Beschluss vom Oberlandesgericht Hamm - 32 SA 73/19
Tenor
Örtlich zuständig ist das Landgericht Köln.
1
Gründe:
2I.
3Der in D wohnhafte Kläger hat beim Landgericht Bielefeld Klage eingereicht gegen eine in E ansässige Autorhändlerin (Beklagte zu 1)) sowie die in F ansässige A GmbH (Beklagte zu 2)) und die Klage auf die in G, Tschechische Republik, ansässige B a. s. (Beklagte zu 3)) erweitert (Klageschrift vom 30.11.2018 und Schriftsatz vom 08.08.2019, Bl. 1 ff. und Bl. 71 f.). Von den Beklagten als Gesamtschuldnern begehrt er Zahlung von 17.979,00 € zzgl. Nebenforderungen und die Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht.
4Zur Begründung seiner Klage trägt er – soweit für das vorliegende Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang – im Wesentlichen folgendes vor:
5Mit Kaufvertrag vom 31.03.2016 erwarb der Kläger bei der Beklagten zu 1) einen gebrauchten C Combi zum Kaufpreis von 17.979,00 €. Bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um die deutsche Importeurin und bei der Beklagten zu 3) um die Herstellerin des Fahrzeugs. Das in Rede stehende Fahrzeug ist nach der Behauptung des Klägers von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen und auch nach dem Aufspielen eines Softwareupdates (Hersteller-Rückrufaktion 23R6) weiter mangelhaft.
6Alle Beklagten nimmt der Kläger, gestützt auf die Behauptung einer arglistigen Täuschung, aus Delikt, insbesondere aus § 826 BGB, in Anspruch. Die gegen die Beklagte zu 1) erhobene Forderung stützt er zudem und primär auf einen kaufrechtlichen Gewährleistungsanspruch.
7Mit Beschluss vom 12.12.2019 (Bl. 295 ff.), auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht Bielefeld den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Hamm zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorgelegt.
8Zuvor hatten die Beklagten zu 2) die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bielefeld und die Beklagte zu 3) dessen internationale Zuständigkeit gerügt (Schriftsätze vom 08.03.2019 und vom 28.10.2019, Bl. 47 ff. und Bl. 192 ff.) sowie der Kläger die Zuständigkeitsbestimmung beantragt (Schriftsatz vom 31.10.2019, Bl. 281).
9Der Senat hat die Parteien mit Verfügung vom 29.01.2020 angehört. Die Beklagten zu 2) und zu 3) haben Stellung genommen und beantragt, den Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung abzulehnen (Schriftsatz vom 14.02.2020, Bl. 303 ff.).
10II.
111.
12Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO für die Gerichtsstandbestimmung zuständig. Das nächst höhere gemeinschaftliche Gericht im Verhältnis zu den Landgerichten Bielefeld (allgemeiner Gerichtsstand des Klägers), Köln (allgemeiner Gerichtsstand der Beklagten zu 1)) und Darmstadt (allgemeiner Gerichtsstand der Beklagten zu 2)) wäre der Bundesgerichtshof; das im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm gelegene Landgericht Bielefeld wurde zuerst mit der Sache befasst.
132.
14Dass die in der Tschechischen Republik ansässige Beklagte zu 3) ihren allgemeinen Gerichtsstand nicht in Deutschland hat, steht einer Bestimmung gemäß bzw. in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO nicht entgegen (BGH, Beschluss v. 06.11.1970, I ARZ 228/70, NJW 1971, 196, Zitat nach juris, Rn 4; OLG Dresden, Beschluss v. 22.09.2010, 3 AR 52/10, IPRspr 2010, Nr. 237, 590, Zitat nach juris, Rn. 9), zumal vorliegend – wenngleich diese Bewertung zur internationalen Zuständigkeit das Hauptsachegericht nicht bindet (OLG Dresden a.a.O. m. w. N.) – die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben ist und deshalb deutsches Zivilprozessrecht Anwendung findet (vgl. dazu Patzina in MüKo ZPO 5. Aufl. 2016, § 36 Rn. 3 m. w. N.; Schultzky in Zöller, ZPO 33. Aufl., § 36 Rn. 6).
15Denn (auch) bezogen auf die Beklagte zu 3) ist die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt vorliegend schon aus Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. Nach dieser Vorschrift kann eine Person mit einem Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden (sollen), auch vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Dazu muss zwischen den Klagen aufgrund einer gegebenen engen Beziehung eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. So verhält es sich hier. Die geltend gemachten Ansprüche sind tatsächlich und rechtlich so eng verknüpft, dass es prozessökonomisch sinnvoll ist, dass die Beklagten als Streitgenossen gemeinschaftlich verklagt werden können. Zentraler, gegenüber allen Beklagten vorgebrachter Grund für das klägerische Schadensersatzbegehren ist der vom Kläger behauptete Umstand, er habe ein gebrauchtes Fahrzeug mit einem vom sog. Abgasskandal betroffenen Motor erworben, was ihm bei Vertragsschluss verschwiegen worden sei (eine enge Beziehung in einem vergleichbaren Fall, an dem auch die Beklagten zu 2) und zu 3) beteiligt waren hat der Senat bereits bejaht: Senat, Beschluss v. 06.05.2019, 32 SA 57/18, unveröffentlicht).
16Dass die Klage im vorliegenden Fall nicht im allgemeinen Gerichtsstand einer der Beklagten, sondern beim Landgericht Bielefeld erhoben wurde, steht der Annahme der internationalen Zuständigkeit nicht entgegen, weil – wie noch auszuführen ist – für die Hauptsache ein den Anforderungen des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO genügender Gerichtsstand bestimmt werden kann. Die Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hindert die beim Landgericht Bielefeld erhobene Klage nicht. Eine Bestimmung nach dieser Vorschrift ist bereits vor Klageerhebung möglich.
173.
18Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor (zu vergleichbaren Konstellationen: Senat, Beschluss v. 06.05.2019, 32 SA 57/18, unveröffentlicht; sowie Senat, Beschluss v. 14.06.2018, 32 SA 14/18 u. Beschluss v. 11.12.2017, 32 SA 62/17; OLG Köln, Beschluss v. 01.09.2017, 8 AR 25/17; jeweils zitiert nach juris).
19a)
20Die Beklagten haben unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände gemäß §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte zu 1) hat ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Köln, die Beklagte zu 2) im Bezirk des Landgerichts Darmstadt, die Beklagte zu 3) in Madlá Boleslav, Tschechische Republik.
21b)
22Ein gemeinsamer Gerichtsstand aller Beklagten, der einer Gerichtsstandbestimmung entgegenstünde, lässt sich auch unter Berücksichtigung besonderer Gerichtsstände nicht mit hinreichender Bestimmtheit feststellen.
23Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte zu 1) und die geltend gemachten deliktischen Ansprüche gegen alle Beklagten ist auf der Grundlage des bisherigen Sachvortrages nicht sicher zu erkennen.
24So besteht für die gegenüber der Beklagten zu 1) geltend gemachten Ansprüche kein besonderer Gerichtsstand beim Landgericht Darmstadt oder in Madlá Boleslav.
25Ein besonderer Gerichtsstand (jedenfalls) für die gegen die Beklagten geltend gemachten deliktischen Ansprüche im Bezirk des Landgerichts Bielefeld oder im Bezirk des Landgerichts Köln ist ebenfalls nicht sicher festzustellen. Der Kläger hat nicht näher vorgetragen, dass der Handlungs- oder der Erfolgsort einer nach seiner Auffassung erfolgten unerlaubten Handlung, für die die Beklagten zu 2) und 3) einzustehen hätten, im Bezirk des Landgerichts Bielefeld liegt. Auf Zweifel an seiner Zuständigkeit in Bezug auf die Beklagten zu 2) und 3) hat das Landgericht Bielefeld zudem in seinem Vorlagebeschluss vom 12.12.2019 zu Recht hingewiesen.
26Die bislang unzureichend geklärte Frage eines gemeinschaftlichen Gerichtsstands der Beklagten zu 1) bis 3) im Bezirk des Landgerichts Köln braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, da die Zuständigkeitsbestimmung – wie noch auszuführen ist – zweckmäßiger Weise auf die Bestimmung des Landgerichts Köln hinausläuft und ein anderer gemeinschaftlicher Gerichtsstand aller Beklagten nicht in Betracht kommt (zu der Fragestellung vgl. auch Senat, Beschluss v. 22.08.2016, 32 SA 41/16, juris Rn. 15).
27c)
28Die Beklagten werden vorliegend als Streitgenossen im Sinne von §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 59, 60 ZPO in Anspruch genommen.
29Der Begriff der Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO ist grundsätzlich weit auszulegen. Streitgenossenschaft setzt nicht zwingend eine Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend gemachten Ansprüche voraus. Es ist auch nicht erforderlich, dass eine gemeinsame und einheitliche Entscheidung über die Ansprüche der Beklagten notwendig ist. Streitgenossenschaft im Sinne der §§ 59, 60 ZPO kann vielmehr bereits angenommen werden, wenn die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt und die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig ist (vgl. nur Zöller/Althammer, 33. Aufl. 2018, §§ 59, 60 ZPO Rn. 7 m. w. N.). Der Annahme eines Zusammenhangs steht es dabei nicht entgegen, wenn die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche einerseits auf deliktischen und andererseits auf vertraglichen Grundlagen beruhen (BayObLG, Beschluss v. 20.07.2005 - 1Z AR 118/05 - zitiert nach juris, dort Rn. 15).
30Dass Verkäufer und Hersteller in einer Konstellation wie der vorliegenden Streitgenossen sind, hat der Bundesgerichtshof entschieden (Beschluss v. 06.06.2018 - X ARZ 303/18 - zitiert nach juris, dort Rn. 13) und hierzu Folgendes ausgeführt:
31„Die gegen den Verkäufer und den Hersteller gerichteten Ansprüche sind ihrem Inhalt nach gleichartig, weil sie jeweils darauf gerichtet sind, den Kläger von den Folgen seiner Kaufentscheidung zu befreien. Sie werden auf einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt gestützt, beruhen also auf im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Gründen: Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens gegen beide Beklagte sind der Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch des verkauften Fahrzeugs, darauf bezogene werbende Äußerungen der Beklagten zu 2 und deren Einfluss auf die Kaufentscheidung der Klägerin. Dass weitere Sachverhaltselemente nur im Verhältnis zur einen oder zur anderen Beklagten relevant sein mögen, ist unschädlich, denn § 60 ZPO verlangt nicht, dass die anspruchsrelevanten Sachverhalte deckungsgleich sind. Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Anspruchsgründe im Wesentlichen gleichartig, denn die in Rede stehenden Herstellerangaben stellen nach der Klagebegründung unter kaufrechtlichen wie deliktsrechtlichen Gesichtspunkten ein wesentliches Anspruchselement dar. Sie sind nicht nur unmittelbarer Anknüpfungspunkt für die gegen die Beklagte zu 2 erhobenen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für die Sollbeschaffenheit der Kaufsache (§ 434 Abs. 1 Satz 3 BGB) auch für die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche von zentraler Bedeutung. Die nur im Verhältnis zu einzelnen Beklagten relevanten zusätzlichen Aspekte (Erfordernis einer Gelegenheit zur Nacherfüllung einerseits, Zurechnungs- und Kausalitätsfragen andererseits) stehen {<...>} rechtlich nicht derart im Mittelpunkt, dass sie die wesentliche Gleichartigkeit des Anspruchsgrundes in rechtlicher Hinsicht in Frage stellen könnten.“
32Die vorstehenden Gesichtspunkte sind im vorliegenden Fall nicht nur auf die Beklagten zu 1) und 3) anwendbar, sondern auch auf die Beklagte zu 2). Sie war nach dem Klagevorbringen als Importeurin auf Seiten des H-Konzerns in die Vermarktung der in Tschechien von der Beklagten zu 3) hergestellten und mit der Manipulationssoftware versehenen Fahrzeuge einbezogen.
33Der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes schließt sich der Senat entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung an (Senat, Beschluss v. 06.05.2019, 32 SA 57/18; Senat, Beschluss v. 14.06.2018, 32 SA 14/18 u. Senat, Beschluss. v. 11.12.2017, 32 SA 62/17).
344.
35Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Köln bestimmt.
36Die Bestimmung des zuständigen Gerichts erfolgt nach ständiger Rechtsprechung u. a. des Senates nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und gemäß der Prozesswirtschaftlichkeit im Wege der Ermessensentscheidung (vgl. BGH, Beschluss v. 07.02.2007, X ARZ 423/06, NJW 2007, 1365; Senat, Beschluss v. 30.08.2012, 32 SA 76/12, MDR 2013, 116; Schultzky in Zöller, ZPO 33. Aufl., § 36 ZPO, Rn. 28 m. w. N.). Anknüpfungspunkt für die Ausübung dieses Auswahlermessens ist in der Regel ein anderweitig bestehender (allgemeiner oder besonderer) Gerichtsstand. Dabei gilt der Grundsatz, dass regelmäßig nur ein Gericht bestimmt werden kann, bei dem wenigstens einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.
37Da die verbindliche Bestellung des Fahrzeugs im Bezirk des Landgerichts Köln erfolgte, besteht in den Augen des Senats eine größere Sachnähe zum dortigen Bezirk. Es ist auch nicht zu erkennen, dass es für die bundesweit am Markt auftretende Beklagte zu 2) und die international agierende Beklagte zu 3) nicht zumutbar wäre, ihre Rechte vor dem Landgericht Köln zu verteidigen.
38III.
39Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nach § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO ist nicht veranlasst. Soweit ersichtlich, steht die vorliegende Entscheidung im Einklang mit dessen Rechtsprechung und widerspricht in den entscheidungserheblichen Fragen nicht der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts.
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