Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 5 U 153/15
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 16.10.2015 verkündete Urteil der zweiten Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das vorgenannte Urteil teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die von dem Beklagten am 11.04.2013 freigelassenen Wisente und deren Abkömmlinge die auf den klägerischen Waldgrundstücken der Gemarkung A, G1 und G2 wachsenden Bäume, insbesondere Buchen, durch Schälen der Baumrinde oder auf andere Weise beschädigen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger 1/4 und der Beklagte 3/4; die Kosten zweiter Instanz und die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich des Störungsbeseitigungstenors gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 44.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar, im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Die Revision wird zugelassen.
1
Gründe:
2A.
3Der Kläger ist selbständiger Forstwirt und Eigentümer eines Waldgebietes im Bereich von B. Streitgegenständlich sind die im Eigentum des Klägers stehenden Grundstücke Gemarkung A, G1 und – nach Klageerweiterung mit Schriftsatz vom 04.03.2021, Bl. 577 GA - G2.
4Der Kläger bewirtschaftet diese Fläche überwiegend mit Rotbuchen, die er nach dem Prinzip der Naturverjüngung bearbeitet. Die Bäume werden nicht gepflanzt; sie regenerieren sich durch natürliche Aussaat. Die streitgegenständlichen Bestände liegen in dem Natura-2000-Gebiet „C“ (vgl. Art. 3 Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen, nachfolgend: FFH-RL).
5Der beklagte Verein (nachfolgend: der Beklagte) ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Satzungszweck in der „Wiederansiedlung und Erhaltung des Wisents im Rothaargebirge“ besteht. Der Verein wurde im Nachgang zu der am 25.06.2008 erfolgten Unterzeichnung eines öffentlich – rechtlichen Vertrages mit der Überschrift: „Wisente im Rothaargebirge“ gegründet. Der Satzungszweck sollte erreicht werden, indem zunächst ein Auswilderungsversuchsgehege gebaut und mit Wisenten bestückt werden sollte, die nach – erfolgreicher – Versuchsphase mit wissenschaftlicher Begleitung freigesetzt, ausgewildert und in einem Projektgebiet durch geeignete Managementmaßnahmen dauerhaft erhalten werden sollten.
6Auf der Grundlage des Vertrages vom 25.06.2008 begann der Beklagte im Jahr 2010 mit der Ansiedlung einer achtköpfigen Herde von Wisenten zunächst in einem begrenzten und abgesperrten (Versuchs-)Gebiet, das zuletzt die Größe von ca. 88 ha aufwies.
7Am 08.04.2013 schlossen der Beklagte, der Kreis D als untere Landschafts- und Jagdbehörde, als Veterinär- und Straßenverkehrsbehörde und als Aufsichtsbehörde über die örtlichen Ordnungsbehörden im Projektgebiet, die Bezirksregierung E als höhere Landschafts- und Straßenverkehrsbehörde, der Landesbetrieb Wald und Holz F als Forstbehörde und obere Jagdbehörde und die G Rentkammer als Vertreterin des Grundeigentümers des Projektgebietes einen Vertrag unter der Überschrift: Öffentlich-rechtlicher Vertrag für die Freisetzungsphase „Wisente im Rothaargebirge“.
8Dieser Vertrag löste mit Genehmigung des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MKULNV) den Vertrag vom 25.06.2008 ab.
9In dem Vertrag vom 08.04.2013 - auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 9 ff. d.A.) – wird die auf mehrere Jahre angelegte und von einer Koordinierungsgruppe unter Vorsitz des örtlichen Landrates begleitete sogenannte „Freisetzungsphase“ geregelt, in der der Beklagte Eigentümer der Wisente bleiben sollte. Ziel des Vertrages ist nach der Präambel die dauerhafte Etablierung einer frei lebenden Wisentpopulation von maximal 25 Tieren im Rothaargebirge auf einem Projektgebiet von ca. 4300 ha, das teilweise in dem „Natura 2000“ Gebiet „C“ liegt. Die Tiere sollen laut Vertrag erst im Anschluss an die Freisetzungsphase nach Abschluss eines weiteren öffentlich-rechtlichen Vertrages herrenlos werden.
10Am 11.04.2013 entließ der Beklagte eine Gruppe von acht Wisenten aus dem abgesperrten Gatter in das Projektgebiet. Die Gruppe wuchs im Laufe der Folgejahre bis zum Jahr 2019 auf bis zu 26 Tiere an. Durch Todesfälle bzw. gezielte Abschüsse reduzierte sich der Bestand auf eine Anzahl von gegenwärtig 21 Tieren.
11Bei ihren Wanderungen durch das Rothaargebirge verlassen die Tiere teilweise auch das Projektgebiet und halten sich vor allem in den Sommermonaten, in denen sie im Wald ausreichend Futter finden und nicht nachhaltig durch Fütterung gesteuert werden können, auf den Grundstücken des Klägers und anderer Waldeigentümer auf. Dort ernähren sich die Wisente neben anderem von den Rinden der Buchen, die sie artgemäß „abschälen“. Hierdurch kam und kommt es zu Schäden an den Bäumen, die regelmäßig von einem Sachverständigen begutachtet, geschätzt und beziffert werden. Für die Schäden leistet der Beklagte seit dem Jahr 2014 Zahlungen an den Kläger und andere Waldbauern; in diesem Zusammenhang wurde ein auch mit öffentlichen Mitteln finanzierter Entschädigungsfonds eingerichtet. Dieser ist auf eine Summe von 50.000,00 € begrenzt und wird im Übrigen aus Spenden von privaten Förderern und Organisationen aufgefüllt.
12Ausweislich der Schadensaufstellungen des sachkundigen Schadensschätzers H ist bislang von folgenden „Schälschäden“ an dem klägerischen Buchenbestand auszugehen:
13Von 2014 bis 2016 wurden insgesamt 47 Bäume geschädigt; die an den Kläger gezahlte Schadensersatzsumme betrug insgesamt 1.840,00 €. In der Folgezeit bis zum 16.07.2019 wurden an 29 weiteren Bäumen Schäden festgestellt und an den Kläger Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1.510,00 € geleistet.
14Am 30.09.2015 erstellte I vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (im Folgenden: LANUV) ein (ergänzendes) „Gutachten zur Attraktivitätssteigerung und damit verstärkten Nutzung des südlichen Teils des Rothaargebirges als Streifgebiet der Wisente“ (Anlage B 3 zum Schriftsatz vom 02.10.2015, Bl. 135 ff.). In diesem Gutachten erörterte I Maßnahmen, um die Wisente in Zukunft in dem Projektgebiet zu halten. Betrachtet wurden dabei insbesondere die Möglichkeit, einen Zaun zu errichten, sowie eine Verbesserung des Futterangebotes durch Verbesserung des Grünlandes. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen.
15Der Kläger wollte – ebenso wie auch weitere geschädigte Waldbauern – die Beeinträchtigung seines Buchenbestandes ungeachtet der Entschädigungszahlungen nicht weiter hinnehmen.
16Mit seiner – im Verlauf des Verfahrens erweiterten – Klage vom 29.08.2014 hat er beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
171.geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die am 11.04.2013 freigesetzten Wisente und ihre Abkömmlinge die dem Kläger gehörenden Waldgrundstücke der Gemarkung A, G1, betreten,
182.es zu unterlassen, das Eigentum und die Tierhaltereigenschaft an der Wisentherde aufzugeben,
193.festzustellen, dass der Beklagte weiterhin Tierhalter der Wisente ist.
20Der Beklagte hat mit näherer Begründung, auf die Bezug genommen wird, beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil dem Klageantrag zu 1) stattgegeben und die Klageanträge zu 2) und 3) abgewiesen; bzgl. der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen.
23Gegen diese Entscheidung hat sich der Beklagte mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung gewandt, mit der er unter näherer Darlegung weiterhin die vollständige Klageabweisung verfolgt hat; der Kläger hat die angefochtene Entscheidung verteidigt.
24Der Senat hat in den mündlichen Verhandlungen am 15.09.2016 und 08.05.2017 die Parteien bzw. ihre gesetzlichen Vertreter persönlich angehört und im ersten Termin zudem Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin J und des Zeugen K. Bzgl. des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Vermerk des Berichterstatters verwiesen (vgl. Bl. 294 ff. d.A.).
25Mit Urteil vom 29.05.2017 hat der Senat das angefochtene Urteil unter Klageabweisung im Übrigen teilweise abgeändert und den Beklagten als (mittelbaren) Handlungs- und Zustandsstörer im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB verurteilt, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um eine Beschädigung der auf dem Grundstück des Klägers (G1) wachsenden Bäume durch die freigelassenen Wisente und deren Abkömmlinge zu verhindern; das stehe allerdings – so der Senat – unter dem Vorbehalt, dass dem Beklagten die für das Einfangen und Umsetzen der Tiere erforderliche Ausnahmegenehmigung gemäß § 45 Abs. 7 BNatSchG erteilt werde. Werde diese nicht erteilt, müsse der Kläger die Störung gemäß § 44 Abs. 1 BNatSchG, 1004 Abs. 2 BGB dulden.
26Wegen der Urteilsbegründung sowie des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie auf das Senatsurteil vom 29.05.2017 Bezug genommen (Bl. 453 ff. d.A.).
27Gegen das Urteil haben beide Parteien Revision eingelegt. Der Kläger hat mit seiner Revision das Ziel verfolgt, den auf die Ausnahmegenehmigung bezogenen Vorbehalt entfallen zu lassen; der Beklagte hat die vollständige Klageabweisung weiterverfolgt.
28Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 19.07.2019 das Senatsurteil auf die Revision des Beklagten aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den Senat zurückverwiesen. Die Revision des Klägers war damit, was der Bundesgerichtshof ausgesprochen hat, gegenstandslos.
29Das Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, ist vom Bundesgerichtshof im Kern wie folgt begründet worden: Der Senat habe zwar zu Recht die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bejaht. Das Eigentum des Klägers werde durch die Wisente beeinträchtigt; eine Wiederholungsgefahr sei nach mehrfach aufgetretener Schädigung der Bäume indiziert und der Beklagte sei als mittelbarer Handlungsstörer anzusehen, weil er den Schadenseintritt durch die Freilassung der Wisente letztlich verursacht habe. Dem Beklagten – so der Bundesgerichtshof unter näherer Darlegung – sei ein Eingreifen auch nicht aus naturschutzrechtlichen Gründen untersagt; die Voraussetzungen für ein Zugriffsverbot gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG lägen nicht vor. Gleichwohl habe die Berufung des Beklagten vorläufig Erfolg, weil eine Duldungspflicht des Klägers gemäß § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG in Betracht komme. Die Freisetzungsphase sei eine Maßnahme des Naturschutzes im Sinne des § 65 BNatSchG. Solche Maßnahmen seien dann zu dulden, wenn die Nutzung des klägerischen Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt sei. Ob die Maßnahme im Streitfall zumutbar sei, müsse von dem Senat im Anschluss weiter geprüft werden, da bislang nicht belastbar festgestellt sei, welche Schäden dem Kläger tatsächlich entstanden seien und inwieweit diese durch die Zahlungen des Beklagten kompensiert würden.
30Der Senat habe in diesem Rahmen mit sachverständiger Hilfe festzustellen, welche Schäden dem Kläger in der Freisetzungsphase entstanden seien bzw. noch entstünden und wie gravierend diese seien. Dabei seien auch die zur Entschädigung vom Beklagten geleisteten Zahlungen zu berücksichtigen. Die nicht durch Zahlungen kompensierten Schäden müssten in Relation zu den insgesamt aus dem Grundstück gezogenen Nutzungen gesetzt werden; außerdem müsse das Verhältnis der geschädigten Bäume zu dem gesamten Baumbestand des betroffenen Grundstücks ermittelt werden. Auf dieser Grundlage sei die Zumutbarkeit der Schäden in einer Gesamtbetrachtung zu beurteilen.
31Sollte – so der Bundesgerichtshof weiter – die Duldung der Maßnahme derzeit noch zumutbar sein und deshalb eine Duldungspflicht des Klägers begründen, könne die Klage gleichwohl nur als derzeit unbegründet abgewiesen werden, weil die Duldungspflicht zeitlich auf die Dauer der Freisetzungsphase begrenzt sei. Werde die Freisetzungsphase über die für die Erreichung der mit ihr verfolgten Zwecke erforderliche Zeit hinaus fortgesetzt, dann werde die Inanspruchnahme des Grundeigentums des Klägers unverhältnismäßig und damit unzumutbar i.S.v. § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG.
32Weil im Übrigen die Duldungspflicht aus § 65 BNatSchG voraussetze, dass die Freisetzungsphase auf der Grundlage eines wirksamen staatlichen Regelungskonzeptes erfolge, werde ggfls. die Wirksamkeit des öffentlich- rechtlichen Vertrages vom Senat zu überprüfen sein.
33Der Senat hat im Anschluss daran den Parteien mit Beschluss vom 12.03.2020 aufgegeben, zu diversen Punkten weiteren Vortrag zu halten. Unter anderem sollte der Beklagte dazu Stellung nehmen, ob und ggf. wann eine Beendigung der sog. Freisetzungsphase absehbar sei. Dem Kläger wurde aufgegeben, substantiiert unter Angabe der jeweiligen Schadenszeiträume und betroffenen Flurstücke seinen Schaden darzulegen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Hinweisbeschlusses des Senats vom 12.03.2020 Bezug genommen (Bl. 485 ff d.A.).
34Nach ergänzendem Vortrag der Parteien, dessentwegen auf die nachfolgende Darstellung sowie die diesbezüglichen Schriftsätze (Bl. 503, 514 ff. d.A.; Bl. 531 ff. d.A.) verwiesen wird, hat der Senat mit Verfügung vom 11.01.2021 Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und darauf hingewiesen, dass nach vorläufiger Einschätzung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schadenshöhe in Ansehung des bisherigen ergänzenden Vortrags des Klägers nicht in Betracht komme; der Kläger müsse die Beeinträchtigung seines Eigentums durch die Wisente eventuell aber deshalb nicht länger dulden, weil der Zweck der Freisetzungsphase (inzwischen) erreicht sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfügung vom 11.01.2021 verwiesen (Bl. 559 ff. d.A.).
35Der Beklagte trägt weiter wie folgt vor:
36Zum Ende der Freisetzungsphase könne noch nicht Stellung genommen werden. Der Zweck des am 08.04.2013 geschlossenen Vertrages sei bislang noch nicht eindeutig erfüllt. Soweit er zunächst Abweichendes vorgetragen habe, seien diese Äußerungen durchgängig im Zusammenhang mit der Frage, ob die Tiere bereits wildlebend bzw. herrenlos gewesen seien und daher die Zugriffsmöglichkeiten nach Maßgabe des § 44 Abs.1 BNatSchG begrenzt seien, gefallen. Für die Bewertung, ob die Voraussetzungen von § 65 BNatSchG erfüllt seien, sei daraus nichts herzuleiten. Er führe im Winter Fütterungsmaßnahmen durch und nehme dadurch eine Lenkung der Herde vor. Seine Aktivitäten zum Projektmanagement habe er keinesfalls eingestellt. Er verweist auf einen Bericht seiner Mitarbeiterin Frau L über die „Populationsentwicklung“ aus April 2020. Im Übrigen stelle sich die Frage, ob angesichts der vorliegenden Erkenntnisse aus der Freisetzungsphase Gründe für deren Verlängerung gegeben seien, nicht: Die Phase ende nach § 2 Abs. 3 des Vertrages durch einen neuen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Herrenlosigkeitsphase oder durch eine Erklärung, dass das Projekt gescheitert sei. Beides sei bislang nicht eingetreten. Weder er noch der Senat hätten die Befugnis, die Freisetzungsphase für beendet zu erklären.
37Er habe die Erfahrungen und Erkenntnisse über das Raum-Zeit-Verhalten während der Freisetzungsphase an die zuständige Koordinierungsgruppe und das Ministerium weitergegeben. Die Koordinierungsgruppe habe entschieden, ein Gutachten über die Ergebnisse der Freisetzungsphase und die Perspektiven für die Zukunft des Artenschutzprojektes zu erarbeiten. Gleichwohl sei – so hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 29.04.2021 zunächst vorgetragen – weiterhin beabsichtigt, eine Vereinbarung für eine dreijährige Übergangsphase –unter Einbeziehung weiterer Beteiligter, wie der Stadt Mund des N - zu schließen, etwa in Form einer Einzäunung in einem noch zu definierenden Gebiet. Während der Übergangsphase solle es bei der Regulierung von Wildschäden durch den Beklagten und den Schadensfonds verbleiben, und der Vertrag vom 08.04.2013 solle trotz des Erreichens der Ziele der Freisetzungsphase weiterhin Gültigkeit haben, um in die dann notwendige Entscheidungsphase einzutreten. Eine Entscheidung könne nur in der Eingatterung der Tiere, dem Abbruch des Projekts oder der Freisetzung bestehen. Auf den zeitnah zu erwartenden Abschluss der weitgehend abgestimmten Übergangsvereinbarung habe er keinen entscheidenden Einfluss mehr. Für Verzögerungen trage er keine Verantwortung.
38Das in Auftrag gegebene Gutachten sei – so der Beklagte im Senatstermin am 27.05.2021 – inzwischen fertig gestellt worden, es könne allerdings noch nicht veröffentlicht werden, sondern müsse erst umfassend geprüft werden. Spätestens zum 31.12.2021 solle die Entscheidung über die Fortführung oder den Abbruch des Projekts getroffen werden. Die Entscheidung sei allerdings eine politische, die er nicht mehr (maßgeblich) beeinflussen könne.
39Der Beklagte vertritt die Ansicht, der öffentlich-rechtliche Vertrag sei wirksam, da kein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 59 VwVfG NRW gegeben sei. Der Vertrag greife nicht in die Rechte zustimmungspflichtiger Dritter ein, weil ein Dritter einen VA gleichen Inhalts nicht hätte anfechten können. Weder im Hinblick auf § 40 Abs. 4 BNatSchG noch im Hinblick auf jagdrechtliche Gestattungen sei eine Anfechtung möglich.
40Eine FFH-Verträglichkeitsprüfung i.S.d. § 34 BNatSchG vor Vertragsschluss sei nicht erforderlich gewesen. Er behauptet insoweit, erhebliche Beeinträchtigungen potenziell betroffener Erhaltungsziele von Natura-2000-Gebieten hätten mit hinreichender Gewissheit ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden können. Im Vorfeld sei eine Vorprüfung durchgeführt worden, die ihrerseits nicht formalisiert sei. Das fehlende Erfordernis einer FFH-Verträglichkeitsprüfung folge schon daraus, dass die Beteiligten bei Abschluss des Vertrages davon ausgegangen seien, dass die Tiere im Projektgebiet gehalten werden könnten. Ohnehin sei ein Nebeneinander des Schutzes von Buchenwäldern und Wisenten in Wäldern wie dem des Klägers möglich und nötig. Ein gesteigerter Totholzanteil sei aus habitatschutzrechtlicher Perspektive wünschenswert. Geschützt sei nicht die einzelne Buche, sondern der Lebensraumtyp Buchenwald.
41Ohnehin lägen allenfalls, so meint der Beklagte, Verfahrensfehler vor, die nur unter den Voraussetzungen des § 59 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW und Aspekten des Drittschutzes Relevanz für das vorliegende Verfahren hätten.
42Der Beklagte beantragt,
43abändernd die Klage abzuweisen.
44Der Kläger beantragt,
45die Berufung zurückzuweisen.
46Im Wege der Anschlussberufung beantragt er,
47das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die von dem Beklagten am 11.04.2013 freigelassenen Wisente und deren Abkömmlinge die auf den klägerischen Waldgrundstücken der Gemarkung A, G1 und G2 wachsenden Bäume, insbesondere Buchen, durch Schälen der Baumrinde oder auf andere Weise beschädigen.
48Der Kläger macht geltend:
49Auf seinen betroffenen Waldflächen, die eine Größe von etwa 2,4 ha besäßen und zu denen auch das nunmehr klageerweiternd genannte Grundstück gehöre, das bislang versehentlich nicht explizit aufgeführt worden sei, stünden 425 Buchen mit der für die Schadensschätzung maßgeblichen BHD von mindestens 20 cm. Insgesamt besitze er etwa 8,2 ha Buchenwald; davon sei nur ein Areal mit rund 2,4 ha betroffen, auf dem die 425 Bäume stünden. Von diesen Bäumen seien 90 geschädigt, also mehr als 20%. Eine Aussage zum Verhältnis die geschädigten Bäume zu seinem gesamten Baumbestand, der sich auf eine Fläche von insgesamt 29,94 ha verteile, sei nicht möglich. Auf den Flächen, die nicht von den Wisenten betreten würden bzw. auf denen keine Buchen geschädigt worden seien, sei die Anzahl der Bäume nämlich nicht bekannt, sondern nur die Masse an Erntefestmetern, aus denen auch nicht auf die Anzahl der Bäume geschlossen werden könne.
50Die Schäden, die vom Sachverständigen H ermittelt worden seien, seien von dem Beklagten – unstreitig – ersetzt worden.
51Schäden an den Naturverjüngungen sowie Schäden infolge erhöhter Anfälligkeit der geschädigten Bäume gegen Pilzerkrankungen seien von den Entschädigungsleistungen aber ebenso wenig erfasst wie Schäden, die dadurch entstünden, dass die Naturverjüngung wegen einer Verlichtung des Bestandes und durch Fraßschäden nicht mehr erfolgen könne. Es sei davon auszugehen, dass von den bislang nicht geschädigten Buchen jährlich etwa weitere 10 Bäume beschädigt würden; das werde dazu führen, dass in kurzer Zeit jedenfalls die Hälfte der Altbuchen Schäden aufweisen werde.
52Diese Eigentumsbeeinträchtigung müsse er nicht dulden. Eine Duldungspflicht ergebe sich auch nicht aus § 65 BundesnaturschutzG, denn bei dem Projekt des Beklagten handele es sich nicht um eine Maßnahme des Naturschutzes, sondern um eine rein private Aktion naturschutzinteressierter Bürger. Der Vertrag vom 08.04.2013 sei als ein privatrechtlicher Vertrag zu seinen Lasten zu werten; mit ihm könne eine Duldungspflicht nicht begründet werden. Selbst wenn der Vertrag vom 08.04.2013 aber als öffentlich-rechtlicher Vertrag angesehen werde, bedürfe er für seine Wirksamkeit die Zustimmung des Klägers, die nicht erteilt sei. Und auch dann, wenn der Vertrag als Maßnahme iS von § 65 BNatSchG gewertet werde, müsse er, der Kläger, sie nicht dulden, denn sie führe zu einer für ihn unzumutbaren Beeinträchtigung. Die darin geregelte Freisetzungsphase, die inzwischen 8 Jahre dauere, werde vom Beklagten über Gebühr ausgedehnt; ihr vertraglich bestimmter Zweck sei lange erreicht. Das habe der Beklagte mehrfach im Verfahren zugegeben. Dass die am Vertrag beteiligten Personen offenbar unfähig seien, sich darauf zu einigen, ob das Projekt abgebrochen oder fortgesetzt werde, könne nicht zu seinen Lasten gehen.
53Der Beklagte beantragt,
54die Anschlussberufung zurückzuweisen.
55Er hält die Klageerweiterung für nicht sachdienlich und stimmt ihr nicht zu.
56Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2021 die Vorstandsmitglieder des Beklagten O und P sowie den Kläger persönlich angehört. Auf den entsprechenden Vermerk der Berichterstatterin wird Bezug genommen. Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
57B.
58Die zulässige Berufung des Beklagten erweist sich nach den ergänzenden Feststellungen des Senats unter Berücksichtigung des in dieser Sache am 19.07.2019 ergangenen Urteils des Bundesgerichtshofs als unbegründet. Die zulässige Anschlussberufung des Klägers ist hingegen begründet.
59I.
60Ausgehend von der – insoweit Bindungswirkung entfaltenden – Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.07.2019 (Az.: V ZR 175/17) steht dem Kläger gegen den Beklagten im Ausgangspunkt ein Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB zu, der darauf gerichtet ist, dass der Beklagte die Beschädigung der im Eigentum des Klägers stehenden Bäume auf den beiden streitbefangenen Grundstücken durch die Wisente durch geeignete Maßnahmen verhindert.
61Die Einbeziehung des erstinstanzlich nicht ausdrücklich im Klageantrag erwähnten Grundstücks G2 mit klageerweiterndem und als – zulässige - konkludente Anschlussberufung zu wertendem Schriftsatz des Klägers vom 04.03.2021 (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.04.2019, Az.: VIII ZR 12/18 in NJW 2019,2308) ist gemäß § 264 Nr. 2 ZPO ohne weiteres zulässig; auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 533 ZPO kommt es nicht an.
62II.
63Der Kläger muss die Eigentumsbeeinträchtigung durch die Wisente, für die der Beklagte als (mittelbarer) Handlungsstörer nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 19.07.2019 verantwortlich ist, nicht (mehr) dulden.
641.
65Eine Duldungspflicht folgt nicht aus § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG. Danach haben Eigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte von Grundstücken Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auf Grund von Vorschriften dieses Gesetzes, aufgrund von Rechtsvorschriften, die auf Grund dieses Gesetzes erlassen worden sind oder fortgelten, oder aufgrund von Naturschutzrecht der Länder zu dulden, soweit dadurch die Nutzung des Grundstücks nicht unzumutbar beeinträchtigt wird.
66a.
67Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner zurückverweisenden Entscheidung festgestellt, dass es sich bei der in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 08.04.2013 geregelten Freisetzungsphase um eine Maßnahme des Naturschutzes auf Grund der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes handelt. Die dagegen von dem Kläger vorgetragenen Ausführungen bedürfen keiner Vertiefung, weil der Senat an diese Feststellung nach § 563 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Die Frage, ob eine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 BGB, § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG besteht, war entscheidungskausal. Läge die zentrale Eingangsvoraussetzung des § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG – nämlich hier: Freisetzungsphase als Maßnahme des Naturschutzes – nicht vor, hätte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung keine denkbare Duldungspflicht aus § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG herleiten können.
68b.
69Eine Pflicht des Klägers zur Duldung von naturschutzrechtlichen Maßnahmen aus § 65 Abs. 1 BNatSchG besteht im Streitfall allerdings nicht (mehr), weil durch die Maßnahmen die Nutzung des Grundstücks unzumutbar beeinträchtigt wird.
70aa.
71Wann sich eine auferlegte Duldungspflicht als unzumutbare Belastung des Berechtigten darstellt, ist eine anhand der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls zu beantwortende Frage. So sind Maßnahmen des Naturschutzes auf Grundstücken, die in besonderen Schutzgebieten nach den §§ 22 ff. BNatSchG liegen und damit ohnehin bereits in besonderem Maße dem Naturschutz dienen, in größerem Umfang zu dulden als bspw. auf Grundstücken, die wirtschaftlich genutzt werden. Allgemein wird eine Unzumutbarkeit erst bei einer erheblichen Erschwerung der Nutzung oder einer mehr als unerheblichen Reduzierung eines aus der Nutzung zu ziehenden Ertrags angenommen (BeckOK UmweltR, 58. Edition, Rdnr. 6 zu § 65 BNatSchG (Teßmer)). Die Grenze liegt bei einem Ausmaß an Belastung, das sich nicht mehr als Ausprägung der sozialen Bindung des Eigentums erweist. Gegenüber Maßnahmen, die aus eigentumsrechtlicher Sicht nicht mehr hinzunehmen sind, besteht keine Duldungspflicht.
72bb.
73Ein solcher Fall liegt hier vor.
74Dabei unterstellt der Senat zu Gunsten des Beklagten, dass die Schäden am Baumbestand des Klägers und die damit verbundene wirtschaftliche Belastung unter Berücksichtigung der Entschädigungsleistungen eine Unzumutbarkeit nach dem vorstehend dargestellten Maßstab nicht begründen können, weshalb es einer Aufklärung der genauen Schadenshöhe durch ein Sachverständigengutachten nicht bedarf.
75Denn die Unzumutbarkeit der (weiteren) Duldung durch den Kläger folgt jedenfalls aus dem zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablauf sowie dem Umstand, dass der mit der Freisetzungsphase erfolgte Zweck erreicht ist.
76(1)
77Entgegen der vom Beklagten im Senatstermin am 27.05.2021 vertretenen Rechtsansicht ist das Merkmal der Unzumutbarkeit nicht nur und auch nicht grundsätzlich vorrangig an wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu messen.
78Das folgt bereits aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs in dem Parallelverfahren 5 U 156/15 = V ZR 177/17 vom 19.07.2019, auf das der Bundesgerichtshof in seinem im vorliegenden Verfahren ergangenen Urteil verwiesen hat (Rdnr. 8, Seite 7 BGH-U). Der Bundesgerichtshof hat in dem im Parallelverfahren ergangenen Urteil zwar ausgeführt, dass im Ausgangspunkt die Beantwortung der Frage nach der (Un-)Zumutbarkeit einer Maßnahme des Naturschutzes eine Feststellung der wirtschaftlichen Schäden anhand einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der beklagtenseits geleisteten Entschädigungen erfordert (Rdnr. 43 des Urteils im Verfahren V ZR 177/19). Im unmittelbaren Anschluss daran (Rdnr. 44 des Urteils im Verfahren V ZR 177/19) hat der Bundesgerichtshof indessen ausdrücklich darauf verwiesen, dass selbst bei einer unter diesem Gesichtspunkt zu bejahenden Zumutbarkeit der Maßnahme die Klage gleichwohl nur als derzeit unbegründet abgewiesen werden könne, weil die Freisetzungsphase von vornherein auf einen begrenzten Zeitraum angelegt sei und auch nicht über Gebühr ausgedehnt werden dürfe. Damit wird klargestellt, dass es im Fall der Überschreitung der zeitlichen Grenzen der Duldungspflicht auf die Frage der wirtschaftlichen (Un-)Zumutbarkeit nicht ankommt.
79(2)
80Der im Senatstermin vom 27.05.2021 geäußerten Auffassung des Beklagten, der zeitlichen Komponente komme im Rahmen der Bewertung der Zumutbarkeit keine Bedeutung zu, wenn keine oder aber hinzunehmende wirtschaftliche Einbußen auf Klägerseite eingetreten seien, weswegen diese zwingend zunächst ermittelt werden müssten, ist nicht zu folgen.
81Diese Einschätzung lässt sich bereits mit den Ausführungen des Bundesgerichtshofs unter Rdnr. 44 des im Parallelverfahren ergangenen Urteils nicht in Einklang bringen, wonach die Inanspruchnahme des klägerischen Eigentums „jedenfalls“ – und damit unabhängig vom Umfang wirtschaftlicher Einbußen – unzumutbar wird, wenn die Freisetzungsphase über Gebühr ausgedehnt wird.
82Der Beklagte verkennt darüber hinaus, dass auch bei einer – unterstellten – wirtschaftlichen Kompensation der Schäden die von ihm zu verantwortende Eigentumsbeeinträchtigung durch das Schälen des klägerischen Baumbestandes durch die Wisente fortdauert. Erst auf Sekundärebene erfolgt eine Kompensation, die den Eigentumseingriff nicht ungeschehen macht. Diese fortgesetzte Eigentumsbeeinträchtigung wirkt umso schwerer, je länger sie andauert. Mit zunehmender Dauer kommt einer finanziellen Entschädigung im Rahmen der Abwägung eine kontinuierlich abnehmende Bedeutung zu, wohingegen das zunächst zu Beginn der Maßnahme zu vernachlässigende Kriterium der zeitlichen Dauer stetig an Bedeutung gewinnt. Denn die finanzielle Entschädigung vermag den Eingriff in andere, aus § 903 BGB resultierende Befugnisse des Klägers, die er vorliegend durch die Ergreifung des Primärrechtsschutzes gerade schützen will, nur unzureichend oder gar nicht zu kompensieren. So bleibt bei einer rein wirtschaftlichen Betrachtung im Sinne des „dulde und liquidiere“ die in § 903 BGB angelegte, eigentumsspezifische Freiheit des Klägers unberücksichtigt. Neben dem Umstand, dass die Waldflächen die Existenzgrundlage des klägerischen Forstbetriebes darstellen, liegt ein Affektionsinteresse ebenso nah wie ein Interesse daran, die Waldflächen potenziellen Erben bzw. Rechtsnachfolgern intakt zur Verfügung zu stellen.
83Das bliebe unberücksichtigt, wenn die zeitliche Komponente erst und nur dann in die Bewertung einflösse, wenn die wirtschaftlichen Einbußen des Klägers unter Berücksichtigung der Entschädigungsleistungen des Beklagten ein nicht mehr hinnehmbares Ausmaß angenommen hätten.
84(3)
85Die Bedeutung der zeitlichen Komponente wird auch durch die in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag getroffenen Regelungen untermauert.
86Denn die die Duldungspflicht des Klägers – ggfls. – begründende Freisetzungsphase ist darin von vornherein nur auf einen begrenzten Zeitraum angelegt. Sie sollte dazu dienen, Erfahrungen darüber zu sammeln, wie sich die ausgesetzten Wisente in Freiheit verhalten. Um ausreichende Erkenntnisse über das Raum-Zeit-Verhalten der Wisente und die Auswirkungen auf den Natur- und Artenschutz sowie die öffentliche Sicherheit zu gewinnen, ist für die Freisetzungsphase ein Zeitrahmen von mehreren Jahren eingeräumt worden (§ 2 Abs.1, Abs. 3 des öffentlich-rechtlichen Vertrages). Hieran sollte sich die Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse anschließen und dann entweder das Projekt beendet oder das für die endgültige Wiederansiedlung notwendige Verfahren eingeleitet und eine neue rechtliche Grundlage geschaffen werden (§ 10 des Vertrages vom 08.04.2013).
87Eine Übergangsphase oder ein schlichtes Fortsetzen der Freisetzungsphase über den Zeitpunkt ausreichenden Erkenntnisgewinns hinaus ist im Vertrag nicht vorgesehen.
88(4)
89Nach diesen Grundsätzen ist eine – unterstellte – Duldungspflicht des Klägers aus § 65 Abs. 1 BNatSchG inzwischen entfallen, denn die mit der Freisetzungsphase verfolgten Ziele sind de facto – auch nach dem eigenen Vortrag des Beklagten – erreicht worden, und ein Fortsetzen dieser Phase des Projektes ist für die Realisierung nicht mehr erforderlich. Auch eine dem Beklagten zuzubilligende Übergangsfrist für die Vorbereitung und Umsetzung der im Anschluss an die Freisetzungsphase zu treffenden Entscheidungen wäre nach Auffassung des Senates inzwischen abgelaufen. Mit der Fortsetzung des Projektes auf der Grundlage des Vertrages vom 08.04.2013 wird die Freisetzungsphase deshalb über Gebühr ausgedehnt.
90(a)
91Schon nach eigenem Vortrag des Beklagten sind die mit der Freisetzungsphase verfolgten Ziele seit langem erreicht.
92Bereits mit der Klageerwiderung vom 10.10.2014 hat der Beklagte ausdrücklich vorgetragen, dass der „mit der Freisetzungsphase gemäß § 2 Abs. 3 des öffentlich-rechtlichen Vertrages angestrebte Zweck der Auswilderung der Wisente […] tatsächlich inzwischen erreicht“ sei. Nach seiner Darstellung stand die Freisetzungsphase bereits zu dem damaligen Zeitpunkt „vor dem Abschluss“, weshalb sich die Koordinierungsgruppe im Oktober 2014 erneut zusammensetzen werde, um die Ergebnisse der Freisetzung zu bewerten. Mit Schriftsatz vom 07.09.2016 hat er vorgetragen, dass seit dem Sommer 2016 keine Möglichkeit mehr bestehe, den Standort der Tiere nachzuvollziehen und lenkend Einfluss zu nehmen. Das steht in Einklang mit seiner Einschätzung, dass die Tiere zu diesem Zeitpunkt bereits faktisch ausgewildert gewesen seien und weitere Erkenntnisse vor einer Auswilderung nicht mehr erzielt werden würden bzw. müssten.
93Folgerichtig hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in der (ersten) mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 15.09.2016 ausdrücklich die Erklärung abgegeben, „die Freisetzungsphase [sei] inzwischen erfolgreich abgeschlossen“.
94Die Klarstellung des Beklagten im Schriftsatz vom 29.04.2021, dass sich „alle Beteiligten (…) bereits heute darüber einig (seien), dass der öffentlich-rechtliche Vertrag vom 08.04.2013 trotz des Erreichens der Ziele der Freisetzungsphase auch weiterhin Gültigkeit haben soll (…)“ lässt ebenso wie die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 27.05.2021 von dem Vorstandsvorsitzenden P des Beklagten getätigte Äußerung, es bedürfe weiterer Erkenntnisse aus der Freisetzungsphase nicht, und das Projekt sei „entscheidungsreif“, bei verständiger Würdigung keinen Zweifel daran, dass der im Vertrag vom 08.04.2013 vorgesehene Zweck der Freisetzungsphase (lange) erreicht ist.
95Daran ändert auch nichts, dass der Beklagte mit Schriftsatz vom 11.05.2020 in Beantwortung der Fragen aus dem Senatsbeschluss vom 12.03.2020 mitgeteilt hat, es sei (doch) noch nicht absehbar, wann die Freisetzungsphase beendet sei. Dieser Einschätzung des Beklagten folgt der Senat nicht. Sie steht in offenem Widerspruch zu den vorangehenden Äußerungen der Jahre 2014 und 2016 und ist auch mit der weiteren Vorgehensweise der Projektbeteiligten nicht in Einklang zu bringen: Mit allen Beteiligten soll nach Darstellung des Beklagten derzeit eine neue Regelung über eine die Freisetzungsphase offiziell ablösende „Übergangsphase“ beraten werden. Dieser Umstand belegt aber, dass aus Sicht aller Projektbeteiligten die Ziele der Freisetzungsphase erreicht sind und diese abgeschlossen ist; ansonsten wäre keine Notwendigkeit gegeben, eine Einigung über eine wie auch immer inhaltlich ausgestaltete „Übergangsphase“ anzustreben und durch Gutachten, zu deren Inhalt und Bedeutung für die Freisetzungsphase nichts Näheres vorgetragen ist, vorzubereiten.
96(b)
97Die Erklärungen des Beklagten zum Abschluss der Freisetzungsphase stehen auch im Einklang mit objektiven Umständen, die zur Überzeugung des Senats belegen, dass die mit der Freisetzungsphase verfolgten Ziele seit Jahren tatsächlich erreicht sind.
98(aa)
99Bereits die objektive Zeitdauer von nun mehr als acht Jahren seit der Freilassung der Wisente am 11.04.2013 lässt bei einem aus mehreren Stufen bestehendem Projekt, bei dem die Freisetzungsphase lediglich eine Zwischenstufe darstellt, eine Zweckerreichung als naheliegend erscheinen. Neben dem reinen Zeitablauf spricht hierfür auch die Aussage der von dem Senat als Zeugin vernommenen Biologin J, die das Projekt im Oktober 2015 verlassen hat. Sie hat bereits in ihrer Aussage vom 15.09.2016 hervorgehoben, dass die Wisente auf ihren Streifzügen lediglich sporadisch „alle paar Monate“ überhaupt in dem Managementgebiet vorbeikämen. In Verbindung mit ihrer weiteren Aussage, wonach seinerzeit keine ganzjährige Fütterung und keine veterinärmedizinische Untersuchung durchgeführt wurden und zugleich ein verändertes Umgangsverhalten – die Zeugin umschrieb dies u.a. damit, dass die Tiere „deutlich wilder“ geworden seien – zu konstatieren war, lässt sich der Schluss ziehen, dass bereits zu diesem Zeitpunkt ausreichende Erkenntnisse über das Verhalten der Wisente in Freiheit sowie über ihr Raum-Zeit-Verhalten vorlagen. In die gleiche Richtung deuten das Ergänzungsgutachten des I vom 30.09.2015, in dem entsprechende Erfahrungen niedergelegt sind, und der darin enthaltene Verweis auf einen Zwischenbericht von Frau J zur wissenschaftlichen Begleitung des Vorhabens „Wisente im Rothaargebirge für den Zeitraum 01.05.2014 bis 31.01.2015“. Die zwingende Notwendigkeit einer weiteren wissenschaftlichen Begleitung nach dem Ausscheiden von Frau J im Oktober 2015 ist im Anschluss von dem Beklagten offenbar nicht gesehen worden, jedenfalls wurde die Neubesetzung nach Aktenlage nicht vorrangig verfolgt: Die Stelle war über einen Zeitraum von rund 1 ½ Jahren vakant. Das lässt die Annahme zu, dass die wissenschaftliche Datenerhebung zu diesem Zeitpunkt kein vorrangiges Ziel mehr war, für das finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Das Verhalten des Beklagten dokumentiert, dass er eine wissenschaftliche Begleitung des Projektes und auch eine veterinärmedizinische Betreuung der von ihm selbst als herrenlos und wild lebend eingestuften Tiere über einen längeren Zeitraum nicht für erforderlich gehalten hat. Die veterinärmedizinische Betreuung der Wisente wurde, wie der Beklagte im Senatstermin erläutert hat, erst im Anschluss an die BGH-Urteile vom 19.07.2019 wieder aufgenommen. Wenn – wie der Beklagte mit Schriftsatz vom 11.05.2020 gemeint hat – die Ziele der Freisetzungsphase noch (immer) nicht erreicht wären, hätte der Beklagte die ihm in dieser Phase obliegenden Aufgaben über einen längeren Zeitraum nicht wahrgenommen; dann läge es nahe, dass bereits hierdurch die Freisetzungsphase über Gebühr verlängert worden ist.
100(bb)
101Der von dem Beklagten zur Akte gereichte Bericht „Wisente im Rothaargebirge – Populationsentwicklung und Management 2017 – 2020“ von Frau L, mit der nach längerer Vakanz die Stelle von Frau J im Frühjahr 2017 doch wieder besetzt wurde, belegt ebenfalls, dass die mit der Freisetzungsphase verfolgten Ziele erreicht sind. Der Bericht knüpft – in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Frau J – nicht an eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Raum-Zeit-Verhaltens der Wisente, sondern an andere Aspekte an. Ihm lässt sich entnehmen, dass Forschungen koordiniert werden, die die „Schälschadenproblematik“ beleuchten. Diese Problematik ist aber, wie das vorliegende Verfahren verdeutlicht, hinreichend bekannt und steht mit dem eigentlich vorrangigen Projektziel, nämlich der Sammlung von Erkenntnissen über das Raum-Zeit-Verhalten der Tiere, in keinem unmittelbaren Zusammenhang. Zu dem zentralen Aspekt der Raumnutzung liegen – das lässt sich dem Bericht von Frau L entnehmen – bereits umfangreiche Erkenntnisse vor. Dass insoweit noch weitergehende Erkenntnisse zu erwarten sind oder gar für eine finale Entscheidung über die Fortführung des Projekts benötigt werden, ist nicht ersichtlich und letztlich auch nicht vorgetragen.
102(c)
103Allein der Umstand, dass der öffentlich-rechtliche Vertrag formal noch nicht beendet wurde, vermag bei einer nach dem Vorgesagten faktisch abgeschlossenen Freisetzungsphase keine Duldungspflicht des Klägers zu begründen.
104Der Bestand des öffentlich-rechtlichen Vertrages ist zwar Voraussetzung für die Begründung einer Duldungspflicht der in ihrem Eigentum beeinträchtigten Waldbauern. Für den Fortbestand der Duldungspflicht ist aber entscheidend, ob die Fortführung der Freisetzungsphase für die Erreichung der mit ihr verfolgten Zwecke weiterhin notwendig ist. Denn das in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag verankerte konkrete staatliche Regelungskonzept, auf welches der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung in dem vorliegenden und dem Parallelverfahren rekurriert, kann nur dann taugliche Grundlage für die Rechtfertigung eines Eingriffs in fremdes Eigentum sein, wenn es auch (weiterhin) tatsächlich umgesetzt wird und nicht sein Zweck bereits erreicht ist. Eine solche Sichtweise ist dem Begriff des konkreten staatlichen Regelungskonzeptes bereits immanent. Sie wird letztlich auch von § 65 BNatSchG getragen, der vom Grundsatz her auf behördliche Maßnahmen zugeschnitten ist. Solche Maßnahmen sind ihrem Wesen nach auf Vollzug ausgerichtet und könnten nicht mehr mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, wenn die zu erzwingende Verpflichtung bereits vollständig erfüllt ist. Für ein auf vertraglicher Grundlage realisiertes staatliches Regelungskonzept, dessen Zweck erreicht ist, kann aber nichts anderes gelten.
105Soweit der Beklagte im Senatstermin die Einschätzung geäußert hat, eine solche Sichtweise bedinge ohne weiteres die Unwirksamkeit des Vertrages und lasse wechselseitige Pflichten der Vertragspartner entfallen, schließt der Senat sich dem nicht an. Die Zweckerreichung – und damit der Wegfall der Duldungspflicht des am Vertrag nicht beteiligten Klägers – hat auf den formalen Fortbestand des Vertrages keinen Einfluss. Bei seiner Argumentation verkennt der Beklagte, dass im vorliegenden Rechtsstreit allein der Schutz der im Eigentum der Kläger stehenden Bäume streitgegenständlich ist. Die Notwendigkeit, geeignete Maßnahmen zu diesem Schutz zu ergreifen, führt weder zu einer Unwirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags noch zwangsläufig zu einer Beendigung des Projektes. Denn seitens des Beklagten und der übrigen am Projekt Beteiligten sind in den letzten Jahren verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen worden, um den Aktionsradius der Wisente ganz erheblich einzuschränken. So teilte die so genannte Koordinierungsgruppe im März 2019 mit, es werde eine Übergangslösung angestrebt, wonach das Projektgebiet künftig eine Fläche von nur noch 1.500 ha umfassen sollte. Die Wisente sollten durch „geeignete Maßnahmen“ (Lenkungsfütterung, Zäune) dazu gebracht werden, ihr Streifgebiet auf das Projektgebiet zu beschränken. Erörtert wurden auch noch weitergehende Verkleinerungen des Projektgebietes. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat jedenfalls nicht für ausgeschlossen, dass – und sei es für eine Übergangsphase bis zu einer endgültigen Entscheidung über die Fortführung des Projektes – effektive Maßnahmen zum Schutz der Grundstücke des Klägers möglich sind, ohne das Projekt als solches zu gefährden.
106(d)
107Der Annahme, dass die Fortsetzung der Freisetzungsphase für die Erreichung der mit ihr nach dem Vertrag vom 08.04.2013 verfolgten Zwecke nicht mehr erforderlich ist, steht auch nicht entgegen, dass den Projektbeteiligten ein gewisser Zeitraum für die finale Entscheidung über das weitere Schicksal des Projekts eingeräumt werden muss. Bei der Bewertung, welcher zeitliche Rahmen insoweit angemessen ist, muss in den Blick genommen werden, dass der Beklagte selbst nur ein Mitglied des Projektteams ist und insgesamt, auch in Bezug auf die betroffenen Gemeinden, vielschichtige (politische) Interessen zu einem Ausgleich zu bringen sind. Dass damit schwierige Vertragsverhandlungen wegen der sich teils diametral gegenüberstehenden Positionen einhergehen, liegt auf der Hand und wurde von dem Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch plastisch mit den Worten umschrieben, dass er „zwischen den Stühlen“ sitze. Auf der anderen Seite sind aber die Auswirkungen der Fortsetzung der Freisetzungsphase auf die Waldbauern in den Blick zu nehmen, die weiter in ihrem Eigentumsrecht beeinträchtigt und auf die Geltendmachung von Sekundäransprüchen verwiesen werden. Damit und mit der Natur des öffentlich-rechtlichen Vertrages und den dort in §§ 2, 10 enthaltenen Regelungen ist eine unbegrenzte Ausdehnung der Entscheidungsphase nicht zu vereinbaren.
108Genau das nimmt der Beklagte in der Gesamtschau aber für sich in Anspruch:
109Wird an die oben dargestellten Erklärungen des Beklagten aus den Jahren 2014 und 2016 angeknüpft, stand dem Beklagten und den anderen Projektbeteiligten bereits ein Zeitraum von rund fünf Jahren zur Verfügung, in dem nach Erreichen des Zwecks der Freisetzungsphase eine abschließende Entscheidung hätte getroffen werden können. Gründe, warum noch ein weiterer Zeitraum zu Lasten des Klägers und der anderen geschädigten Waldbesitzer einzuräumen sein soll, sind weder ersichtlich noch mit Substanz vorgetragen. Allein unterschiedliche politische Vorstellungen vermögen eine solch extensive Ausdehnung zum Nachteil des Klägers nicht zu begründen.
110Selbst wenn nicht an die Erklärungen des Beklagten aus 2014 und 2016, sondern an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.07.2019 angeknüpft wird, in dem sich der klare Hinweis auf eine Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des klägerischen Eigentums im Falle einer Ausdehnung der Freisetzungsphase über Gebühr findet, sind seither erneut rund zwei Jahre vergangen. Dem Beklagten war positiv bekannt, dass die Freisetzungsphase auf der Grundlage des Urteils des Bundesgerichtshofs nicht „unendlich weitergeführt werden darf“; das hat er ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eingeräumt. Es hätte sich für alle Projektbeteiligte aufgedrängt, zeitnah nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs die Beratungen zu forcieren und zu einer Entscheidung für oder gegen die Fortsetzung des Projekts zu gelangen. Dass dies – aus welchen Gründen auch immer – nicht gelungen ist, wirkt sich zu Lasten des Beklagten aus.
111Bei der Bewertung, welcher Zeitraum dem Beklagten und den anderen Projektbeteiligten nach dem Erreichen der Ziele der Freisetzungsphase für die endgültige Entscheidung zuzubilligen ist, darf im Übrigen das sonstige Verhalten des Beklagten nicht außer Acht gelassen werden. Aus Sicht des Senats macht es für die Bewertung, ob dem Beklagten und den anderen Projektbeteiligten ein ggf. längerer oder kürzerer Zeitraum zuzubilligen ist, einen Unterschied, ob sich die in der Vergangenheit getätigten Äußerungen zur Zukunft des Projekts als valide oder wenig tragfähig erwiesen haben. Letzteres ist vorliegend der Fall. Die Angaben des Beklagten haben sich in verschiedener Hinsicht als nicht belastbar erwiesen. Seine Ankündigungen zu einer finalen Entscheidung über das weitere Schicksal des Projektes wurden wiederholt nicht eingehalten. Zuletzt hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 11.05.2020 angekündigt, dass bis zum 31.03.2021 ein Gutachten vorgelegt werden solle, auf dessen Grundlage sodann eine Entscheidung über die Fortführung getroffen wird. Das in Bezug genommene Gutachten – von dem nicht einmal die konkrete Aufgabenstellung bekannt gemacht worden ist – liegt bis heute weder dem Senat noch der Öffentlichkeit vor, auch wenn es inzwischen erstellt worden sein soll. Die kurz vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz des Beklagten vom 18.05.2021 vorgetragene Ankündigung, das Gutachten werde am 25.05.2021, d.h. kurz vor dem Senatstermin, der Öffentlichkeit vorgestellt, erwies sich ebenfalls als unrichtig. Denn die einige Tage später eingereichte Pressemitteilung des Kreises D enthält lediglich die Aussage, dass über die politische Zukunft des Projekts noch im Jahr 2021 entschieden werden und das Gutachten zunächst intern geprüft werden solle.
112Auch bezüglich der avisierten Zeitspanne, die für die finale Entscheidung noch zu veranschlagen war, war der Vortrag des Beklagten nicht durch Konstanz geprägt: Mit Schriftsatz vom 29.04.2021 hat der Beklagte die Vereinbarung über eine immerhin dreijährige Übergangsphase angekündigt, die ggf. noch um eine dreijährige Entscheidungsphase verlängert werden soll. In der mündlichen Verhandlung hieß es abweichend davon, dass „wohl noch Ende 2021 eine Entscheidung fallen soll“. Auch diese Aussage enthält wegen der zahlreichen Unwägbarkeiten keine verlässliche Zeitbestimmung; es handelt sich eher um eine bloße Absichtserklärung, deren Umsetzbarkeit angesichts der teilweise gegenläufigen Interessen der ggf. an einer Folgevereinbarung Beteiligten schon im Ausgangspunkt zweifelhaft erscheint. Die dargestellten Ankündigungen und Absichtserklärungen des Beklagten und der übrigen am Projekt Beteiligten und auch die zeitweilige Einstellung der wissenschaftlichen Betreuung und veterinärmedizinischen Versorgung durch den Beklagten lassen nach Einschätzung des Senates ein – letztlich mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 08.04.2013 begründetes – konkretes staatliches Regelungskonzept als Voraussetzung einer Duldungspflicht nach § 65 BNatSchG kaum noch erkennen. Bis heute existieren weder ein plausibles Weiterführungskonzept noch ein konkreter oder gar verbindlicher Zeitplan, weshalb zum heutigen Zeitpunkt im Falle der Fortführung des Projektes weder eine Beendigung der Eigentumsbeeinträchtigung der Kläger noch die Errichtung einer anderen Rechtsgrundlage – durch Abschluss und Umsetzung eines Folgevertrags über die „Herrenlosigkeitsphase“ – absehbar wäre.
1132.
114Auch die gegenwärtig von der Projektgruppe beabsichtigte Übergangsvereinbarung begründet keine Pflicht des Klägers, die Eigentumsbeeinträchtigung durch die Wisente weiter zu dulden.
115Die Übergangsvereinbarung ist derzeit nicht existent; ob es überhaupt zu einer solchen Vereinbarung kommt, ist offen. Der Umstand, dass eine solche Übergangsvereinbarung in dem öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 08.04.2013 nicht angelegt ist, bedarf schon deshalb keiner näheren rechtlichen Bewertung durch den Senat. Ob sich aus einer etwaigen „Übergangsvereinbarung“ in der Sache überhaupt eine Duldungspflicht ableiten lässt – ein konkretes staatliches Regelungskonzept, welches in der Übergangsphase realisiert werden soll und sich ebenfalls an § 65 BNatSchG messen lassen müsste, ist nicht vorgetragen – kann daher ebenfalls offen bleiben.
1163.
117Entgegen der vom Beklagten im Senatstermin geäußerten Rechtsauffassung war der Senat durch die Vorgaben in den Entscheidungsgründen der Urteile des Bundesgerichtshofs vom 19.07.2019 nicht daran gehindert, die vorliegende Sachentscheidung zu treffen. Die Formulierung in dem Urteil des Bundesgerichtshofs im Verfahren V ZR 177/17 (Rdnr. 43), wonach der Senat zunächst mit sachverständiger Hilfe feststellen müsse, wie gravierend die Schäden auf Klägerseite seien, dient nicht der Begründung der Aufhebung des Senatsurteils vom 29.05.2017 und unterliegt nicht der Bindungswirkung des § 563 Abs. 2 ZPO.
118Dass die Fortsetzung der Freisetzungsphase über die für die Zweckerreichung erforderlich Zeit hinaus den Wegfall der Duldungspflicht zur Folge haben kann, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich als zu berücksichtigenden Aspekt benannt, für den es – wie dargelegt – der vorangehenden Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht bedarf. Die Möglichkeit, dass der Zweck der Freisetzungsphase bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesgerichtshofs erreicht sein oder zeitnah danach erreicht werden könnte, wird durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.07.2019 keinesfalls ausgeschlossen. Der Senat hatte in seinem Urteil vom 29.05.2017 zur Frage der Zweckerreichung der Freisetzungsphase keine Feststellungen getroffen und den diesbezüglichen – oben dargestellten – Vortrag des Beklagten nicht thematisiert, so dass der Bundesgerichtshof keinen Anlass hatte, diese Möglichkeit zu erörtern.
119C.
120Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Der Senat hatte zwischen den Kosten der ersten und zweiten Instanz sowie den Kosten des Revisionsverfahrens wegen der teils unterschiedlichen Streitgegenstände zu differenzieren. Den ursprünglichen Klageantrag zu 2) hatte das Landgericht ebenso wie den Feststellungsantrag zu Ziffer 3) bereits in erster Instanz rechtskräftig abgewiesen. Mit dem Klageantrag zu 1) war der Kläger letztlich erfolgreich. Ausgehend von der am Interesse des Klägers orientierten Streitwertfestsetzung des Landgerichts ist die aus dem Tenor ersichtliche Quote gerechtfertigt.
121Der Streitwert für die zweite und dritte Instanz orientiert sich am Abwehrinteresse des Beklagten und war auch nach der Klageerweiterung auf bis zu 45.000,00 € festzusetzen. Die Kosten der Berufungsinstanz und des Revisionsverfahrens hat der Beklagte vollständig zu tragen.
122Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt hinsichtlich der Hauptsache aus § 709 S. 1 ZPO, im Übrigen aus § 709 S. 1, 2. Der Senat bewertet die Streitigkeit als eine im Kern nicht vermögensrechtliche Streitigkeit.
123Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen. Zum einen hat die Sache grundsätzliche Bedeutung und zum anderen erscheint eine Revisionsentscheidung zur Fortbildung des Rechts sachgerecht. Die Beurteilung, wann und in welchem Umfang eine auf der Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages beruhende Maßnahme des Naturschutzes durch Zeitablauf keine Duldungspflicht i.S.d. § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG auslöst, ist höchstrichterlich ungeklärt.
124D.
125Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 45.000 € festgesetzt.
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- Urteil vom Bundesgerichtshof (5. Zivilsenat) - V ZR 177/17 2x
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- § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG 7x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 533 Klageänderung; Aufrechnungserklärung; Widerklage 1x
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