahmen unter Berücksichtigung von Marktgegebenheiten aus seinem Angebotskatalog zu streichen oder wieder zu veröffentlichen.
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bb) Der umfangreichen Verpflichtung der Klägerin zur Durchführung von Werbe- und Promotionsmaßnahmen sowie öffentlichen Auftritten und gegebenenfalls Tourneen in § 8 des Vertrages steht keine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung dieser Maßnahmen gegenüber. Der Beklagte hat sich im Gegensatz zur Klägerin zu keinen Handlungen verpflichtet, die der Verkaufsförderung der Vertragsaufnahmen und damit letztlich dem wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg der Klägerin dienen.
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cc) Der umfassenden Übertragung der Merchandising-Rechte der Klägerin steht keine Verpflichtung des Beklagten zur Verwertung dieser übertragenen Rechte gegenüber. Der Beklagte hat sich die Rechte an der Klägerin ohne erkennbare erfolgversprechende Verwertungsmöglichkeit gleichsam auf Vorrat umfassend übertragen lassen. Nach § 14 Abs. 2 des Vertrages ist er selbst noch nach Ablauf der Vertragsdauer zur einseitigen Nutzung der Merchandising-Rechte befugt, unabhängig davon ob er diese zuvor überhaupt verwertet hat.
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dd) Die Kammer sieht in der Entgeltregelung in §§ 9 i.V.m. 7 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 5 Abs. 3 des Vertrages keine angemessene Gegenleistung des Beklagten für die Leistungen der Klägerin. Die vertraglich vereinbarte Abrechnung und Vergütung ist für die Klägerin in hohem Maß ungünstig. Zwar haben die Parteien durch eine handschriftliche Änderung des Vertragsformulars die Umsatzbeteiligung der Klägerin von ursprünglich 7 % auf 10 % des Händlerabgabepreises erhöht. Der Wert dieser Umsatzbeteiligung ist aber unter Beachtung der stark eingeschränkten organisatorischen und wirtschaftlichen Auswertungs- und Vermarktungsmöglichkeiten des Einmann-Tonstudios des Beklagten zu bewerten.
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Darüber hinaus wird die grundsätzliche Umsatzbeteiligung von 10 % des Händlerabgabepreises in zahlreichen Ausnahmebestimmungen erheblich reduziert. Beim Verkauf im Ausland durch Lizenznehmer des Beklagten oder beim Export halbiert sich die Umsatzbeteiligung der Klägerin. Dasselbe gilt beim Verkauf von Tonträgern über Clubs, Direktversandhändler oder Sondervertriebswege. Auch beim Verkauf von Tonträgern an Großhändler oder bei besonderem Werbeaufwand des Beklagten beträgt die Umsatzbeteiligung der Klägerin von vornherein nur die Hälfte der grundsätzlich vereinbarten Umsatzbeteiligung.
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Zusätzlich werden nach § 9 Abs. 2 des Vertrages die Kosten der Tonträgerumhüllung und die Technikkosten vom Händlerabgabepreis abgezogen. Der pauschalierte Abzug beträgt bei der derzeit marktgängigen Nutzungsart „Compact Discs“ insgesamt 25 %.
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In der Preisgestaltung, die sich unmittelbar auf die Umsatzbeteiligung der Klägerin auswirkt, ist der Beklagte nach §§ 7 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 9 Abs. 3 des Vertrages frei. Der maßgebliche Händlerabgabepreis ist der jeweilige Listen-Abgabepreis des Beklagten oder seiner Lizenznehmer an den Handel ohne Verkaufs-/Umsatzsteuer.
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Die Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf die Klägerin wird durch die Regelung in § 5 Abs. 3 des Vertrages in erheblichem Umfang verstärkt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gehört es grundsätzlich zum Wesen eines Verwertungsvertrages, dass der Auswerter, der sich alle Rechte zur kommerziellen Auswertung übertragen lässt, auch die typischen Risiken einer solchen Auswertung, nämlich das Produktionsrisiko und das Risiko einer fehlgeschlagenen Promotion zu tragen hat (vgl. BGH GRUR 1989, S. 198, 201). Im vorliegenden Fall kann der Beklagte aber die gesamten Kosten für die Produktion der Vertragsaufnahmen von der Umsatzbeteiligung der Klägerin abziehen. Die einseitige Tragung der „Musikerhonorare, Studiokosten usw.“ durch die Klägerin garantiert dem Beklagten eine volle Kostendeckung, noch ehe er die erste Umsatzbeteiligung an die Klägerin auszahlen muss. Das wirtschaftliche Risiko des Beklagten wird durch diese einseitig belastende Regelung auf die Klägerin übertragen. Diese Risikoabwälzung erfolgt für sämtliche Produktionskosten, ohne dass die Klägerin auf deren Entstehung oder Umfang Einfluss hat.
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Erschwerend kommt bei der Gegenüberstellung von Leistung und Gegenleistung noch hinzu, dass der Beklagte die im Vertragsformular des „Musiker Jahrbuchs“ ausdrücklich vorgesehene Pflicht zur Vorauszahlung nicht übernommen hat. Entgegen der Branchenübung werden auf diese Weise die erheblichen wirtschaftlichen Risiken gerade am Anfang einer Musikerkarriere völlig einseitig auf die Klägerin übertragen.
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Die Einwendung des Beklagten, dass der Künstlervertrag schon objektiv nicht sittenwidrig sein könne, weil er der Branchenübung entspreche, ist nicht erheblich. Zum einen hat der Beklagte das veröffentlichte Vertragsformular im „Musiker Jahrbuch“ bei der Ausarbeitung des Künstlervertrages gerade zu Lasten der Klägerin abgeändert. Die in § 13 A des Vertragsformulars des „Musiker Jahrbuchs“ vorgesehene Vorauszahlungspflicht hat der Beklagte wegen seiner beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten bewusst nicht übernommen. Auch die in § 5 Abs. 3 des Vertragsformulars vorgesehene Übernahme der Produktionskosten durch die Tonträgerfirma wurde vom Beklagten bewusst zu Lasten der Klägerin abgeändert. Der Beklagte hat sich somit in ganz entscheidenden Regelungen des Künstlervertrages vom 18.04.2002 gerade selbst von der behaupteten Branchenübung gelöst.
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Zum anderen kann sich der Beklagte als Inhaber eines sogenannten „Kleinst-Labels“ mit einem Einmann-Tonstudio im Erdgeschoss seines Hauses in H. nicht auf eine allgemein gültige Branchenübung aller Tonträgerproduzenten berufen. Vertragliche Regelungen, die bei einem großen Tonträgerhersteller angesichts erheblicher Anfangsinvestitionen in eine Künstlerkarriere noch vertretbar sein können, rechtfertigen keine pauschale Übernahme auf Einmann-Tonstudios mit ihren stark eingeschränkten organisatorischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nach objektiven Maßstäben ist in jedem Einzelfall gesondert auf seine Vereinbarkeit mit den guten Sitten zu untersuchen. Auch dadurch, dass der Abschluss sittenwidriger Verträge in einer Branche üblich geworden sein mag, ändert sich an der Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Bewertungskriterien zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB im Einzelfall nichts (vgl. OLG Karlsruhe ZUM 2003, S. 785, 786).
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Das für die Annahme der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB erforderliche subjektive Moment ist gegeben. Der Beklagte kannte alle für die Beurteilung maßgeblichen Tatsachen und Umstände. Insbesondere kannte der Beklagte seine stark eingeschränkten wirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten, die er der Klägerin beim Aufbau ihrer Musikerkarriere anbieten konnte. In voller Kenntnis dieser Umstände hat sich der Beklagte durch den Künstlervertrag vom 18.04.2002 sämtliche Leistungsschutzrechte übertragen lassen, ohne eine erfolgversprechende Auswertung oder Vermarktung der Vertragsaufnahmen auch nur in Aussicht stellen zu können. Das auffällige Missverhältnis zwischen der Leistung der Klägerin und seiner Gegenleistung hat der Beklagte durch seine vorsätzlichen Abänderungen des Vertragsformulars im „Musiker Jahrbuch“ zusätzlich verschärft. Durch die ersatzlose Streichung der Pflicht zur Vorauszahlung und die einseitige Überwälzung der Produktionskosten zu Lasten der Klägerin hat der Beklagte die Klägerin bewusst krass benachteiligt.
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Darüber hinaus hat sich der Beklagte zumindest grob fahrlässig der Kenntnis der Sittenwidrigkeit wesentlicher Vertragsbestimmungen verschlossen. Im erläuternden Einführungstext zum Vertragsformular des „Musiker Jahrbuchs“ sind die streitgegenständlichen Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründen, ausdrücklich angesprochen. Die Ausführungen zur Vertragslaufzeit, zu den Produktionskosten und zur persönlichen Exklusivität unterstreichen die entscheidenden Unterschiede zwischen großen Tonträgerproduzenten und sogenannten „Kleinst-Labels“. Sofern der Beklagte, entsprechend seiner eigenen Einlassung, bei der Vertragsabfassung auf Einzelheiten keinen besonderen Wert gelegt und den erläuternden Einführungstext zu dem konkret verwendeten Formular nicht einmal gelesen hat, so hat er sich zumindest grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründen, verschlossen.
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3. Der Künstlervertrag vom 18.04.2002 ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft gemäß §§ 138 Abs. 1, 139 BGB insgesamt nichtig. Die salvatorische Klausel in § 16 Abs. 2 des Vertrages ist wegen des sittenwidrigen Gepräges des gesamten Vertrages unwirksam. Die Nichtigkeit des Künstlervertrages vom 18.04.2002 ergibt sich aus der umfassenden Würdigung des Gesamtcharakters des Rechtsgeschäfts. Es ist schon im Ansatz unmöglich, durch eine geltungserhaltende Reduktion einzelner Regelungen dem Vertrag insgesamt einen sittengemäßen Inhalt zu geben. Das Gericht müsste zur Geltungserhaltung einen ganz neuen Vertrag zwischen den Parteien, insbesondere zur Vertragslaufzeit, zum Entgelt und zum Leistungsumfang aufsetzen, wozu es nicht berechtigt ist.
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4. Es kann letztlich dahinstehen, ob die Unwirksamkeit des Künstlervertrages vom 18.04.2002 auch aus einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin entgegen Treu und Glauben nach §§ 306 Abs. 3, 307 BGB folgt.
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6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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Die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
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Die Klage ist zulässig. Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart folgt aus §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus §§ 13 ZPO i.V.m. 105 Abs. 1 UrhG i.V.m. 13 Abs. 1 der Verordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg über gerichtliche Zuständigkeiten vom 20.11.1998. Es handelt sich um eine Urheberrechtsstreitsache, da der streitgegenständliche Künstlervertrag nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung als urheberrechtlicher Verwertungsvertrag eigener Art zu qualifizieren ist (vgl. BGH, GRUR 1989, S. 198, 201; Fromm/Nordemann/Hertin Urheberrecht, 9. Auflage 1998, § 78 Rdnr. 6). Neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen ist auch das besondere Feststellungsinteresse gegeben. Die Klägerin hat ein schutzwürdiges Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses, da eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit über die Rechte und Pflichten aus dem urheberrechtlichen Verwertungsvertrag besteht.
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Die Feststellungsklage ist begründet, da der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ zwischen den Parteien vom 18.04.2002 gemäß § 138 Abs. 1 BGB insgesamt sittenwidrig und damit nichtig ist.
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Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (vgl. BGHZ 107, S. 92, 97 ff.; Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 63. Auflage 2004, § 138, Rdnr. 8). Begründet der Gesamtcharakter des Rechtsgeschäftes die Sittenwidrigkeit, ist beim Handelnden weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich. Es genügt vielmehr, wenn der Handelnde die Tatsachen kennt, aus denen die Sittenwidrigkeit folgt. Dem steht es auch gleich, wenn sich der Handelnde bewusst oder grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen verschließt (vgl. BGHZ 20, S. 43, 50 ff.; OLG Karlsruhe ZUM 2003 S. 785, 786). Danach können gegenseitige Verträge, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und außerdem mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Merkmale als sittenwidrig erscheinen lässt (vgl. BGH NJW 1993, S. 1587, 1588; BGH NJW 2001, S. 1127, 1127 ff.). Bei der Beurteilung von Leistung und Gegenleistung ist auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäftes abzustellen.
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Bei umfassender Würdigung des Gesamtcharakters des „Vertrages Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 sind die objektiven (vgl. 1.) und subjektiven (vgl. 2.) Voraussetzungen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäftes erfüllt. Der Vertrag ist wegen seines sittenwidrigen Gepräges insgesamt nichtig (vgl. 3.).
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1. Der „Vertrag Künstler/Tonträgerfirma“ vom 18.04.2002 enthält objektiv ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Bei Gesamtwürdigung der wesentlichen Umstände des konkreten Einzelfalles im Zeitpunkt des Vertragsschlusses steht die Gegenleistung des Beklagten in keinem vertretbaren Verhältnis zur Leistung der Klägerin. Das wirtschaftliche Risiko des Künstlervertrages wird fast ausschließlich auf die Klägerin abgewälzt. Den zahlreichen Regelungen zugunsten des Beklagten stehen krass benachteiligende Regelungen zu Lasten der Klägerin gegenüber.
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a) Der Künstlervertrag vom 18.04.2002 sieht weitreichende Leistungspflichten der Klägerin vor.
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aa) Nach § 2 des Vertrages überträgt die Klägerin ihre Leistungsschutzrechte umfassend auf den Beklagten. Die Klägerin überträgt auf den Beklagten das ausschließliche und übertragbare Auswertungsrecht an ihren Darbietungen auf Tonträger und Bild-Tonträger. Die exklusive Rechtsübertragung schließt sämtliche Leistungsschutzrechte und daraus folgende Ansprüche sowie alle sonstigen Rechte der Klägerin ein, die sie an den Vertragsaufnahmen erwirbt. Selbst die Merchandising-Rechte werden nach §§ 2 Abs. 6 i.V.m. 14 des Vertrages umfassend auf den Beklagten übertragen. Diese Rechtsübertragung gilt nach § 14 Abs. 2 des Vertrages auch noch bis zu zwei Jahre nach Ablauf der Vertragsdauer.
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bb) Die Klägerin gewährt dem Beklagten gemäß § 3 Abs. 1, 2 des Vertrages die persönliche Exklusivität für die Aufnahme und Auswertung von Darbietungen, Videos ohne Abbildung der Klägerin und Musik-Bildtonträger während der Vertragsdauer. Darüber hinaus sieht § 3 Abs. 5 eine noch weiter reichende Titelexklusivität für die Dauer von zehn Jahren ab der Erstveröffentlichung einer Vertragsaufnahme vor.
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cc) Die geschuldeten Vertragsaufnahmen hat die Klägerin vor Beginn der Produktion nach § 5 Abs. 1 des Vertrages auf eigene Kosten aufnahmereif einzustudieren. Die Entscheidung darüber, ob die Aufnahmen zur Veröffentlichung geeignet sind, trifft gemäß § 5 Abs. 2 dann aber der Beklagte. Nach § 5 Abs. 3 werden die Produktionskosten der Vertragsaufnahmen einseitig auf die Klägerin abgewälzt. Die nach Art und Umfang unbestimmten „Musikerhonorare, Studiokosten usw.“ werden vom Beklagten auf Vorauszahlungen oder Umsatzbeteiligungen angerechnet. Diese Haftung der Klägerin für die Produktionskosten ist ohne jede Begrenzung, obwohl sie selbst auf die Entstehung und Höhe keinerlei Einfluss hat.
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dd) Nach § 8 des Vertrages muss die Klägerin dem Beklagten Abbildungen und biographisches Material zur Verfügung stellen. Darüber hinaus muss sie Werbe- und Promotionsmaßnahmen des Beklagten unentgeltlich unterstützen und öffentliche Auftritte sowie gegebenenfalls Tourneen zum Zwecke der Verkaufsförderung der Vertragsaufnahmen durchführen.
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ee) Gemäß § 12 Abs. 2 des Vertrages verpflichtet sich die Klägerin zur Produktion von Musik-Bildtonträgern und überträgt dem Beklagten umfassend ihre Leistungsschutzrechte an den Aufnahmen, einschließlich der Rechte am eigenen Bild. Die Klägerin erhält für die ausschließlich zu Werbe- und Promotionszwecken verwendeten Musikbild-Tonträger nach § 12 Abs. 6 kein Entgelt.
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ff) Die Regelung über die Vertragsdauer in § 13 des Vertrages benachteiligt die Klägerin ebenfalls einseitig. Der Künstlervertrag gilt zunächst für zwei Jahre. Nach § 13 Abs. 2 des Vertrages erhält allein der Beklagte die Option, den Vertrag dreimal um jeweils ein weiteres Jahr zu verlängern. Das Optionsrecht des Beklagten kann sogar unabhängig vom Jahresablauf bis zu sechs Monate nach Veröffentlichung der vorhergehenden LP/Single der Klägerin verlängert werden. Durch diese verlängerte Ausübungsmöglichkeit des Optionsrechts ist der Beklagte einseitig berechtigt, den Vertrag auch über fünf Jahre hinaus in Kraft zu setzen. Ihm wird eine nicht mehr hinnehmbare zeitliche Ausdehnung der Vertragslaufzeit ermöglicht. Neben der Titelexklusivität von zehn Jahren ab der Erstveröffentlichung der Vertragsaufnahme kann sich der Beklagte einseitig die persönliche Exklusivität über einen Zeitraum von deutlich mehr als fünf Jahren sichern. Demgegenüber steht der Klägerin keinerlei Verlängerungsmöglichkeit der grundsätzlich zweijährigen Vertragsdauer zu. Sofern sich also die wirtschaftlichen Erwartungen des Beklagten nicht realisieren lassen, endet das Vertragsverhältnis nach zwei Jahren. Sofern sich aber der wirtschaftliche Erfolg einstellt, kann der Beklagte die Klägerin durch die einseitig belastende Regelung in § 13 Abs. 2 des Vertrages langfristig an sich binden. Das wirtschaftliche Risiko wird somit auch bei der Regelung zur Vertragsdauer einseitig auf die Klägerin übertragen.
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b) Die Leistungen des Beklagten standen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in keinem vertretbaren Verhältnis zu diesen Leistungen der Klägerin. Der Beklagte unterhält im Erdgeschoss seines Hauses in H. ein kleines Tonstudio, das er allein betreibt. Die von ihm produzierten Tonträger vertreibt er über seine Internetseiten. Sein Einmann-Tonstudio „M.“ ist somit ein sogenanntes „Kleinst-Label“ in der Musikbranche. Die organisatorischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Beklagten zur Auswertung und Vermarktung der Vertragsaufnahmen waren zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses stark eingeschränkt. Im Gegensatz zu den großen Tonträgerproduzenten konnte der Beklagte der Klägerin keine erfolgversprechende Auswertung und Vermarktung der Vertragsaufnahmen anbieten. Umfangreiche Werbe- und Promotionsmaßnahmen, wie sie gerade am Beginn einer Musikerkarriere erforderlich sind, konnte der Beklagte von vornherein weder organisatorisch noch wirtschaftlich leisten. Dessen ungeachtet, hat sich der Beklagte gleich einem großen Tonträgerproduzenten sämtliche Leistungsschutzrechte von der Klägerin übertragen lassen. Die umfassenden Rechte hat sich der Beklagte gleichsam auf Vorrat, ohne erkennbare erfolgversprechende Verwertungsmöglichkeit, übertragen lassen.
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aa) Der umfassenden Rechtsübertragung der Klägerin steht keine korrespondierende Auswertungs- oder Vermarktungspflicht des Beklagten gegenüber. Nach § 7 des Vertrages steht die Veröffentlichung der Vertragsaufnahmen im Belieben des Beklagten. Er ist einseitig zur Veröffentlichung der Vertragsaufnahmen berechtigt, ohne diesbezüglich eine Verpflichtung gegenüber der Klägerin einzugehen. Der Beklagte ist sogar darin frei, die Vertragsaufnahmen unter Berücksichtigung von Marktgegebenheiten aus seinem Angebotskatalog zu streichen oder wieder zu veröffentlichen.
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bb) Der umfangreichen Verpflichtung der Klägerin zur Durchführung von Werbe- und Promotionsmaßnahmen sowie öffentlichen Auftritten und gegebenenfalls Tourneen in § 8 des Vertrages steht keine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung dieser Maßnahmen gegenüber. Der Beklagte hat sich im Gegensatz zur Klägerin zu keinen Handlungen verpflichtet, die der Verkaufsförderung der Vertragsaufnahmen und damit letztlich dem wirtschaftlichen und persönlichen Erfolg der Klägerin dienen.
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cc) Der umfassenden Übertragung der Merchandising-Rechte der Klägerin steht keine Verpflichtung des Beklagten zur Verwertung dieser übertragenen Rechte gegenüber. Der Beklagte hat sich die Rechte an der Klägerin ohne erkennbare erfolgversprechende Verwertungsmöglichkeit gleichsam auf Vorrat umfassend übertragen lassen. Nach § 14 Abs. 2 des Vertrages ist er selbst noch nach Ablauf der Vertragsdauer zur einseitigen Nutzung der Merchandising-Rechte befugt, unabhängig davon ob er diese zuvor überhaupt verwertet hat.
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dd) Die Kammer sieht in der Entgeltregelung in §§ 9 i.V.m. 7 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 5 Abs. 3 des Vertrages keine angemessene Gegenleistung des Beklagten für die Leistungen der Klägerin. Die vertraglich vereinbarte Abrechnung und Vergütung ist für die Klägerin in hohem Maß ungünstig. Zwar haben die Parteien durch eine handschriftliche Änderung des Vertragsformulars die Umsatzbeteiligung der Klägerin von ursprünglich 7 % auf 10 % des Händlerabgabepreises erhöht. Der Wert dieser Umsatzbeteiligung ist aber unter Beachtung der stark eingeschränkten organisatorischen und wirtschaftlichen Auswertungs- und Vermarktungsmöglichkeiten des Einmann-Tonstudios des Beklagten zu bewerten.
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Darüber hinaus wird die grundsätzliche Umsatzbeteiligung von 10 % des Händlerabgabepreises in zahlreichen Ausnahmebestimmungen erheblich reduziert. Beim Verkauf im Ausland durch Lizenznehmer des Beklagten oder beim Export halbiert sich die Umsatzbeteiligung der Klägerin. Dasselbe gilt beim Verkauf von Tonträgern über Clubs, Direktversandhändler oder Sondervertriebswege. Auch beim Verkauf von Tonträgern an Großhändler oder bei besonderem Werbeaufwand des Beklagten beträgt die Umsatzbeteiligung der Klägerin von vornherein nur die Hälfte der grundsätzlich vereinbarten Umsatzbeteiligung.
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Zusätzlich werden nach § 9 Abs. 2 des Vertrages die Kosten der Tonträgerumhüllung und die Technikkosten vom Händlerabgabepreis abgezogen. Der pauschalierte Abzug beträgt bei der derzeit marktgängigen Nutzungsart „Compact Discs“ insgesamt 25 %.
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In der Preisgestaltung, die sich unmittelbar auf die Umsatzbeteiligung der Klägerin auswirkt, ist der Beklagte nach §§ 7 Abs. 1 S. 3 i.V.m. 9 Abs. 3 des Vertrages frei. Der maßgebliche Händlerabgabepreis ist der jeweilige Listen-Abgabepreis des Beklagten oder seiner Lizenznehmer an den Handel ohne Verkaufs-/Umsatzsteuer.
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Die Überwälzung des wirtschaftlichen Risikos auf die Klägerin wird durch die Regelung in § 5 Abs. 3 des Vertrages in erheblichem Umfang verstärkt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gehört es grundsätzlich zum Wesen eines Verwertungsvertrages, dass der Auswerter, der sich alle Rechte zur kommerziellen Auswertung übertragen lässt, auch die typischen Risiken einer solchen Auswertung, nämlich das Produktionsrisiko und das Risiko einer fehlgeschlagenen Promotion zu tragen hat (vgl. BGH GRUR 1989, S. 198, 201). Im vorliegenden Fall kann der Beklagte aber die gesamten Kosten für die Produktion der Vertragsaufnahmen von der Umsatzbeteiligung der Klägerin abziehen. Die einseitige Tragung der „Musikerhonorare, Studiokosten usw.“ durch die Klägerin garantiert dem Beklagten eine volle Kostendeckung, noch ehe er die erste Umsatzbeteiligung an die Klägerin auszahlen muss. Das wirtschaftliche Risiko des Beklagten wird durch diese einseitig belastende Regelung auf die Klägerin übertragen. Diese Risikoabwälzung erfolgt für sämtliche Produktionskosten, ohne dass die Klägerin auf deren Entstehung oder Umfang Einfluss hat.
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Erschwerend kommt bei der Gegenüberstellung von Leistung und Gegenleistung noch hinzu, dass der Beklagte die im Vertragsformular des „Musiker Jahrbuchs“ ausdrücklich vorgesehene Pflicht zur Vorauszahlung nicht übernommen hat. Entgegen der Branchenübung werden auf diese Weise die erheblichen wirtschaftlichen Risiken gerade am Anfang einer Musikerkarriere völlig einseitig auf die Klägerin übertragen.
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Die Einwendung des Beklagten, dass der Künstlervertrag schon objektiv nicht sittenwidrig sein könne, weil er der Branchenübung entspreche, ist nicht erheblich. Zum einen hat der Beklagte das veröffentlichte Vertragsformular im „Musiker Jahrbuch“ bei der Ausarbeitung des Künstlervertrages gerade zu Lasten der Klägerin abgeändert. Die in § 13 A des Vertragsformulars des „Musiker Jahrbuchs“ vorgesehene Vorauszahlungspflicht hat der Beklagte wegen seiner beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten bewusst nicht übernommen. Auch die in § 5 Abs. 3 des Vertragsformulars vorgesehene Übernahme der Produktionskosten durch die Tonträgerfirma wurde vom Beklagten bewusst zu Lasten der Klägerin abgeändert. Der Beklagte hat sich somit in ganz entscheidenden Regelungen des Künstlervertrages vom 18.04.2002 gerade selbst von der behaupteten Branchenübung gelöst.
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Zum anderen kann sich der Beklagte als Inhaber eines sogenannten „Kleinst-Labels“ mit einem Einmann-Tonstudio im Erdgeschoss seines Hauses in H. nicht auf eine allgemein gültige Branchenübung aller Tonträgerproduzenten berufen. Vertragliche Regelungen, die bei einem großen Tonträgerhersteller angesichts erheblicher Anfangsinvestitionen in eine Künstlerkarriere noch vertretbar sein können, rechtfertigen keine pauschale Übernahme auf Einmann-Tonstudios mit ihren stark eingeschränkten organisatorischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung nach objektiven Maßstäben ist in jedem Einzelfall gesondert auf seine Vereinbarkeit mit den guten Sitten zu untersuchen. Auch dadurch, dass der Abschluss sittenwidriger Verträge in einer Branche üblich geworden sein mag, ändert sich an der Anwendung der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Bewertungskriterien zur Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB im Einzelfall nichts (vgl. OLG Karlsruhe ZUM 2003, S. 785, 786).
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Das für die Annahme der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB erforderliche subjektive Moment ist gegeben. Der Beklagte kannte alle für die Beurteilung maßgeblichen Tatsachen und Umstände. Insbesondere kannte der Beklagte seine stark eingeschränkten wirtschaftlichen und organisatorischen Möglichkeiten, die er der Klägerin beim Aufbau ihrer Musikerkarriere anbieten konnte. In voller Kenntnis dieser Umstände hat sich der Beklagte durch den Künstlervertrag vom 18.04.2002 sämtliche Leistungsschutzrechte übertragen lassen, ohne eine erfolgversprechende Auswertung oder Vermarktung der Vertragsaufnahmen auch nur in Aussicht stellen zu können. Das auffällige Missverhältnis zwischen der Leistung der Klägerin und seiner Gegenleistung hat der Beklagte durch seine vorsätzlichen Abänderungen des Vertragsformulars im „Musiker Jahrbuch“ zusätzlich verschärft. Durch die ersatzlose Streichung der Pflicht zur Vorauszahlung und die einseitige Überwälzung der Produktionskosten zu Lasten der Klägerin hat der Beklagte die Klägerin bewusst krass benachteiligt.
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Darüber hinaus hat sich der Beklagte zumindest grob fahrlässig der Kenntnis der Sittenwidrigkeit wesentlicher Vertragsbestimmungen verschlossen. Im erläuternden Einführungstext zum Vertragsformular des „Musiker Jahrbuchs“ sind die streitgegenständlichen Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründen, ausdrücklich angesprochen. Die Ausführungen zur Vertragslaufzeit, zu den Produktionskosten und zur persönlichen Exklusivität unterstreichen die entscheidenden Unterschiede zwischen großen Tonträgerproduzenten und sogenannten „Kleinst-Labels“. Sofern der Beklagte, entsprechend seiner eigenen Einlassung, bei der Vertragsabfassung auf Einzelheiten keinen besonderen Wert gelegt und den erläuternden Einführungstext zu dem konkret verwendeten Formular nicht einmal gelesen hat, so hat er sich zumindest grob fahrlässig der Kenntnis erheblicher Tatsachen, die die Sittenwidrigkeit des Vertrages begründen, verschlossen.
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3. Der Künstlervertrag vom 18.04.2002 ist als wucherähnliches Rechtsgeschäft gemäß §§ 138 Abs. 1, 139 BGB insgesamt nichtig. Die salvatorische Klausel in § 16 Abs. 2 des Vertrages ist wegen des sittenwidrigen Gepräges des gesamten Vertrages unwirksam. Die Nichtigkeit des Künstlervertrages vom 18.04.2002 ergibt sich aus der umfassenden Würdigung des Gesamtcharakters des Rechtsgeschäfts. Es ist schon im Ansatz unmöglich, durch eine geltungserhaltende Reduktion einzelner Regelungen dem Vertrag insgesamt einen sittengemäßen Inhalt zu geben. Das Gericht müsste zur Geltungserhaltung einen ganz neuen Vertrag zwischen den Parteien, insbesondere zur Vertragslaufzeit, zum Entgelt und zum Leistungsumfang aufsetzen, wozu es nicht berechtigt ist.
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4. Es kann letztlich dahinstehen, ob die Unwirksamkeit des Künstlervertrages vom 18.04.2002 auch aus einer unangemessenen Benachteiligung der Klägerin entgegen Treu und Glauben nach §§ 306 Abs. 3, 307 BGB folgt.
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6. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 709 S. 1, 2 ZPO.
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