Beschluss vom Oberlandesgericht Braunschweig (1. Strafsenat) - 1 Ws 221/21

Tenor

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss der 6. großen Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgericht Braunschweig vom 9. September 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten A. trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

1

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat unter dem 11. April 2019 gegen die im Rubrum bezeichneten Angeklagten zum Landgericht Braunschweig – Wirtschaftsstrafkammer – Anklage erhoben. Die Anklage ist durch Beschluss der 6. großen Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgericht Braunschweig (im Folgenden nur: Wirtschaftsstrafkammer) vom 8. September 2020 – mit Änderungen – zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet worden.

2

Gegenstand des vorgenannten Strafverfahrens ist u.a. der Vorwurf des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs. Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern seien im Zeitraum zwischen dem 15. November 2006 und dem 22. September 2015 über deren Beschaffenheit, insbesondere die Verwendung einer sog. Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware, die eine Einhaltung der maßgeblichen Stickoxidemissionen lediglich auf dem Teststand gewährleiste, in Bereicherungsabsicht getäuscht worden; die irrenden Käufer hätten hierdurch jeweils einen Vermögensschaden erlitten.

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Die Wirtschaftsstrafkammer hat den Sachverständigen Dr. med. X., Medizinische Klinik und Poliklinik II der L. M., mit Beschluss vom 5. November 2020 (i.V.m. einem den Gutachtenauftrag bezeichnenden Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer vom 22. Oktober 2020) damit beauftragt, ein Gutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten A. zu erstatten. Das entsprechende Gutachten, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf Bl. 56 ff. des Sonderheftes „Unterlagen betreffend den Gesundheitszustand des Angeklagten A.“ verwiesen wird, hat der Sachverständige unter dem 20. Dezember 2020 erstellt. Dem Gutachten des Sachverständigen Dr. X. liegt wiederum ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Y., Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der L. M., vom 9. Dezember 2020 (Bl. 62 ff. des Sonderheftes) zugrunde, den der Sachverständige Dr. X. im Einverständnis mit der Kammer hinzugezogen hat. Prof. Dr. Y. hat ausgeführt, dass eine deutliche Indikation für einen beidseitigen Hüftgelenkersatz bestehe. […] Im Hinblick auf die Gesundheit des Angeklagten sei es daher geboten, die höchste Priorität auf die Wiederherstellung der Mobilität zu legen. Dies sei nur mit der Implantation von Hüfttotalendoprothesen (zunächst links und dann im weiteren Verlauf auch rechts) zu erreichen.

4

Dem Angeklagten wurde daraufhin am 25. März 2021 auf der linken Seite eine Hüftendoprothese eingesetzt.

5

Unter dem 18. August 2021 hat der Sachverständige Dr. X. ein Ergänzungsgutachten erstattet, in dem dieser noch einmal bestätigt hat, dass die Behandlung ihre Wirkung […] erst erziele, wenn auch die rechte Hüfte versorgt werde. Die Durchführung der Operation zum Gelenkersatz auch der rechten Hüfte, hinsichtlich derer für den 9. September 2021 ein Termin vereinbart sei, sei aus ärztlicher Sicht notwendig; die Unterbrechung der begonnenen Therapieabfolgen berge das Risiko dauerhafter Folgeschäden infolge potentiell im Verlauf erschwerter oder unmöglicher Interventionen. […]

6

Mit Beschluss vom 9. September 2021 (Bl. 69 – 74 d. Beschwerdebandes) hat die Wirtschaftsstrafkammer das Verfahren gegen den Angeklagten A. abgetrennt. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, sie habe sich entschieden, das Verfahren gegen A. abzutrennen, weil er am 9. September 2021, dem Tag der Abtrennungsentscheidung, an der rechten Hüfte operiert und ihm eine Hüftendoprothese eingesetzt worden sei. Dies habe die aktuelle Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten zur Folge und stehe seiner Anwesenheit in der ab dem 16. September 2021 anberaumten Hauptverhandlung entgegen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Durchführung der Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit gemäß § 231 a Abs. 1 StPO lägen nicht vor. Der Angeklagte A. habe weder Gelegenheit gehabt, sich vor dem Gericht oder einem beauftragten Richter zur Anklage zu äußern, noch sei mit Blick auf den Gesundheitszustand des Angeklagten, die Erforderlichkeit der durchgeführten Operation und den vorangegangenen Behandlungsverlauf davon auszugehen, dass er sich schuldhaft in einen Zustand versetzt habe, der seine Verhandlungsunfähigkeit ausschließe. Aus diesem Grund habe die Kammer – ebenfalls am 9. September 2021 – einen Antrag der Staatsanwaltschaft, die Hauptverhandlung ohne den Angeklagten durchzuführen, abgelehnt. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten hat die Kammer auf jenen Beschluss (Bl. 65 – 68 d. Beschwerdebandes) verwiesen. Als Alternative zur Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten komme allein in Betracht, die anberaumten Hauptverhandlungstermine aufzuheben und eine zu einem späteren Zeitpunkt beginnende Hauptverhandlung anzuberaumen. Bei Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte, insbesondere des Interesses des Staates an einer effektiven Strafverfolgung einerseits und der schutzwürdigen Interessen der Angeklagten andererseits, bewerte die Kammer die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten A. trotz der damit verbundenen erheblichen Verfahrensverzögerung in Bezug auf diesen Angeklagten als die sachgerechtere und daher zu bevorzugende Verfahrensweise. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Beschluss der Wirtschaftsstrafkammer (Blatt 69-74 des Beschwerdebandes), in dem diese einen Prozess gegen den Angeklagten A. erst nach Abschluss der aktuellen Hauptverhandlung gegen die vier weiteren Angeklagten in Aussicht stellt, verwiesen.

7

Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft am 10. September 2021 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt sie aus, dass die Beschwerde statthaft und auch sonst zulässig sei. Die Regelung des § 305 Satz 1 StPO, wonach der Urteilsfällung vorausgehende Entscheidungen des erkennenden Gerichts nicht angefochten werden können, stehe dem gegen die Abtrennung gerichteten Rechtsmittel nicht entgegen. Die Beschwerde sei auch begründet, weil die Hauptverhandlung nach der gebotenen Gesamtabwägung hätte verschoben werden müssen. Die von der Wirtschaftsstrafkammer gewählte Vorgehensweise habe zur Konsequenz, dass gegen den Angeklagten A. auf absehbare Zeit keine Hauptverhandlung durchgeführt werden könne. Dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung werde dadurch nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Kammer habe bei ihrer Abwägung maßgebliche Gesichtspunkte außer Acht gelassen. So habe der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 31. August 2021 (2 ARs 253/21) ein bei dem Landgericht – Strafkammer – Berlin anhängiges Verfahren wegen des Vorwurfs der uneidlichen Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss zum vorliegenden Verfahren hinzuverbunden und dabei eine prozessökonomische Verfahrensweise angemahnt. Außerdem habe die Staatsanwaltschaft auf ausdrückliche Anregung des Gerichts (Anm. d. Senates: der insoweit zuständigen 16. Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig) einer Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO in einem weiteren gegen A. vor dem Landgericht Braunschweig anhängigen Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsgesetz (16 KLs 411 Js 23888/16) zugestimmt. Dies sei in dem Bestreben geschehen, dass das vorliegende Verfahren gegen A. gefördert werde. Es könne ferner nicht richtig sein, dass sich lediglich nachrangige Mitarbeiter der Volkswagen AG im Rahmen eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren verantworten müssten, während die Verantwortung des vormaligen Vorstandsvorsitzenden ungeklärt bleibe. Die Angeklagten des Verfahrens repräsentierten die unterschiedlichen hierarchischen Organisationseinheiten, die für die verfahrensgegenständliche Manipulationssoftware verantwortlich gewesen seien. Gerade dem Gesichtspunkt der Aufsichtspflicht komme bei der Bewertung des Sachverhalts sowie im Rahmen einer möglichen Strafbemessung erhebliches Gewicht zu. Diese Rechtspflicht habe der Angeklagte A. als Vorstandsvorsitzender während der gesamten Tatzeit hauptsächlich zu erfüllen gehabt. Die Abtrennung des Verfahrens berge zudem die Gefahr einer Verdoppelung der Verfahrensdauer. Da die Wirtschaftsstrafkammer nun angekündigt habe, mit der Verhandlung gegen Herrn A. erst beginnen zu wollen, wenn die Hauptverhandlung gegen die vier verbleibenden Angeklagten abgeschlossen sei, sei eine Verzögerung von mehreren Jahren zu besorgen. Angesichts des fortschreitenden Alters und des sich wahrscheinlich verschlechternden Gesundheitszustandes des Angeklagten sei zu befürchten, dass er sich nie mehr einer Hauptverhandlung werde stellen müssen, wenn der angefochtene Beschluss Bestand habe. Bislang sei auch nicht einmal klar, ob die Operation des Angeklagten A. zwingend am 9. September 2021 – also genau eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung – erfolgen musste oder ob sie nicht Aufschub geduldet hätte. Es handele sich um einen orthopädischen Eingriff, der allenfalls für einige Tage eine absolute Verhandlungsunfähigkeit verursachen könne. Die Strafprozessordnung stelle in § 229 Abs. 3 StPO ein Instrumentarium zur Verfügung, um einer später notwendigen Operation Rechnung zu tragen. Daher hätte es nahe gelegen, sich um amtsärztliche Unterstützung zu bemühen, um den Zeitraum der eingeschränkten Verhandlungsunfähigkeit einzugrenzen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft vom 10. September 2021 (Bl. 75 – 77 d. Beschwerdebandes) verwiesen.

8

Durch Beschluss vom 13. September 2021 (Bl. 78 – 81 d. Beschwerdebandes), auf dessen Gründe ebenfalls verwiesen wird, hat die Wirtschaftsstrafkammer dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Hauptverhandlung hat dementsprechend am 16. September 2021 nur gegen die vier verbleibenden Angeklagten begonnen.

9

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat die Sache mit Zuschrift vom 14. September 2021 – beim Oberlandesgericht eingegangen am selben Tage – zur Entscheidung vorgelegt. Sie vertritt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Braunschweig und beantragt, den Beschluss der 6. großen Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgerichts Braunschweig vom 9. September 2021, durch den das Verfahren gegen den Angeklagten A. zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung abgetrennt worden ist, aufzuheben. Abtrennungsbeschlüsse des erkennenden Gerichts seien zwar gemäß § 305 StPO grundsätzlich unanfechtbar und eine Ausnahme gelte nur dann, wenn sich die Abtrennung als willkürlich erweise oder der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke diene, wobei insoweit auf die Verfahrenslage in ihrer Gesamtheit abzustellen sei. Die Staatsanwaltschaft habe in ihrer Beschwerdebegründung, auf deren Ausführungen Bezug genommen werde, indes mit Recht den Vorwurf des Ermessensmissbrauchs erhoben. Die Abtrennung des Verfahrens könnte angesichts der dadurch eintretenden erhebliche Verzögerung und vor dem Hintergrund der Komplexität des wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalts nicht auf sachlichen Gründen beruhen.

10

Der Angeklagte A. verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er hat mit Verteidigerschriftsatz vom 28. September 2021 ausgeführt, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Braunschweig sei bereits unzulässig, jedenfalls aber auch unbegründet. Die Voraussetzungen, unter denen eine Beschwerde gegen die Abtrennungsentscheidung des erkennenden Gerichtes ausnahmsweise zulässig wäre, lägen nicht vor. Willkürliches Handeln der Kammer oder die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke seien nicht gegeben und würden auch von der Staatsanwaltschaft Braunschweig nicht behauptet. Schon der Umstand, dass die Hauptverhandlung gegen die vier verbleibenden Angeklagten infolge der Abtrennungsentscheidung der Kammer am 16. September 2021 habe beginnen und seitdem bereits an drei Tagen habe durchgeführt werden können, belege, dass durch die Abtrennung eine weitere Verzögerung des Beginns der Hauptverhandlung verhindert worden sei. Schließlich erlaube die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten A. auch eine Konzentration des Verfahrensstoffes sowohl in der nunmehr begonnenen Hauptverhandlung gegen die vier verbliebenen Angeklagten als auch in einem weiteren Verfahren gegen den Angeklagten A.. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdeerwiderung wird auf den Verteidigerschriftsatz vom 28. September 2021 (Blatt 102 - 106 des Beschwerdebandes) Bezug genommen.

II.

11

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist bereits unzulässig. Denn sie ist nach § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen.

12

Nach dieser Vorschrift unterliegen Entscheidungen des erkennenden Gerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen und – wie hier – nicht dem Anwendungsbereich des § 305 Satz 2 StPO unterfallen, nicht der Beschwerde. Der Urteilsfällung vorausgehend sind solche Entscheidungen, die in einem inneren Zusammenhang mit dem Urteil stehen, seiner Vorbereitung dienen und keine weiteren Verfahrenswirkungen erzeugen (KG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2012, 4 Ws 42/12, juris, Rn. 5).

13

Bei der vorliegend angefochtenen Abtrennungsentscheidung handelt es sich um eine Entscheidung des erkennenden Gerichts im vorgenannten Sinne. Denn die gebotene Gesamtbetrachtung der Verfahrenssituation ergibt, dass die Abtrennung des Verfahrens gegen den auf nicht absehbare Zeit verhandlungsunfähigen Angeklagten A. in Vorbereitung des Urteils der Förderung des Verfahrens dient.

14

Ob im Falle einer gerichtlichen Abtrennungsentscheidung der erforderliche innere Zusammenhang mit dem (später) nachfolgenden Urteil anzunehmen ist, wird in obergerichtlicher Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird vertreten, § 305 Satz 1 StPO sei bei einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen einen Abtrennungsbeschluss mangels inneren Zusammenhangs nicht einschlägig, weil der Beschluss, mit dem die Abtrennung des gegen einen Angeklagten gerichteten Verfahrens angeordnet wird, lediglich das gegen diesen gerichtete Verfahren hemme (OLG Celle, Beschluss vom 15. April 2021, 3 Ws 91/21, juris, Rn. 6; OLG Celle, Beschluss vom 15. Mai 2013, 1 Ws 158/13, juris, Rn.11; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Juli 2019, 2 Ws 454/19, juris, Rn. 1; Schmitt in Meyer-Goßner, StPO, 64. Aufl., § 2 Rn. 13; Scheuten in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 2 Rn. 15 und § 4 Rn. 14; Erb in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 2 Rn. 26, § 4 Rn. 44). Diese Ansicht ist indes abzulehnen. Nach zutreffender Auffassung ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen und zu prüfen, ob der innere Zusammenhang mit der Urteilsfällung in Bezug auf das Verfahren in seiner Gesamtheit besteht (KG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2012, 4 Ws 42/12, juris, Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 15. Juli 2005, 2 Ws 223 + 224 + 232/05, juris, Rn. 8, 10; OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. Mai 2021, 3 Ws 282/21, juris, Rn. 2; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 2. Juli 2008, 1 Ws 107/08, juris, Rn.15; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. April 2016, 1 Ws 94/16, juris, Rn. 8; Zabeck in Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 305 Rn. 6). Denn eine isolierte Betrachtungsweise wird der Verfahrenssituation in einem gegen mehrere Angeklagte geführten Strafverfahren nicht gerecht. Der Zweck des § 305 StPO, die Hauptverhandlung beschleunigt und konzentriert durchzuführen (Zabeck, a.a.O, Rn. 1), könnte, zumal bei – wie hier – bereits begonnener Hauptverhandlung, nicht erreicht werden, wenn die verfahrensfördernde Wirkung, die mit einer Abtrennungsentscheidung verbunden ist, nicht ebenfalls in den Blick zu nehmen wäre. § 305 StPO führt daher zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels, wenn das Verfahren durch die Abtrennung, die hinsichtlich des abgetrennten Angeklagten allein hemmende Wirkung haben mag, in Bezug auf die übrigen Angeklagten jedenfalls auch gefördert und der Sachentscheidung näher gebracht wird (KG Berlin, a.a.O., OLG Köln, a.a.O., Rn. 8; OLG Braunschweig, a.a.O.).

15

So liegt der Fall auch hier. Soweit es die vier verbleibenden Angeklagten betrifft, ist eine Verfahrensförderung zweifelsohne gegeben. Denn nur durch die Abtrennung konnte die Hauptverhandlung, an deren Ende regelmäßig die auf die Beratung folgende Verkündung eines Urteils steht (§ 260 Abs. 1 StPO), beginnen. Dass A. wegen der am 9. September 2021 durchgeführten Hüftoperation bei Beginn der anberaumten Hauptverhandlung am 16. September 2021 verhandlungsunfähig war, nimmt auch die Beschwerdebegründung nicht in Abrede. Ohne die Abtrennung hätte die Hauptverhandlung gegen die vier verbleibenden Angeklagten am 16. September mithin nicht beginnen und das gegen diese gerichtete Verfahren nicht in bereits mehreren Verhandlungsterminen gefördert werden können.

16

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft, die in ihrer Stellungnahme in Bezug auf die Anwendbarkeit von § 305 StPO ebenfalls auf die „Verfahrenslage in ihrer Gesamtheit“ abstellt, meint, das Rechtsmittel sei im vorliegenden Fall dennoch zulässig (und begründet), weil die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des Ermessensmissbrauchs erhebt, kann dem nicht gefolgt werden. Die obergerichtliche Rechtsprechung geht zwar ausnahmsweise von einer Anfechtbarkeit von Abtrennungsbeschlüssen aus, wenn sich die Entscheidung des erkennenden Gerichts als willkürlich erweist oder mit der Abtrennung verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. Mai 2021, 3 Ws 282/21, juris, Rn. 2; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 2. Juli 2008, 1 Ws 107/08, juris, Rn.15). Ebenso wird ein Rechtsmittel gegen eine gerichtliche Abtrennungsentscheidung für zulässig angesehen, wenn die Rechtswidrigkeit der Anordnung infolge fehlerhafter Ermessensausübung evident ist und dadurch für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Beschwer begründet wird (KG Berlin, Beschluss vom 10. Mai 2012, 4 Ws 42/12, juris, Rn. 5). Ob Abtrennungsbeschlüsse unter diesen engen Voraussetzungen trotz der Regelung des § 305 StPO angefochten werden können, kann vorliegend dahinstehen. Denn die geschilderten Voraussetzungen für einen Ausnahmefall liegen jedenfalls nicht vor. Die Entscheidung der Wirtschaftsstrafkammer beruht vielmehr auf einer umfassenden und sorgfältigen Ermessensausübung, die Ermessensfehler nicht erkennen lässt; sie ist daher nicht zu beanstanden, so dass es bei der Unzulässigkeit der Beschwerde bleibt.

17

Im Rahmen der von ihr getroffenen Ermessensentscheidung hat die Wirtschaftsstrafkammer zunächst mit Recht ausgeführt, dass als Alternative zur Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten A. wegen der operationsbedingten Verhandlungsunfähigkeit allein die Aufhebung der damals anberaumten – und inzwischen seit dem 16. September 2021 laufenden – Hauptverhandlung in Betracht gekommen wäre. Das Landgericht war sich dabei bewusst, dass die Abtrennung mit einer erheblichen Verzögerung in Bezug auf den Angeklagten A. verbunden sein könnte. Sie hat dem jedoch zunächst zutreffend entgegengehalten, dass eine erneute „Verschiebung“ des – bereits zuvor wegen der Corona-Pandemie zweifach verschobenen – Beginns der Hauptverhandlung zwangsläufig die erneute Verzögerung des gegen die weiteren Angeklagten gerichteten Verfahrens zur Konsequenz gehabt hätte. Darüber hinaus hat die Wirtschaftsstrafkammer in jeder Hinsicht nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Prognose, ab welchem Zeitpunkt der Angeklagte A. nach der nunmehr durchgeführten Operation der rechten Hüfte wieder verhandlungsfähig sein werde, mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sei und hierfür ausweislich des durch die Kammer eingeholten Sachverständigengutachtens ein Zeitraum von mehreren Monaten durchaus in Betracht komme. […] Soweit die Staatsanwaltschaft demgegenüber die Auffassung vertritt, infolge der am 9. September 2021 durchgeführten Hüftoperation des Angeklagten A. sei lediglich von einer wenige Tage andauernden vollständigen Verhandlungsunfähigkeit dieses Angeklagten auszugehen, so dass das Verfahren auch ohne die Abtrennung insgesamt nur kurze Zeit später hätte beginnen können, steht diese Annahme im Widerspruch zu den Ergebnissen der gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten, an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass sieht. […] Weshalb die Wirtschaftsstrafkammer angesichts der eingeholten Gutachten, die die Unsicherheiten bei der Prognose nachvollziehbar aufzeigen, hätte gehalten sein sollen, einen Amtsarzt hinzuzuziehen, um die voraussichtliche Dauer der Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten A. aufzuklären, erschließt sich dem Senat nicht. Die Kammer hat sich vielmehr auf die Einschätzungen von Fachärzten gestützt, deren Kompetenz zur Beurteilung der Problematik außer Frage steht.

18

Die Wirtschaftsstrafkammer hat ausweislich der Gründe der angefochtenen Entscheidung weiterhin sorgfältig geprüft, ob es – gemäß einem entsprechenden Vorschlag der Staatsanwaltschaft – angezeigt gewesen wäre, dem Angeklagten A. „aufzugeben“, die Operation der rechten Hüfte auf einen Zeitraum zu verschieben, in dem die Hauptverhandlung bereits zehn Tage stattgefunden habe, um sie dann gemäß § 229 Abs. 3 StPO wegen Krankheit für mehr als drei Wochen unterbrechen zu können. Sie hat diese Verfahrensweise mit Recht ungeachtet ihrer Zulässigkeit schon als nicht sachgerecht angesehen, weil sie ebenfalls mit einer nur schwer zu kalkulierenden Verzögerung des Verfahrens verbunden gewesen wäre. Denn auch bei einer späteren Operation des Angeklagten A. – dann erst im November oder Dezember 2021 – wäre nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Wirtschaftsstrafkammer die danach für die Herstellung einer vollständigen oder jedenfalls eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit erforderliche Zeit aus den zuvor dargelegten Gründen wiederum nur schwer prognostizierbar gewesen. Dem ist aus Sicht des Senates lediglich hinzuzufügen, dass für eine an den Angeklagten A. gerichtete Weisung, die Operation vorübergehend zu unterlassen, auch keine Rechtsgrundlage bestanden hätte. Nach den eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. X. und Prof. Dr. Y. wäre dem Angeklagten ein Aufschub der dringend gebotenen Operation angesichts der mit einem weiteren Zuwarten verbundenen erheblichen Risiken nicht zuzumuten gewesen.

19

Die Wirtschaftsstrafkammer hat bei ihrer Ermessensentscheidung ferner – angesichts der Vielzahl potentiell Geschädigter (es geht um eine Gesamtzahl von 9.058.621 Fahrzeugen) ohne weiteres nachvollziehbar – berücksichtigt, dass sie nach einer Wiederherstellung der – jedenfalls eingeschränkten – Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten A. gar nicht in der Lage gewesen wäre, kurzfristig neue Hauptverhandlungstermine zu bestimmen. Das Erfordernis eines längeren Terminvorlaufs hat sie plausibel damit gerechtfertigt, dass nach ihren Erfahrungen bei der Vorbereitung der im vorliegenden Verfahren anberaumten – und dann zweimal wegen der Corona-Pandemie verschobenen – Hauptverhandlungstermine bei einem signifikanten Anteil der hinzuziehenden Schöffen und Ergänzungsschöffen eine nähere Überprüfung zu dem Vorliegen der Voraussetzungen gesetzlicher Ausschließungsgründe erforderlich gewesen sei. Die Gewährung rechtlichen Gehörs zu den diesbezüglich zu treffenden Entscheidungen sowie zu Entscheidungen, die aufgrund von Selbstanzeigen einzelner Schöffen oder Ergänzungsschöffen gemäß § 30 StPO erforderlich werden, nehme Zeit in Anspruch. Seien Schöffen und/oder Ergänzungsschöffen von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen, müssten weitere geladen und die diesbezüglichen Überprüfungen erneut durchgeführt werden. Es sei im Vorhinein nicht absehbar, wie oft dieser Vorgang wiederholt werden müsse.

20

Auch mit dem weiteren Beschwerdevorbringen – es könne nicht richtig sein, dass sich lediglich nachrangige Mitarbeiter der Volkswagen AG im Rahmen eines der größten Wirtschaftsstrafverfahren verantworten müssten, während die Verantwortung des vormaligen Vorstandsvorsitzenden, der zudem im gesamten Tatzeitraum aufsichtspflichtig gewesen sei, ungeklärt bleibe – hat sich die Wirtschaftsstrafkammer sorgfältig auseinandergesetzt. Sie hat insoweit ermessensfehlerfrei ausgeführt, dass allein die ehemalige Position des Angeklagten als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG es – auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse – nicht rechtfertige, diesen als „Hauptangeklagten“ oder „Hauptverantwortlichen“ zu qualifizieren. Gleiches gelte für den Umstand, dass der Angeklagte A. in der Anklageschrift an erster Stelle genannt werde. Unter Zugrundelegung der Anklageschrift und des übrigen Akteninhalts sei die Rolle des Angeklagten A. in Bezug auf den Anklagevorwurf vielmehr „bei vorläufiger Bewertung“ gerade nicht als herausgehoben einzuordnen. Denn dieser Angeklagte soll im Vergleich zu dem in der Anklageschrift genannten Gesamttatzeitraum nur in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum Kenntnis von der sogenannten „Akustikfunktion“, also von der vorgeworfenen Manipulation der Fahrzeuge, gehabt haben. An deren Entwicklung soll er nicht beteiligt gewesen sein und auch sonst nicht durch aktives Tun an der angeklagten Tat mitgewirkt haben. Die Staatsanwaltschaft habe im Zusammenhang mit dem Sachverhalt, der auch der Anklage im vorliegenden Verfahren zugrunde liege, inzwischen gegen insgesamt 35 Personen Anklage erhoben. Die strafbaren Handlungen sollen – wobei die Tatzeiträume in Bezug auf die einzelnen Angeschuldigten oder Angeklagten jeweils differierten – im Zeitraum vom September 2006 bis September 2015 begangen worden sein und sich – auch insoweit mit Unterschieden in Bezug auf die einzelnen Angeschuldigten oder Angeklagten – auf insgesamt 9.058.621 Fahrzeuge bezogen haben. Gegen den Angeklagten A. bestehe aber in Übereinstimmung mit der Anklage lediglich für einen Tatzeitraum ab dem […] hinreichender Tatverdacht. Da sich seine mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ab diesem Zeitpunkt bestehende Kenntnis zudem bis in das Jahr 2015 hinein auf Fahrzeuge beschränkt haben soll, die für den nordamerikanischen Markt bestimmt gewesen waren, beziehe sich der hinreichende Tatverdacht beim Angeklagten A. auf weniger als ein Prozent der genannten Gesamtzahl von 9.058.621 Fahrzeugen. Zwischen den Tathandlungen, die dem Angeklagten A. zur Last gelegt werden und den Tathandlungen, die die vier weiteren Angeklagten betreffen, bestehe schließlich auch kein derart enger inhaltlicher Zusammenhang, dass die Aufklärung der Anklagevorwürfe gegen die vier weiteren Angeklagten die Aufklärung der dem Angeklagten A. zur Last gelegten Taten voraussetze. Gleiches gelte für die spätere Aufklärung der Anklagevorwürfe gegen den Angeklagten A. in einer gesonderten Hauptverhandlung. Die mit einer Abtrennung des Verfahrens gegen ihn verbundene Verzögerung des Verfahrensabschlusses in Bezug auf seine Person spräche zwar gegen die gewählte Verfahrensweise. Immerhin habe aber die Abtrennung des Verfahrens gegen den Angeklagten A. zur Folge, dass Sachverhalte, die allein seine strafrechtliche Verantwortlichkeit betreffen, nicht aufgeklärt werden müssten, was nach Einschätzung der Wirtschaftsstrafkammer zu einer Verkürzung jener Hauptverhandlung führen werde. Der Kammer sei zwar bewusst, dass eine Vielzahl von Tatsachen in beiden Verfahren Relevanz habe. Dennoch werde sich die Gesamtverfahrensdauer voraussichtlich dadurch nicht verdoppeln, weil der Sachverhalt nicht vollständig identisch sei. Fehlerhafte Ermessenserwägungen sind diesen Ausführungen nicht zu entnehmen.

21

Soweit die Staatsanwaltschaft meint, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31. August 2021 (2 ARs 253/21, juris), wodurch ein bei dem Landgericht – Strafkammer – Berlin anhängiges Verfahren gegen den Angeklagten A. wegen uneidlicher Falschaussage vor einem Untersuchungsausschuss (§ 153 StGB) zum vorliegenden Verfahren hinzuverbunden wurde, stünde der Verfahrensabtrennung entgegen, greift – worauf die Wirtschaftsstrafkammer im Rahmen der Nichtabhilfeentscheidung zutreffend hingewiesen hat – auch dieser Einwand nicht durch. Der Bundesgerichtshof hielt es zwar mit Recht für prozessökonomisch, jenes Verfahren wegen der Identität der Lebenssachverhalte gemeinsam mit dem vorliegenden Verfahren zu verhandeln, weil die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin dem Angeklagten A. in jenem Verfahren vorwirft, vor dem 5. Untersuchungsausschuss der 18. Wahlperiode des Deutschen Bundestages am 19. Januar 2017 unzutreffend angegeben zu haben, „nicht vor“ bzw. erst „im“ September 2015 Kenntnis von Abschalteinrichtungen an Fahrzeugen erlangt zu haben. Die vom Bundesgerichtshof in Bezug auf den Angeklagten A. vorgenommene Verbindung schließt es jedoch nicht aus, das Verfahren gegen den Angeklagten A. einerseits (inklusive des Vorwurfs wegen uneigentlicher Falschaussage) und das Verfahren gegen die verbleibenden vier Angeklagten andererseits gesondert zu führen.

22

Dass die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf das vorliegende Verfahren – offenbar auf vorangegangene Anregung der dort zuständigen Wirtschaftsstrafkammer – einen Antrag auf Einstellung eines weiteren gegen den Angeklagten A. gerichteten Strafverfahrens wegen Verstoßes gegen das Wertpapierhandelsgesetz (16 KLs 411 Js 23888/16) gemäß § 154 Abs. 2 StPO gestellt hat, hat schließlich für die Beurteilung der verfahrensfördernden Wirkung der angefochtenen Abtrennungsentscheidung außer Betracht zu bleiben. Der Senat vermag nicht zu erkennen, inwiefern die durch eine andere Wirtschaftsstrafkammer – hier die 16. Wirtschaftsstrafkammer – getroffene Entscheidung der vorläufigen Verfahrenseinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO für die hier zur Beurteilung stehende Abtrennungsentscheidung von Belang ist. Vielmehr wird die 16. Wirtschaftsstrafkammer in jenem Verfahren zu prüfen haben, ob eine Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens wegen der Verzögerung im vorliegenden Verfahren geboten ist. Eine solche Wiederaufnahme kommt grundsätzlich schon vor Rechtskraft des Verfahrens, das Anlass für die Einstellung war (Bezugsverfahren), in Betracht, wenn die Gefahr besteht, dass im Bezugsverfahren keine ausreichende Ahndung erfolgt (Mavany in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 154 Rn. 80).

III.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO. Der Landeskasse waren gemäß § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten A. aufzuerlegen, zu dessen Ungunsten das Rechtsmittel eingelegt wurde.

 


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