Beschluss vom Landgericht Wuppertal - 16 T 44/14
Tenor
Die Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Remscheid vom 14. Januar 2014 (14 M 1243/14) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 24. Januar 2014 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
1
G r ü n d e :
2I.
3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht den Antrag der Gläubigerin auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Schuldner vom 11.06.2013 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag bedürfe der eigenhändigen Unterschrift des Behördenleiters bzw. eines von diesem bevollmächtigten Mitarbeiters. Der den Antrag enthaltende maschinell erstellte Vollstreckungsauftrag weise keine Unterschrift auf. Ob das Dienstsiegel aufgedruckt oder gestempelt ist, sei nicht zu erkennen. Darüber hinaus fehle es an einer den Vollstreckungstitel und die Vollstreckungsklausel ersetzenden hinreichenden, durch Unterschrift und Dienstsiegel dokumentierten Erklärung der Gläubigerin, dass die genau zu bezeichnende zu vollstreckende Forderung besteht und vollstreckbar ist. Der an die Gerichtsvollzieherverteilerstelle des Amtsgerichts gerichtete Vollstreckungsauftrag enthält insoweit zur Individualisierung der zu vollstreckenden Forderung lediglich die Angabe des Kassenzeichens ######, des Forderungsbetrages von EUR 135,00 und die Bezeichnung von Gläubigerin und Schuldner, und lautet dahin, dass „wegen der aus anliegender Forderungsaufstellung ersichtlichen, fälligen und vollstreckbaren Beträge und der durch die Vollstreckung entstehenden Kosten (…) die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Justizbeitreibungsordnung angeordnet und die Ausführung des Auftrags beantragt“ werde. Mit einer Heftklammer dem Auftrag angeheftet war die „Forderungsaufstellung zum Vollstreckungsauftrag vom 11.06.13 (####)“, nach der die zu vollstreckende Forderung eine am 23.03.13 fällige „Justizkostenforderung“ zu dem gerichtlichen Geschäftszeichen „23 F 167/2012 001 (274) R ./. R" ist. Die Forderungsaufstellung weist ihrerseits weder Unterschrift noch Dienstsiegelabdruck auf.
4Gegen diese ihr am 27.01.2014 zugestellte Entscheidung wendet sich die Gläubigerin mit der am 05.02.2014 eingegangenen Beschwerde vom 29.01.2014. Zur Begründung verweist sie auf ihre schon vor dem Amtsgericht mit Schreiben vom 09.12.2013 geltend gemachte Rechtsauffassung, wonach der Antrag eine Aufstellung der vollstreckbaren Forderungen und auch eine Bescheinigung über die Fälligkeit und Vollstreckbarkeit enthalte. Da die Kasse die Aufträge mit Hilfe eines automatisierten Programmes „erledige“, sei lediglich der Abdruck eines Dienstsiegels notwendig, einer Unterschrift bedürfe es nach § 6 Abs. 3 JBeitrO nicht.
5II.
6Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts ist gem. §§ 793, 567 ff. ZPO statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
71.
8Ob für den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft nach § 802g ZPO (früher § 901 ZPO) ein strenges Schriftformerfordernis gilt, ist in Rechtsprechung und Lehre nicht abschließend geklärt (nach Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 901 Rn. 2 soll die Unterzeichnung „geboten, jedoch nicht Erfordernis“ sein, eine fehlende Unterschrift sei frei zu würdigen, ein (unüblicher) mündlicher Antrag würde genügen (§ 754 ZPO); so wohl auch Stein/Jonas-Münzburg, ZPO, § 900 Rn. 15; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 469; Vollkommer, RPfl 1975, 419; a.A. AG Günzburg, DGVZ 2010, 235). Nach anderer Auffassung sei zwar eine Unterschrift erforderlich, bei Behördenanträgen indes ein Dienstsiegelabdruck entbehrlich (AG Kaiserslautern, KKZ 1995, 12, juris; LG Lüneburg, NdsRPfl 1988, 30, juris). Nach der weniger formstrengen Auffassung müsse jedoch frei gewürdigt werden, ob der Antrag vom Gläubiger ernstlich gewollt oder gegebenenfalls nur als Entwurf gedacht war, der versehentlich zum Gericht gelangt ist (GemSenOGB NJW 1980, 172). Im hier zur Entscheidung stehenden Sonderfall einer Vollstreckung nach der Justizbeitreibungsordnung ist zudem zu beachten, dass jedenfalls der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellte Vollstreckungsauftrag an den Vollziehungsbeamten lediglich mit dem Dienstsiegelabdruck versehen wird und einer Unterschrift nicht bedarf, § 6 Abs. 3 Satz 3 JBeitrO. Bei der Einführung dieser Vereinfachungsvorschrift im Jahre 2001 war es bereits dem Gesetzgeber bekannt gängige Praxis, den Vollstreckungsauftrag für den Fall der Fruchtlosigkeit mit dem Antrag auf Abnahme der damaligen eidesstattlichen Versicherung und auf Erlass eines Haftbefehls bei deren Verweigerung bzw. bei unentschuldigtem Fernbleiben von dem Termin zu kombinieren, so dass einiges dafür spricht, nach dem Sinn und Zweck der genannten Vereinfachungsvorschrift auch den (durch den Vollziehungsbeamten zu vermittelnden) Antrag an das Vollstreckungsgericht nicht dem strengen Schriftformerfordernis zu unterwerfen. Diese Frage kann die Kammer aber letztlich offen lassen, weil ein etwaiger Formmangel jedenfalls durch das durch die Sachgebietsleiterin handschriftlich unterzeichnete Schreiben vom 09.12.2013 (GA Bl. 5) und die von der Kassenleiterin handschriftlich unterzeichnete und mit dem Dienstsiegelabdruck versehene Beschwerdeschrift vom 29.01.2014 (GA Bl. 27) geheilt wäre.
92.
10Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht aber jedenfalls die Auffassung vertreten, dass bei der Vollstreckung von Forderungen nach der Justizbeitreibungsordnung für gerichtliche Vollstreckungshandlungen bei verfassungskonformer Auslegung ein besonderes Schriftformerfordernis zu beachten ist. Es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass der Erlass eines Haftbefehls, der dem Richter vorbehalten ist, nicht lediglich die Prüfung und Feststellung voraussetzt, ob ein Haftgrund i.S.v. § 802g bzw. 284 Abs. 8 AO vorliegt. Vielmehr ist der Richtervorbehalt bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung so zu verstehen, dass das Amtsgericht das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen für die Anordnung der Erzwingungshaft und damit auch das Bestehen der Verpflichtung zur Abgabe der Vermögensauskunft zu überprüfen hat (BGH NJW 2008, 3504). Die Prüfungskompetenz des Amtsgerichts erstreckt sich deshalb grundsätzlich auch auf die Frage, ob die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen (Titel, Klausel, Zustellung) vorliegen. Bei der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Forderungen greifen allerdings insoweit Besonderheiten ein, weil ein Verwaltungsakt im Zivilprozess grundsätzlich Tatbestandswirkung entfaltet, so dass nicht nur die Tatsache der Verwaltungsentscheidung, sondern auch ihr Ausspruch von den Zivilgerichten hinzunehmen und ihren Entscheidungen zu Grunde zu legen ist (BGH a.a.O. m.w.N.). Im allgemeinen Verwaltungsvollstreckungsrecht ist dieses Verhältnis der Verwaltungsvollstreckungsbehörden zu den Vollziehungsbeamten der Justiz dahin präzisiert, dass an die Stelle der Übergabe der vollstreckbaren Ausfertigung gem. § 802a Abs. 2 ZPO die schriftliche Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit, die Höhe und den Grund der Forderung tritt, § 5a Abs. 4 VwVG NW. Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten, denn die JBeitrO enthält keine spezielleren Vorschriften über die Anforderungen an den Ersatz für die nach den allgemeinen Vorschriften zu prüfenden Vollstreckungsvoraussetzungen.
11Im vorliegenden Fall fehlt es in Ermangelung einer eigenhändigen Unterschrift an einer schriftlichen Erklärung der Vollstreckungsbehörde (§ 126 BGB). § 6 Abs. 3 JBeitrO enthebt von dem Unterschriftserfordernis bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift nicht. Unmittelbar regelt die Vorschrift nur die Entbehrlichkeit einer Unterschrift unter den Auftrag an den Vollziehungsbeamten, wenn der Auftrag (wie hier) mit Hilfe automatischer Einrichtungen erstellt wurde. Bereits die Frage, ob das Unterschriftserfordernis entfällt, wenn der Auftrag (wie im vorliegenden Fall geschehen) vom Vollziehungsbeamten nach fruchtloser Pfändung weitergegeben wird an den Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Verfahrens nach § 802c ZPO, ist nicht hiervon erfasst, noch weniger die Frage, welche Anforderungen an die Form der Erklärung zu stellen sind, wenn über den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls zu befinden ist, was dem Richter vorbehalten ist. Zwar könnte der Sinn und Zweck der Vorschrift dafür sprechen, die Unterschrift auch für die Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit, die Höhe und den Grund der Forderung für entbehrlich zu erachten. Das wird aber dem Richtervorbehalt des Art. 104 GG nicht gerecht, denn der Verzicht auf die Prüfung des Richters, ob die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen, kann bei Entscheidungen über eine Freiheitsentziehung nur gerechtfertigt werden, wenn die antragstellende Behörde die Verantwortung für deren Vorliegen übernimmt und dies durch die Unterschrift eines hierzu befugten Beamten dokumentiert wird, wobei sich die Befugnis des Beamten regelmäßig aus dem seiner Unterschrift beigefügten Siegelabdruck ergibt.
123.
13Nicht entscheidungserheblich ist demgegenüber im vorliegenden Fall, ob von einer Unterschrift unter den Vollstreckungsauftrag auch der Inhalt der lose angeheftet gewesenen Forderungsaufstellung umfasst gewesen wäre und ob diese zusammen mit dem Auftrag eine ausreichende Erklärung der Gläubigerin darstellen würde. Der Vollstreckungsauftrag selbst enthält zwar die Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit und die Angabe der Höhe der zu vollstreckenden (Haupt-) Forderung, nicht aber deren Grund. Die Angabe des Grundes der zu vollstreckenden Forderung in einer Anlage erscheint aber jedenfalls in der vorliegenden Gestaltung als hinnehmbar. Zwar fehlt es an einer hinreichend sicheren körperlichen Verbindung des Auftrags mit der Anlage. Das wird vorliegend augenscheinlich, weil sich die Verbindung mittels Heftklammer mittlerweile gelöst hat. Die Zusammengehörigkeit der einzelnen Dokumente wird aber dadurch hinreichend sichergestellt, dass die Dokumente wechselseitig aufeinander verweisen. So enthält der mit dem Kassenzeichen versehene Vollstreckungsauftrag den Hinweis auf eine anliegende Forderungsaufstellung, und die ebenfalls mit dem Kassenzeichen versehene Forderungsaufstellung enthält in ihrem Kopf den Hinweis auf ihre Zugehörigkeit zum konkreten Vollstreckungsauftrag. Das rechtfertigt es, den Inhalt der Anlage als von einer Unterschrift unter den Vollstreckungsauftrag gedeckt anzusehen.
14Eine andere Frage ist, ob die Bezeichnung der Forderung in der Forderungsaufstellung als „Justizkostenforderung“ ausreichend ist, um dem Gericht die Prüfung zu ermöglichen, ob eine Vollstreckung nach der JBeitrO zulässig ist. „Justizkostenforderungen“ können nicht nach der JBeitrO beigetrieben werden. Gemeint sind aber, wie auch das angegebene gerichtliche Aktenzeichen nahelegt, Gerichtskosten i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4 JBeitrO.
15III.
16Die – grundsätzlich gebotene - Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, wenngleich die Gläubigerin gerichtskostenbefreit ist.
17Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, weil die Frage nach der Form der Erklärung der Vollstreckungsbehörde über die Vollstreckbarkeit, die Höhe und den Grund einer nach der JBeitrO beizutreibenden Forderung grundsätzliche Bedeutung hat, § 574 ZPO.
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Referenzen
- 14 M 1243/14 1x (nicht zugeordnet)
- § 802g bzw. 284 Abs. 8 AO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 802g Erzwingungshaft 1x
- ZPO § 802c Vermögensauskunft des Schuldners 1x
- ZPO § 802a Grundsätze der Vollstreckung; Regelbefugnisse des Gerichtsvollziehers 1x
- § 5a Abs. 4 VwVG 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 793, 567 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 754 Vollstreckungsauftrag und vollstreckbare Ausfertigung 1x
- BGB § 126 Schriftform 1x
- 23 F 167/20 1x (nicht zugeordnet)
- § 6 Abs. 3 JBeitrO 2x (nicht zugeordnet)
- § 901 ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 793 Sofortige Beschwerde 1x
- § 1 Abs. 1 Nr. 4 JBeitrO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde 1x
- § 6 Abs. 3 Satz 3 JBeitrO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x