Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 26 U 95/14
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 14. Mai 2014 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Die Kläger begehren Schadensersatz für den Verlust ihres Pferdes C, geb. am 25.04.1999, den sie auf eine fehlerhafte tierärztliche Behandlung des Beklagten in der Zeit vom 19.05. bis zum 21.05.2008 zurückführen.
4Als die Tochter der Kläger, die Zeugin F, das Pferd in den Niederlanden auf dem G in G2 im Grand Prix G3 startete, bemerkte sie eine fehlende Elastizität und einen fehlenden Schwung, so dass sie es am 18.05.2008 in der Tierklinik des Beklagten vorstellte. Die Untersuchung erfolgte einen Tag später, wobei sich im Rahmen einer Röntgenuntersuchung ein radiologischer Befund in der Halswirbelsäule ergab. Aufgrund dieses Befundes sowie der klinischen Untersuchung stellte der Beklagte die Verdachtsdiagnose einer erworbenen Ataxie und empfahl eine chiropraktische Maßnahme. Die Aufklärung über diese Maßnahme erfolgte durch den Zeugen Dr. D in englischer Sprache. Nach einem Telefonat mit den Klägern willigte die Zeugin in die Behandlung ein.
5Am Folgetag wurde das Pferd in Kurznarkose gelegt, um die chiropraktische Behandlung durchzuführen. Danach konnte das Pferd nicht mehr selbständig aufstehen und verstarb einen Tag später.
6Mit der Behauptung, dass schon die Diagnose Ataxie falsch gewesen und nur unzureichende Untersuchungen durchgeführt worden seien, die diese Behandlung nicht gerechtfertigt hätte, zudem keine ausreichende Aufklärung über Alternativen und Risiken erfolgt sei, haben die Kläger Ersatz für den Verlust des Pferdes in Höhe von 495.587,40 € abzüglich der geleisteten Lebensversicherung von 93.839,30 € verlangt.
7Das Landgericht hat die Zeugen zur Frage des Aufklärungsgesprächs vernommen und sich durch die Sachverständigen Prof. Dr. I sowie nach dessen Tod durch Dr. T beraten lassen. Danach hat es ein Grundurteil erlassen und zur Begründung ausgeführt, dass sich zwar eine fehlerhafte Behandlung nicht feststellen lasse, aber eine Aufklärungspflichtverletzung vorliege. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T sei das Pferd aufgrund der Ataxie ein besonderer Risikopatient im Rahmen der Narkose gewesen, weil ein solches Tier dann im Aufstehvorgang weniger in der Lage sei, seine Gliedmaßen korrekt zu koordinieren. Aus diesem Grund hätte man darüber aufklären müssen, insbesondere auch über alternative Behandlungen am stehenden Pferd ohne Vollnarkose, wobei dann das Pferd noch am Leben wäre. Es sei nachvollziehbar, dass sich die Kläger bei einer entsprechenden Aufklärung für die risikolosere Alternative entschieden, sich aber zumindest die Sache nochmals überlegt hätten. Da für die Beurteilung des Wertes des Tieres noch eine zusätzliche umfangreiche Beweiserhebung erforderlich und in jedem Fall überwiegend wahrscheinlich sei, dass noch ein Betrag über der Summe der Lebensversicherung verbleibe, sei es gerechtfertigt, zunächst ein Grundurteil zu erlassen.
8Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten.
9Er hält das Grundurteil für unzulässig, weil das Pferd unter Ataxie gelitten habe. Dementsprechend sei es nicht mehr reitbar gewesen und habe über keinen Wert verfügt.
10Es liege auch keine Aufklärungspflichtverletzung vor; denn es habe gar keine andere Möglichkeit bestanden, als das Pferd - wie geschehen – zu behandeln.
11Mit Medikamenten sei dies nicht möglich gewesen, weil es für die Europameisterschaft der Jungen Reiter habe fit gemacht werden sollen. Mit Medikamenten oder einer Operation wäre das Tier aber monatelang ausgefallen und nicht startberechtigt gewesen.
12Der Sachverständige Prof. Dr. I habe eine Vollnarkose bei Behandlung an den Halswirbeln aber für unumgänglich gehalten. Damit habe sich die Kammer nicht ausreichend auseinandergesetzt, als sie den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T gefolgt sei, der aber immerhin auch erklärt habe, dass er die angewandte Therapie für vertretbar halte. Vor diesem Hintergrund könne man nicht davon ausgehen, dass der Beklagte sorgfaltswidrig gehandelt habe. Die Kläger hätten auch zu keinem Zeitpunkt dargelegt, dass sie sich bei einer Aufklärung über andere Alternativen anders entschieden hätten. Dieser Vortrag sei ihnen nunmehr verwehrt.
13Der Beklagte beantragt,
14das am 14.05.2014 verkündete Grundurteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum (I-6 O 432/09) abzuändern und die Klage abzuweisen
15hilfsweise wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesgerichtshof zuzulassen.
16Die Kläger beantragen,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil. Sie verweisen u.a. darauf, dass bislang überhaupt nicht gesichert feststehe, ob das Pferd unter Ataxie gelitten habe. Ausgeprägt sei die Ataxie jedenfalls nicht gewesen, so dass durchaus die Möglichkeit der Heilung bestanden habe. Eine leichte Ataxie sei auch kein Grund gewesen, das Tier aus dem Hochleistungsbereich herauszunehmen.
19Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Der Senat hat den Sachverständigen Dr. T nochmals angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk sowie das Protokoll vom 13. Januar 2015 verwiesen.
20II.
21Die Berufung ist unbegründet.
22Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das Grundurteil nicht unzulässig. Ein Grundurteil kommt nämlich immer dann in Betracht, wenn ein Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, die Fragen zum Grund erledigt sind und die Wahrscheinlichkeit eines Schadens in irgendeiner Höhe besteht. Davon ist hier auszugehen, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht auszuschließen ist, dass das Tier auch wieder als Sportpferd hätte eingesetzt werden können, mithin noch über einen entsprechenden Wert verfügte.
23Das Landgericht hat auch zu Recht einen Aufklärungsfehler des Beklagten bzw. seines Vaters, dessen Fehler sich der Beklagte gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss, angenommen und den Schadensersatzanspruch auf §§ 280, 823 BGB gestützt.
24Grundsätzlich ist die von einem Tierarzt zu fordernde Aufklärung nicht mit der Humanmedizin zu vergleichen, weil es nicht um das schützenswerte Selbstbestimmungsrecht eines Patienten geht. Es handelt sich aber um eine normale vertragliche Aufklärungs- und Beratungspflicht, wenn die Behandlung des Tieres besonders risikoreich ist bis hin zum Totalverlust und andererseits hohe finanzielle Interessen eine Rolle spielen (vgl. BGH NJW 1980. 1904; 1982, 1327: OLG Hamm NJW-RR 2001. 1173; VWR 2003, 1139).
25Es liegen hier sogar mehrfache Umstände für eine nicht ausreichende Aufklärung vor.
26So hat der Sachverständige Dr. T in Übereinstimmung mit dem verstorbenen Sachverständigen Prof. Dr. I darauf verwiesen, dass eine Vollnarkose bei einem ataktischen Pferd immer mit besonderen Risiken verbunden ist, weil diese Tiere beim Aufstehen besondere Koordinierungsschwierigkeiten haben. Nach der ASA-Risikoklassifikation, die von der Gruppe 1 bei einem gesunden Pferd bis zur Gruppe 5 bei einem moribunden Pferd reicht, hat dies Tier nach Angaben des Sachverständigen Dr. T immerhin die Gruppe 3 erreicht, lag also deutlich höher als bei einem gesunden Pferd, bei dem im Regelfall jeder versierte Reiter weiß, dass eine Narkose für den Aufstehvorgang mit Risiken verbunden ist.
27Darüber hinaus haben beide Sachverständige auch alternative Behandlungsmöglichkeiten, entweder in Form einer operativen, medikamentösen oder einer chiropraktischen Behandlung am stehenden Pferd mit Sedierung oder ohne genannt, wobei insbesondere der Sachverständige Dr. T darauf verwiesen hat, dass nur solche chiropraktischen Behandlungen bei ihm in der Klinik durchgeführt werden. Letztlich hatte auch der Sachverständige Prof. Dr. I eine andere chiropraktische Maßnahme lediglich unter Sedierung keineswegs für ausgeschlossen, sondern nur im Bereich des 7. Halswirbels eine Vollnarkose für besser gehalten. Von einer alternativlosen Behandlungsmethode kann daher keine Rede sein.
28Auch wenn es hinsichtlich des aktiven Turniergeschehens bei einer operativen oder medikamentösen Behandlung Probleme gegeben hätte, weil das Pferd dann möglicherweise eine längere Zeit ausgefallen wäre, rechtfertigte dies keineswegs, diese Alternativen von vornherein auszuschließen und den Klägern bzw. deren Tochter erst gar nicht zu benennen bzw. eine Injektionstherapie als nicht zielführend darzustellen unter Hinweis darauf, dass allein eine chiropraktische Behandlung in Betracht komme, wie dies vom Zeugen Dr. D selbst eingeräumt wird.
29Es muss angesichts des Wertes des Pferdes, dessen Alter und dessen Ausbildungsstand den Eigentümern ermöglicht werden, eine Risikoabwägung vorzunehmen und in Kenntnis aller Möglichkeiten selbst zu entscheiden, ob sie im Hinblick auf die Europameisterschaft das besondere Risiko beim Aufstehvorgang eingehen oder zunächst lieber risikolosere Maßnahmen wie Medikamente oder insbesondere Behandlungen am stehenden Pferd ausprobieren bzw. sich gegebenenfalls dazu noch eine weitere Meinung einholen wollen. Diese Möglichkeit hat der Zeuge Dr. D den Klägern genommen, weil er selbst eingeräumt hat, auf das besondere Risiko des Aufstehvorgangs nicht hingewiesen zu haben, das nach Angaben des Sachverständigen Dr. T bei einem gesunden Pferd lediglich bei 1% liegt.
30Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob an dem Pferd eine veraltete Methode durchgeführt wurde, die heute zwar noch gelegentlich in der Literatur genannt, aber nicht mehr angewandt wird, weil sich im Rahmen der neueren medizinischen Erkenntnisse andere Methoden etabliert haben.
31Nach Darstellung der Kläger, die sich auch im Tatbestand des angefochtenen Urteils befindet, hätten sie sich in Kenntnis des vorhandenen Risikos nicht für die durchgeführte Behandlung entschieden; und die Zeugin hat dazu angegeben, dass sie sich für eine weitere Untersuchung durch einen Tierarzt ihres Vertrauens in Dänemark entschieden hätte. Für die Frage einer hypothetischen Einwilligung, dass nämlich die Kläger auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Behandlung eingewilligt hätten, wäre der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig gewesen. Dies war aber nach den Ausführungen der Kläger, die aufgrund des zuvor absolvierten Turniers nur von einer kleineren Beeinträchtigung des Pferdes ausgingen, sowie den Bekundungen der Zeugin, die nach der erfolgten Aufklärung von einer einfachen Untersuchung und Behandlung ausging, durch die die von ihr festgestellte Steifigkeit beseitigt werden sollte, nicht möglich.
32Es kann auch dahingestellt bleiben, ob dem Beklagten ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.
33Insoweit hat der Sachverständige Dr. T in Übereinstimmung mit dem verstorbenen Sachverständigen Prof. Dr. I allerdings ausgeführt, dass der Beklagte aufgrund der Röntgenuntersuchung sowie der klinischen Befunde eine spinale Ataxie annehmen durfte, die auch eine chiropraktische Maßnahme zuließ, weil nur eine leichtgradige Form vorlag. Weitere Befunderhebungen, die durchaus möglich gewesen wären, um eine noch genauere Ursachenforschung zu betreiben, hat der Sachverständige Dr. T nicht für unbedingt erforderlich gehalten. Soweit es um die fehlende Blutuntersuchung zum Ausschluss einer Infektion geht, hat er darauf verwiesen, dass diese zum einen Zeit gekostet hätte, zum anderen angesichts des Allgemeinzustandes des Pferdes auch kein entsprechender Befund zu erwarten war, der sich als Kontraindikation dargestellt hätte. Bezüglich der fehlenden Myelographie hat er darauf hingewiesen, dass diese nicht nur eine Vollnarkose beinhaltet hätte, sondern auch eine weitere Risikoerhöhung durch den dann notwendigen invasiven Eingriff selbst, wobei auch dann fraglich gewesen wäre, ob man bessere Erkenntnisse gewonnen hätte. Soweit es um fehlende zusätzliche klinische Untersuchungen geht, hat auch dies Fehlen seiner Meinung nach keine Auswirkungen gehabt, weil die durchgeführte chiropraktische Maßnahme in dem Fall, dass sich dann eine Ataxie nicht herausgestellt hätte, risikoloser gewesen wäre. In jedem Fall ist seiner Auffassung nach die Unterlassung weiterer Befunderhebung nicht als grober Verstoß anzusehen.
34Im Übrigen besteht kein Zweifel daran, dass das Pferd aufgrund der durchgeführten Narkose verstorben ist, weil es im Rahmen der Aufstehversuche u.a. zu einem Herz-Kreislaufversagen gekommen ist. Diesbezüglich hat der Sachverständige auch ausgeführt, dass das Pferd bei einer anderen Behandlung noch leben würde.
35Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO (vgl. Zöller/Herget ZPO, 30. Auflage, § 97 Rnr. 2 m.w.N.; Zöller/Vollkommer § 304 Rnr. 26 m.w.N.).
36Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
37Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte 1x
- 6 O 432/09 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x