Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 2 U 32/20
Tenor
I. Die Berufung gegen das am 03.07.2020 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 29.07.2020 (Az.: 4c O 24/20) wird zurückgewiesen.
II. Die Verfügungsklägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 1.000.000,00 festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Von einer Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 542 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die Berufung der Verfügungsklägerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
6Zutreffend hat das Landgericht den Erlass der von der Verfügungsklägerin beantragten einstweiligen Verfügung auf Unterlassung von Angebot und Vertrieb des Präparats C. A. abgelehnt. Die Verfügungsklägerin hat keinen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht, da der Rechtsbestand des Verfügungspatents – der deutsche Teil des EP 3 395 339 – für den Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht hinreichend gesichert ist.
71.
8Das Verfügungspatent trägt den Titel „Schnellauflösungsformulierung enthaltend C. H-“ und beansprucht eine pharmazeutische Zusammensetzung.
9In seiner einleitenden Beschreibung schildert das Verfügungspatent, dass kalziumrezeptoraktive Verbindungen wie C.-H. im Stand der Technik als Arzneimittelwirkstoff bekannt sind. Solche kalziumrezeptoraktiven Verbindungen können insbesondere in ihrem nicht-ionisierten Zustand unlöslich oder kaum löslich in Wasser sein. So hat C. eine Löslichkeit in Wasser von weniger als 1 μg/ml bei neutralem pH-Wert. Seine Löslichkeit kann sich bis ungefähr 1,6 mg/ml steigern, wenn der pH-Wert von ungefähr 3 bis ungefähr 5 reicht, und die Löslichkeit von C. sinkt auf ungefähr 0,1 mg/ml, wenn der pH-Wert bei 1 liegt (Abs. [0002]).
10Das Verfügungspatent bemerkt hierzu, dass eine – wie geschildert – begrenzte Löslichkeit die Anzahl der pharmazeutischen Formulierungen (z.B. Tablette, Kapsel, Pulver) und der Zufuhroptionen, die für die kalziumrezeptoraktiven Verbindungen verfügbar sind, reduzieren kann. Eine begrenzte Wasserlöslichkeit kann weiterhin zu einer niedrigen Bioverfügbarkeit der arzneilichen Verbindungen im Patienten führen (Abs. [0002]).
11Ausgehend hiervon sieht das Verfügungspatent ein Bedürfnis, die Auflösbarkeit der kalziumrezeptoraktiven Verbindungen aus einer Dosierform möglichst während der in vivo-Exposition zu maximieren und hierdurch – während der in vivo-Exposition – die Bioverfügbarkeit der kalziumrezeptoraktiven Verbindung zu verbessern (Abs. [0003]).
12Zur Lösung dieses technischen Problems schlägt das Verfügungspatent in seinem Anspruch 1 eine pharmazeutische Zusammensetzung mit den folgenden Merkmalen vor:
13- 14
1. Die pharmazeutische Zusammensetzung umfasst
a) 10 % bis 40 % nach Gewicht an C.-H.,
16b) 45 % bis 85 % nach Gewicht mindestens eines Verdünnungsmittels,
17das ausgewählt ist aus Stärke, mikrokristalliner Cellulose, Dicalcium-phosphat, Lactose, Sorbit, Mannit, Saccharose, Methyldextrinen und Mischungen davon,
18c) 1 % bis 10 % mindestens eines Sprengmittels,
19das ausgewählt ist aus Crospovidon, Natriumstärkeglykolat, Croscarmellose-Natrium und Mischungen davon.
20- 21
2. Der Prozentsatz nach Gewicht ist bezogen auf das Gesamtgewicht der pharmazeutischen Zusammensetzung.
2.
23Mit dem Landgericht ist der Senat der Auffassung, dass der Rechtsbestand des Verfügungspatents nicht ausreichend gesichert ist. Gegen die Verfügungsbeklagte die begehrte Unterlassungsverfügung zu erlassen, ist umso weniger veranlasst, als die Verfügungsklägerin bereits über eine einstweilige Verfügung gegen die vorliegend angegriffene Ausführungsform besitzt, welche der Senat in dem zwischen den Parteien geführten Parallelverfahren I-2 U 25/20 mit Urteil vom heutigen Tage aufrechterhalten hat. Sollte sich die Prognose des Senats über den mangelnden Rechtsbestand des Verfügungspatents als unzutreffend herausstellen und das Verfügungspatent in der demnächst anstehenden Einspruchsverhandlung aufrechterhalten werden, steht es der Verfügungsklägerin, ohne Dringlichkeitsprobleme befürchten zu müssen, frei, beim Landgericht erneut um eine Unterlassungsverfügung nachzusuchen.
24a)
25In seiner heutigen, im Parallelverfahren I-2 U 25/20 verkündeten Entscheidung hat der Senat die Grundsätze seiner ständigen Rechtsprechung zur Beurteilung des gesicherten Rechtsbestandes in Generikafällen im Einzelnen dargestellt. Darauf wird verweisen. Liegt eine positive kontradiktorische Rechtsbestandsentscheidung – wie hier – noch nicht vor, kommt es entscheidend darauf an, ob sich das Verletzungsgericht trotz fehlender eigener technischer Expertise und trotz der sich aus § 294 Abs. 2 ZPO ergebenden verfahrensrechtlichen Beschränkungen die Überzeugung davon bilden kann, dass das Verfügungspatent den Angriffen im anhängigen Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren standhalten wird. Hat sich das Verletzungsgericht vom Rechtsbestand des Verfügungsschutzrechts überzeugt, ist dem Verfügungsantrag – erst recht – stattzugeben, wenn ein dem Patentinhaber günstiger qualifizierter Vorbescheid derjenigen Stelle vorliegt, die mit dem Rechtsbestandsangriff gegen das Verfügungspatent befasst ist. Umgekehrt gilt, dass sich das Verletzungsgericht, wenn der Vorbescheid eine Vernichtung oder eine aus der Benutzung hinausführende Beschränkung des Verfügungspatents in Aussicht stellt, mangels überlegener eigener technischer Sachkunde im Zweifel keine Überzeugung vom Rechtsbestand wird bilden können. Letzteres stimmt mit der Rechtsprechung des Senats überein, dass die Zwangsvollstreckung aus einem Hauptsachetitel regelmäßig einzustellen ist, wenn ein deutlicher Hinweis gemäß § 83 PatG durch das BPatG bzw. nach der Verfahrensordnung des EPA (Technische Beschwerdekammer oder Einspruchsabteilung) existiert, der eine Vernichtung oder benutzungsrelevante Beschränkung des Klagepatents mit durchdachten Gründen in Aussicht stellt (Senat, Beschluss vom 02.12.2019 – I-2 U 48/19; Beschluss vom 28.01.2021 – I-2 U 24/20; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2010 – 6 U 71/08). Unter solchen Umständen kann es naturgemäß nicht angehen, einen Vollstreckungstitel erstmals in die Welt zu setzen.
26Die vorläufige Auffassung der Einspruchsabteilung ist zwar nicht bindend und sie nimmt die spätere Entscheidung selbstverständlich auch nicht vorweg. Andererseits ist davon auszugehen, dass der vorläufigen Auffassung bereits eine umfassende und sorgfältige Prüfung zugrunde liegt und die Einspruchsabteilung in einem solchen Bescheid entsprechende Hinweise nicht leichtfertig erteilt (vgl. zum Hinweis des BPatG: Senat, Beschluss vom 21.07.2108 – I-2 U 19/17; zur vorläufigen Auffassung einer Technischen Beschwerdekammer: Senat, Beschluss vom 29.01.2021 – I-2 W 26/20 = GRUR-RS 2021, 1830). Vor diesem Hintergrund kann bei einer deutlich geäußerten und sorgfältig begründeten vorläufigen Auffassung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden, dass die bescheidsmäßig dokumentierte Auffassung ihren Niederschlag in der späteren Entscheidung finden wird. Maßgeblich ist also, ob der Vorbescheid eine eindeutige und begründete Position bezieht oder neutral bloß mögliche Erwägungen und Diskussionspunkte in den Raum stellt (vgl. zur Einstellung der Zwangsvollstreckung: Senat, Beschluss vom 21.07.2018 – I-2 U 19/17; zur „Entwertung“ einer erstinstanzlichen Bestätigung des Rechtsbestands aufgrund einer vorläufigen Auffassung der Technischen Beschwerdekammer: Senat, Beschluss vom 29.01.2021 – I-2 W 26/20 = GRUR-RS 2021, 1830; zur Aussetzung eines Hauptsacheverfahrens: Kühnen, a.a.O., Kap. E. Rn. 824).
27Neben der Begründungstiefe sind dafür die in der vorläufigen Auffassung gewählten Formulierungen bedeutsam. Die Verwendung des Konjunktivs in Verfahren vor dem Europäischen Patentamt spricht allerdings nicht zwingend gegen eine Präferenz und Festlegung für den mit dem Vorbescheid reflektierten Sachstand, weil mit ihm regelmäßig lediglich der Anschein mangelnder Neutralität und Unbefangenheit durch eine vorherige Festlegung vermieden werden soll (Senat, Beschluss vom 02.12.2019 – I-2 U 48/19; Kühnen, a.a.O., Kap. E. Rn. 824). Deswegen sind im Vorbescheid geäußerte Ansichten trotz relativierender äußerer Formulierung dann gewichtige Anhaltspunkte für die zu treffende Rechtsbestandsentscheidung, wenn sie durch eine hinreichend ausgeführte und klare Begründung untermauert werden (Senat, Beschluss vom 29.01.2021 – I-2 W 26/20 = GRUR-RS 2021, 1830).
28b)
29Im Berufungsverfahren tritt die Verfügungsklägerin den Angriffen auf ihr Schutzrecht wegen unzulässiger Erweiterung unter Hinweis auf die Absätze 004, 019 und 033 der Stammanmeldung entgegen. Es kommt deswegen darauf an, ob die dortige Ursprungsoffenbarung, betrachtet in ihrer Gesamtheit aus angemeldeten Ansprüchen, Beschreibungstext (Absätze 004, 019 und 033) und – soweit vorhanden – Zeichnungen und interpretiert aus der Sicht des einschlägigen Durchschnittsfachmanns mit dem Wissen des Prioritätstages, unmittelbar und eindeutig erkennen lässt, dass sich die zum Patent angemeldete Erfindung auch dann erfolgreich durchführen lässt, wenn in der pharmazeutischen Zusammensetzung neben den geforderten Spreng- und Verdünnungsmitteln auf ein (weiteres) Bindemittel verzichtet wird. Das Landgericht und die Einspruchsabteilung haben dies verneint; der Senat teilt diese Auffassung.
30aa)
31Die Stammanmeldung enthält keinen den Erfindungsgedanken (das Lösungsprinzip) in allgemeiner Form erläuternden Beschreibungstext, sondern reiht im Wesentlichen Einzelaspekte und Ausführungsvarianten der angemeldeten Erfindung aneinander. Anhand der (für sich allein selbstverständlich nicht maßgeblichen und nicht limitierenden) Patentansprüche, die dem Fachmann allerdings eine gewisse Orientierung und einen Überblick verschaffen, wird deutlich, dass die Stammanmeldung vier verschiedene Erfindungskomplexe umfasst, nämlich
32- (1) eine pharmazeutische Zusammensetzung, die eine kalziumrezeptoraktive Verbindung enthält und sich durch ein ganz bestimmtes Auflösungsprofil auszeichnet (Ansprüche 1 bis 60),
33- (2) ein Herstellungsverfahren für eine pharmazeutische Zusammensetzung (Ansprüche 61 bis 77),
34- (3) eine pharmazeutische Formulierung bestimmter stofflicher Zusammensetzung ohne Rücksicht auf ein spezielles Auflösungsprofil (Ansprüche 78 bis 112)
35- sowie (4) ein Verfahren zur Steuerung der Auflösungsgeschwindigkeit (Ansprüche 113 bis 118).
36Dieser Befund macht klar, dass Bemerkungen des Beschreibungstextes nicht unbesehen auf jeden der Erfindungskategorien gelesen werden dürfen, sondern in jedem einzelnen Fall der sachliche Bezug der Textstelle zu klären ist. Das gilt auch und insbesondere für diejenigen Beschreibungsstellen, die sich mit der patentgemäßen pharmazeutischen Zusammensetzung befassen, weil die Anmeldung ausweislich der vom Anmelder vorgenommenen Anspruchsformulierungen zwei Klassen von Stoffansprüchen kennt und unterscheidet, nämlich einerseits solche, die maßgeblich über ihr Auflösungsprofil gekennzeichnet werden (1), und andererseits solche, die stattdessen ausschließlich über ihre stoffliche Konstitution definiert sind (3). Dieser Sachverhalt schließt es zwar nicht aus, dass eine betrachtete Textstelle Bezug zu beiden Stoffklassen haben kann oder dass sich eine Textstelle, die vordergründig die eine Stoffkategorie betrifft, vom Fachmann auch auf die andere Stoffkategorie bezogen wird. Dafür braucht es aber eindeutiger Anhaltspunkte.
37bb)
38Das alles gilt umso mehr, als auch der Beschreibungstext die oben dargestellten Erfindungskategorien kennt, aufgreift und unterscheidet. Nach dem den (sogleich zu betrachtenden) Einzelerläuterungen vorangestellten Absatz 005 stellt die angemeldete Erfindung ein Verfahren zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Erzielung des angestrebten Auflösungsprofils sowie ein Verfahren zur Steuerung der Auflösungsgeschwindigkeit bereit, womit – in der Reihenfolge ihrer Aufzählung – die obigen Erfindungskategorien (2) und (4) angesprochen sind. Absatz 004 widmet sich demgegenüber – ebenfalls vorangestellt – den patentgemäßen pharmazeutischen Zusammensetzungen wie folgt:
39Ein Aspekt der vorliegenden Erfindung stellt eine pharmazeutische Zusammensetzung bereit, die mindestens eine Kalziumrezeptor-aktive Verbindung in Kombination mit mindestens einem pharmazeutisch akzeptablen Träger umfasst. Bestimmte Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung richten sich auf eine pharmazeutische Zusammensetzung mit einem definierten Auflösungsprofil.
40Während der zweite Satz die obige Kategorie (1) im Blick hat, spricht der erste Einleitungssatz diejenigen pharmazeutischen Zusammensetzungen an, die sich nicht durch ein bestimmtes Auflösungsprofil auszeichnen, sondern die die der Anmeldung zugrunde liegende Aufgabe dank ihrer stofflichen Zusammensetzung lösen (3). Auf das fachmännische Verständnis dieser Bemerkung wird später noch im Detail einzugehen sein. Zunächst soll dargelegt werden, dass auch der besondere Anmeldungstext die besagten vier Erfindungskategorien abhandelt. Die pharmazeutische Zusammensetzung mit bestimmtem Auflösungsprofil wird in den Absätzen 006 bis 007, die pharmazeutische Zusammensetzung bestimmter stofflicher Konstitution in den Absätzen 033 bis 040, das Herstellungsverfahren in den Absätzen 046 bis 053 und das Verfahren zur Steuerung der Auflösungsgeschwindigkeit im Absatz 008 erörtert, während die kalziumrezeptoraktive Wirkstoffverbindung als solche – übergreifend – Gegenstand der Absätze 009 bis 031 ist.
41Absatz 019, den die Verfügungsklägerin für ihre Sichtweise bemüht, würde deshalb aus seinem sachlichen Zusammenhang gerissen, wenn ihm entnommen würde, dass die erfindungsgemäße Zusammensetzung bei Beachtung der dortigen Vorgaben zum Arzneimittelwirkstoff mit beliebigen Begleitstoffen versehen sein kann. A.a.O. heißt es im Anmeldetext:
42[019] Bei manchen Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung umfassen die hier offenbarten Zusammensetzungen eine therapeutisch effektive Menge von C.t-H. für die Behandlung von Hyperparathyroidismus … und … . Beispielsweise kann in bestimmten Ausführungsformen das C.t-H. in einer Menge vorliegen, die von … bis … reicht.
43Der besagte Text ist Teil derjenigen, im Absatz 009 beginnenden und sich bis zum Absatz 031 erstreckenden Erläuterungen der Stammanmeldung dazu, welche kalziumrezeptoraktive Verbindung erfindungsgemäß zum Einsatz kommen kann. Allein dieser beschränkte thematische Zweck der Erläuterungen ist der offensichtliche Grund dafür, warum sich Absatz 019 – im Übrigen genauso wie die ihm vorhergehenden Absätze 009 bis 018 und die ihm nachfolgenden Absätze 020 bis 031 – zu irgendwelchen Hilfs- und Trägerstoffen der pharmazeutischen Zusammensetzung nicht verhält. Aus dem – an dieser Stelle, an der es isoliert nur um den arzneilich wirksamen Stoff geht, folgerichtigen – Schweigen des Anmeldetextes lässt sich deswegen nicht schließen, dass es auf bestimmte Hilfs- und Trägerstoffe für die Zwecke der Erfindung nicht ankommt oder diese im freien Belieben des Fachmanns stehen.
44Von den seitens der Verfügungsklägerin für die behauptete Ursprungsoffenbarung ins Feld geführten Beschreibungsstellen der Stammanmeldung bedarf daher – neben dem oben bereits angesprochenen Satz 1 von Absatz 004 – lediglich Absatz 033 näherer Betrachtung, der wie folgt lautet:
45Der zumindest eine pharmazeutisch verträgliche Hilfsstoff kann ausgewählt werden beispielsweise aus Verdünnungsmitteln wie …; Bindemitteln wie …; und Sprengmitteln wie …, und Mischungen von irgendwelchen der Vorgenannten. …
46Es erscheint plausibel, dass der zitierte Beschreibungstext an die allgemeine Bemerkung von Absatz 004 anknüpft und diese gedanklich aufgreift, wonach die angemeldete Erfindung u.a. in einer pharmazeutischen Zusammensetzung besteht, die neben dem kalziumrezeptoraktiven Wirkstoff mindestens einen pharmazeutisch akzeptablen Träger umfasst. Absatz 033 spezifiziert diejenigen im Absatz 004 nur abstrakt angesprochenen chemischen Verbindungen, die als Träger in Betracht kommen, nämlich Verdünnungsmittel, Bindemittel, Sprengmittel oder Mischungen von irgendwelchen der bezeichneten Stoffe. So gesehen belehren die Absätze 004 und 033 den Fachmann dahingehend, dass dem kalziumrezeptoraktiven Wirkstoff zum Erhalt einer erfindungsgemäßen pharmazeutischen Formulierung beispielsweise auch ein Gemisch aus einem Verdünnungsmittel und einem Sprengmittel beigegeben werden kann. Dem Fachmann mag dies auch technisch vor dem Hintergrund einzuleuchten, dass – wie die Verfügungsklägerin geltend macht – die im Patentanspruch 1 genannten Sprengmittel in Abhängigkeit etwa von der Menge an während des Herstellungsprozesses anwesendem Wasser auch als Bindemittel wirken können, und dass mehrere der im Patentanspruch 1 genannten Verdünnungsmittel ebenso die Funktion eines Bindemittels haben, weswegen der Fachmann zu der Überlegung gelangen mag, dass er in Gestalt der obligatorisch vorhandenen Spreng- und Verdünnungsmittel schon Bindemittel im Einsatz hat, die eine gesonderte Zugabe eines weiteren Bindemittels erübrigen können.
47cc)
48Der streitentscheidende Gesichtspunkt liegt jedoch – worauf auch der Vorbescheid der Einspruchsabteilung maßgeblich abhebt – woanders. Die Stammanmeldung trägt ersichtlich nicht die Annahme, dass der arzneiliche Wirkstoff und die Hilfsstoffe zur Formulierung der pharmazeutischen Zusammensetzung in beliebigen Mengenverhältnissen vorliegen können und sich dennoch der angestrebte Auflösungseffekt einstellt. Vielmehr gelten beschränkende Vorgaben, ohne die sich die angestrebte Wirkung nicht einstellt, welche die Stammanmeldung teils durch Rückgriff auf ein ganz bestimmtes Auflösungsprofil (Ansprüche 1 und 60) und teils durch eine ganz bestimmte stoffliche Zusammensetzung der Formulierung (Anspruch 78) zum Ausdruck bringt. Letzteres betrifft nicht nur den Ci.-H.-Wirkstoff, für den sowohl eine Untergrenze (etwa 10 Gew.-%) als auch eine Obergrenze (etwa 40 Gew.-%) vorgeschrieben ist, woraus der Fachmann ersehen kann, dass sich der Erfindungserfolg nicht bei jedem beliebigen, sondern nur bei einem ganz bestimmten Wirkstoff-Gewichtsanteil einstellt. Gleichermaßen verzeichnet Anspruch 78 auch für die Hilfsstoffe der pharmazeutischen Formulierung feste Ober- und Untergrenzen, nämlich für das Verdünnungsmittel einen Gewichtsanteil von etwa 45 Gew.-% bis etwa 85 Gew.-%, für das Bindemittel einen Gewichtsanteil von etwa 1 Gew.-% bis etwa 5 Gew.-%, und für das Sprengmittel einen Gewichtsanteil von etwa 1 Gew.-% bis etwa 10 Gew.-% (Anspruch 79; so auch Absatz 037). Es mag dahinstehen, ob sich ein Weglassen des Bindemittels schon deshalb verbietet, weil die Fassung der Ansprüche 78 und 79 zeigt, dass das Bindemittel als obligatorischer und das Sprengmittel als fakultativer Bestandteil der pharmazeutischen Formulierung ausgewiesen ist, woraus zu schließen sein könnte, dass das Bindemittel keine verzichtbare Komponente repräsentiert. Selbst wenn dem aber keine Bedeutung beigemessen wird, weil dem Beschreibungstext (Absatz 037) eine derartige Rangfolge von Binde- und Sprengmittel nicht eigen ist, bleibt es in jedem Fall bei der Feststellung, dass das Eintreten einer zügigen Wirkstofffreisetzung in vivo von der Einhaltung bestimmter Gewichtsanteile des Wirkstoffs und der Begleitstoffe abhängt. Wenn der Fachmann dem Beschreibungstext – wie dargelegt – die Botschaft entnimmt, dass es die erfindungsgemäß wirksame Zusammensetzung auch aus dem Wirkstoff, einem Verdünnungsmittel und einem Sprengmittel formulieren kann (Absätze 004, 033), so ist damit noch nicht eindeutig und unmittelbar offenbart, welche Gewichtsanteile zu wählen sind, damit sich trotz der Abwesenheit eines Bindemittels ein erfindungsgemäß vorteilhaftes Auflösungsprofil einstellt. Dass es hierzu für den Durchschnittsfachmann zu handhabende Berechnungsformeln gibt, ist ebenso wenig ersichtlich wie die Tatsache, dass der Fachmann sich auf andere, einfachste Weise (z.B. praktische Versuche) Gewissheit verschaffen könnte, sofern hierin überhaupt eine hinreichend klare Offenbarung gesehen werden könnte. Der Fachmann bleibt deshalb aufgrund der Stammanmeldung im Unklaren darüber, welche Gewichtsanteile von Wirkstoff, Verdünnungs- und Sprengmittel bei einem Verzicht auf ein Bindemittel vonnöten sind, um eine zügige Auflösung der Formulierung herbeizuführen. Die Verfügungsklägerin trägt in dieser Hinsicht lediglich vor, dass die Funktion des Bindemittels von den anderen Hilfsstoffen übernommen werden könne – unter welchen Bedingungen und wie konkret dies erfolgen kann, bleibt aber unklar. Entsprechendes gilt für die Erklärung von Prof. B. (Anlagen rop27/27a), die nicht erkennen lässt, mit welchem Gewichtsanteil Sprengmittel bei welcher Menge Wasser die in Anspruch 78 bzw. Absatz 037 der Stammanmeldung genannte Menge Bindemittel ersetzt werden könnte. Die jetzt dem Verfügungspatent entsprechende Ausführungsvariante war dem Fachmann deshalb nicht unmittelbar und eindeutig als taugliche Erfindungsvariante offenbart.
49III.
50Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
51Eines Ausspruches zur vorläufigen Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, weil das vorliegende Urteil als zweitinstanzliche Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Verfügung keinem Rechtsmittel mehr unterliegt (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO) und ohne besonderen Ausspruch endgültig vollstreckbar ist.
52Dr. K.Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht |
T.Richter am Oberlandesgericht |
H.Richter am Landgericht |
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Referenzen
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