Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 26 U 2/16
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 17. November 2015 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Der am ##.##.2008 geborene Kläger macht Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler in der Klinik der Beklagten während des stationären Aufenthalts vom 02.03. bis 21.12.2009 geltend.
4Bereits kurz nach der Geburt des Klägers wurde bei ihm ein schwerer Herzfehler entdeckt, der zu mehreren stationären und auch ambulanten Behandlungen bei der Beklagten führten, die zu dem Ergebnis einer deutlichen Funktionseinschränkung bei nur schwachen Zusammenziehen des Herzens erbrachten.
5Als der Kläger am 02.03.2009 bei der Beklagten stationär aufgenommen wurde, waren seine Werte sehr schlecht. Die Herzscheidewand kontrahierte kaum. Ihm wurden zur Stabilisierung Katecholamine verabreicht, die den Zustand nicht besserten, so dass er am 04.03.2009 wegen metabolischer Azidose auf die Intensivstation verlegt wurde. Dort wurde er am 05.03.2009 intubiert und kam auf die Herztransplantationsliste. Die weiteren Untersuchungen ergaben schließlich im Trachealsekret einen Nachweis von Darmbakterien sowie ein vergrößertes Herz fast ohne Pumpfunktion. In den Folgetagen schwankte der Zustand des Klägers. Als es ihm am 13.03.2009 jedoch erheblich schlechter ging, wurde die Entscheidung zur Implantation eines sog. Berlin Hearts getroffen.
6Am Abend des 13.03.2009 noch vor der Operation musste der Kläger schließlich reanimiert werden. In einer 5,5 stündigen Operation wurde ihm das Unterstützungssystem eingesetzt. Er kam danach auf die Intensivstation. Im Rahmen von bildgebenden Untersuchungen ergab sich schließlich der Verdacht auf einen Hirninfarkt. In den folgenden Wochen zeigten sich sodann auch erhebliche neurologische Auffälligkeiten.
7Die erfolgreiche Herztransplantation erfolgte am 4.11.2009.
8Seit seiner Entlassung besteht beim Kläger eine schwere Entwicklungsstörung – und verzögerung mit den Voraussetzungen der Pflegestufe II. So liegt eine Teillähmung der Arme und Beine vor, eine Minderung der geistigen Entwicklung und massive Störung im sprachlich kommunikativen Bereich. Er wird auch ausschließlich über eine PEG-Sonde ernährt und erhält Wasser nur per Löffel.
9Der Kläger hat der Beklagten Behandlungsfehler vorgeworfen. So habe man Hygienefehler gemacht, so dass sich im Trachealsekret ein Darmbakterium habe feststellen lassen. Dadurch sei es zu einer Meningitis gekommen, was aber nicht erkannt und behandelt worden sei. Darüber hinaus sei die Einsetzung des Berlin Hearts zu spät erfolgt. Der Kläger sei bei seiner Einlieferung in einem lebensbedrohlichen Zustand gewesen, so dass dieser dringend ein Spenderherz benötigt habe und man das Unterstützungssystem sofort habe einsetzen müssen. Die ischämischen Schlaganfälle mit den eingetretenen neurologischen Schädigungen seien auf die erhebliche Zeitverzögerung zurückzuführen. Die Ärzte seien sich nicht einig gewesen, so dass es zu der Verspätung gekommen sei. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger ein Schmerzensgeld von 500.000 € sowie eine monatliche Rente von 500 € und die Feststellung der künftigen Ersatzpflicht begehrt.
10Das Landgericht hat sachverständig beraten durch Prof. Dr. C die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass kein Behandlungsfehler vorliege. Es habe keine Krankenhausinfektion vorgelegen; denn bei dem Nachweis der Darmbakterien im Trachealsekret habe es sich aufgrund der geringen Keimzahl und der fehlenden klinischen und laborchemischen Infektionsverdachtsmomente nur um eine passagere Besiedlung gehandelt. Diese Besiedlung könne nicht ohne weiteres auf Hygienemängel zurückgeführt werden, die sich hier auch nicht feststellen ließen, weil sie auch durch die Eltern oder das Kind selber eingebracht worden sein könnten. Im Übrigen habe auch kein Hinweis für einen Verdacht auf das Vorliegen einer Meningitis bestanden. Der Nachweis der vereinzelten Darmbakterien könne nicht zu einer Meningitis führen, weil es keinen neurochirurgischen Eingriff gegeben habe. Das wäre dann eine Rarität gewesen.
11Die Herzinsuffizienz sei korrekt behandelt worden. Man habe nicht sofort zur Implantation des Berlin Heart greifen müssen, sondern habe wie geschehen handeln dürfen. Es sei ohnehin ein sehr grenzwertiger Eingriff bei einem so kleinen Kind.
12Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
13Er macht geltend, dass das Landgericht ihm zu Unrecht die Schriftsatzfrist nach der Anhörung des Sachverständigen verwehrt habe. Zudem sei das Landgericht fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es streitig gewesen sei, dass das Kind im Zeitpunkt der stationären Aufnahme bereits in einem lebensbedrohlichen Zustand gewesen sei, so dass Prof. Dr. L nur noch von einer Lebenserwartung von drei Wochen ausgegangen sei und die sofortige Implantation der Unterstützungspumpe für erforderlich gehalten habe. Tatsächlich habe man dies auch tun müssen. Angesichts des lebensbedrohlichen Zustands habe es keinen Ermessensspielraum für die Ärzte mehr gegeben, auch nicht im Hinblick auf die drohenden Risiken, die wegen des zu erwartenden Todes dann zu vernachlässigen gewesen seien.
14Der Kläger beantragt,
15das angefochtene Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 17.11.2015,Az.: 4 O 2011/12 aufzuheben und:
161. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2012 nebst außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.884,45 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
172. die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine monatliche Schmerzensgeldrente in Höhe von 500 € seit dem 14.03.2009 zu zahlen;
183. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus der in der Zeit vom 02.03. – 21.12.2009 erfolgten fehlerhaften ärztlichen Behandlung zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung zurückzuweisen.
21Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
22Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.
23Der Senat hat den Sachverständigen Prof. Dr. C nochmals sein Gutachten erläutern lassen und die Kindeseltern angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk vom 04. November 2016 verwiesen.
24II.
25Die Berufung ist nicht begründet.
26Der Kläger hat gegen die Beklagte weder Ansprüche aus §§ 280, 611 BGB noch aus § 823 BGB.
27Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob das Landgericht fehlerhaft gehandelt hat, weil die beantragte Schriftsatzfrist nicht mehr bewilligt worden ist, weil dem Kläger jedenfalls rechtliches Gehör im Rahmen der Berufung gewährt wurde. Danach steht aber fest, dass das Landgericht zu Recht Ansprüche des Klägers abgelehnt hat, weil Behandlungsfehler nicht feststellbar sind.
28Soweit der Kläger Hygienemängel gerügt hat, die letztlich bei ihm zu einer Meningitis mit schwerwiegenden Folgen geführt haben soll, hat der Sachverständige nochmals darauf hingewiesen, dass eine solche Erkrankung bei dem Kläger nach den Laborwerten und den sich ansonsten aus den Krankenunterlagen ergebenden Informationen (Sonographien, Schädel-CT und dokumentierte Klinik) nicht vorgelegen hat, so dass auch keine Notwendigkeit zu einer Lumbalpunktion bestand. Schon erstinstanzlich hat er ausgeführt, dass der Kläger sich keinen Krankenhauskeim zugezogen hat, sondern eine passagere oder auch dauerhafte Besiedlung mit Darmbakterien vorlag, die bei einem Wickelkind jederzeit auch ohne Hygienemängel passieren kann, und zwar durch das Kind selbst oder auch die Eltern. Es wäre seinen Ausführungen zufolge eine Rarität gewesen, wenn sich der Kläger ohne jeglichen neurochirurgischen Eingriff allein wegen der vereinzelten Darmbakterien eine Meningitis zugezogen hätte. Letztlich hat der Kläger dies im Rahmen der Berufung auch nicht mehr ausdrücklich angegriffen.
29Hinsichtlich des verspäteten Einsatzes des Berlin Hearts kann den Ärzten der Beklagten ebenfalls kein Vorwurf gemacht werden. Der Sachverständige hat dazu nachvollziehbar ausgeführt, dass es sich um eine schwerwiegende Entscheidung handelt, die sehr gründlicher Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile bedarf. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass es bei so kleinen und zarten Kindern unter 5 kg keine ausreichenden Erfahrungswerte und auch keine Leitlinien oder andere medizinische bzw. rechtlichen Vorgaben gibt. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass man vorab nie sagen kann, wie lange die Überbrückungszeit bis zur endgültigen Herztransplantation dauern wird, und diese Zeit mit erheblichen schwerwiegenden Risiken ( Blutungen im Gehirn, Thromben im Organismus, schwere neurologische Schäden zwischen 29-62% sowie eine bis zu 40% bestehende Letalität) und einem großen Leid für die Kinder verbunden ist, würde man sich sogar die Frage stellen müssen, ob ein solches Unterstützungssystem überhaupt implantiert werden kann. Es ist seiner Ansicht nach daher auch nicht auszuschließen, dass eine Ethikkommission sogar zu dem Ergebnis kommen könnte, den Einsatz abzulehnen. Er hat es auch für nachvollziehbar gehalten, wenn Ärzte diesbezüglich unterschiedlicher Auffassung sind, wann welche Maßnahme zu ergreifen ist.
30Nach den Ausführungen des Sachverständigen versucht man durch alle intensiv-medizinischen Möglichkeiten ( u.a. Einsatz von Katecholaminen, Diuretika, Volumensubstitution und Transfusionen) die Situation des Patienten so zu stabilisieren, dass man sich Zeit bis zur endgültigen Herztransplantation verschaffen kann. Dabei hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass der Kläger zunächst maximal behandelt worden ist. Auch er war der Auffassung, dass das Kind im Zeitpunkt der Aufnahme in einem lebensbedrohlichen Zustand war, allergrößte Gefahr bestand und jederzeit mit einer Reanimationsbedürftigkeit gerechnet werden musste, gleichwohl hat er die zunächst durchgeführte Therapie ohne den Einsatz des Berlin Hearts aus den vorgenannten Gründen für richtig gehalten, weil es dabei unterschiedliche Verläufe gibt und manchmal bei den Patienten auch ein stabiler Zustand erreicht werden kann. Tatsächlich hat sich auch der Zustand des Klägers zunächst gebessert, wenngleich auf einem niedrigen Niveau, wobei die Verschlechterung zum 12.03.2009 eintrat und nunmehr die verbleibende Therapieform des Berlin Heart diskutiert wurde.
31Nach Auffassung des Sachverständigen handelt es sich um eine sehr schwierige Entscheidung, die man jedenfalls so weit wie noch eben möglich nach hinten verlegt, so dass er die Auffassung vertreten hat, dass die Entscheidung der Ärzte zu dem Zeitpunkt der Operation nicht zu beanstanden war.
32Der Sachverständige hat sehr nachvollziehbar und eindrucksvoll dargestellt, in welchem Dilemma sich Ärzte befinden, die keine ausreichenden Erfahrungswerte für ein solches Unterstützungssystem bei so kleinen Kindern vorliegen haben und auch die schwerwiegenden Risiken während der Überbrückungszeit kennen, gleichwohl aber eine Entscheidung treffen zu müssen, ob und wann ein solches System eingesetzt wird. Dabei muss ein möglicherweise zu erreichender Benefit den Risiken gegenüber abgewogen werden.
33Nach Auffassung des Senats muss in solch einem Grenzfall der Medizin den Ärzten ein großer Ermessenspielraum eingeräumt werden, ob sie überhaupt das Unterstützungssystem einbauen und wann für sie der geeignete Zeitpunkt ist. Es wäre angesichts der Ausführungen des Sachverständigen bezüglich einer negativen Entscheidung der Ethikkommission und der sich generell stellenden Frage, ob man dieses System angesichts der drohenden schwerwiegenden Folgen überhaupt einbauen kann, letztlich auch kein Behandlungsfehler gewesen, wenn sich die Ärzte überhaupt nicht für einen solchen Einbau entschieden hätten. Auch wenn Ärzte grundsätzlich verpflichtet sind, ihr Wissen und Können für die Patienten einzusetzen, besteht diese Verpflichtung nicht um jeden Preis, wenn es sich um einen Grenzfall der Medizin handelt, bei dem die Ärzte quasi ohne ausreichendes Wissen und entsprechende Erkenntnisse tätig werden müssen und ihr Handeln nahezu einem reinen Glücksspiel gleicht.
34Die Kostentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
35Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
36Einer Zulassung der Revision bedurfte es nicht, weil die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist, § 543 Abs. 2 ZPO.
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Referenzen
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 4 O 2011/12 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x