Beschluss vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (7. Senat) - L 7 SF 1/12 B (AL)

Tenor

Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. Juni 2012 aufgehoben.

Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 500,00 € sowie gegen die Auferlegung der durch ihr Ausbleiben im Termin vom 31. Mai 2012 verursachten Kosten.

2

Die Beschwerdeführerin ist Allein-Geschäftsführerin der B. Hausmeisterdienst und Gebäudemanagement GmbH und war in einem beim Sozialgericht (SG) Hannover anhängigen Klageverfahren S 69 AL 226/07 eines ihrer früheren Mitarbeiter zu dem auf den 31. Mai 2012 festgesetzten Termin als Zeugin geladen worden. Die Ladung zu dem Termin wurde ihr ausweislich der Zustellungsurkunde am 13. April 2012 zugestellt.

3

Zum Termin am 31. Mai 2012 erschien die Beschwerdeführerin nicht, und sie teilte ihr Ausbleiben dem SG auch nicht zuvor mit. Mit Beschluss vom 4. Juni 2012 hat das SG der Beschwerdeführerin daraufhin die durch ihr Ausbleiben im Termin vom 31. Mai 2012 verursachten Kosten auferlegt und zugleich gegen sie ein Ordnungsgeld in Höhe von 500,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden könne, für je 250,00 € einen Tag Ordnungshaft festgesetzt. Die Beschwerdeführerin sei trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne Angabe von Gründen nicht zum Termin erschienen. Auf die möglichen Folgen des Ausbleibens ohne genügende Entschuldigung sei sie hingewiesen worden. Der Beschwerdeführerin sei aufgegeben worden, im Falle der Verhinderung unter Darlegung der Gründe rechtzeitig eine Entbindung zum Erscheinen zu beantragen. Durch ihr Nichterscheinen habe die Zeugenvernehmung nicht durchgeführt werden können.

4

Gegen den der Beschwerdeführerin am 14. Juni 2012 zugestellten Beschluss vom 4. Juni 2012 hat sie am 26. Juni 2012 Beschwerde erhoben. Die Säumnis sei durch ein Büroversehen des Sekretariats der Beschwerdeführerin entstanden. Der Termin für die Zeugenvernehmung sei von der Beschwerdeführerin an ihr Sekretariat abgegeben, jedoch nicht im Terminverwaltungssystem MS Outlook eingetragen gewesen. Bisher habe es noch nie ein Terminversehen ihrer Sekretärin und Buchhalterin, Frau C., und somit auch keinen Grund zur verstärkten Überwachung gegeben. Frau D. sei sorgfältig ausgewählt, mit dem Outlook versiert und sehr zuverlässig. In ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2012 erklärt Frau D., sie sei der festen Überzeugung, den Termin am 31. Mai 2012 eingetragen zu haben. Tatsächlich war der Termin jedoch nicht eingetragen, und es erfolgte auch nicht wie sonst üblich eine Erinnerung an den Termin über Outlook. Sie könne sich nur erklären, dass der Termin aufgrund vorheriger Probleme mit der Hardware und dem Neuaufspielen von Programmen im System nicht gesichert worden sei. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass deshalb kein Verschulden an der Säumnis vorliege. Zudem sei sie am 31. Mai 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Hierzu reichte die Beschwerdeführerin eine von ihrer behandelnden Zahnärztin, Frau Dr. E., am 31. Mai 2012 festgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 31. Mai 2012 bis 4. Juni 2012 ein. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei wegen einer sehr schmerzhaften postoperalen Entzündung im Kieferbereich erfolgt. Die Beschwerdeführerin habe den Mund kaum öffnen und nicht wohlartikuliert sprechen können. Diese Arbeitsunfähigkeit sei allerdings nicht kausal für das Nichterscheinen beziehungsweise die fehlende Entschuldigung gewesen. Wenn der Termin im Terminverwaltungssystem der Beschwerdeführerin eingetragen und mit der üblichen Vorfrist ersichtlich gewesen wäre, hätte sich die Beschwerdeführerin bei Gericht zuvor entschuldigt. Die Beschwerdeführerin versicherte, noch nie eine richterliche Ladung versäumt zu haben und bei der nächsten Terminierung in der Sache die Terminüberwachung nicht zu delegieren.

II.

5

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet.

6

1. Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 380 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) sind einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen, ohne dass es eines Antrages bedarf. Zugleich ist gegen ihn ein Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft festzusetzen. Die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleibt, wenn das Ausbleiben des Zeugen rechtzeitig genügend entschuldigt wird (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Erfolgt die Entschuldigung nicht rechtzeitig, so unterbleiben die Auferlegung der Kosten und die Festsetzung eines Ordnungsmittels nur dann, wenn glaubhaft gemacht wird, dass den Zeugen an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Erfolgt die Glaubhaftmachung oder die genügende Entschuldigung nachträglich, werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen nach § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO wieder aufgehoben. Für die Höhe des Ordnungsgeldes setzt Art. 6 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) einen Rahmen zwischen 5,00 € und 1.000,00 €. Voraussetzung für die Verhängung von Ordnungsgeld ist demnach, dass die Beschwerdeführerin ordnungsgemäß vom SG zum Termin geladen und auf die Folgen ihres Nichterscheinens hingewiesen worden ist. Dies trifft hier zu und wird auch von der Beschwerdeführerin selbst eingeräumt. Sie behauptet auch nicht, ihr Ausbleiben rechtzeitig entschuldigt zu haben. Der Beschluss des SG ist danach rechtmäßig ergangen, weil das SG ohne Weiteres berechtigt und verpflichtet gewesen ist, der Beschwerdeführerin ein Ordnungsgeld aufzuerlegen.

7

Gleichwohl kann der Ordnungsgeldbeschluss hier keinen Bestand haben. Die nachträgliche Erklärung der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift enthält eine genügende Entschuldigung für ihr Ausbleiben (hierzu unter a)). Zugleich wiegt ihr Verschulden an der Verspätung der Entschuldigung nicht so schwer, dass es durch eine Ordnungsstrafe zu ahnden wäre (hierzu unter b)).

8

Der Senat sieht sich hier aus prozessökonomischen Gründen nicht gehindert, diese nachträglich vorgebrachten Entschuldigungsgründe im Sinne des § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO im Rahmen des Beschwerdeverfahrens gegen den Beschluss des SG über Ordnungsmittel und Kostenauferlegung zu überprüfen. Ob bei einem Ordnungsgeldbeschluss gegen einen nicht erschienenen Beteiligten etwas anderes zu gelten und dann in jedem Fall zunächst bzw. parallel das SG als Prozessgericht (auch) über einen Antrag auf Aufhebung der getroffenen Anordnungen nach § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu befinden hat (vgl. zu einem solchen Fall: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.04.2012 - L 15 SF 8/12 B (AS)), lässt der Senat hier offen, weil dem SG bei einem nicht erschienenen Beteiligten hinsichtlich der Auferlegung eines Ordnungsgeldes - anders als bei einem nicht erschienenen Zeugen - gemäß § 202 SGG in Verbindung mit §§ 273 Abs. 4 Satz 2, 141 Abs. 3 ZPO Ermessen eingeräumt ist.

9

a) Eine genügende Entschuldigung im Sinne von § 381 Abs. 1 ZPO erfordert, dass der Zeuge schwerwiegende Gründe vorträgt, die sein Ausbleiben rechtfertigen und nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen. Was als Entschuldigungsgrund gilt, entscheidet das Gericht nach freiem Ermessen unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles (Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 33. Auflage 2012, § 381 Rn. 2). Als derartige Entschuldigungsgründe werden nur äußere Ereignisse anerkannt, die den Zeugen ohne sein Zutun von der Wahrnehmung des Termins abgehalten haben, wie z.B. eine Betriebsstörung von Verkehrsmitteln, eine eigene Erkrankung oder eine schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen (Greger in: Zöller, ZPO; 29. Auflage 2012, § 381 Rn. 3). Die von der Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde nachträglich angeführten Gründe für ihr Ausbleiben können dieses hinreichend entschuldigen.

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aa) Zwar kann sich die Beschwerdeführerin insoweit nicht damit exkulpieren, dass sie durch ein Versehen ihres Sekretariats von dem Termin am 31. Mai 2012 keine Kenntnis hatte. Denn für die Wahrnehmung des Termins und etwaige Vorkehrungen hierzu ist die Beschwerdeführerin selbst verantwortlich. Das Verschulden ihrer Sekretärin C. muss sich die Beschwerdeführerin zurechnen lassen. Es handelt sich bei der Ladung, als Zeuge vor dem Gericht auszusagen, um eine höchstpersönliche Angelegenheit. Diese betrifft die Beschwerdeführerin privat und nicht beruflich, auch wenn die Umstände, die zu ihrer Ladung als Zeugin führten, einen beruflichen Kontext aufweisen. Insofern kann es sie nicht entlasten, wenn sie die gerichtliche Ladung wie übliche (Geschäfts-) Korrespondenz behandelt und die Terminüberwachung ihrem Sekretariat überlassen hat. Hier hat insoweit eine Vermischung von privaten und betrieblichen Angelegenheiten stattgefunden, was allein schon für ein Organisationsverschulden der Beschwerdeführerin spricht. Auch für sie gilt der Rechtsgrundsatz, dass sie sich einer ihr persönlich obliegenden Sorgfaltspflicht nicht dadurch entledigen kann, indem sie zur Ausführung Dritte beauftragt.

11

bb) Allerdings war die Beschwerdeführerin unabhängig von ihrer fehlenden Kenntnis von dem Termin am 31. Mai 2012 jedenfalls krankheitsbedingt gehindert, an dem Termin tatsächlich teilzunehmen, weil bei Würdigung aller Umstände ihr das Erscheinen nicht zugemutet werden konnte. Dies hat die Beschwerdeführerin nicht nur durch die beigefügte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihrer Zahnärztin, sondern auch durch die Erläuterung der mit der Erkrankung verbundenen Beeinträchtigungen hinreichend glaubhaft gemacht. Denn selbst die Dauererkrankung eines Zeugen vermag sein Ausbleiben nur dann genügend zu entschuldigen, wenn ihm dadurch ein Erscheinen vor Gericht unzumutbar wird. Der durch ein privatärztliches Attest belegte Umstand, der Zeuge sei am Verhandlungstag arbeitsunfähig gewesen, genügt dafür nicht (vgl. Bundesfinanzgerichtshof - BFH -, Beschluss vom 10.05.2012 - III B 223/11; BFH, Beschluss vom 16.12.2005 - VIII B 204/05), denn ein arbeitsunfähiger Zeuge kann gleichwohl verhandlungs- und reisefähig sein. Die bloße Arbeitsunfähigkeit, die nicht mit einer Reise- und Verhandlungsunfähigkeit verbunden ist, stellt somit keinen hinreichenden Entschuldigungsgrund dar. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin jedoch glaubhaft gemacht, dass sie wegen einer schmerzhaften Entzündung den Mund kaum öffnen und nicht wohlartikuliert sprechen konnte. Die Teilnahme an dem Verhandlungstermin, in dem es gerade auf ein Gespräch mit der Zeugin ankommt und ihr dies aber kaum und nur unter Schmerzen möglich gewesen wäre, war ihr damit nicht zuzumuten, so dass sie genügend entschuldigt ist.

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b) Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes kann allerdings nur dann aufgehoben werden, wenn glaubhaft gemacht wird, dass dem Zeugen auch an der Verspätung der Entschuldigung kein Verschulden trifft. Der Zeuge hat damit auch dann für die Folgen seines Nichterscheinens einzutreten, wenn er durch rechtzeitige Anzeige seiner unverschuldeten Verhinderung unnötigen Verfahrensaufwand hätte vermeiden können. Die Verspätung der Entschuldigung ist im Fall der der Beschwerdeführerin auf ihre Unkenntnis des Termins durch das Büroversehen ihres Sekretariats zurückzuführen. Zwar vermag sie dies unter Berücksichtigung der vorherigen Ausführungen sowohl im Hinblick auf ihr Ausbleiben als auch auf die Verspätung der Entschuldigung nicht zu exkulpieren. Dieses Verschulden der Beschwerdeführerin an der Verspätung wiegt jedoch nicht so schwer, dass es durch eine Ordnungsstrafe zu ahnden wäre. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass nach dem zeitlichen Ablauf der Termin am 31. Mai 2012 aufgrund der ebenfalls erst am 31. Mai 2012 festgestellten Arbeitsunfähigkeit der Beschwerdeführerin vermutlich ohnehin nicht mehr rechtzeitig hätte aufgehoben und die anderen Prozessbeteiligten rechtzeitig hätten abgeladen werden können - mit anderen Worten der Termin so oder so "geplatzt" wäre. Bei dieser Sachlage ist die Festsetzung eines Ordnungsgeldes nicht geboten.

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2. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), weil die Beschwerdeführerin nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört (vgl. zur Anwendung des Grundsatzes der Kostenfreiheit nach § 183 SGG bei Beschwerden eines Zeugen gegen die Auferlegung von Ordnungsgeld: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 02.04.2008 - L 7 B 6/08 AL -; LSG Bayern, Beschluss vom 12.03.2012 - L 2 SF 453/11 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26.03.2012 - L 13 SB 163/11 B). Nach § 155 Abs. 4 VwGO, der als Sonderregelung allen anderen Kostenvorschriften vorgeht (siehe insoweit auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage, 2012, § 197a Rn. 18 m. w. Nachweisen) können Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es zu der Verhängung eines Ordnungsgeldes durch das SG nur deshalb gekommen ist, weil die Beschwerdeführerin durch das Büroversehen in ihrem Sekretariat von dem Termin keine Kenntnis hatte und sich deshalb erst nachträglich genügend entschuldigt hat. Da sich die Beschwerdeführerin dieses Verschulden an der Verspätung der Entschuldigung zuzurechnen hat (siehe oben), ist es gerechtfertigt, sie mit den Kosten des dadurch bedingten Beschwerdeverfahrens zu belasten.

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Eine Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren ist nicht erforderlich. Unabhängig von der Höhe des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beträgt die Gerichtsgebühr gemäß § 3 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit Nr. 7504 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zum GKG) pauschal 50,00 €.

15

Dieser Beschluss ist mit einer weiteren Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

 


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