Beschluss vom Landgericht Stuttgart - 1 T 1/2005; 1 T 1/05

Tenor

1. Der Zurückweisungsbeschluss des Notariats  - Grundbuchamt - vom 16. November 2004 wird aufgehoben.

2. Das Grundbuchamt  wird angewiesen, dem Antragsteller aus der Grundakte Grundbuchamt Nr. ... eine beglaubigte Abschrift des Kaufvertrags zu erteilen, mit dem Frau ... die von ihrer Mutter, Frau ..., erworbenen Grundstücke weiter veräußert hat.

Gründe

 
I. Der Beschwerdeführer begehrt Einsicht in die Grundakten und Erteilung einer Abschrift des Grundstückskaufvertrags, mit dem seine Schwester, Frau ... , die wenige Jahre zuvor von der Mutter ... erworbenen Gebäudegrundstücke an Dritte weiter verkauft hat.
Alleinerbe der im Jahre 2003 verstorbenen Mutter ist der Beschwerdeführer. Er trägt vor, seine Schwester, Frau ..., sei pflichtteilsberechtigt. Die Schwester habe den Grundbesitz von der Mutter weit unter Wert übertragen bekommen, es läge deshalb eine gemischte Schenkung vor. Bei Kenntnis des Kaufpreises beim Verkauf des Grundbesitzes an Dritte wenige Jahre später könnten Rückschlüsse auf den Verkehrswert im Zeitpunkt der Übertragung von der Mutter auf die Tochter gezogen werden. Eine etwaige Schenkung sei im Pflichtteilsrecht zumindest im Hinblick auf die Anrechenbarkeit eines Eigengeschenks auf einen etwaigen Ergänzungspflichtteil gem. § 2327 BGB von Bedeutung. Daraus ergebe sich das berechtigte Interesse iSv § 12 GBO iVm § 46 GBVerf.
Das Grundbuchamt hat den Antrag zurück gewiesen.
Es ist der Ansicht, ein berechtigtes Interesse des Beschwerdeführers bestehe nicht. Das Grundbuchamt habe mit besonderer Sorgfalt zu prüfen, ob das dargelegte Interesse ausreiche, um einem Dritten in die in den Grundakten verwahrten Urkunden Einsicht gewähren zu können. Dabei sei bei einer notariellen Urkunde, worum es sich bei einem Grundstückskaufvertrag handle, die Vorschrift des § 51 BeurkG zu beachten. Nach dieser Vorschrift dürfe keiner Person, die nicht Beteiligte an dem betreffenden Beurkundungsvorgang sei, eine Abschrift oder Ausfertigung erteilt werden. Diese strenge Vorschrift des Beurkundungsrechts könne nicht über die §§ 12 GBO, 46 GBVerf umgangen werden.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II. Die Beschwerde ist zulässig, sie hat in der Sache auch Erfolg.
Der Beschwerdeführer kann Einsicht in die Grundakten und die Erteilung einer beglaubigten Abschrift des Vertrages über die Veräußerung des fraglichen Grundbesitzes gem. §§ 12, 142 GBO i.V.m. § 46 Grundbuchverfügung verlangen.
Der Beschwerdeführer hat sein berechtigtes Interesse an der Einsicht in den Kaufvertrag dargetan.
Berechtigtes Interesse kann auch ein wirtschaftliches Interesse des Beschwerdeführers sein, das sich hier aus dem Pflichtteilsrecht ergibt (vgl. die beiden Beschlüsse der Kammer vom 5.9.1995 - 1 T 29/1995 - in NJW-RR 1996, 532 und vom 26.2.1998 - 1 T 1/1998 - in Rpfleger 1998, 339 sowie die Rechtsprechungsnachweise bei Demharter, GBO, 24. Aufl. 2002, § 12 Rn 9). Zwischen dem Beschwerdeführer als dem Alleinerben der Mutter und seiner Schwester als Pflichtteilsberechtigter am Nachlass der Mutter besteht ein erbrechtlich-schuldrechtliches Rechtsverhältnis aus Pflichtteilsrecht (§§ 2303 ff. BGB). Für die konkrete Ausgestaltung dieses Rechtsverhältnisses ist die Frage von Zuwendungen seitens der Erblasserin - der Mutter - an die Schwester von zentraler Bedeutung. Der in dem Kaufvertrag mit Dritten vereinbarte Kaufpreis kann Rückschlüsse auf den Wert des von der Mutter erworbenen Grundbesitzes auch zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Schwester zulassen und damit der Klärung der Frage dienen, ob eine unentgeltliche Zuwendung in dem bezeichneten Pflichtteilsrechtsverhältnis in Betracht kommt. Im Pflichtteilsrecht kann eine Schenkung der Erblasserin an einen Pflichtteilsberechtigten u.a. in den Fällen der §§ 2315, 2316, 2327 BGB von Bedeutung sein. Mit der Darlegung des Pflichtteilsrechtsverhältnisses und der beiden Veräußerungsvorgänge hat der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Einsicht in die Grundakten und an der Erteilung einer beglaubigten Abschrift in ausreichendem Maße dargelegt.
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Gem. § 46 Abs. 3 Grundbuchverfügung kann er eine beglaubigte Abschrift der Kaufvertragsurkunde verlangen.
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Dem steht auch § 51 BeurkG nicht entgegen.
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Das Grundbuchamt führt zu Recht aus, dass der den Kaufvertrag beurkundende Notar in der Tat einem nichtbeteiligten Dritten keine Abschrift der Urkunde erteilen dürfte. Das Grundbuchrecht beinhaltet in Bezug auf das Recht, eine Abschrift aus den Grundakten verlangen zu können, jedoch eine vom Beurkundungsrecht abweichende Regelung. Die Schwelle des Grundbuchverfahrensrechts für die Erlangung einer Abschrift von einer in die Grundakten aufgenommenen notariellen Urkunde ist in den §§ 12 GBO, 46 GBVfg wesentlich niedriger als im Beurkundungsrecht. Die genannten Vorschriften haben Vorrang vor § 51 BeurkG, weil es sich insofern um Spezialregelungen handelt für Urkunden, die sich in den Grundakten befinden. Das Gesetz verlangt hier ausdrücklich lediglich ein berechtigtes Interesse des die Einsicht Begehrenden und nicht seine formelle oder materielle Beteiligteneigenschaft im Sinne des Beurkundungsrechts. Und Urkunden, auf die sich das Einsichtsrecht und das Recht auf Fertigung einer Abschrift bezieht, sind in der Großzahl der Fälle notarielle Urkunden, weil die Formvorschrift des § 29 GBO gerade solche Urkunden im strengen Nachweisverfahren des Grundbuchrechts als Grundlagen von Grundbucheintragungen erfordert. Damit ist klargestellt, dass sich das Grundbuchrecht in Bezug auf das Einsichtsrecht für das wesentlich geringere Erfordernis des berechtigten Interesses entschieden hat und nicht für die hohe Anforderung der Beteiligteneigenschaft des die Einsicht Begehrenden.
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Im vorliegenden Fall käme sogar ein Auskunftsanspruch des allein erbenden, ebenfalls zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehörenden Beschwerdeführers (als Sohn, § 2303 BGB) gegen seine pflichtteilsberechtigte Schwester in Bezug auf eine etwaige Schenkung gem. § 242 BGB (nicht analog § 2314 BGB) in Betracht, vgl. BGHZ 61, 180.
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Dem Einsichtsrecht steht auch das Datenschutzrecht nicht entgegen. Nach § 1 Abs. 4 BDSG gehen andere Rechtsvorschriften vor; dies sind hier die §§ 12, 142 GBO, 46 Grundbuchverfügung.
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Das Grundbuchamt war aus den dargelegten Gründen anzuweisen, die begehrte Abschrift zu erteilen.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 30 KostO.

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