Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 1 Vollz (Ws) 356/14
Tenor
Die Rechtsbeschwerde wird insoweit zugelassen und der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben, als darin der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Festsetzung einer Disziplinarmaßnahme zurückgewiesen worden ist (Tenor zu Ziff. 2).
Insoweit wird die Sache zu neuer Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Arnsberg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unzulässig verworfen.
1
Gründe
2I.
3Nach den Feststellungen der Strafvollstreckungskammer wurden gegen den Betroffenen diverse Sicherungsmaßnahmen festgesetzt, nachdem es zwischen ihm und einem anderen Gefangenen, der – wie der Betroffene in der anstaltseigenen Bäckerei beschäftigt ist – zu (nicht näher beschriebenen) wiederholten verbalen Auseinandersetzungen gekommen war. Die Sicherungsmaßnahmen wurden nach Einreichung des Antrages auf gerichtliche Entscheidung aufgehoben. Insoweit hat der Betroffene die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit begehrt. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer als unzulässig zurückgewiesen, da ein Fort-setzungsfeststellungsinteresse weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sei.
4Weiter wendet sich der Betroffene gegen die Anordnung einer dreitägigen Freizeitsperre auf Bewährung wegen dieses Vorfalls. Insoweit meint die Strafvollstreckungskammer, der Antrag sei unbegründet, da der Betroffene durch die wiederholten verbalen Auseinandersetzungen gegen § 82 Abs. 1 S. 2 StVollzG verstoßen habe.
5Schließlich begehrt er die Nachzahlung von Lohn für den etwa einwöchigen Zeitraum, in dem er Sicherungsmaßnahmen unterworfen und von der Arbeit abgelöst war. Auch insoweit hat die Strafvollstreckungskammer seinen Antrag als unbegründet zurückgewiesen, da er zu Recht von der Arbeit abgelöst gewesen sei.
6Gegen den Beschluss wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und trägt vor, dass die Strafvollstreckungskammer von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen sei. Zudem greife ein Verbot von Meinungsverschiedenheiten, welche normal seien, in das Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung ein.
7III.
8Die form- und fristgerecht erhobene Rechtsbeschwerde ist nur teilweise zulässig.
91.
10Die Rechtsbeschwerde ist in dem o.g. Umfang jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 116 StVollzG zuzulassen. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses legen nahe, dass die Strafvollstreckungskammer meint, dass bloße, nicht näher beschriebene, verbale Auseinandersetzungen zwischen Gefangenen gegen § 82 Abs. 1 S. 2 StVollzG verstoßen, weil sie das geordnete Zusammenleben stören. Dies trifft indes nicht zu. Angesichts der offenbar gegebenen generellen Fehlvorstellung der Strafvollstreckungskammer besteht die Gefahr der Wiederholung dieses Fehlers in zukünftigen Entscheidungen.
11Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe, dass es sich vorliegend um eine Strafvollzugssache handelt und dass die Angaben im Rubrum des angefochtenen Beschlusses („Maßregelvollzugssache“ und „Untergebrachten“) offenbar Versehen sind, so dass eine Zulassung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen, die dem Senat noch nicht einmal die Prüfung erlaubten, ob ein Zulassungsgrund i.S.d. § 116 StVollzG vorliegt (weil schon nicht klar wäre, ob das SVVollzG NW oder das StVollzG der relevante Prüfungsmaßstab ist), ausscheidet.
122.
13Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde unzulässig, da es nicht geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§§ 116 Abs. 1, 119 Abs. 3 StVollzG). Die Fragen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses i.S.d. § 115 Abs. 3 StVollzG sind ebenso obergerichtlich geklärt, wie der Umstand, dass Arbeitsentgelt nach den Regelungen des StVollzG nur bei tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung gewährt wird (vgl. dazu KG Berlin NStZ 1989, 197).
14III.
15Soweit die Rechtsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und – mangels Entscheidungsreife – zur Zurückverweisung der Sache (§ 119 Abs. 4 StVollzG).
16Die Strafvollstreckungskammer geht zu Unrecht davon aus, dass die Beteiligung eines Strafgefangenen an nicht näher beschriebene wiederholten verbalen Auseinandersetzungen mit anderen Strafgefangenen ein disziplinarwürdiges Vergehen i.S.v. § 102 StVollzG ist. Diese Vorschrift setzt einen schuldhaften Verstoß eines Gefangenen gegen Pflichten, die ihm durch das oder aufgrund des StVollzG auferlegt worden sind, voraus. Dabei gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Disziplinarmaßnahmen dem strengen Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegen; sie dürfen nur auf der Grundlage einer gesetzlichen Regelung verhängt werden, die das disziplinarisch zu ahndende Verhalten in für die Normadressaten vorhersehbarer Weise vorab bestimmt (BVerfG, Beschl. v. 22.03.2011 – 2 BvR 983/09 = BeckRS 2011, 49813). Dies ist bei der Sanktionierung von nicht näher beschriebenen verbalen Auseinandersetzungen nicht mehr gegeben. Gegen das Störungsverbot des § 82 Abs. 1 S. 2 StVollzG wird erst verstoßen, wenn ausdrücklich normierte Verhaltensgebote verletzt werden oder der Einzelverstoß gegen den üblichen Verhaltenskodex eine solche Dimension erreicht, dass er nicht nur die einzelne zwischenmenschliche Beziehung stören kann, sondern den Gesamtzusammenhang des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt. Nicht jeder Verstoß gegen wünschenswerte Umgangsformen erreicht diese Dimension (Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 82 Rdn. 3). Ob die erforderliche Dimension erreicht ist, ergibt der angefochtene Beschluss nicht. Ist sie nicht erreicht, würde eine Sanktionierung gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoßen, denn der Strafgefangene könnte dann nicht mehr ersehen, ab welchem Grad einer verbalen Auseinandersetzung, die vom bloßen freundlichen Äußern einer anderen Meinung bis zu aggressivem, ggf. Straftatbestände (z.B. §§ 185, 241 StGB) verwirklichendem Verhalten gehen kann, er sich der Gefahr einer Sanktionierung aussetzt. Es wäre auch nachgerade kontraproduktiv, Gefangenen, die befähigt werden sollen, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern und ein Leben ohne Straftaten zu führen (§§ 2 f. StVollzG) einfache, auch im Leben in Freiheit vorkommende Formen verbaler Auseinandersetzung zu untersagen, so lange nicht dadurch die Abläufe in der Anstalt, wie etwa der Produktionsprozess im Anstaltsbetrieb, oder die Sicherheit (etwa aufgrund der Gefahr von Zusammenrottung anderer Gefangener und Bildung verfeindeter Gruppen) gestört werden.
17Insoweit sind hier noch weitere Feststellungen möglich und geboten. So kann es zum Beispiel sein, dass die verbalen Auseinandersetzungen deswegen ein nicht mehr hinnehmbares Maß erreicht haben, weil es fast zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen wäre (was bisher nicht festgestellt sondern nur in Form einer Möglichkeit mitgeteilt wird).
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Referenzen
- StVollzG § 102 Voraussetzungen 1x
- §§ 2 f. StVollzG 1x (nicht zugeordnet)
- StVollzG § 115 Gerichtliche Entscheidung 1x
- StVollzG § 119 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde 1x
- StVollzG § 116 Rechtsbeschwerde 2x
- StGB § 185 Beleidigung 1x
- 2 BvR 983/09 1x (nicht zugeordnet)
- StVollzG § 82 Verhaltensvorschriften 3x
- StGB § 241 Bedrohung 1x