Beschluss vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 2 Ws 125/20
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 12. März 2020 gewährt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
1
G r ü n d e :
3I.
4Das Amtsgericht Duisburg-Ruhrort hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte beschränkt auf den Strafausspruch Berufung eingelegt. In der Berufungshauptverhandlung, zu der er nach § 40 Abs. 3 StPO durch öffentliche Zustellung geladen wurde, ist er ausgeblieben. Das Landgericht Duisburg hat die Berufung daraufhin gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen.
5Wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten.
6II.
7Die gemäß §§ 46 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
8Dem Angeklagten ist wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 12. März 2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 329 Abs. 7, 44 StPO). Denn er ist vor der öffentlichen Zustellung der Terminsladung nicht, wie es § 35a Satz 2 StPO erfordert, über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO belehrt worden. Nach dieser von dem Landgericht angewendeten Vorschrift ist die öffentliche Zustellung im Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung bereits zulässig, wenn eine Zustellung nicht unter einer Anschrift möglich ist, unter der letztmals zugestellt wurde oder die der Angeklagte zuletzt angegeben hat.
91.
10Die Tatsache, dass dem Angeklagten die nach § 35a Satz 2 StPO erforderliche Belehrung nicht erteilt wurde, bedarf keiner Glaubhaftmachung, da dies bereits aus der negativen Beweiskraft des amtsgerichtlichen Sitzungsprotokolls folgt (§ 274 StPO). Die Belehrung gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung und nimmt an der Beweiskraft des Protokolls teil (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 35a Rdn. 8; LK-Graalmann-Scheerer, StPO, 27. Aufl., § 35a Rdn. 29).
11In dem amtsgerichtlichen Sitzungsprotokoll ist nach der Urteilsverkündung lediglich vermerkt: „Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt.“ Dies belegt allein, dass dem Angeklagten mündlich die nach § 35a Satz 1 StPO erforderliche Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde. Die in § 35a Satz 2 StPO vorgesehene Belehrung über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO betrifft hingegen kein Rechtsmittel, sondern die erleichterten Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung in dem Verfahren über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung. Es handelt sich trotz der - insoweit missverständlichen - Überschrift des § 35a StPO nicht um eine Rechtsmittelbelehrung, sondern um eine zusätzliche Belehrung aufgrund einer Sondervorschrift (vgl. KMR-Ziegler, StPO, 78. Lfg., § 35a Rdn. 24).
12Der in dem Sitzungsprotokoll enthaltene Vermerk „Rechtsmittelbelehrung ist erfolgt“ beweist daher nicht, dass dem Angeklagten auch die nach § 35a Satz 2 StPO erforderliche Belehrung über die Rechtsfolgen des § 40 Abs. 3 StPO erteilt wurde (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Oktober 2013, III-2 Ws 451/13, n.v.; OLG Hamm NStZ 2014, 421, 422). Vielmehr gilt die Nichterteilung der zusätzlichen Belehrung über die erleichterten Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung als erwiesen, wenn das Sitzungsprotokoll dazu - wie hier - keine konkrete Angabe enthält (§ 274 StPO).
13Der Begriff „Rechtsmittelbelehrung“ umfasst inhaltlich nicht die zusätzliche Belehrung nach § 35a Satz 2 StPO (vgl. auch OLG Brandenburg NStZ 2018, 117 für den Fall des Verzichts auf eine „Rechtsmittelbelehrung“). Es ist Sache des Gerichts, die Erteilung der zusätzlichen Belehrung in dem Sitzungsprotokoll unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen. Zwecks Erinnerung an das zusätzliche Belehrungserfordernis wie auch zur inhaltlichen Klarstellung wäre es sachdienlich, in den Protokollvordrucken - wie dies bereits für die qualifizierte Belehrung im Falle einer Verständigung (§§ 35a Satz 3, 257c StPO) gehandhabt wird - eine gesonderte Rubrik für die zusätzliche Belehrung nach § 35a Satz 2 StPO vorzusehen.
142.
15Das Fehlen der zusätzlichen Belehrung führt dazu, dass dem Angeklagten wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
16Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass die Erteilung der nach § 35a Satz 2 StPO erforderlichen Belehrung Zulässigkeitsvoraussetzung für die öffentliche Zustellung nach § 40 Abs. 3 StPO ist, mithin das Unterlassen dieser Belehrung bereits zur Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Ladung führt (vgl. OLG Brandenburg BeckRS 2009, 26997; NStZ 2018, 117; 118; SK-Weßlau/Singelnstein, StPO, 5. Aufl., .§ 35a Rdn. 16; LK-Graalmann-Scheerer a.a.O. § 35a Rdn. 25). Bei Unwirksamkeit der Ladung ist der Angeklagte zu Unrecht als säumig behandelt worden, so dass er in entsprechender Anwendung des § 329 Abs. 7 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen kann (vgl. OLG Hamm NStZ 1982, 521; OLG Hamburg NStZ-RR 2001, 302; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142).
17Nach anderer Auffassung berührt das Unterlassen der nach § 35a Satz 2 StPO erforderlichen Belehrung nicht die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Ladung. Vielmehr hat die Korrektur in gleicher Weise wie auch sonst bei unterbliebenen Belehrungen durch die Anwendung des § 44 Satz 2 StPO, d.h. die gesetzliche Vermutung der unverschuldeten Säumnis, zu erfolgen (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1988, 376; OLG Hamm NStZ 2014, 421, 422; KMR-Ziegler a.a.O. § 40 Rdn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 35a Rdn. 13 u. 16).
18Vorliegend kann der Meinungsstreit dahinstehen, da dem Angeklagten nach beiden Auffassungen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu gewähren ist. Ein praktischer Unterschied ergibt sich unter Berücksichtigung der Kausalität nur dann, wenn der Angeklagte die erleichterten Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung kennt und daher des Schutzes durch die Belehrungspflicht nach § 35a Satz 2 StPO nicht bedarf (vgl. OLG Brandenburg NStZ 2018, 117, 118; SK-Weßlau/Singelnstein a.a.O. § 35a Rdn. 16). Für eine solche Kenntnis bestehen hier indes keine Anhaltspunkte.
193.
20Ohne Rückgriff auf die erleichterten Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 StPO kam die öffentliche Zustellung der Ladung vorliegend noch nicht in Betracht, so dass die zusätzliche Belehrung nach § 35a Satz 2 StPO nicht entbehrlich war.
21Denn hinsichtlich der Erreichbarkeit des Angeklagten standen über die (erfolglose) Anfrage beim Einwohnermeldeamt hinaus mehrere Ermittlungsansätze zur Verfügung, die vor einer öffentlichen Zustellung nach § 40 Abs. 1 StPO abzuklären gewesen wären (Befragung der in anderer Sache bestellten Bewährungshelferin und des Inhabers der von dem Angeklagten vormals mitbenutzten Wohnung, Anruf unter der von dem Angeklagten bei der Beschuldigtenvernehmung mitgeteilten Mobilfunknummer).
22III.
23Mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist das Verwerfungsurteil vom 12. März 2020 hinfällig, ohne dass es eines Ausspruchs über die Aufhebung bedarf (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 329 Rdn. 44).
24IV.
25Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 7 StPO und § 467 Abs. 1 StPO in entsprechender Anwendung.
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Referenzen
- StPO § 473 Kosten bei zurückgenommenem oder erfolglosem Rechtsmittel; Kosten der Wiedereinsetzung 1x
- StPO § 46 Zuständigkeit; Rechtsmittel 1x
- StPO § 274 Beweiskraft des Protokolls 2x
- StPO § 329 Ausbleiben des Angeklagten; Vertretung in der Berufungshauptverhandlung 3x
- StPO § 311 Sofortige Beschwerde 1x
- 2 Ws 451/13 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 35a Rechtsmittelbelehrung 12x
- StPO § 40 Öffentliche Zustellung 5x
- StPO § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung 1x
- StPO § 44 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Fristversäumung 2x