Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 26 U 130/08
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin zu 1 wird das am 24. Juni 2008 verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten zu 1 und 2 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin zu 1 ein Schmerzensgeld in Höhe von 400.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2004 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 1 sämtliche vergangenen und zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr daraus entstanden sind und zukünftig entstehen werden, dass sie bei ihrer Geburt am ##.##.2002 eine auf Sauerstoffmangel beruhende geburtsassoziierte Asphyxie und daraus resultierende postasphyktische Enzephalopathie erlitten hat, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Es wird weiter festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 1 sämtlichen derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entsteht, dass sie bei ihrer Geburt am ##.##.2000 eine auf Sauerstoffmangel beruhende geburtsassoziierte Asphyxie und daraus resultierende postasphyktische Enzephalopathie erlitten hat.
Die weitergehende Klage der Klägerin zu 2 bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden den Beklagten zu 97% und der Klägerin zu 2 zu 3% auferlegt.
Die Kosten der Berufungsinstanz tragen die Beklagten mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2, die ihre Kosten selbst trägt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zu 1 vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
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Gründe:
3I.
4Die Klägerin zu 1 macht Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aufgrund von behaupteten Fehlern anlässlich ihrer Geburt im Krankenhaus der Beklagten zu 1 geltend, in dem der Beklagte zu 2 als zuständiger Oberarzt mit ihrer Geburt und deren Vorbereitungsmaßnahmen befasst war.
5Die Klägerin zu 2 war im Zeitpunkt der Schwangerschaft 31 Jahre alt und befand sich in der Behandlung ihrer Frauenärztin Frau Dr. I. Auf deren Veranlassung stellte sie sich am 04.07.2000 in der Risikosprechstunde der Beklagten zu 1 vor, weil sie nach einer Sonographie eine Plazenta praevia partialis mit Verdacht auf Randsinusblutung annahm. In der Überweisung äußerte Frau Dr. I den Verdacht auf eine Plazenta praevia marginalis mit Randsinusblutung. Der Beklagte zu 2 führte eine Ultraschalluntersuchung durch, bei der er eine Plazenta praevia marginalis ohne Anhaltspunkte für eine Blutung diagnostizierte. Als Lage kreuzte er die Rubrik „Hinterwand“ mit einem gleichzeitigen Pfeil auf „Vorderwand“ an. Er empfahl eine Spontangeburt bzw. eine sofortige stationäre Aufnahme bei Auffälligkeiten. Darüber hinaus wollte er die Klägerin zu 2 wegen der Placenta Migrationsverhältnisse nochmals untersuchen, so dass am 26.07.2000 eine weitere Ultraschalluntersuchung durchgeführt wurde. Vermerkt wurde ein geschätztes Geburtsgewicht von 3.200 g, die Plazenta als an der Hinterwand sitzend beschrieben und als „tiefer Sitz“ bezeichnet. Darüber hinaus wurde als Befund vermerkt: „jetzt nur noch marginalis“. Eine erneute Untersuchung fand am 02.08.2000 statt, worüber jedoch kein Befundbericht mehr vorliegt. Sodann stellte sich die Klägerin zu 2 am 09.08.2000 ambulant in der Gynäkologie vor, wobei das fetale Gewicht auf 3.520 g geschätzt wurde und keine Besonderheiten festgestellt wurden. Die Plazenta wurde als an der Vorderwand liegend beschrieben. Als die Klägerin am Folgetag über Übelkeit, Erbrechen und Schwindelgefühle klagte, wurde sie bei der Beklagten zu 1 stationär aufgenommen. Die beeinträchtigenden Symptome konnten gelindert werden. Im Rahmen der geburtshilflichen Anamnese ergab sich ein rechnerischer Geburtstermin zum 05.08.2000. Bei der Ultraschalluntersuchung vom 10.08.2000 wurde ein Geburtsgewicht von 3.296 g angenommen und die Plazenta wiederum als an der Hinterwand liegend beschrieben. Die Rubrik „praevia“ war wie in sämtlichen anderen bereits vorliegenden Ultraschallbefunden nicht angekreuzt. Da das CTG unauffällig war, wurde die Klägerin am 11.08.2000 entlassen, aber zum 14.08.2000 wegen der Tragezeitüberschreitung wieder aufgenommen. Es folgte sodann eine medikamentöse Geburtseinleitung. Am Folgetag lag jedoch immer noch ein unreifer Tastbefund vor, so dass mit der medikamentösen Geburtseinleitung begonnen wurde. Diese wurde dann am 17.08.2000 wiederholt. Die durchgeführten CTG`s waren jeweils unauffällig. Am Folgetag wurde mit der Prostaglandinbehandlung pausiert. In den Abendstunden kam es bei der Klägerin zu 2 nach einem Toilettengang zu einer periodenstarken vaginalen Blutung, so dass sie zunächst in den Kreißsaal verbracht, dann aber wieder auf die Normalstation zurückverlegt wurde. Am Folgetag war das um 7.37h durchgeführte CTG unauffällig, wobei weiterhin ein unreifer Tastbefund vorlag. Gegen Mittag wurde die medikamentöse Geburtseinleitung fortgeführt und die Klägerin zu 2 über eine eventuell erforderliche Sectio aufgeklärt. Die durchgeführten CTG`s ergaben wiederum keine Auffälligkeiten. Um 23.15 Uhr kam es erneut zu einer vaginalen Blutung. Die Klägerin zu 2 wurde in den Kreißsaal verbracht. Aufgrund der Ergebnisse des CTG`s kam es zu einer Notsectio. Die Klägerin zu 1 wurde um 23.36 h quasi leblos geboren. Unmittelbar nach der Abnabelung wurde die Klägerin zu 1 den Kinderärzten zur Reanimation übergeben, die auch gelang. Sie wurde im weiteren Verlauf in die Kinderklinik verbracht, wo sie wegen Asphyxia pallida und postasphyktischen Syndrom mit Enzephalopathie III.Grades bis zum 20.09.2000 verblieb und mit einer ungünstigen Prognose entlassen wurde. Die Klägerin zu 1 ist seit ihrer Geburt schwerstbehindert geblieben.
6Die Klägerinnen haben den Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsmängel vorgeworfen. Die Geburt hätte zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt mittels Kaiserschnitt beendet werden müssen. Die mehrfache medikamentöse Geburtseinleitung sei fehlerhaft gewesen und grob fehlerhaft sei eine kontinuierliche Langzeitbeobachtung unterlassen worden. Eine intrauterine Reanimation sei fehlerhaft unterblieben. Die Klägerin zu 1 sei auch nicht sofort beatmet worden. Zudem hätten es die Behandler nicht geschafft, die Blutungen bei der Klägerin zu 2 rechtzeitig zu beenden, so dass eine Bluttransfusion sowie Nachoperation erforderlich gewesen.
7Die Klägerin zu 1 hat dafür ein Schmerzensgeld von 150.000 € sowie den Ersatz des materiellen Schadens von insgesamt 19.144,55 € sowie die Feststellung der Ersatzverpflichtung für weitere materielle und immaterielle Schäden verlangt.
8Die Klägerin zu 2 hat ein Schmerzensgeld von 6.000 € beansprucht.
9Das Landgericht hat sachverständig beraten durch Prof. Dr. N die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein Behandlungsfehler nicht feststellbar sei. Es habe keine Notwendigkeit für eine durchgehende CTG-Überwachung und auch keinen Grund für eine frühere Schwangerschaftsbeendigung per Sectio gegeben. Die Geburtseinleitung mit Medikamenten sei richtig gewesen, weil man von einer Übertragung habe ausgehen dürfen. Einer Aufklärung zur Sectio habe es nicht bedurft, weil keine Gefahrensituation vorgelegen habe. Auch hinsichtlich der Behandlung der Klägerin zu 2 seien Fehler nicht feststellbar.
10Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerinnen, wobei die Klägerin zu 2 ihre Berufung noch vor Ablauf der Begründungsfrist zurückgenommen hat.
11Die Klägerin zu 1 macht weiterhin Behandlungsfehler geltend und rügt dabei u.a. Verfahrensfehler des Landgerichts, das nach der Anhörung des Sachverständigen keine Stellungnahmefrist eingeräumt habe und sich auch – ebenso wie der Sachverständige – nicht mit den Privatgutachten auseinander gesetzt habe.
12Im vorliegenden Fall sei eine durchgehende CTG-Überwachung erforderlich gewesen, weil Risikofaktoren in Form der Übertragung und Geburtseinleitung vorgelegen hätten. Es könne bei einer Geburtseinleitung zu einer Wehenüberstimulation kommen, was nur durch ein permanentes CTG kontrolliert werden könne. Es habe hier auch der Verdacht auf eine Placenta praevia marginalis bestanden, bei der die Gefahr einer Ablösung der Placenta bestehe, die zu einer Verblutung des Kindes führen könne. Die festgestellte weiße Asphyxie könne ein Hinweis darauf sein, dass dies hier passiert sei. Jedenfalls sei bei einer solchen Situation, in der man eine medikamentöse Geburtseinleitung beginne, eine ständige CTG-Überwachung erforderlich. Dies gelte auch bei einem lediglich tiefen Sitz der Placenta. Es komme hinzu, dass vaginale Blutungen aufgetreten seien, der Blasensprung vorhanden gewesen sei und es zeitweilig auffällige CTG`s gegeben habe. Wenn man entsprechende CTG`s gemacht hätte, so hätte sich aller Wahrscheinlichkeit nach viel früher die äußerst bedrohliche Lage der Klägerin zu 1 ergeben, so dass rechtzeitiger die Sectio durchgeführt worden wäre. In diesem Fall wäre es auch nicht zur Sauerstoffunterversorgung gekommen mit den entsprechenden Folgen. Im Übrigen sei die Unterlassung eines ständigen CTG`s auch ein grober Behandlungsfehler. Auf die vaginalen Blutungen der Kindesmutter hin habe man zudem nicht schnell genug reagiert.
13Ein weiterer Fehler liege darin begründet, dass die Indikation zur Sectio viel zu spät gestellt worden sei. Tatsächlich habe eine entsprechende Indikation, mindestens als relative Indikation, schon viel früher vorgelegen und darüber habe man die Kindesmutter im Sinn einer Behandlungsalternative aufklären müssen. Diese Notwendigkeit habe schon allein wegen der Plazentaproblematik bestanden, da tatsächlich eine Plazenta praevia marginalis vorgelegen habe. Hätte man ihre Mutter auf die bestehenden möglichen Risiken im Fall einer natürlichen Geburt hingewiesen, da hätte diese eine Schnittentbindung gewünscht.
14Infolge dieser Fehler sei sie nunmehr körperlich und geistig schwerstbehindert, so dass ein Schmerzensgeld von 400.000 € gerechtfertigt sei.
15Die Klägerin zu 1 hat zunächst noch den Zahlungsantrag in Höhe von 19.144,43 € nebst Zinsen gestellt, dann jedoch auf einen Feststellungsantrag umgestellt.
16Dementsprechend beantragt die Klägerin zu 1 nunmehr,
17unter Abänderung des angefochtenen Urteils
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1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2004 zu zahlen;
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2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche vergangenen und zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr daraus entstanden sind und zukünftig entstehen werden, dass sie bei ihrer Geburt am ##.##.2000 eine auf Sauerstoffmangel beruhende geburtsassoziierte Asphyxie und daraus resultierende postasphyktische Enzephalopathie erlitten hat, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;
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3. festzustellen, dass die Beklagte als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtlichen derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr daraus entsteht, dass sie bei ihrer Geburt am ##.##.2000 eine auf Sauerstoffmangel beruhende geburtsassoziierte Asphyxie und daraus resultierende postasphyktische Enzephalopathie erlitten hat.
Die Beklagten beantragen,
23die Berufung zurückzuweisen.
24Sie machen geltend, dass es keinen medizinischen Grund für eine dauerhafte CTG-Überwachung gegeben habe.
25Tatsächlich habe ab dem 26.07.2000 nur noch ein tiefer Sitz der Plazenta bestanden, so dass auch kein Anlass bestanden habe, von einer möglicherweise notwendig werdenden Sectio auszugehen. Soweit der handschriftliche Vermerk auf dem Befund von einer Plazenta praevia marginalis gesprochen habe, habe es sich ersichtlich um einen Schreibfehler gehandelt, weil die Angabe mit dem weiteren Vermerken zusammen keinen Sinn ergeben habe. Davon sei auch der Sachverständige Prof. Dr. N ausgegangen.
26Da die Kontrolluntersuchungen vor der stationären Behandlung lediglich Auftragsarbeiten von der Hausgynäkologin gewesen seien, komme ohnehin keine Haftung des Beklagten zu 2 unter Aufklärungsgesichtspunkten in Betracht, weil die Hausgynäkologin entsprechend hätte aufklären müssen.
27Im Übrigen müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin zu 1 anderweitige Schädigungen aufgewiesen habe, weil es bei ihr einen ungewöhnlichen Verlauf gegeben habe. Insoweit sei u.a. eine intrauterine Schädigung oder auch eine Stoffwechselstörung möglich.
28Wegen des weiteren Sach – und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
29Der Senat hat die Parteien mehrfach angehört und den Sachverständigen Prof. Dr. N sein Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf die Berichterstattervermerke vom 20.03.2009 (Bl. 1004ff) und 23.10.2009 (Bl. 1069ff) sowie vom 16.07.2010 (Bl. 1129) und 10.02.2012 (Bl. 1364ff) verwiesen.
30Der Senat hat sodann zu der Frage, ob eine Plazenta praevia marginalis nach den sonographioschen Aufnahmen vorgelegen hat ein Sachverständigengutachten durch Prof. Dr. Dr. T eingeholt und sodann sein schriftliches Gutachten nochmals mündlich erläutern lassen. Insoweit wird auf das Gutachten vom 23.03.2012 sowie den Berichterstattervermerk vom 10.02.2012 (Bl. 1364ff) verwiesen.
31Zudem hat der Senat ein Gutachten durch Prof. Dr. X zu der Frage, ob es sich bei der Erkrankung um ein anlagebedingtes Leiden handelt, eingeholt. Insoweit wird auf das Gutachten vom 22.01.2013 sowie dessen Ergänzungen vom 12.03.2013 (Bl. 1467ff) und 21.01.2015 (Bl. 1689) sowie 09.04.2015 (Bl. 1725) und die Berichterstattervermerke vom 21.03.2014 (Bl. 1640ff) sowie vom 15.09.2015 (Bl. 1780ff) verwiesen.
32II.
33Die Berufung ist begründet.
34Da es sich noch um einen Schadensfall aus dem Jahr 2000 handelt, kommt gemäß Art. 229 §8 EGBGB noch das bis zum 31. Juli 2002 geltende Schadensrecht zur Anwendung.
35Der Klägerin zu 1 steht insoweit im zuerkannten Umfang ein Anspruch gegen die Beklagten gemäß §§ 823, 831 Abs. 1, 847 BGB a.F. zu.
36Nach dem Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass den Beklagten jedenfalls eine Aufklärungspflichtverletzung vorzuwerfen ist, weil sie der Kindesmutter nicht rechtzeitig eine Sectio als Alternative vorgeschlagen haben. Insoweit besteht nämlich eine Verpflichtung des Geburtshelfers, eine Aufklärung vorzunehmen, sobald eine Sectio als echte Alternative erkennbar ist (BGH VersR 1993, 703).
37Sowohl nach Darstellung von Prof. Dr. N als auch nach Auffassung von Prof. Dr. Dr. T kann es bei der Plazenta praevia marginalis zu Blutungen und zur Lösung des Mutterkuchens kommen, was bei eintretenden Problemen zu einem Sauerstoffmangel beim Kind führen kann. Insoweit gab es zwar im Jahr 2000 dafür noch keine bekannten Zahlen, aber es war bekannt, dass ein signifikant erhöhtes Risiko bestand. Vor diesem Hintergrund haben beide Sachverständige es für erforderlich gehalten, mit den Eltern über die Erkenntnis und das daraus resultierende Risiko mit der Möglichkeit einer Sectio zu reden. Ob dies Problem mit den Kindeseltern bereits durch die Hausgynäkologin angesprochen wurde, ist im Verhältnis zu den Beklagten unerheblich, weil sich die Beklagten jedenfalls nicht darauf hätten verlassen können und dürfen, dass bei diesem Gespräch nicht nur über die Schwierigkeiten bei dem Austritt des Kindes besprochen wurden, wenn der Mutterkuchen die Öffnung ganz oder teilweise versperrt, sondern auch über die besonderen Risiken für das Kind.
38Ein solches Gespräch ist jedoch zu keinem Zeitpunkt geführt worden; denn der Beklagte zu 2 hat selbst eingeräumt, dass er keinen Anlass gesehen hat, die Kindesmutter zu beunruhigen, wobei er darauf verwiesen hat, dass er im späteren Verlauf lediglich noch von einem tiefen Sitz der Plazenta ausgegangen ist, die jedoch eine Sectio nicht erforderlich gemacht hätte, was auch von dem Sachverständigen Prof. Dr. N bestätigt worden ist. Soweit eine Sectio zum späteren Zeitpunkt besprochen worden ist, geschah dies lediglich im Hinblick auf die angenommene Übertragung und den fehlenden natürlichen Geburtsfortschritt.
39Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob der Beklagte zu 2 die Kindesmutter nicht schon am 04.07.2000, als er den Verdacht der Hausgynäkologin im Hinblick auf die Plazenta praevia marginalis bestätigt hat, zur Aufklärung verpflichtet gewesen wäre. Dies hat Sachverständige Prof. Dr. T angenommen und es keinesfalls für korrekt gehalten, lediglich den Hinweis zu geben, dass eine Einweisung zum Geburtstermin erfolgen solle, weil seiner Ansicht nach bereits zu diesem Zeitpunkt die Wahrscheinlichkeit nur noch sehr gering war, dass sich der Plazentasitz verändern würde; denn jedenfalls zum 26.07.2000 und spätestens zum 02.08.2000 hätte nach seiner Auffassung eine entsprechende Aufklärung stattfinden müssen, weil sich die Kindesmutter bereits in Geburtsnähe befand. Insoweit kann der Beklagte zu 2 nicht mit Erfolg dahingehend argumentieren, dass es sich lediglich um eine Auftragsarbeit für die Hausgynäkologin gehandelt habe, so dass es nicht seine Aufgabe gewesen sei, die entsprechende Aufklärung vorzunehmen. Der Beklagte zu 2 hatte wegen der Placenta Migrationsverhältnisse nämlich die Kindesmutter selbst nochmals sehen wollen, so dass er sich bereits in die Behandlung zur Geburtsvorbereitung eingeschaltet hatte. Im Übrigen waren natürlich die Geburtshelfer in der Klinik der Beklagten zu 1 nach der stationären Aufnahme dafür verantwortlich, die Kindeseltern spätestens dann über das bestehende Risiko aufzuklären und eine Sectio als Alternative anzubieten. Dabei ist unstreitig, dass der Beklagte zu 2 für die weitere Behandlung der Kindesmutter mitverantwortlich zeichnete.
40Der Senat ist davon überzeugt, dass man auch nach dem 26.07.2000 weiterhin von dem Verdacht auf eine Plazenta praevia marginalis ausgehen musste.
41Diesen Plazentasitz, den die Hausgynäkologin sogar nach ihrem Bericht mit einer praevia partialis angenommen hat, hat der Beklagte zu 2 am 04.07.2000 bestätigt.
42Soweit er behauptet, dass sich der Sitz seit dem 26.07.2000 in den unproblematischen tiefen Sitz der Plazenta verändert hat, gibt es dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte. So hat er zwar nur noch einen Hinterwandsitz angekreuzt und einen tiefen Sitz geschrieben, aber gleichzeitig unter der Rubrik „Besonderheiten“ vermerkt, dass nur noch Plazenta praevis marginalis vorliegt. Nach Auffassung von Prof. Dr. Dr. T war diese Befundung für ihn widersprüchlich. Ihm lag insoweit auch kein Bild vor, aus dem sich eine entsprechende Darstellung möglicherweise hätte entnehmen lassen. Soweit es um die erneute Untersuchung vom 02.08.2000 geht, liegt zwar ein Bild, aber keine Befundung vor. Das Bild vom 02.08.2000 ergibt nach Darstellung von Prof. Dr. Dr. T keine wesentlichen Änderungen, wobei er auch darauf verwiesen hat, dass mangels entsprechender Messstreckenbilder nach den vorliegenden Bildern nicht mit der erforderlichen Sicherheit das Vorliegen einer Plazenta praevia marginalis festzustellen ist, weil es sich bei der vaginalen Untersuchung um bewegte Bilder handelt, bei der es je nach Handhabung des Untersuchers und nach der Haltung des Gerätes zu größeren Fehlerquellen kommt. Entscheidend ist daher der Eindruck des Untersuchers per Blickdiagnose und insbesondere die Befundung, die für den 02.08.2000 jedoch fehlt. Dennoch hat der Sachverständige eher das Vorliegen eines problematischen Sitzes angenommen. Dabei hat er darauf verwiesen, dass sich die Bilder vom 04.07. und 26.07.2000 sehr ähneln und schon seit dem 04.07.2000 die Wahrscheinlichkeit einer Sitzveränderung der Plazenta sehr gering war, da seiner Erfahrung nach ab der 36. Woche insbesondere bei einer Hinterwandlage keine Veränderungen mehr zu erwarten sind. Seiner Meinung nach hat auch das Bild des hochstehenden Kopfes des Kindes sehr gut zu einer Plazenta praevia marginalis gepasst. Dies steht auch nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N, wenn er ausführt, dass infolge Größenwachstum von Fötus und Uterus die Plazenta dann auch relativ zum inneren Muttermund weiter entfernt zu liegen kommen kann. Dabei geht es nämlich nicht um eine Sitzveränderung, sondern lediglich um eine Größenveränderung, die möglicherweise Auswirkungen auf den Sitz einer Plazenta haben kann. Insbesondere aus dem Umstand, dass es einen häufigeren Wechsel von Vorderwand- auf Hinterwandsitz gegeben hat und nach dem Operationsbericht vom ##.##.2000 eindeutig eine von der Vorderwand ausgehende Plazenta beschrieben wurde, weil der Operateur durch die Plazenta dringen musste, um an das Köpfchen der Klägerin zu 1 zu kommen, hat Prof. Dr. Dr. T geschlossen, dass ein kuppelförmiger Sitz vorgelegen hat, der ebenfalls ein Indiz für eine Plazenta praevia marginalis ist. Tatsächlich hat der Beklagte zu 2 ja auch am 04.07.2000 sowohl auf dem Bild als auch in den Befundung vom 04.07.2000 eine Plazenta praevia marginalis diagnostiziert und diesen Befund letztlich auch für den 26.07.2000 festgehalten. Dabei kann die Angabe „Plazenta jetzt nur noch marginalis“ auch als Herabstufung zu der ursprünglichen Befürchtung der Hausgynäkologin zum Vorliegen einer Plazenta pravia partialis gedacht gewesen sein. Es hatte nämlich zwischen den Ärzten wegen eines anstehenden Jahresurlaubs der Hausgynäkologin eine Kontaktaufnahme zur Absprache über die weiteren Kontrollen der Kindesmutter gegeben. Es kann sich auch um einen Hinweis darauf gehandelt haben, dass statt eines denkbaren tiefen Sitzes jetzt nur noch eine Platenta praevia marginalis vorliegt. Insoweit hatte die Hausgynäkologin nach ihrer Untersuchung vom 18.07.2000 selbst nämlich nur noch einen tiefen Sitz angenommen. Ihre Annahme ist jedoch kein ausreichender Nachweis dafür, dass der Sitz sich später verändert hat, weil sie ja selbst sonographische Kontrolluntersuchungen durch einen Fachmann per vaginalem Ultraschall für erforderlich gehalten hat. Auch der Befund vom 10.08.2000, wonach keine Auffälligkeiten bestanden, stellt nicht klar, ob es sich nun um eine aufklärungspflichtige Plazenta praevia marginalis handelte oder lediglich einen tiefen Sitz, weil insoweit entsprechende Angaben fehlen. Soweit die Rubrik „praevia“ nicht angekreuzt war, ist dies schon deswegen ohne Bedeutung, weil dies auch zu dem Zeitpunkt nicht erfolgt ist, als unstreitig eine Plazenta praevia marginalis vorlag. Diesbezüglich hat Prof. Dr. Dr. T auch ausgeführt, dass dies unterschiedlich gehandhabt wird, manchmal auch ein entsprechender Befundeintrag erfolge, wie dies auch am 04.07. und 26.07.2000 geschehen ist. Es wäre nach Ansicht des Senats angesichts des problematischen Befundes vom 04.07.2000 zu erwarten gewesen, Veränderungen mit entsprechender nicht widersprüchlichen Befundung festzuhalten, die mit hinreichender Sicherheit eine Situation ausschloss, die ein Risiko des Kindes in sich barg und Anlass für eine Alternativaufklärung zu einer Sectio gab. Solange ein solcher Verdacht nach der Dokumentation nicht zweifelsfrei auszuschließen war, bestand weiterhin die Verpflichtung, die Kindeseltern über das Risiko bei einer Plazenta praevia marginalis und die Möglichkeit einer Sectio aufzuklären. Dabei hat die Kindesmutter in nachvollziehbarer Weise angegeben, dass sie bei Kenntnis der Risiken sich für eine Sectio entschieden hätte. Eine solche wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N auch so rechtzeitig erfolgt, dass es nicht zu der am 19.09.2000 aufgetretenen Komplikation gekommen wäre; denn die CTG`s bis zum Nachmittag des ##.##.2000 hatten keinerlei Auffälligkeiten ergeben, so dass es der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt auch noch gut gegangen ist. Die Geburtseinleitungsversuche, die sich über mehrere Tage hinzogen, wären unterblieben, und man hätte sich nach Ansicht von Prof. Dr. N bei Vorliegen eines unreifen Befundes und vaginalen Blutungen gleich für eine Sectio entschieden.
43Nach den Ausführungen von Prof. Dr. X steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf einen Geburtsschaden zurückzuführen sind und nicht etwa anlagebedingte Ursachen haben. Soweit Prof. Dr. X dies zunächst nicht ausgeschlossen hat, beruhte dies darauf, dass ihm zunächst lediglich die vorliegende Befundung über die cerebrale Kernspintomographie vom 09.04.2001 mitgeteilt wurde, aus der sich jedoch keine Hinweise für eine Asphyxie in der cerebralen Bildgebung ergaben. Nach erneuter Auswertung der Originalaufnahmen hat er dazu ausgeführt, dass die damalige Befundung fehlinterpretiert war und die speziellen Muster in den entsprechenden Hirnregionen, die für die jetzige Situation der Klägerin verantwortlich sind, nicht erkannt worden sind. Soweit das klinische Bild zunächst für ein Hyperekplexie-Syndrom gesprochen hat, konnte der Sachverständige dies aufgrund der Bildgebung ausschließen, aus der sich vielmehr das klassische Bild für eine weiße Asphyxie entnehmen lässt. Insoweit sind die vorliegenden Muster wie ein Fingerprint und bedürfen auch keiner erneuten bildgebenden Untersuchung, weil sich diese Muster nicht verändern, sondern allenfalls noch klarer darstellen würden. Der Sachverständige hat zudem darauf verwiesen, dass die Klägerin zu 1 ausweislich der nach der Geburt vorgenommenen Messwerte eine weiße Asphyxie erlitten hat, in deren Folge es zur Microzephalie gekommen ist. Dabei hat er auf die APGAR-Werte verwiesen, wonach die Klägerin zu 1 praktisch leblos zur Welt gekommen ist. Die Leberwerte waren angestiegen und die Kreatininwerte erhöht. Der arterielle pH-Wert mit zunächst 7,0, der seiner Ansicht nach gut zu einer Azidose passt, im Zusammenhang mit dem Basenwert ergab dann das Bild einer Asphyxie. Tatsächlich ist der pH-Wert zwanzig Minuten später auch auf 6,7 gesunken. Vor diesem Hintergrund hat er auch auf die Einwendungen der Beklagten, dass der pH-Wert unmittelbar nach der Geburt nicht unter 7,0 lag, deutlich gemacht, dass dieser Einzelwert für ihn nicht maßgeblich ist. Soweit sich kein Hirnödem gebildet hat, konnte der Sachverständige dies damit erklären, dass bei reifen Kindern und einer guten Reanimation sich solche Ödeme nicht zwangsläufig bilden müssen.
44Der Sachverständige hat andere genetische Ursachen aufgrund der Bildgebung ausgeschlossen, weil sie nicht mit dem vorliegenden Muster im MRT vereinbar sind. Dabei hätte man auch eine genetisch bedingte Hirnaufbaustörung eindeutig erkennen können.
45Der Sachverständige hat auch eine präpartale Asphyxie ausgeschlossen, weil in solch einem Fall die Kinder in einem besseren Zustand zur Welt kommen.
46Zudem hat er ausgeführt, dass für eine praepartale Microzephalie die entsprechenden Anhaltspunkte fehlen, weil die Klägerin zu 1 bis zum Zeitpunkt ihrer Geburt über einen normalen Kopfumfang verfügte. Dies ist aber der wichtigste Gesichtspunkt für ein gesundes Hirnwachstum, weil der Kopfumfang nämlich nur dann zulegt, wenn das Hirn auch wächst. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige darauf verwiesen, dass sich die Klägerin zu 1 bis zur Geburt normal entwickelt hat und die bei ihr dann später festgestellte Microzepahlie erst bei der Geburt entstanden ist.
47Der Sachverständige ist aufgrund der Bildgebung im MRT zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin im Rahmen der Geburt geschädigt wurde, weil auch neurogenerative Erkrankung nach der Bildgebung auszuschließen sind.
48Soweit die Beklagten die Ausführungen des Sachverständigen in Zweifel gezogen und die Einholung eines gynäkologischen Gutachten zu der Frage beantragt haben, dass wegen der gemessenen pH-Werte zusätzlich zur Plazentaablösung noch eine weitere Ursache für die Beeinträchtigungen der Klägerin zu 1 hinzukommen muss, hatte der Senat keinen Anlass, dem nachzukommen. Für die Frage der gynäkologischen Behandlung einschließlich der Ursachen für die Plazentalösung ist das Fachwissen eines Gynäkologen erforderlich, für die Frage, welche Erkrankung die Klägerin zu 1 aus welchen Gründen hat, allein der Kinderarzt. Insoweit folgt der Senat auch den Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen und nicht den von den Beklagten benannten Literaturverfassern, bei denen es sich ebenfalls lediglich um Gynäkologen handelt, die jedoch nach der Geburt gar nicht mehr mit dem Kind beschäftigt sind.
49Ist demzufolge davon auszugehen, dass die Beklagten den bei der Klägerin eingetretenen Schaden verursacht haben, so ist auch ein Schmerzensgeld gerechtfertigt. Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin zu 1 körperlich und geistig schwerstbehindert ist und ein lebenslanger Pflegefall bleibt, weil sie nicht in der Lage ist zu sprechen, sich selbständig zu ernähren oder auch zu laufen, darüber hinaus regelmäßig orthopädische Übungen absolvieren und manchmal auch Operationen über sich ergehen lassen muss, weil die Sehnen nicht mitwachsen, hält der Senat zum Ausgleich für den Verlust der Lebensfreude eines gesunden Menschen einen Betrag von 400.000 € für durchaus angemessen, aber auch ausreichend, um die derzeit bekannten gesundheitlichen Probleme auszugleichen.
50Diese Summe ist hinsichtlich des Betrages von 150.000 € gemäß §§ 286,288 BGB und hinsichtlich des weiteren Betrages von 250.000 € gemäß §§ 288, 291 BGB zu verzinsen.
51Aus den vorstehenden Gründen sind daher auch die Feststellungsanträge zulässig und begründet.
52Die nach der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der Beklagten hat der Senat zur Kenntnis genommen, aber aus den o.g. Erwägungen heraus keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gesehen.
53Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO, wobei die Zuvielforderung bezüglich der Klägerin zu 2 im Rahmen der Berufung geringfügig war und keine weiteren Kosten verursacht hat.
54Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
55Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 2x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- BGB § 291 Prozesszinsen 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen 1x
- BGB § 847 1x