Beschluss vom Landessozialgericht NRW - L 7 AS 640/21 B ER
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.03.2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragsteller begehren mit der vorliegenden Beschwerde die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II im Wege der einstweiligen Anordnung.
4Die 1988 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der 2003, 2007 und 2014 geborenen Antragsteller zu 2), 3) und 4). Der 1983 geborene Antragsteller zu 5) ist der Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1). Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind rumänische Staatsbürger. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller im hiesigen Verfahren ist gemäß Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 11.12.2019 die gesetzliche Betreuerin der Antragstellerin zu 1).
5Die Antragsteller zu 1) bis 4) beantragten am 06.07.2018 bei der Antragsgegnerin erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie gaben an, seit zwei Jahren in Deutschland zu leben und bisher von Freunden unterstützt worden zu sein. Sie legten zunächst einen „Untermietvertrag“ zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn E K vom 29.08.2016 über die Wohnung C-Str. 46, 1. OG rechts, in Recklinghausen vor. Gemäß diesem Vertrag waren für die Wohnung unter Einbeziehung von Vorauszahlungen für Betriebs- und Heizkosten monatlich 540 € zu entrichten. Am 27.11.2018 reichten sie einen am 27.08.2018 geschlossenen Mietvertrag zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn A U für die Zeit ab dem 01.08.2018 über die Wohnung C-Str. 46, 1. OG links, zur Verwaltungsakte. Hiernach waren monatlich 670 € (Kaltmiete iHv 400 € zuzüglich Betriebskosten iHv 150 € und Heizkosten iHv 120 €) zu zahlen. Aufgrund einer Tätigkeit der Antragstellerin zu 1) in einer Shisha-Bar nahm die Antragsgegnerin einen Arbeitnehmerstatus der Antragstellerin zu 1) an und bewilligte den Antragstellern im Zeitraum zwischen dem 01.11.2018 und dem 30.11.2019 Leistungen unter Berücksichtigung monatlicher Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 670 €, die gemäß den Bewilligungsbescheiden unmittelbar an den Vermieter überwiesen wurden. Der Arbeitgeber der Antragstellerin zu 1) kündigte den mit der Antragstellerin zu 1) geschlossenen Arbeitsvertrag zum 31.05.2019. Die Antragsgegnerin versagte in der Folge einen Weiterbewilligungsantrag der Antragsteller für die Zeit ab dem 01.12.2019 unter Verweis auf fehlende Unterlagen, unter anderem in Bezug auf eine neue Tätigkeit der Antragstellerin zu 1) als Reinigungskraft. Die Antragsteller zu 1) bis 4) führten diesbezüglich ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren (S 38 AS 600/20 ER, L 7 AS 860/20 B ER). Während des damaligen Verfahrens zog der Antragsteller zu 5) bei den Antragstellern zu 1) bis 4) ein. Nach Vorlage von Unterlagen zur Tätigkeit der Antragstellerin zu 1) bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 1) bis 4) mit Bescheid vom 16.07.2020 vorläufig Leistungen vom 15.12.2019 bis zum 31.05.2020, wiederum unter Berücksichtigung monatlicher Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 670 €, die gemäß dem Bescheid unmittelbar dem Vermieter zuflossen. Auf einen Leistungsantrag der Antragsteller für die Zeit ab dem 01.06.2020 zahlte die Antragsgegnerin aufgrund fehlender Unterlagen wiederum keine Leistungen. Die Antragsteller bestätigten ihr Begehren durch einen weiteren Weiterbewilligungsantrag vom 18.12.2020. Sie gaben hierbei nunmehr an, ihre monatliche Kaltmiete belaufe sich auf 226,67 €, die Abschläge für Betriebs- und Heizkosten betrügen 85 € bzw. 68 € monatlich.
6Am 11.01.2021 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistungszahlung ab dem 01.06.2020 im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Schriftsatz vom 14.01.2021 haben sie ihr Begehren auf die Zeit ab dem 11.01.2021 beschränkt. Aufgrund von Mietrückständen drohe die Kündigung der Wohnung. Die Antragsteller haben ein Mahnschreiben der E.ON Energie Deutschland über Energiekostenrückstände iHv 4025,92 € zur Akte gereicht. Weiter haben sie ein Schreiben ihres Vermieters U A vom 22.01.2021 übersandt, in dem dieser ausführt, für die Zeit vom 01.11.2018 bis zum 01.01.2019 bestünden Mietrückstände iHv 1340 €, für die Zeit vom 01.01.2019 bis zum 01.01.2021 iHv 2 x 8040 €. Für die Jahre 2018 und 2019 bestünden zudem Rückstände für Nebenkosten iHv 517,92 € bzw. 1855,17 €. Abschließend heißt es: „Die gesamten Schulden betragen 1340 € + 8040 € + 8040 € + 517,92 € + 1855,17 € = 36792,79 €.“ Falls die Summe nicht bis zum 01.02.2021 beglichen werde, werde er den Antragstellern fristlos kündigen. Die E.ON Energie Deutschland hat mit Schreiben vom 28.01.2021 erklärt, der Stromzähler der Antragsteller sei gesperrt. Nur bei Gesamtausgleich der offenen Posten sei ein erneuter Anschluss möglich. Auf Hinweis des Sozialgerichts hat die Antragsgegnerin den Antragstellern mit Bescheid vom 24.02.2021 vorläufig den Regelbedarf vom 01.06.2021 bis zum 30.06.2021 unter Berücksichtigung von Einkommen der Antragsteller sowie Leistungen für den Schulbedarf bewilligt. Die Antragsteller haben hierauf erklärt, sie begehrten weiterhin die Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv monatlich 670 €, weil der Verlust ihrer Wohnung drohe. Zudem sei der ihnen gezahlte Unterhaltsvorschuss fehlerhaft angerechnet worden.
7Mit Beschluss vom 26.03.2021 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragstellern über die bewilligten Leistungen hinaus vom 11.01.2021 bis zum 30.06.2021 höhere Leistungen zu zahlen (für die Antragsteller zu 1) und 5) iHv je 44,50 €, für die Antragstellerin zu 2) iHv 10,04 €, für den Antragsteller zu 3) iHv 97,06 € und für den Antragsteller zu 4) iHv 7 €. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Die Änderungen beruhen auf Korrekturen der Einkommensanrechnung bei der Ermittlung des Regelbedarfs. Soweit der Antrag sich auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung eines Darlehens für Energiekostenrückstände richte, sei er nicht begründet, denn die Antragsteller hätten sich nicht um den Abschluss eines Vertrages mit einem anderen Energieversorger bemüht. Im Hinblick auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung fehle es an einem Anordnungsgrund, denn der Vermieter habe keine Kündigung ausgesprochen. Zudem könne die Wohnung aufgrund der bereits seit Mai 2020 bestehenden Rückstände durch die Zahlung der laufenden Unterkunftskosten nicht gesichert werden.
8Mit vorläufigem Änderungsbescheid vom 29.03.2021 für die Zeit vom 01.02.2021 bis zum 30.06.2021 hat die Antragsgegnerin Korrekturen bei der Einkommensanrechnung umgesetzt, jedoch weiterhin keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung berücksichtigt.
9Am 22.04.2021 haben die Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt und beantragt, ihnen Prozesskotenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Die Antragsgegnerin habe auch Bedarfe für Unterkunft und Heizung zu übernehmen. Eine Obdachlosigkeit der minderjährigen Kinder sei nicht hinzunehmen. Sie haben mit Schriftsatz vom 19.05.2021 ausdrücklich beantragt, die Antragsgegnerin zur Übernahme von Bedarfen für Unterkunft und Heizung iHv 2680 € (4 x 670 €) zu verpflichten. Der Vermieter werde bislang noch durch die Verfahrensbevollmächtigte dazu motiviert, vor einer Kündigung das Beschwerdeverfahren abzuwarten. Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 31.05.2021 ein Schreiben des Vermieters U A vom 16.02.2021 übersandt. Dieses entspricht weitgehend dem im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Schreiben vom 22.01.2021, allerdings kommt der Vermieter nunmehr unter Einbeziehung eines Mietrückstands für Februar 2021 iHv 650 € für Februar 2021 zu Gesamtschulden iHv 20463,09 € und droht eine Kündigung für den 02.03.2021 an. Weiter haben die Antragsteller Unterlagen über einen neuen Energielieferungsvertrag mit der E.ON Energie Deutschland vom 26.02.2021 übermittelt.
10Auf Anfrage des Senats hat Herr A mit Schreiben vom 08.06.2021 geantwortet, die Mietrückstände der Antragsteller beliefen sich unter Einbeziehung der Monate März 2021 bis Juni 2021 auf insgesamt 23143,09 €. Er habe gegenüber den Antragstellern bereits eine Kündigung ausgesprochen. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses komme nur in Betracht, wenn die laufenden Mieten gezahlt und die Mietrückstände beglichen würden. Die Antragsgegnerin hat in der Folge Übersichten aus ihrem Fallkonto übersandt, gemäß denen sie für den Zeitraum von November 2018 bis Mai 2020 monatliche Kosten der Unterkunft iHv 670 € an den Vermieter der Antragsteller überwiesen hat.
11II.
12Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist gemäß der Erklärung der Antragsteller im Schriftsatz vom 19.05.2021 die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme von laufenden Bedarfen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II iHv 2680 € (4 x 670 €).
13Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung abgelehnt.
14Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER). Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER).
15Der Antrag ist nicht begründet. Bereits ein Anordnungsanspruch der Antragsteller erscheint zweifelhaft, denn aufgrund der voneinander abweichenden Erklärungen der Antragsteller zu den monatlichen Unterkunftskosten, den schwankenden und im Widerspruch zu den dokumentierten Zahlungen der Antragsgegnerin stehenden Stellungnahmen des Vermieters zur Höhe der Mietrückstände und dessen ungewöhnlich langen Abwarten bis zur Einleitung mietrechtlicher Konsequenzen steht die Ernsthaftigkeit des Mietverhältnisses zwischen der Antragstellerin zu 1) und Herrn A in Frage.
16Auch bei Annahme eines entsprechenden Anordnungsanspruchs besteht jedoch kein Anordnungsgrund für die von den Antragstellern begehrte Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung laufender Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Zwar ist in dieser Fallkonstellation nach ständiger und in Übereinstimmung mit dem BVerfG stehender Rechtsprechung des Senats die Erhebung einer Räumungsklage durch den Vermieter keine Voraussetzung für die Annahme eines Anordnungsgrundes. Eilbedürftigkeit liegt indes nicht vor, wenn feststeht, dass das Mietverhältnis trotz Zusprechens der Leistungen nicht erhalten werden kann und es daher nur noch darum geht, Ansprüche des Vermieters zu sichern (Senatsbeschlüsse vom 06.12.2017 – L 7 AS 2132/17 B ER und vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER). Dies ist hier der Fall. Die Voraussetzungen für eine nach den Angaben des Vermieters bereits ausgesprochene fristlose Kündigung liegen auch dann vor, wenn man in Anbetracht der Zahlungen der Antragsgegnerin für die Zeit bis zum 31.05.2020 Mietrückstände der Antragsteller erst für die Zeit ab dem 01.06.2020 annimmt, denn die §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a, 569 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 BGB setzen lediglich das Ausstehen eines nicht unerheblichen Teils der Miete, der sich insgesamt auf eine Monatsmiete belaufen muss, für zwei aufeinanderfolgende Termine voraus. Eine Zahlung des von den Antragstellern mit Schriftsatz vom 19.05.2021 auf Anfrage des Senats ausdrücklich begehrten Betrages iHv 2680 € (Unterkunftskosten vom 14.01.2021 bis zum 30.06.2021) könnte diese auch nicht in die Lage versetzen, eine Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung herbeizuführen, denn gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB ist hierfür eine Befriedigung des Vermieters hinsichtlich der fälligen Miete und der Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB (für die Zeit ab dem 01.06.2020 mithin mindestens 8710 €) spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs erforderlich. Der Vermieter hat weiterhin erklärt, zu einer Fortführung bzw. einer neuen Begründung des Mietverhältnisses nur dann bereit zu sein, wenn die Antragsteller nicht nur ihre laufenden Kosten zahlen, sondern auch ihre Mietrückstände vollständig begleichen.
17Ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren scheidet im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen in beiden Rechtszügen aus (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO).
18Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
19Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
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Referenzen
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