Beschluss vom Landgericht Stuttgart - 19 T 78/12

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Böblingen - Vollstreckungsgericht - vom 27.02.2012 (2 M 4218/11 und 45 M 5949/11) abgeändert:

Die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Amtsgerichts Böblingen vom 19.07.2011 (2 M 4218/11) und vom 31.10.2011 (45 M 5949/11) werden dahingehend ergänzt, dass die Pfändung künftiger Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin erst mit dem auf den jeweiligen Fälligkeitstag folgenden Werktag wirksam wird.

2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

3. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

5. Der Gläubigerin wird Prozesskostenhilfe - ohne Raten - für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt N.N., H., beigeordnet.

Beschwerdewert: bis 1.000,-- EUR

Gründe

 
I.
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung wegen Kindesunterhalts i.H.v. monatlich derzeit 606,-- EUR. Am 15.07.2011 beantragte sie beim Amtsgericht Böblingen - Vollstreckungsgericht - den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, der am 20.07.2011 unter dem Aktenzeichen 2 M 4218/11 erlassen wurde und u.a. die Pfändung von Zahlungsansprüchen des Schuldners gegen die Drittschuldnerin aus dem Betrieb einer Photovoltaikanlage gem. §§ 16 ff. EEG (Einspeisevergütung) nebst etwaiger weiterer künftiger Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin sowie deren Überweisung an die Gläubigerin zur Einziehung bewirkte. Ferner wurde in der Angelegenheit 2 M 4218/11 die Zusammenrechnung mehrerer vom Schuldner bezogener Einkünfte, darunter die von der Drittschuldnerin gezahlte Einspeisevergütung, gem. § 850e Nr. 2 ZPO beantragt und verfügt, dass die Auszahlung des auf diese Weise zusammengerechneten Gesamtbetrages durch eine andere Drittschuldnerin - die Agentur für Arbeit - erfolgen soll.
Desweiteren erwirkte die Gläubigerin als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Töchter A. und B. am 31.10.2011 unter dem Aktenzeichen 45 M 5949/11 einen auf die Beitreibung rückständigen Kindesunterhalts i.H.v. 2.665,74 EUR sowie - nachdem der Schuldner keine Leistungen der Agentur für Arbeit mehr beziehe - künftigen Unterhalts i.H.v. monatlich 606,-- EUR gerichteten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinsichtlich der vorstehend bezeichneten Einspeisevergütung sowie erneut etwaiger weiterer künftiger Ansprüche.
Der Vergütungsanspruch des Schuldners gegen die Drittschuldnerin aus der sog. Einspeisevergütung beläuft sich gegenwärtig auf monatlich 197,-- EUR.
Mit Schriftsatz vom 12.01.2012 legte die Drittschuldnerin Erinnerung gegen die vorbezeichneten Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse ein und beantragte deren Aufhebung hinsichtlich der Einspeisevergütung, da es sich hierbei nicht um Arbeitseinkommen i.S.v. § 850d Abs. 3 ZPO handle und eine Vorratspfändung daher nicht zulässig sei. Diesen Antrag hat das Amtsgericht Böblingen mit Beschluss vom 27.02.2012, gegen den sich die Drittschuldnerin mit ihrer am 09.03.2012 bei Gericht eingegangenen Beschwerde wendet, hinsichtlich beider Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung verweist das Amtsgericht auf einen Nichtabhilfebeschluss des Rechtspflegers vom 27.02.2012, in dem die Einspeisevergütung nach dem EEG unter Bezugnahme auf einkommenssteuer- und sozialrechtliche Grundsätze und Bestimmungen als Arbeitseinkommen i.S.v. § 850d Abs. 3 ZPO eingestuft wird.
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel der Drittschuldnerin mit Beschlüssen vom 16.03.2012 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Stuttgart zur Entscheidung vorgelegt. Der zuständige Einzelrichter des Landgerichts hat das Verfahren der mit der Beschwerde befassten Kammer mit Beschluss vom 23.07.2012 zur Entscheidung übertragen.
Im Beschwerdeverfahren, in dem Gelegenheit zur Stellungnahme bestand, hat die Gläubigerin Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Im Übrigen wird auf die schriftsätzlichen Äußerungen der Gläubigerin und der Drittschuldnerin im Beschwerdeverfahren Bezug genommen.
II.
Die gem. §§ 793, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insb. fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache überwiegend begründet.
1. Bei der Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen (§ 850d ZPO) kann gem. § 850d Abs. 3 ZPO zugleich mit der Pfändung wegen fälliger Ansprüche auch künftig fällig werdendes Arbeitseinkommen wegen der dann jeweils fällig werdenden Ansprüche gepfändet und überwiesen werden (sog. Vorratspfändung; siehe hierzu u.a. Smid in: Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 850d Rn. 33; Musielak-Becker, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 850d Rn. 19 f.; Riedel in: Beck'scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 15.04.2012, § 850d Rn. 55 ff.). Die Vorratspfändung begründet einen einheitlichen Rang für die bereits fälligen und die erst später fällig werdenden Unterhaltsansprüche (BGH, Beschluss v. 31.10.2003 - IXa ZB 200/03 - Rn. 12 - wie alle nachfolgenden Entscheidungen zitiert nach juris).
2. Eine solche rangwahrende Pfändung wegen künftig fällig werdender Ansprüche, mit der zwangsläufig eine Benachteiligung der nicht bevorrechtigten Gläubiger einher geht (BGH a.a.O.), ist indes lediglich innerhalb der von § 850d Abs. 3 ZPO bestimmten, engen Grenzen möglich. § 850d Abs. 3 ZPO erfasst lediglich das Arbeitseinkommen des Schuldners sowie die diesem nach § 850 Abs. 3 ZPO gleichgestellten Bezüge; hinzu kommen Mehrarbeits-, Urlaubs-, Treue- und Weihnachtsgeld (§ 850a Nrn. 1, 2 und 4 ZPO) sowie die bedingt pfändbaren Bezüge gem. § 850b ZPO (Musielak-Becker a.a.O. § 850 Rn. 4; MüKo-Smid a.a.O. Rn. 34). Fortlaufende Sozialleistungen in Geld stehen einem Arbeitseinkommen gleich (Riedel a.a.O. Rn. 57).
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3. Bei der Bestimmung des Begriffs des Arbeitseinkommens i.S.v. §§ 850 ff., 850d Abs. 3 ZPO hat sich das Amtsgericht in seiner mit der sofortigen Beschwerde angefochtenen Entscheidung an steuer- und sozialrechtlichen Erwägungen orientiert und hieraus gefolgert, dass die schuldnerseits in Gestalt der Einspeisevergütung erzielten Einkünfte als Arbeitseinkommen einzuordnen seien.
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4. Das inhaltlich hiergegen gerichtete Rechtsmittel der Drittschuldnerin hat im Wesentlichen Erfolg.
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a) Arbeitseinkommen i.S.v. § 850 ff. ZPO sind gem. § 850 Abs. 2 ZPO Entgelte für Leistungen, die von persönlich oder wirtschaftlich Abhängigen erbracht werden, wozu insb. - aber nicht nur - Arbeitnehmer zählen. Zum Entgelt zählen wiederkehrende und einmalige Bezüge, die aufgrund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses geschuldet sind (Musielak-Becker a.a.O. § 850 Rn. 4 m.w.N.). Die zwangsvollstreckungsrechtlichen Begrifflichkeiten des Einkommens und der Einkünfte sind autonom und nicht nach dem Einkommenssteuerrecht auszulegen (Musielak-Becker a.a.O. § 850i Rn. 1 m. Hinw. a. BT-Drucks. 16/7615, S. 18). Sonstige Vergütungen zählen als Arbeitseinkommen im Sinne des Zwangsvollstreckungsrechts, wenn die Dienste, mit denen sie erzielt werden, die Erwerbstätigkeit eines Schuldners vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen (BGH, Urteil v. 08.12.1977 - II ZR 219/75 - Rn. 71; Urteil v. 05.12.1985 - IX ZR 9/85 - Rn. 13 m.w.N.). § 850 Abs. 2 ZPO unterscheidet nicht danach, ob die vergüteten Dienste in abhängiger oder freier Stellung geleistet werden, sondern stellt darauf ab, dass eine fortlaufende Vergütung für persönliche Dienste, die eine Erwerbstätigkeit ganz oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen, wesentlich zur Existenzsicherung beiträgt (BGH, Urteil v. 08.12.1977 - II ZR 219/75 - a.a.O. m. Hinweis a. d. gesetzgeberische Intention).
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b) Die von der Drittschuldnerin gem. §§ 16 ff. EEG zu entrichtende Einspeisevergütung entspringt keiner Erwerbstätigkeit des Schuldners, sondern ist - ähnlich wie bspw. Miet- oder Pachteinkünfte (s. hierzu Riedel a.a.O. Rn. 60; Musielak-Becker a.a.O. § 850d Rn. 19) - ein Resultat anderer, nicht von § 850 Abs. 2 ZPO erfasster wirtschaftlicher Dispositionen, weshalb die Voraussetzungen einer Vorratspfändung i.S.v. § 850d Abs. 3 ZPO hier nicht angenommen werden können.
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c) Auch unter Beachtung der vom Amtsgericht - zutreffend - wiedergegebenen Grundsätze des Einkommenssteuer- und des Sozialrechts (vgl. nur BSG, Urteil v. 07.10.2004 - B 13 RJ 13/04 R - Rn. 24 ff.; BT-Drucks. 16/12555) begegnet der Ausschluss von anderen als den vorgenannten Einkünften - und mithin: der hier streitgegenständlichen Einspeisevergütung - von der Vorratspfändung gem. § 850d Abs. 3 ZPO keinen grundsätzlichen Bedenken. Eine andere Einschätzung würde aus Sicht der mit dem Rechtsmittel der Drittschuldnerin befassten Kammer verkennen, dass § 850d Abs. 3 ZPO bereits eine - von Verfassungs wegen rechtfertigungsbedürftige - Ausnahme von dem in der Zwangsvollstreckung verbindlichen Grundsatz, dass die Pfändung eines Anspruchs - welche die Grundfreiheiten des hiervon Betroffenen in wesentlichem Umfang berührt - nur bei Fälligkeit erfolgen darf (§ 751 Abs. 1 ZPO), darstellt.
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Die vom Amtsgericht zitierten, aus anderen Rechtsgebieten herrührenden Erwägungen basieren auf anderen Zielrichtungen dieser mit dem Zwangsvollstreckungsrecht in der Sache allenfalls eingeschränkt vergleichbaren rechtlichen Materien.
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5. Darüber hinaus wird dem Interesse der Gläubigerin im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens auch dadurch - wenn nicht gar eher - hinreichend Rechnung getragen, dass die Einspeisevergütung im Wege der sog. Dauer- oder Vorauspfändung - wenngleich nicht rangwahrend - auch mit Blick auf die Zukunft gepfändet werden kann (siehe hierzu MüKo-Smid a.a.O. Rn. 33 und Riedel a.a.O. Rn. 60 ff. mit zahlr. weiteren Nachw.).
17 
Nachdem sowohl die Gläubigerin als auch, gegenüber dem Amtsgericht, die Drittschuldnerin hilfsweise eine Abänderung der streitgegenständlichen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse in Richtung einer solchen, nicht rangwahrenden Dauerpfändung beantragt haben, war hierauf auch zu erkennen und die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen. Hierbei hat die Beschwerdekammer den Hilfsantrag der Gläubigerin im Wege der interessengerechten Auslegung dahingehend interpretiert, dass die Pfändung künftiger Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin erst mit dem auf den jeweiligen Fälligkeitstag folgenden Werktag wirksam wird (BGH, Beschluss v. 31.10.2003 - IXa ZB 200/03 - Rn. 1, 9 f.; MüKo-Smid a.a.O.; Musielak-Becker a.a.O. § 850d Rn. 20).
III.
18 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und Nr. 2121 KV GKG. Insoweit hat die Kammer von ihrem Ermessen, die Kosten des Beschwerdeverfahrens vollständig niederzuschlagen, Gebrauch gemacht.
19 
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde resultiert aus der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und daraus, dass - soweit für die Kammer erkennbar - bislang keine obergerichtliche Judikatur zu der streitgegenständlichen, in der Fachwelt - wovon nicht zuletzt der Nichtabhilfebeschluss des Rechtspflegers in der hiesigen Beschwerdesache Zeugnis leistet - durchaus diskutierten Frage der Relevanz der Einspeisevergütung gem. §§ 16 ff. EEG oder vergleichbarer Einkünfte im Rahmen der Vorratspfändung gem. § 850d Abs. 3 ZPO existiert.
20 
Den Beschwerdewert hat die Kammer gem. § 3 ZPO unter Berücksichtigung des mit der Vorratspfändung gegenüber der hilfsweise beantragten sog. Dauerpfändung - mit der sich die Drittschuldnerin ungeachtet ihres konkreten Antrags im Beschwerdeverfahren mehrmals ausdrücklich einverstanden erklärt hat - verbundenen Rangvorteils geschätzt.
IV.
21 
Der Gläubigerin war Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen und ein Rechtsanwalt beizuordnen, da sie die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bot, nicht mutwillig erschien und die Beiordnung eines Rechtsanwalts im hiesigen konkreten Einzelfall erforderlich i.S.v. § 121 Abs. 2 ZPO (siehe hierzu grundlegend BGH, Beschluss v. 18.07.2003 - IXa ZB 124/03 - Rn. 3; Beschluss v. 25.09.2003 - IXa ZB 192/03 - Rn. 5 f.) erschien.

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