Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (8. Senat) - L 8 AS 199/18 NZB
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 19. April 2018 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe
I.
- 1
Der Kläger begehrt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Neubrandenburg, mit welchem dieses seiner auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Dezember 2013 bis Mai 2014 gerichteten Klage nur teilweise stattgegeben hat.
- 2
Der Kläger bewohnte im streitigen Zeitraum eine Mietwohnung, die mit Elektroheizkörpern ausgestattet war. Die Warmwassererzeugung erfolgte mittels eines Stromboilers. Zwischenmesseinrichtungen für eine getrennte Erfassung des Verbrauchs für die Elektroheizkörper und/oder den Boiler waren nicht vorhanden. Der Stromversorger des Klägers differenzierte in seiner Jahresabrechnung jeweils zwischen Grund- und Bezugspreis und bei letzterem nochmals - je nach Tarifzeit - zwischen Hoch- und Niedertarif. Bei den laufenden Abschlagszahlungen erfolgte jedoch keine Differenzierung, sondern der Kläger zahlte hier einen (Gesamt-)Betrag.
- 3
Der Kläger bezog laufend Leistungen nach dem SGB II seitens des Beklagten. So wurden ihm mit Bescheid vom 12. Dezember 2013 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 2. April 2014 Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2013 bis Mai 2014 bewilligt. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2014 zurück.
- 4
Mit Urteil vom 19. April 2018 hat das SG den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Dezember 2013 in Höhe von 760,15 € und für den Zeitraum von Januar bis einschließlich Mai 2014 in monatlicher Höhe von jeweils 769,35 € zu bewilligen. Die angefochtenen Bescheide seien insoweit rechtswidrig, als dass der Beklagte nicht die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und zu stark geminderte Heizkosten der Leistungsbewilligung zu Grunde gelegt habe. Zu den nach dem SGB II zu erbringenden Leistungen gehörten auch diejenigen für Unterkunft und Heizung, die in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden, soweit diese angemessen seien, vgl. § 22 Abs.1 S.1 SGB II. Die alte(n) Richtlinie(n) des Landkreises U. – sowohl in alter Fassung als auch in der aktuellen Fassung – vermittelten keine heranzuziehende Angemessenheitsgrenze. Daher seien die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft bis zur Höhe der durch einen Zuschlag erhöhten Tabellenwerte im Sinne des § 12 WoGG heranzuziehen. Auch vermöge das SG dem Beklagten im Ergebnis nicht zu folgen, soweit dieser die Heizkosten auf Grundlage des Heizkostenspiegels gesenkt habe.
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Nicht zu den Heizkosten seien jedoch die Kosten des Haushaltsstroms zu werten und müssten daher aus den Gesamtkosten ermittelt werden. Insoweit verbleibe nach Ansicht der Kammer alleinig auf die Unterscheidung zwischen Hochtarif und Niedertarif abzustellen, um hiernach einen tauglichen Ansatz einer Schätzung ermitteln zu können. Einer solchen Schätzung bedürfe es, da tatsächliche – d.h. alleinige – Heizkosten aus der Abrechnung nicht hervorgingen und es objektiv unmöglich sei, einen exakten Wert ohne die Nutzung eines zweiten Stromzählers zu ermitteln. Dem Grunde nach möglich wäre auch der Abzug der im Regelsatz enthaltenen Kosten für Haushaltsstrom von den tatsächlichen Stromkosten, jedoch beruhe auch dieser Satz nur auf einer statistischen Auswertung und die Kammer werte die vorliegenden Abrechnungen samt Unterscheidung zwischen HT und NT als sachnähere und damit vorzugswürdigere Grundlage der Schätzung. Der Stromverbrauch der Heizungsanlage dürfte schwerpunktmäßig in der Tarifzeit des NT und derjenige der übrigen Elektrogeräte schwerpunktmäßig in der Tarifzeit des HT stattfinden. Allerdings sei nicht gesichert, dass die Heizung nur in der NT-Tarifzeit betrieben werde. Auch sei nicht ausgeschlossen, dass in der NT-Tarifzeit Strom in nicht völlig trivialem Umfang von anderen Elektrogeräten, wie etwa einer Waschmaschine, verbraucht werde. Denn auf welchen Tarif der Verbrauch jeweils entfalle, bestimme sich nicht nach dem tatsächlichen Verbrauch der Heizungsanlage bzw. der übrigen Elektrogeräte, sondern allein danach, ob der Verbrauch in der dem jeweiligen Tarif zugeordneten Tarifzeit entfalle. Von daher halte das Gericht im vorliegenden Fall eine Schätzung des Heizkostenanteils an den Stromkosten für sachgerecht. Folge der Verneinung wäre alleinig die nicht zu erfüllende Darlegungslast zu Ungunsten des Klägers hinsichtlich seiner tatsächlichen Heizkosten.
- 6
Nach der Abrechnung des Klägers sei ein Kostenanteil von 404,86 € (inklusive Grundgebühr) auf den Hochtarif entfallen zu Kosten des Niedertarifs von 989,83 €. Die Position "Grundpreis" sei dagegen als Kosten der (Unterkunft und) Heizung nicht übernahmefähig, da es sich um die Grundgebühr für einen einfachen Stromzähler handele, die auch von Leistungsberechtigten ohne Wohnung mit Nachtspeicheröfen aus der Regelleistung zu bestreiten sei. Dies stelle hiernach einen prozentualen Anteil von 70,97 % der Gesamtkosten dar und das SG werte im Wege richterlicher Überzeugungsbildung gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 287 Abs. 2 ZPO diesen Anteil als Kosten der Heizung ausgehend von den monatlichen Gesamtabschlägen von 140,00 €, so dass Heizkosten von jeweils 99,36 € der Leistungsberechnung zuzuordnen seien.
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Es sei daher der Betrag der tatsächlichen Bruttokaltmiete von 270,00 € der monatlichen Leistungsberechnung zzgl. der Heizkosten von 99,36 € im Zeitraum von Dezember 2013 bis Mai 2014 zu Grunde zu legen. Mangels anrechenbaren Einkommens vermittele sich hieraus ein Leistungsanspruch des Klägers von 760,15 € im Dezember 2013 und nach Erhöhung des Regelsatzes zum Januar 2014 von jeweils 769,35 € im Zeitraum Januar bis Mai 2014.
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Gegen das ihr am 2. Mai 2018 zugestellte Urteil hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 18. Mai 2018 Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und vorgetragen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Sie werfe die Rechtsfrage auf, wie die Heizkosten zu ermitteln seien, wenn die Wohnung mit Hilfe von Elektroheizkörpern erwärmt und der Stromverbrauch (für den Haushaltsstrom und den Heizstrom) über nur einen Zähler erfasst werde und der Gesamtabschlag nicht zwischen Hoch- und Niederstromtarif differenziere – seien die Stromkosten vollständig als Heizkosten anzusehen oder sei für den Haushaltsstrom die in der Regelleistung enthaltene Pauschale für Haushaltsstrom herauszurechnen oder sei der Anteil für den Haushaltsstrom zu schätzen und bejahendenfalls auf welcher Grundlage?
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Das Bundessozialgericht (BSG) habe sich mit dieser Rechtsfrage bisher nicht befasst. Nach der Entscheidung vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 50/10 R – betreffend die Nutzung von Gas sowohl Heiz- als auch als Kochenergie wäre eine Schätzung jedenfalls nicht ausgeschlossen, allerdings sei ungeklärt, was ein zulässiger Bezugspunkt für eine Schätzung sei. Dementgegen habe es das BSG in seiner Entscheidung vom 24. November 2011 – B 14 AS 151/10 R – als unzulässig erachtet, bei einer Pauschalmiete den in der Regelleistung enthaltenen Anteil für die Haushaltsenergie herauszurechnen.
- 10
Auch scheine sich bislang die zweitinstanzliche Rechtsprechung mit dieser Rechtsproblematik nicht befasst zu haben. Lediglich die erstinstanzliche Rechtsprechung habe die Rechtsfrage aufgegriffen, beantworte diese allerdings unterschiedlich.
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Selbst wenn man eine Schätzung des Haushaltsenergieanteils als zulässig erachten würde, müsse diese jedenfalls ihre Grenze in der Heranziehung des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für Haushaltsenergie finden, da andernfalls das Existenzminimum nicht gedeckt wäre.
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Die Frage sei auch konkret entscheidungserheblich. Der Kläger habe einen Anspruch auf höhere KdU, wenn man ein Herausrechnen der Haushaltsenergie für unzulässig erachte. Ein höherer Anspruch bestehe aber auch dann, wenn nur der in der Regelleistung enthaltene Haushaltsenergieanteil herausgerechnet werde.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Neubrandenburg vom 19. April 2018 zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
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Es liege kein Zulassungsgrund vor. Die Sache habe keine grundsätzliche Bedeutung. Für die vom Kläger formulierte Frage sei bereits eine Bedeutung über den Einzelfall hinaus zu verneinen. Ferner sei die sich stellende Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig, denn es könne eine höchstrichterliche Entscheidung zu einer vergleichbaren Regelung herangezogen werden. In seiner Entscheidung vom 3. Dezember 2015 – B 4 AS 47/14 R – zur Ermittlung des Betriebsstroms einer Heizung habe das BSG eine Schätzung der Aufwendungen für möglich erachtet. Unabhängig davon habe der Kläger auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage nicht dargelegt. Im Grunde kritisiere der Kläger nur die Schätzung des SG. Weitere Zulassungsgründe seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
- 18
Im März 2020 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers nunmehr noch vorsorglich eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes gerügt. Der Kläger bereite sein Warmwasser dezentral auf. Das SG habe jedoch lediglich die Pauschalen nach § 21 SGB II berücksichtigt, ohne die Kosten der dezentralen Warmwasseraufbereitung zu ermitteln. Das SG sei jedoch wie die Verwaltung verpflichtet, die Kosten – ggf. unter Beiziehung eines Sachverstandes – zu ermitteln (Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 – B 14 AS 6/17 R -). Die Entscheidung beruhe auch auf dieser Ermittlungspflichtverletzung, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das SG zu einem höheren Mehrbedarf gelangt wäre. Die Warmwasseraufbereitung mit Strom sei nach allgemeiner Lebenserfahrung sehr kostenaufwändig. Das SG weiche letztlich insoweit auch von der Rechtsprechung des BSG im genannten Urteil ab.
II.
- 19
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 und 2 SGG zulässig, insbesondere nach § 144 Abs. 1 SGG statthaft, weil der Wert der Beschwer 750,00 € nicht übersteigt und keine wiederkehrenden oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind.
- 20
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
- 21
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG (nur) zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
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Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.
- 23
Entgegen der Ansicht des Klägers hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung (Nr.1). Dieses wäre nur der Fall, wenn die Rechtssache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwerfen würde, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 144 Rdnr. 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur nicht ohne Weiteres beantworten lässt.
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Eine im vorliegenden Verfahren entscheidungserhebliche, klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfrage kann durch den Senat nicht erkannt werden und wird auch durch den Kläger nicht formuliert. Soweit er die Frage stellt, wie die Heizkosten zu ermitteln sind, wenn die Wohnung mit Hilfe von Elektroheizkörpern erwärmt und der Stromverbrauch (für den Haushaltsstrom und den Heizstrom) über nur einen Zähler erfasst wird und der Gesamtabschlag nicht zwischen Hoch- und Niederstromtarif differenziert, so kann diese Frage - ungeachtet der Frage ihrer Entscheidungserheblichkeit – jedenfalls bereits anhand der bisherigen Rechtsprechung des BSG beantwortet werden, soweit es sich dabei überhaupt um eine Rechtsfrage handelt.
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Zunächst ist geklärt und wird auch vom Kläger nicht angezweifelt, dass die Stromkosten für den Betrieb der Elektroheizkörper im Rahmen der Angemessenheit als Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 SGB II vom Beklagten zu übernehmen sind, während die Kosten des Haushaltsstroms im Regelbedarf enthalten sind. Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 22 Abs. 1 SGB II ergibt sich sodann ohne Weiteres, dass nur die tatsächlichen Aufwendungen bei der Berechnung der Leistungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen sind. Diese zu erforschen ist das Tatsachengericht nach § 103 SGG grundsätzlich von Amts wegen verpflichtet (vgl. BSG, Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 47/14 R -, Rdnr. 18), wobei die Aufwendungen unter Anwendung von § 202 SGG, § 287 Abs. 2 ZPO bei Vorliegen der Voraussetzungen auch geschätzt werden können (vgl. BSG, a.a.O., Rdnr. 18 ff.). Entgegen der Ansicht des Klägers steht einer grundsätzlichen Zulässigkeit einer Schätzung der tatsächlichen Aufwendungen insbesondere auch die Entscheidung des BSG vom 24. November 2011 - B 14 AS 151/10 R - nicht entgegen. Das BSG sah (auch) im dort zu entscheidenden Fall lediglich die Anwendungsvoraussetzungen für eine Schätzung nicht als gegeben an. Eine Schätzung setze die Ermittlung und Benennung der Schätzungsgrundlagen voraus (vgl. § 287 Zivilprozessordnung), sie dürfe nicht "völlig in der Luft hängen". Im konkret zu entscheidenden Fall vermochte das BSG jedoch keine realistische Grundlage für eine Schätzung zu erkennen.
- 26
Ob dagegen im vorliegend durch das SG entschiedenen Einzelfall die Voraussetzungen für eine Schätzung erfüllt waren, insbesondere die Schätzungsgrundlagen richtig festgestellt und alle wesentlichen, in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt worden sind, ist keine abstrakte Rechtsfrage, die eine Berufungszulassung rechtfertigen könnte. Dieses ist vielmehr eine Frage der Tatsachenermittlung und Rechtsanwendung im Einzelfall. Die sachliche Richtigkeit der Entscheidung ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren jedoch nicht zu prüfen.
- 27
Entgegen der Ansicht des Klägers vermag der Senat auch keine Divergenz (Nr. 2) zu erkennen. Eine solche bestünde nur dann, wenn einerseits ein die Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz des Urteils des SG und andererseits ein der (aktuellen) Rechtsprechung des BSG zu entnehmender abstrakter Rechtssatz nicht übereinstimmen würden (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 160 Rdnr. 13 ff.). Hingegen wird eine Divergenz weder durch einen Rechtsirrtum im Einzelfall begründet noch dadurch, dass das angefochtene Urteil nicht den vom BSG aufgestellten Kriterien entspricht, etwa weil das Sozialgericht einen Rechtssatz missversteht, in seiner Tragweite verkennt oder sonst Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht übernimmt (Leitherer, a.a.O., Rdnr. 14).
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Dieses vorangestellt sieht der Senat insbesondere auch keine Abweichung des SG von der Entscheidung des BSG im Urteil vom 7. Dezember 2017 - B 14 AS 6/17 R -. Sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zwischen dem Urteil des SG und der BSG-Entscheidung sind vom Kläger nicht explizit bezeichnet worden und auch für den Senat nicht erkennbar.
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Schließlich beruht die Entscheidung des SG auch nicht auf einem Verfahrensmangel (Nr. 3) in Form eines Verstoßes gegen die Amtsermittlungspflicht.
- 30
Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das sozialgerichtliche Verfahren regelnde Vorschrift. Damit bezieht sich der Mangel nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils. Es geht insoweit nicht um die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung, sondern um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil. Zwar gehört zu den Verfahrensvorschriften auch die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen nach § 103 Satz 1 SGG. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung liegt jedoch nur vor, wenn das SG sich aus seiner rechtlichen Sicht zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl., § 144 Rdnr. 34). Dieses vermag der Senat hier nicht zu erkennen.
- 31
Bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Klageverfahren war die Höhe des Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwassererzeugung zwischen den Beteiligten nicht streitig, vielmehr ist die Frage seitens des Klägers erstmals im Beschwerdeverfahren im Jahre 2020 thematisiert worden. Vor diesem Hintergrund musste sich das SG nicht notwendig zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen. Der Amtsermittlungsgrundsatz bezweckt vornehmlich, dass das Gericht nicht an das Vorbringen der Beteiligten gebunden ist. Er normiert keine allgemeine Prüfungspflicht. Insbesondere ergibt sich daraus keine Verpflichtung der Gerichte, ohne konkrete Anhaltspunkte, quasi "ins Blaue" hinein, Ermittlungen hinsichtlich des Streitgegenstands anzustellen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. November 2018 – L 5 AS 648/18 B –, Rdnr. 22). Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, eine nachlässige Prozessführung vor dem SG durch nachträgliche Tatsachenbehauptungen zu heilen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. März 2017 – L 9 KR 112/16 NZB -, Rdnr. 6).
- 33
Der Antrag auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren ist aus den vorgenannten Gründen mangels hinreichender Erfolgsaussicht nach § 114 Zivilprozessordnung in Verbindung mit § 73a SGG abzulehnen.
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Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
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