Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (5. Senat) - L 5 KR 33/07

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. März 2007 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 2.762,94 EUR festgesetzt.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen eine Beitragsforderung, die die Beklagte im Rahmen der Entleiherhaftung bei einer Arbeitnehmerüberlassung erhebt.

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Die Klägerin hatte in der Zeit vom 27. August 2002 bis 30. April 2003 die Beschäftigte N. E. von der Verleiharbeitsfirma A. Zeitarbeit GmbH (Verleiherin) entliehen. Die Verleiherin hatte die Gesamtsozialversicherungsbeiträge seit August 2002 (Beiträge für Juli) nicht oder verspätet gezahlt. Insgesamt stehen Forderungen in Höhe von ca. 50.000,00 EUR aus. Die Beklagte hatte mit zwei Bescheiden vom 29. November 2002 die Beiträge für Juli, August und Oktober 2002 angemahnt, mit zwei Bescheiden vom 2. Mai 2003 die Beiträge für März 2003, mit zwei Bescheiden vom 7. Mai 2003 die Beiträge für August, Oktober, November und Dezember 2002 sowie Januar und März 2003 und mit zwei Bescheiden vom 19. Mai 2003 die Beiträge für April 2003. Mit Beschluss vom 1. Juni 2003 hatte das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. Zeitarbeit GmbH eröffnet. Nach Angaben der Beklagten hatte die Verleiherin die Beiträge für September 2002 am 7. November 2002 gezahlt und am 8. August 2002 mit der Beklagten eine Tilgungsvereinbarung über wöchentlich 2.000,00 EUR zusätzlich zu den laufenden Beiträgen abgeschlossen.

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Die Beklagte meldete die ausstehende Beitragsforderung zur Insolvenztabelle an. Mit Haftungsbescheid vom 20. August 2004 nahm sie die Klägerin im Rahmen der Entleiherhaftung in Anspruch und forderte die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmerin E. für den Zeitraum vom 1. Oktober 2002 bis 30. April 2003 in Höhe von 3.188,86 EUR. Mit ihrem Widerspruch vom 30. August 2004 machte die Klägerin geltend, die Höhe der Beitragsforderung sei nicht nachgewiesen, insbesondere fehlten Angaben über Tilgungen durch Zahlungen des Arbeitgebers und durch Verrechnung von Forderungen anderer Schuldner. Die Forderungsaufstellung sei nicht ordnungsgemäß. Sie mache die Einreden geltend, die jedem Bürgen einer Forderung zuständen. Die Klägerin ging davon aus, dass ein Eintrag der Forderung zur Insolvenztabelle nicht erfolgt sei und führte hierzu aus, die Beklagte habe bewusst auf den Rangvorbehalt und damit ein Recht verzichtet, das auf sie - die Klägerin - übergegangen wäre. Damit sei sie von ihrer Haftung befreit. Im Übrigen seien die Mahnungen nicht belegt und der Ablauf der Mahnfrist nicht nachgewiesen.

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Mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 reduzierte die Klägerin die Beitragsforderung auf 2.762,94 EUR und berücksichtigte damit Beitragszahlungen der Verleiherin für Februar 2003. Die Beitragsforderung beziehe sich nur auf das Entgelt der Arbeitnehmerin E..

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Die Klägerin rügte weiterhin, dass trotz der vorgelegten Unterlagen die Forderung und die Tilgungen nicht erkennbar seien. Solange die Mahnungen und der Ablauf der Mahnfrist nicht nachgewiesen seien, habe sie ein Leistungsverweigerungsrecht. Im Übrigen habe die Beklagte die ausstehenden Beitragsforderungen verspätet geltend gemacht und angemahnt, daraus stehe ihr eine Einrede zu. Die Beklagte hätte zeitnah das Insolvenzverfahren einleitet müssen und habe gegen ihre Verpflichtung aus § 76 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) verstoßen, die Beiträge vollständig und rechtzeitig zu erheben. Bei einem rechtzeitigen Insolvenzantrag hätte sie - die Klägerin - auf eine Weiterbeschäftigung der Versicherten verzichtet.

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Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2004 zurück. Sie führte aus, ein Entleiher hafte bei einem wirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages durch den Verleiher. Der Entleiher könne die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Verleiher nicht gemahnt habe und die Mahnfrist nicht abgelaufen sei. Sie habe jedoch Mahnungen mehrfach ausgesprochen. Der Gesetzgeber stelle hohe Anforderungen an die Entleiherunternehmen. Es sei seine ausdrückliche Absicht, dem Entleiher das Risiko der Gesamtsozialversicherungsbeiträge aufzuerlegen.

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Gegen die Entscheidung hat die Klägerin am 29. Dezember 2004 beim Sozialgericht Lübeck Klage erhoben und den Umfang der Hauptforderung weiterhin bestritten. Ihr - der Klägerin - gegenüber sei die Beklagte verpflichtet, dieselben Maßnahmen zur Forderungssicherung zu treffen wie im Falle der eigenen Verpflichtung. Im Rahmen eines ordnungsgemäßen Verwaltungshandelns wäre sie verpflichtet gewesen, zeitnah die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen. Insbesondere hätte sie das damit verbundene Ziel der Sanierung des Unternehmens verfolgen müssen. Nahezu ein Jahr habe die Beklagte die Beitragsforderungen nicht betrieben und damit gegen ihre Verpflichtung verstoßen, Beiträge vollständig und rechtzeitig zu erheben. Im Falle einer frühzeitig eingeleiteten Insolvenz hätte sie - die Klägerin - von einer weiteren Beschäftigung der Versicherten Abstand genommen. Als Sicherung hätte sie zudem einen günstigen Rang ihrer Insolvenzforderung erhalten. Da die Beklagte diese Sicherheiten aufgegeben habe, habe sie - die Klägerin - nach § 776 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einen Befreiungsanspruch aus der Bürgenhaftung. Zwar könnten in den Beitragsbescheiden vom 7. und 19. Mai 2003 Mahnungen gesehen werden, diese seien jedoch zu spät ergangen und daher keine ordnungsgemäße Mahnung. Angesichts der säumigen Zahlweise der Verleiherin hätte die Beklagte einen Vorschuss auf die Beiträge einfordern müssen. Schließlich hätte sie die unterbliebenen Beitragszahlungen strafrechtlich verfolgen und in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit eine Aufhebung der Zulassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bewirken müssen.

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Die Beklagte hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.

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Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 7. März 2007 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Bescheide seien hinreichend begründet, die Beitragsberechnung lasse sich nachvollziehen. Die Beklagte habe die Verleiherin hinsichtlich der ausstehenden Beiträge bereits im November 2002 ordnungsgemäß gemahnt. In dem Schreiben sei eine ausdrückliche Zahlungsaufforderung mit einer Fristsetzung und mit der Androhung von Vollstreckungsmaßnahmen im Falle des Zahlungsverzuges ausgesprochen worden. Zwar sei der Zugang der Mahnungen bei der Verleiherin nicht nachgewiesen, da diese mit der Klägerin aber eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen habe, sei denklogisch von dem Eingang bei ihr auszugehen. Die Mahnungen seien nicht verspätet, denn nach den Ratenzahlungsvereinbarungen habe die Beklagte von einem Ausgleich der Forderungen ausgehen können. Die Stundungsvereinbarung über wöchentliche Raten von 2.000,00 EUR neben den laufenden Beiträgen sei insbesondere eine hinreichenden Erfolg versprechende Maßnahme, um den Beitragsrückstand auszugleichen.

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Gegen die ihr am 19. April 2007 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 25. April 2007 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. In Ergänzung zum bisherigen Vortrag führt sie aus, die Höhe der Hauptforderung sei weiterhin nicht belegt. Es sei nicht erkennbar, ob die von der Beklagten vorgetragene Ratenzahlungsvereinbarung bedient worden sei. Bei der Arbeitnehmerüberlassung bestehe die Besonderheit, dass die Bürgenhaftung sich auf zukünftige Forderungen erstrecke. Dies gebiete der Einzugsstelle, in besonderer Weise die Kreditwürdigkeit der Verleiherfirma zu überprüfen. Offenbar habe die Verleiherin bereits im Juli 2002 die Zahlungen eingestellt, dies hätte die Beklagte zu weiteren Sicherungsmaßnahmen veranlassen müssen. Gleichwohl habe sie mit dem Mahnverfahren über sieben Monate gezögert. Die Mahnungen von November 2002 beträfen nicht die hier geltend gemachten Forderungen und seien nicht zu berücksichtigen. Im Übrigen bestreite sie weiterhin, dass die Mahnungen der Verleiherin zugegangen seien. Die Ratenzahlungsvereinbarung habe offenbar nicht das hier streitige Beitragskonto betroffen, denn dessen Höhe habe sich dadurch nicht verringert. Die Beklagte habe mit zwei unterschiedlichen Beitragskonten gearbeitet; dies zeige sich an den unterschiedlichen Nummern der Konten.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. März 2007 sowie die Bescheide der Beklagten vom 20. August 2004 und 20. Oktober 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2004 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie bezieht sich weiterhin auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.

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Dem Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen. Zur Ergänzung der Einzelheiten wird darauf sowie auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck ist zulässig aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zutreffend die rechtmäßigen Bescheide der Beklagten bestätigt. Die Beklagte hat eine Forderung gegenüber der Klägerin als Entleiherin bei Arbeitnehmerüberlassung in der geltend gemachten Höhe.

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Nach § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV haftet bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beschäftigte N. E. war von der Firma A. Zeitarbeit für den Zeitraum vom 27. August 2002 bis 30. April 2003 an die Klägerin verliehen worden. Hinweise dafür, dass der Überlassungsvertrag nach § 9 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) unwirksam sein könnte, sind von der Klägerin nicht vorgetragen und nicht erkennbar. Die Beteiligten gehen einvernehmlich davon aus, dass eine wirksame Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.

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Die Verleiherin schuldete Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Tätigkeit der Beschäftigten für die Zeiträume 1. Oktober 2002 bis 31. Januar 2003 und 1. März bis 30. April 2003 in Höhe von insgesamt 2.762,94 EUR einschließlich der Säumniszuschläge und der Mahngebühren. Nach § 28e Abs. 4 SGB IV zählen diese zu den Beitragsansprüchen. Zwar hat die Klägerin die Höhe der Beitragsforderung bestritten. Mit diesem Vortrag kann sie jedoch nicht durchdringen. Denn irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass die Beitragshöhe von der Beklagten fehlerhaft berechnet worden ist, sind nicht erkennbar und hierzu ist von der Klägerin auch nichts Näheres vorgetragen worden. Dabei könnte sie am ehesten nachvollziehen, welche Entgelte an die Beschäftigte gezahlt worden sind. Außerdem liegen die Berechnungsbögen für die Beitragskonten der Verleiherin vor, ohne dass die Klägerin deren Richtigkeit durch konkrete Anhaltspunkte in Zweifel gezogen hätte. Der Senat sieht daher die von der Beklagten geltend gemachten Forderungsbeträge für zutreffend berechnet an.

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Die Forderungen für die Monate Oktober 2002 bis Januar 2003 sowie März und April 2004 sind nicht getilgt. Zwar hält die Klägerin Tilgungen der ursprünglichen Forderungen für möglich, auch dies legt der Senat jedoch nicht zugrunde. Dabei ist es unerklärlich, aus welchem Grunde Zahlungen Dritter zu berücksichtigen seien. Denn die Beitragsforderung errechnet sich allein auf der Grundlage des Entgelts für die Beschäftigte E.; auf diese Beitragsforderung hätten andere Entleiherfirmen ohnehin keine Zahlungen geleistet. Zwar hat die Verleiherin in dem gesamten Zeitraum seit Oktober 2002 Tilgungen vorgenommen. Diese sind aber von der Beklagten berücksichtigt worden. Auch dies ergeben die von ihr vorgelegten Berechnungen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verleiherin zwei Beitragskonten unterhielt; sie erstellte getrennte Beitragsnachweisungen für die Betriebe in München und in Berlin. Die Verleiherin befand sich mit ihrer Beitragsschuld seit August 2002 im Rückstand. Dieser variierte jedoch im Laufe der Monate ständig. Er erhöhte sich durch neu entstehende Beitragsschulden und verringerte sich durch die Zahlungen, die die Verleiherin tätigte. Der Senat hat ebenfalls keine Zweifel daran, dass die Beklagte in zutreffender Weise die Zahlungen der Verleiherin im Rahmen der Tilgung der Beitragsschuld berücksichtigt hat. Zu einem vergleichbaren Sachverhalt hat er bereits im Urteil vom 9. Mai 2007 (L 5 KR 101/06), das zwischen den Beteiligten erging, Näheres ausgeführt. Die Firma A. Zeitarbeit GmbH existiert nicht mehr, daher können von ihr keine Auskünfte über erfolgte Zahlungen mehr eingeholt werden. Die Beklagte hält die von ihr vorgenommene Berechnung für zutreffend. Insoweit stehen sich ihre Darlegungen und die der Klägerin gegenüber. § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV setzt die bestehende Beitragsforderung als ungeschriebene Voraussetzung für die Bürgenhaftung der Klägerin voraus. Damit handelt es sich zwar um ein forderungsbegründendes Tatbestandsmerkmal, für das nach den allgemeinen Beweislastregeln grundsätzlich die Beklagte die Beweislast trägt. Ist ein derartiges Tatbestandsmerkmal auch nach Ausschöpfen aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellbar, geht dies regelmäßig zu Lasten dessen, der sich auf das bestehende Tatbestandsmerkmal beruft; dies wäre hier die Beklagte (BSG, Urteil vom 29. April 1976, 12/3 RK 66/75, SozR 2200 § 1399 Nr. 4). In Anlehnung an die Regeln über die Umkehr der Beweislast (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. Mai 2006, B 11a AL 7/05 R, SozR 4-4220 § 6 Nr. 4; vgl. auch LSG Stuttgart, Urteil vom 18. April 2007, L 3 AL 3130/04) gilt dieser Grundsatz hier jedoch nicht. Es liegt auf der Hand, dass die Beklagte die Tatsache, dass eine Tilgung ganz oder teilweise nicht erfolgt ist, nicht nachweisen kann. Negative Sachumstände als Aussagen, dass etwas nicht geschehen ist, sind allenfalls dann dem Nachweis zugänglich, wenn sie zeitlich und örtlich genau eingegrenzt sind. Das ist hier aber nicht der Fall. Zahlungen könnten in dem gesamten Zeitraum von Oktober 2002 bis Juni 2003 erfolgt sein. In derartigen Fällen ist zumindest zu fordern, dass derjenige, der sich auf einen derartigen negativen Tatumstand beruft, seinen Vortrag durch hinreichende Anhaltspunkte belegt und konkretisiert. Das ist immer dann erforderlich, wenn der umstrittene Tatumstand seiner Sphäre zuzuordnen ist. Zwar fallen eventuelle Teilzahlungen der Verleiherfirma nicht unmittelbar in die der Klägerin zuzuordnende Sphäre. Sie befand sich jedoch mit der Verleiherin in geschäftlichem Kontakt und hatte daher einen näheren Bezug zu ihr als die Beklagte. Zwischen ihr und dem umstrittenen Tatumstand bestand eine größere Sachnähe als zu der Beklagten. Daher reichte es nicht aus, weitere Teilzahlungen als bloße Möglichkeit dafür darzustellen, dass die Forderung (teilweise) getilgt wurde. Dies bedeutet in Fällen der vorliegenden Art, dass die Klägerin konkretisieren müsste, aus welchem Grunde Anhaltspunkte für eine vollständige oder teilweise Zahlung der Verleiherin bestehen. An einem derartigen konkretisierenden Vortrag fehlt es hier jedoch. Vielmehr stützt sich die Klägerin allein auf die allgemeine Möglichkeit, dass derartige Zahlungen erfolgt sein könnten. Dieser Vortrag ist nicht hinreichend, um das Tatbestandsmerkmal der weiterhin bestehenden Beitragsforderung zu erschüttern. Vielmehr ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte wegen des grundgesetzlichen Postulats der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) davon auszugehen, dass der Vortrag eines öffentlich-rechtlichen Trägers, eine Beitragsforderung sei nicht beglichen, zutreffend ist. Mit ihrem Schreiben vom 20. Oktober 2004 hat die Beklagte die Forderung wegen der Zahlung der Verleiherin für Februar 2003 reduziert. Dies macht deutlich, dass sie weitere eingegangene Zahlungen berücksichtigt hat. Insgesamt geht der Senat daher von einer Beitragsschuld der Verleiherin in der in den angefochtenen Bescheiden geltend gemachten Höhe aus.

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Nach § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV kann die Klägerin als Entleiherin die Zahlung verweigern, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist. Diese Voraussetzungen für ein Zahlungsverweigerungsrecht sind jedoch nicht erfüllt. Sämtliche Beitragsbescheide vom 29. November 2002 und 5. März, 26. März, 2. Mai, 7. Mai und 19. Mai 2003 enthielten unmissverständliche Zahlungsaufforderungen und setzten der Verleiherin eine Zahlungsfrist von einer Woche. Der Vortrag der Klägerin, ein Zugang der Mahnungen bei der Verleiherin sei von der Beklagten nicht nachgewiesen, geht ins Leere. Vielmehr dokumentiert der von der Beklagten vorgelegte, mit der Verleiherin in der gesamten Zeit geführte Schriftverkehr, dass ein enger Kontakt zwischen beiden bestand, in dem es um die Tilgungsmöglichkeiten der ausstehenden Beitragsschuld durch die Verleiherin ging. Ihr sind auch die Bescheide/Mahnungen daher zugegangen. Die Beitragsbescheide bezogen sich alle auf rückständige, bereits fällige Forderungen.

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Im Übrigen stehen der Klägerin als Entleiherin sämtliche Einreden eines selbstschuldnerischen Bürgen zu (§ 28 Abs. 2 Satz 1 SGB IV). Die Vorschriften des BGB sind auf die Entleiherhaftung entsprechend anwendbar. Nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Bürge die dem Hauptschuldner - hier der Verleiherin - zustehenden Einreden geltend machen. Bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft steht der Verleiherin allerdings nicht die Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB zu. Das bedeutet, dass die Klägerin nicht geltend machen kann, die Beklagte habe die Zwangsvollstreckung gegen die Entleiherin noch nicht ohne Erfolg versucht.

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§ 776 BGB bestimmt, dass ein Bürge von seiner Bürgschaftsverpflichtung frei wird, wenn der Gläubige ein mit der Forderung verbundenes Vorzugsrecht, ein Pfandrecht oder ein Recht gegen einen Mitbürgen aufgibt. Keiner dieser Fälle liegt hier vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Regelung des § 776 BGB auf andere Forderungssicherheiten anwendbar ist (ablehnend Sprau in Palandt, BGB, 66. Aufl., § 767 Rz. 7). Denn die Beklagte hat nicht in zurechenbarer Weise auf eine derartige Sicherung im weiteren Sinne verzichtet. Die Klägerin stützt sich in diesem Zusammenhang auf den Vorwurf, die Beklagte habe nicht frühzeitig genug Maßnahmen ergriffen, das Insolvenzverfahren der Verleiherin eingeleitet, sich einen Vorschuss auszahlen lassen oder habe nicht die Aufhebung der Erlaubnis nach dem AÜG der Verleiherin betrieben. Bereits nach den zivilrechtlichen Bestimmungen des § 776 BGB besteht keine allgemeine Sorgfaltspflicht des Gläubigers gegenüber dem Bürgen in dem Sinne, dass er besonders frühzeitig Vermögen verwerten oder Sicherheiten schaffen oder realisieren müsse (Sprau a. a. O. § 776 Rz. 1). Dies gilt in gleicher Weise für die Bürgenhaftung der Entleiherin nach dem AÜG. Auch hier besteht kein besonderes Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen Einzugsstelle und Entleihern, aufgrund dessen die Einzugsstelle auch zur Wahrung der Interessen der Entleiher verpflichtet sein könnte (BSG, Beschluss vom 29. Juni 2000, B 12 KR 10/00 B). Die Beklagte hat darüber hinaus auch ihre Pflichten als Einzugsstelle nicht verletzt. Zwar stehen der Klägerin als Bürgin die dem Hauptschuldner, hier der Verleiherin, nach § 768 BGB zustehenden Einreden zu. Weitergehend hat sie jedoch noch zusätzliche Einreden, die sie nicht aus der Rechtsbeziehung zwischen der Verleiherin und der Einzugsstelle, sondern aus ihrem eigenen Rechtsverhältnis zu der Einzugsstelle herleiten kann (Sprau a. a. O., § 768 Rz. 2). Hierzu zählt insbesondere die Konstellation, dass der Bürgschaftsnehmer keinen Anspruch gegen den Bürgen hat, wenn er den Bürgschaftsfall im Sinne des § 242 BGB treuwidrig herbeigeführt hat (Heinrichs in Palandt a. a. O., § 242 Rz. 67). Auch dies ist hier nicht der Fall. Denn es muss berücksichtigt werden, dass zwischen der Beklagten und der Verleiherin seit Sommer 2002 ein sehr enger Kontakt über die Tilgung der Beitragsschulden bestanden hat. Dies ergibt sich aus dem von der Beklagten vorgelegten sehr regen Schriftwechsel aus der Zeit. Die Beklagte hat sehr zeitnah die Tilgung der Beitragsschuld betrieben und überwacht. Im August 2002 bestanden Beitragsrückstände in Höhe von 16.047,22 EUR, zu deren Rückführung die Verleiherin einen konkreten Zahlungsplan vorlegte. Mit Schreiben vom 27. August und 5. September 2002 erinnerte die Beklagte an die Einhaltung des Tilgungsplans. Zum 1. Oktober 2002 übersandte die Verleiherin zur Tilgung einen Scheck in Höhe von 8.015,68 EUR, der zwar rückbelastet wurde, dessen Betrag am 14. Oktober von der Verleiherin jedoch überwiesen wurde. Es schlossen sich die Zahlungsaufforderungen der Beklagten vom 22. Oktober und 29. November 2002 an, deren Höhe verdeutlicht, dass weitere Zahlungen erfolgt waren. Am 5. März 2003 machte die Beklagte wiederum gestiegene Forderungsbeiträge geltend; in der Folge bot die Verleiherin am 6. März 2003 die Zahlung von 2.000,00 EUR wöchentlich zusätzlich zu den laufenden Beitragsforderungen an. Hiermit erklärte sich die Beklagte am 11. März 2003 einverstanden. Entsprechende Zahlungen wurden dann geleistet. Insgesamt macht der Schriftwechsel deutlich, dass die Beklagte in engem Kontakt zu der Verleiherin stand, um einerseits die Zahlung der rückständigen und ausstehenden Beiträge zu sichern, andererseits aber den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. In dem Zeitraum von Oktober 2002 bis April 2003 zahlte dadurch die Verleiherin Gesamtsozialversicherungsbeiträge von insgesamt 35.894,23 EUR. Die Beklagte konnte daher während des gesamten Zeitlaufs davon ausgehen, dass die Verleiherin zwar finanziell angeschlagen war. Dies wurde von dieser selbst nicht anders dargestellt. Angesichts der Tatsache, dass während des gesamten Zeitraums nicht unerhebliche Beitragszahlungen der Verleiherin eingingen, konnte die Beklagte jedoch auch davon ausgehen, dass das Unternehmen weitergeführt werden konnte und war nicht verpflichtet, vorzeitig das Insolvenzverfahren zu beantragen. Zwar verpflichtet § 76 Abs. 1 SGB IV die Einzugsstelle, die Einnahmen rechtzeitig und vollständig zu erheben. Hinter diesem Grundsatz der Vollständigkeit bei Fälligkeit verbirgt sich aber nicht die Verpflichtung, sofort nach Säumnis der Zahlung Einzel- oder Gesamtvollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen. Denn trotz der Regelung des § 76 Abs. 1 SGB IV trägt die Einzugsstelle die Verpflichtung, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners zu überprüfen, um Wirtschaftsstrukturen nicht vorschnell zu zerschlagen. Der Beitragseinzug hat in angemessener Anlehnung an die jeweils bestehende wirtschaftliche Lage des Beitragsschuldners zu erfolgen. Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände kann die Einzugsstelle nach § 28e Abs. 5 SGB IV Vorschüsse auf den Gesamtsozialversicherungsbeitrag anfordern, wenn dies satzungsrechtlich geregelt ist. In entsprechender Weise kann sie nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV Beitragsforderungen in besonderen Härtefällen stunden. Dies macht deutlich, dass die Einzugsstelle gehalten ist, flexibel auf die wirtschaftlichen Belange der Beitragsschuldner einzugehen. Trotz der Vorgabe des § 76 Abs. 1 SGB IV, die Beiträge rechtzeitig und vollständig zu erheben, hatte die Beklagte hier einen Ermessensspielraum. Der Zeitablauf, vor allem die verhältnismäßig kurze Zeitspanne bis zur vollständigen Zahlungseinstellung durch die Verleiherin, macht deutlich, dass die Beklagte dieses ihr eingeräumte Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt hat. Vielmehr war sie gehalten, die erkennbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Verleiherin und die Chancen für eine Fortführung des Unternehmens in Einklang zu bringen.

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Die Klägerin ihrerseits übersieht, dass auch sie als Entleiherin eine Verpflichtung hatte, stets die Seriosität der Verleiherin zu überprüfen (BSG, Urteil vom 7. März 2007, B 12 KR 11/06 R). Dem widerspricht es, wenn sie einseitig der Beklagten Pflichtverletzungen vorwirft, nach ihrem eigenen Vorbringen jedoch keinerlei Maßnahmen getroffen und keinen Versuch unternommen hat, einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Verleiherin zu erhalten und im Blick zu behalten. Damit ist sie ihrer eigenen Verpflichtung nicht nachgekommen. Hätte sie dieses getan und ihren geschäftlichen Kontakt zu der finanziell angeschlagenen Verleiherin rechtzeitig abgebrochen, wäre die hier streitige Forderung nicht entstanden. Diese Mitursächlichkeit für die Beitragsrückstände ist ein gesetzgeberischer Anknüpfungspunkt für die Entleiherhaftung. Ihr kann sich die Klägerin nicht durch die Behauptung eines - angeblichen - Fehlverhaltens der Beklagten entziehen. Denn bei der Konstruktion der Bürgenhaftung des Entleihers bei der Arbeitnehmerüberlassung hat der Gesetzgeber hohe Anforderungen an die Verantwortlichkeit der Entleiher für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag gestellt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

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Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

27

Der Streitwert richtet sich nach der im Berufungsverfahren bestehenden Forderung (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz).


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