Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 34 U 129/19
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02.08.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Bielefeld - 1 O 489/18 - unter Zurückweisung der Berufung der Klägerin wie folgt abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Gründe
2I.
3Gemäß § 540 Abs.1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen, soweit sich aus dem Nachfolgenden nichts anderes ergibt.
4Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal die Zahlung sog. „kleinen Schadensersatzes“ wegen eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrages über ein Fahrzeug, das mit einem von der Beklagten hergestellten Motors des Typs EA 189 EU 5 ausgestattet ist.
5Die Klägerin hat ihr mit 12.971,70 € beziffertes Schadensersatzbegehren schriftsätzlich mit der Behauptung begründet, sie hätte anstelle des im Kaufvertrag vom 07.05.2010 vereinbarten und anlässlich der Übergabe vom 25.06.2010 auch gezahlten Kaufpreises in Höhe von 17.921,70 € in Kenntnis des zur Unwirksamkeit der Betriebserlaubnis führenden Mangels einen Kaufvertrag nicht zu einem höheren Kaufpreis als 5.000 € geschlossen.
6Das Landgericht hat die Klägerin persönlich angehört, einen Schadensersatzanspruch angenommen, dessen Höhe gemäß § 287 ZPO geschätzt und die Beklagte – unter Abweisung der Klage im Übrigen – zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 15 % des Kaufpreises (2688,26 €) des Fahrzeuges sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten bezogen auf diesen Betrag als Streitwert verurteilt.
7Im Berufungsverfahren haben die Parteien ihre wechselseitigen Berufungen unter Wiederholung und Vertiefung ihres jeweiligen erstinstanzlichen Vorbringens verfolgt. Dabei hat die Klägerin insbesondere gerügt, das Landgericht habe zu Unrecht den ihren Schaden ausmachenden Minderwert geschätzt ohne die der Schätzung zugrunde liegenden Umstände mitzuteilen. Die Schätzung sei willkürlich, weil sie mangels mitgeteilter Grundlage nicht auf Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Nachvollziehbarkeit überprüfbar sei. Insbesondere sei dem Urteil nicht zu entnehmen, ob das Landgericht das gesamte entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien berücksichtigt und bei seiner Schätzung die richtigen Maßstäbe zugrunde gelegt habe.
8Es habe sich insbesondere über den Vortrag der Klägerin, sie hätte höchstens einen Preis von 5.000 € zahlt, und ihren diesbezüglichen Beweisantritt durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt.
9Die Klägerin beantragt,
10das angefochtene Urteil abzuändern, soweit die Klage gegen diese Beklagte
11abgewiesen worden und,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin sie 12.971,70 € zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 23.12.2018 zu zahlen,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 23.12.2018 zu zahlen.
Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
17Die Beklagte beantragt,
18unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
19Die Berufung der Klägerin zurückzuweisen
20Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag.
21II.
22Die Berufungen der Klägerin und der Beklagten sind jeweils zulässig.
23Indes ist die Berufung der Beklagten begründet, während die klägerische Berufung unbegründet ist.
24Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines Minderwertes nicht zu.
25Zwar hat sie nach ständiger Rechtsprechung des Senats auf Grund des täuschungsbedingten Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz des ihr dadurch entstandenen Schadens nach §§ 826, 31 BGB. Das Klagevorbringen rechtfertigt indes nicht die Feststellung, dass ihr der geltend gemachte Schaden entstanden ist, wie es das Verlangen von Schadensersatz in Form des behaupteten Minderwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs („kleiner Schadensersatz“) voraussetzt.
26Insoweit hat das Landgericht den Vortrag der Parteien tatsächlich nicht vollständig gewürdigt, denn es hat die Widersprüche zwischen dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin und dem Inhalt ihrer persönlichen Anhörung nicht berücksichtigt.
27Zwar hat die Klägerin schriftsätzlich Umstände vorgetragen, die auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geeignet sind, die Voraussetzungen eines Anspruchs auf sog. „kleinen Schadensersatz“ zu erfüllen. Danach steht dem Vertragspartner im Falle einer Verletzung von Aufklärungspflichten beim Vertragsschluss das Wahlrecht zu, entweder im Wege des Schadensersatzes Rückgängigmachung des Vertrages zu verlangen oder am Vertrag festzuhalten und lediglich den durch die Täuschung veranlassten Mehraufwand als Schaden zu beanspruchen (sog. „kleiner Schadensersatz“, BGH, Urteil vom 06.02.2018 – II ZR 17/17, juris Rdnr. 12f. m.w.N.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.12.2019 – 13 U 670/19 juris Rdnr. 14). In diesen Fällen ist der Geschädigte, wenn er am Vertrag festhalten will, so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen. Schaden ist danach der Betrag, um den der Geschädigte den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat. Dieses erfordert – im Unterschied zum Begehren des Erfüllungsinteresses – nicht den Nachweis, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem geringeren Preis eingelassen hätte (BGH, Urteil vom 25.05.1977 – VIII ZR 186/75, BGHZ 69, 53 ff Rdnr. 19), denn es geht nur um die Bemessung des verbliebenen Restvertrauensschadens und nicht um die Frage einer Anpassung des Vertrages (BGH, Urteil vom 19.05.2006 – V ZR 264/05, juris Rdnr. 22). Entscheidend ist daher allein, wie sich der Geschädigte bei Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte.
28Diese Rechtsprechung ist im Grundsatz nicht für Fälle entwickelt worden ist, wenn – wie hier – zwischen dem Täuschenden und dem Geschädigten keine vertragliche oder vertragsähnliche Sonderverbindung besteht. Ein rechtlicher Grundsatz, dem zufolge vertragliche und gesetzliche Haftung stets den gleichen Inhalt haben müssen, existiert nicht (BGH, Urteil vom 28.10.2014 – VI ZR 15/14, juris, Rdnr. 32).
29Vielmehr hat der Bundesgerichtshof für deliktische Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gegen einen am Vertrag nicht Beteiligten ausgeführt, der deliktische Schadensersatzanspruch sei auf das „Erhaltungsinteresse“ gerichtet (BGH, Urteil vom 18.01.2011 – VI ZR 325/09, juris Rdnr. 8 und 11; OLG Karlsruhe a.a.O., Rdnr. 18).
30Dabei setzt die – grundsätzlich zulässige – Berechnung des Schadens in Form des „kleinen Schadensersatzes“ in Höhe des Minderwertes voraus, dass der Geschädigte bei Unterbleiben der unerlaubten Handlung auch zu einem geringeren Kaufpreis geschlossen hätte. Es ist somit entscheidend, wie sich der Getäuschte in Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte (BGH, Urteil vom 06.04.2001 – V ZR 394/99, juris, Rdnr. 17; BGH, Urteil vom 06.02.2018 – II ZR 17/17, juris, Rdnr. 13; OLG Karlsruhe, a.a.O., Rdnr. 19). Da der Geschädigte für alle tatbestandsausfüllenden Umstände, also auch die Kausalität zwischen deliktischem Verhalten und behauptetem Schaden darlegungs- und beweispflichtig ist, muss er schlüssig vortragen, dass er in Kenntnis der verheimlichten Umstände bereit gewesen wäre, den Kaufpreis zu einem geringeren Kaufpreis zu schließen (OLG Karlsruhe, a.a.O. Rdnr. 19, auch wenn er beweiserleichternd nicht beweispflichtig dafür ist, dass sich der Vertragspartner unter dieser Bedingung mit dem Vertragsschluss einverstanden erklärt hätte.
31Dieses zugrunde legend kann die Klägerin ihren Schaden vorliegend nicht im Wege des „kleinen Schadensersatzes“ in Höhe des behaupteten Minderwertes berechnen.
32Nach den dargestellten Grundsätzen fehlt es an schlüssigem Vortrag dazu, dass sie den Vertrag zu einem geringeren Kaufpreis überhaupt geschlossen hätte. Zwar hat sie entsprechendes schriftsätzlich vorgetragen, doch anlässlich ihrer Anhörung durch das Landgericht hat sie ausdrücklich erklärt:
33„Wenn ich damals gewusst hätte, dass der Motor mit einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware versehen war, hätte ich es nicht gekauft. Ich hätte mir dann eher einen Benziner gekauft. Ich hätte das Fahrzeug wahrscheinlich auch nicht zu einem niedrigeren Kaufpreis gekauft, wenn ich gewusst hätte, dass ich damit die Umwelt so belaste.“
34Damit hat sie unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie den Kaufvertrag in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte.
35III.
36Die Entscheidungen zur Kostentragung und vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 Abs.1, 709 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
37Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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Referenzen
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- BGB § 826 Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung 1x
- VI ZR 15/14 1x (nicht zugeordnet)
- V ZR 394/99 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- 1 O 489/18 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- VI ZR 325/09 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 540 Inhalt des Berufungsurteils 1x
- VIII ZR 186/75 1x (nicht zugeordnet)
- 13 U 670/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- BGB § 31 Haftung des Vereins für Organe 1x
- II ZR 17/17 2x (nicht zugeordnet)
- StGB § 263 Betrug 1x
- ZPO § 287 Schadensermittlung; Höhe der Forderung 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x