Urteil vom Landgericht Stuttgart - 13 S 132/15

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Böblingen vom 26.08.2015, Az. 4 C 1056/15, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die vorläufige Vollstreckung des Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, es sei denn, dass der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Böblingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 4.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Klägerin begehrt Kaufpreiszahlung nebst Zinsen sowie die Feststellung, dass der Rechtsgrund der vorsätzlich begangen unerlaubten Handlung vorliegt.
1.
Der Beklagte bezog im Februar 2015 von der Klägerin Waren. Über diese Warenlieferungen erstellte die Beklagte am 23.02.15 die Rechnung Nr. x... in Höhe von 120,65 Euro und am 24.02.15 die Rechnung Nr. y… in Höhe von 3.481,25 Euro, nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Klägerin jeweils unter Angabe des Lieferdatums, der einzelnen gelieferten Artikel und der vereinbarten Preise.
Der Beklagte bezahlte die Rechnungen trotz Mahnung nicht.
Der Beklagte bezog die Waren unter der Vorspiegelung, er könne den Gegenwert fristgerecht bezahlen, obwohl er damit zum Zeitpunkt der Bestellung schon nicht mehr rechnen konnte, was er billigend in Kauf nahm.
Die Klägerin beantragt,
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.977,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.601,90 Euro ab dem 21.05.2015 und aus weiteren 347,60 Euro ab Klagzustellung zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass auch der Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vorliegt.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
Die Klägerin hat die bezeichneten Rechnungen - auch auf Anforderung des Amtsgerichts - nicht vorgelegt.
2.
10 
Das Amtsgericht hat die Klage durch unechtes Versäumnisurteil abgewiesen. Die Klage sei nicht hinreichend substantiiert begründet worden. Weder sei in der Klage dargelegt worden, welcher Kaufgegenstand zu welchem Preis verkauft worden war, noch seien Rechnungen vorgelegt worden.
3.
11 
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie macht geltend, für die Schlüssigkeit der Klage sei eine Vorlage der Rechnungen nicht erforderlich. Solange der Vortrag unstreitig bleibe, genüge die Behauptung, dass die Urkunde einen bestimmten Inhalt habe. Die in der Rechnung enthaltenen Detailinformationen würden zur weiteren Aufklärung nichts beitragen. Es handle sich dabei lediglich um die Angabe von Artikelnummern. Das Amtsgericht überziehe die Anforderungen an die Substantiierung. Zur Untermauerung ihres Vorbringens bezieht sich die Klägerin auf einen Hinweis des OLG Stuttgart in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.15 (Bl. 21, Anlage zum Protokoll vom 12.2.15, dort unter 1 a)). Außerdem habe eine Vielzahl von Gerichten aufgrund vergleichbaren Vortrags Versäumnisurteile ohne Bedenken erlassen.
12 
Die Klägerin beantragt die Abänderung des Urteils des Amtsgerichts und im Übrigen wie in erster Instanz.
13 
Der Beklagte stellt keinen Antrag.
14 
Nachdem die Kammer mit Hinweis vom 15.09.15 (Bl. 50 d. A.) auf ihre vorläufige Ansicht hingewiesen hatte, sie halte den Streitgegenstand für hinreichend bestimmt, hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 28.10.15 darauf hingewiesen, dass sie nach Abschluss der Vorberatung Zweifel habe, ob der klägerische Vortrag den Streitgegenstand individualisierbar beschreibt (Bl. 55 d. A.), und der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
15 
Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gem. § 540 Abs. 1 ZPO ergänzend Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die vorgelegten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
16 
Der form- und fristgerecht eingelegten und mit einer Begründung versehenen Berufung der Klägerin bleibt der Erfolg versagt. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Klage im Wege eines unechten Versäumnisurteils abgewiesen.
1)
17 
Die Klage ist unzulässig. Es fehlt an der bestimmten Angabe des Gegenstands des erhobenen Anspruchs gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
a)
18 
Für die bestimmte Angabe des Streitgegenstands kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der maßgebende Lebenssachverhalt bereits in der Klageschrift vollständig beschrieben oder der Klageanspruch schlüssig und substantiiert dargelegt worden ist; vielmehr ist es - entsprechend dem Zweck der Klageerhebung, dem Schuldner den Willen des Gläubigers zur Durchsetzung seiner Forderung zu verdeutlichen - im Allgemeinen ausreichend, wenn der Anspruch als solcher identifizierbar ist (BGH, Urt. v. 11.02.2004, VIII ZR 127/03, Rn. 6, Urt. v. 17.07.2003, I ZR 295/00, Rn.16, juris; Urt. v. 18.07.2000, X ZR 62/98, Rn.17, juris).
b)
19 
Der unstreitig gebliebene Vortrag der Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch ist nicht identifizierbar.
20 
Identifizierbar ist ein Anspruch, wenn der geltend gemachte Anspruch von anderen Ansprüchen gleicher Art unterschieden werden kann. Der Prozessgegenstand muss vom Gegenstand eines anderen Prozesses abgrenzbar sein (Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22.Aufl., 2008, § 253 Rn. 52; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., 2015, § 253 Rn. 26). Zweck der Zulässigkeitsvoraussetzung gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist es, sowohl für das Gericht als auch für den Schuldner klarzustellen, welche Streitsache anhängig ist (Roth, a. a. O, § 253 Rn. 52). Dies ist nur dann der Fall, wenn der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis gem. § 308 ZPO erkennbar abgegrenzt wird und sowohl Inhalt als auch Umfang der materiellen Rechtskraft der Entscheidung gem. § 322 ZPO erkennbar sind (BGH, Urt. v. 14.10.1982, III ZR 126/81, Rn. 3, juris). Entgegen der Ansicht der Klägerin darf diese Prüfung auch nicht auf einen möglichen Zweitprozess über denselben Anspruch verlagert werden.
21 
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Die Klägerin gibt lediglich an, dass der Beklagte von der Klägerin im Februar 2015 Waren gekauft und die Klägerin dafür bestimmte Rechnungen gestellt habe. Diese Rechnungen legt die Klägerin bewusst nicht vor, obwohl ihr das ohne Weiteres möglich wäre. Durch die genannten Angaben wird der Anspruch nicht identifiziert, von anderen Ansprüchen gleicher Art ist dieser nicht zu unterscheiden. Der Begriff der „Waren“ ist zu unspezifisch und weit, als dass eine Abgrenzung von anderen Kaufgegenständen gelingen könnte, auch die Angabe des Zeitraums „Februar 2015“ ist zu ungenau, als dass eine Abgrenzung von anderen Einkäufen möglich wäre.
22 
Auch die bloße Angabe von Rechnungen und deren Nummern hilft der Klägerin nicht. Zu Unrecht verweist die Klägerin insoweit darauf, dass ihr Vortrag unbestritten blieb. Die ordnungsgemäße Klagerhebung ist eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung und von Amts wegen zu prüfen. Die Kammer verkennt nicht, dass die Prüfung von Amts wegen von der Amtsermittlung zu unterscheiden ist. Die Prüfung von Amts wegen beschränkt sich auf den dem Gericht vorliegenden und offenkundigen Prozessstoff. Bestehen aufgrund dessen Bedenken, so hat das Gericht gem. § 139 ZPO darauf aufmerksam zu machen und die Parteien aufzufordern, diese Bedenken zu entkräften (BGH Urt. v. 05.11.1975, VIII ZR 73/75). Bereits das Amtsgericht und auch die Kammer haben darauf hingewiesen, dass sie angesichts des Akteninhalts die Individualisierbarkeit des Anspruchs für fraglich halten und deshalb entweder ein konkreter Vortrag oder zumindest die Vorlage der Rechnungen erforderlich sei. Denn die gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gebotene Individualisierung der Ansprüche hätte grundsätzlich auch durch die konkrete Bezugnahme auf Schriftstücke erfolgen können (BGH, Urt. v. 11.02.2004, VIII ZR 127/03 Rn. 6, juris; Urt. v. 17.07.2003, I ZR 295/00 Rn. 16, juris). Wären in den Rechnungen, wie von der Klägerin behauptet, die einzelnen Artikel - auch nur mit Artikelnummer - aufgeführt, hätte dem Erfordernis der Individualisierbarkeit genügt werden können. Der Klägervertreter, der die streitgegenständlichen Rechnungen in der mündlichen Verhandlung bei sich führte, sah sich allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in der Lage, diesem Hinweis zu entsprechen.
23 
Die Kammer will die Anforderungen an die Individualisierbarkeit des Anspruchs als Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage nicht überspannen. Insbesondere im Hinblick auf die materielle Rechtskraft eines Urteils ist eine gewisse Individualisierung aber unabdingbar. Hier verschweigt die Klägerin dem Gericht - ohne jede nachvollziehbare Begründung - den Vertragsgegenstand und ist nicht einmal ansatzweise zu einer Konkretisierung bereit. Die Klägerin ist ersichtlich (Schriftsatz vom 18.11.2015) der Ansicht, die wenigstens rudimentäre Beschreibung des Kaufgegenstands oder ersatzweise Vorlage der Rechnungen sei für sie in hohem Maße aufwendig und deswegen unzumutbar. Art und Umfang des Aufwands legt sie jedoch nicht dar. Die Notwendigkeit der Festlegung der Grenzen der materiellen Rechtskraft eines Urteils ist eine Wesentlichkeit des Prozessrechts, auf die nicht leichtfertig verzichtet werden darf. Im vorliegenden Rechtsstreit wäre eine wenigstens ansatzweise Individualisierung leicht möglich, sie scheitert allein an der Mitwirkungsbereitschaft der Klägerin. Ihre statt dessen gehaltenen umfangreichen Ausführungen zur Erforderlichkeit der Individualisierung gehen weitgehend an der Rechtslage und den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles vorbei. Die von der Klägerin als überspannt bezeichneten Anforderungen an die Individualisierung sind gerade nicht die der Kammer.
2)
24 
Auch der Feststellungsantrag ist unzulässig gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Da die Klägerin bereits die Forderung nicht hinreichend bestimmt bezeichnet (siehe dazu unter 1.), ist auch der damit korrespondierende Feststellungsantrag, dass diese Forderung auf dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangene unerlaubten Handlung beruhen solle, nicht bestimmt genug. Auf die Frage des Feststellungsinteresses kommt es daher nicht an.
III.
25 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
26 
Die Revision wird zugelassen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem Fall mit vergleichbarem Sachverhalt (19 U 173/14) laut Hinweisen in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.15 die Klage für zulässig erachtet. Außerdem trägt der Klägervertreter vor, in einer Vielzahl von vergleichbaren Fällen, seien Versäumnisurteile bereits erlassen worden. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts daher erforderlich.

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