Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (12. Zivilsenat) - 12 Wf 105/20

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg – Harburg vom 6. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Kindesmutter verfolgt im Beschwerdeverfahren ihren Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein Sorgerechtsverfahren erster Instanz weiter.

2

Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten. Aus der Ehe sind der 6-jährige K. und der 4-jährige A. hervorgegangen. Zwischen ihnen sind und waren zahlreiche Umgangs- und Sorgerechtsverfahren anhängig.

3

Im Jahr 2018 leitete die Antragstellerin ein Sorgerechtsverfahren (Az. 637 F 127/18) ein. Dieses wurde mit einer gerichtlich protokollierten Einigung der Eltern beendet. Danach bestand Einigkeit zwischen den Eltern, dass sie das Sorgerecht weiterhin gemeinsam ausüben. Weiter erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin eine Vollmacht für die Bereiche Gesundheitssorge und Kindergarten. Schließlich verpflichteten sich die Eltern an einer Erziehungsberatung teilzunehmen.

4

Unter dem 22. November 2019 beantragte die Antragstellerin erneut, ihr die elterliche Sorge zu übertragen (Az. 637 F 156/19). Die Kindeseltern hätten keinerlei Beziehungs-, Kommunikations- und Kooperationsbasis. Die Antragstellerin könne sich nicht auf den Antragsgegner verlassen. Es habe immer wieder das Problem gegeben, dass die Antragstellerin hinter dem Antragsgegner hergelaufen sei. Zwischenzeitlich sei der Antragsgegner in die Nähe von Basel gezogen. Dies erschwere die Ausübung des Sorgerechts zusätzlich. Die bisherige Vollmacht sei nicht ausreichend. Sie decke nur Teilbereiche ab. Die Beteiligten schlossen in der mündlichen Verhandlung am 2. Januar 2020 zur Erledigung des Verfahrens einen erneuten Vergleich. Danach bestand Einigkeit zwischen den Eltern, dass sie das Sorgerecht weiterhin gemeinsam ausüben. Der Antragsgegner erteilte der Antragstellerin eine erweiterte Vollmacht und es wurde bekräftigt, dass der Lebensmittelpunkt der Kinder bei der Antragstellerin ist.

5

Unter dem 29. Juni 2020 beantragte die Antragstellerin ihr erneut das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu übertragen und beantragte für die Durchführung des Verfahrens die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Zur Begründung wurde wiederum auf die fehlende Kommunikationsebene der Eltern verwiesen. Es bestehe ein fortdauernder Konflikt. Der Vater sei nicht bereit an der Situation zu arbeiten und die Kommunikation zu verbessern. Die Erziehungsberatung nehme er nicht wahr. Es sei ihr mit der Vollmacht nicht gelungen ein Konto für die Kinder zu eröffnen.

6

Das Familiengericht hat den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit Beschluss vom 6. Juli 2020 zurückgewiesen. Eine Sorgerechtsübertragung sei aufgrund der vom Antragsgegner erteilten Vollmacht nicht erforderlich. Die Antragstellerin habe keine wesentlichen Umstände vorgetragen, aus denen sich ergebe, dass es ihr nicht möglich sei, die elterliche Sorge entsprechend dem Wohl der Kinder auszuüben. Soweit es ihr nicht gelungen sei ein Konto für die Kinder zu eröffnen habe sie nicht vorgetragen, dass sie erfolglos versucht habe sich an den Vater zu wenden.

7

Gegen die Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Die vom Antragsgegner erteilte Vollmacht mache die Übertragung der elterlichen Sorge nicht entbehrlich. Es fehle an einem Mindestmaß an Kommunikation. Der Antragsgegner sei für die Antragstellerin nicht erreichbar. Unterschriften seien nicht zu erlangen. Es sei auch nicht zu erwarten, dass sich dies in der Zukunft ändere. Der Vater wirke auch weiterhin nicht an der Erziehungsberatung mit. Soweit ein Bereich von der Vollmacht nicht abgedeckt sei, sei die Antragstellerin handlungsunfähig. Dies sei frustrierend und bleibe auch den Kindern nicht verborgen. Eine Alleinentscheidungsbefugnis der Antragstellerin würde die Kinder entlasten.

II.

8

Die gemäß §§ 76 Abs. 1, 2 FamFG, 567ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.

9

Gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

10

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Übertragung der alleinigen Sorge gemäß § 1671 Abs. 1 BGB nicht ausreichend dargelegt.

11

Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist einem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

12

In die Entscheidung sind alle für und gegen die gemeinsame Sorge sprechenden Umstände im Rahmen einer einzelfallbezogenen und umfassenden Betrachtung gegeneinander abzuwägen. Gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls sind die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens. Diese Kriterien stehen aber nicht kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Kindeswohl entspricht. Zu berücksichtigen sind dabei auch die durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten Elternrechte.

13

Eine gemeinsame elterliche Sorge ist nicht anzuordnen, wenn eine schwerwiegende und nachhaltige Störung auf der Kommunikationsebene der Eltern vorliegt, die befürchten lässt, dass den Eltern eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein wird und das Kind folglich erheblich belastet würde, würde man die Eltern zwingen, die Sorge gemeinsam zu tragen. Maßgeblich ist, welche Auswirkungen die mangelnde Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes haben wird. Die Gefahr einer erheblichen Belastung des Kindes kann sich im Einzelfall auch aus der Nachhaltigkeit und der Schwere des Elternkonflikts ergeben. Eine vollständige Kommunikationsverweigerung der Eltern muss allerdings nicht gegeben sein. Die Kommunikation der Eltern ist bereits dann schwer und nachhaltig gestört, wenn sie zwar miteinander in Kontakt treten, hierbei aber regelmäßig nicht in der Lage sind, sich in der gebotenen Weise sachlich über die Belange des Kindes auszutauschen und auf diesem Wege zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen. Dann ist zu prüfen, ob hierdurch eine erhebliche Belastung des Kindes zu befürchten ist. Die Belastung des Kindes muss nicht bereits tatsächlich bestehen. Es genügt die begründete Befürchtung, dass es zu einer solchen Belastung kommt (vgl. im Einzelnen: BGH, Beschluss vom 15. Juni 2016, XII ZB 419/15, FamRZ 2016, 1439, juris Rn. 18ff).

14

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen eine Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Das setzt allerdings auch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2020, XII ZB 112/19, FamRZ 2020, 1171, juris Rn. 21, 28). Es ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden, ob die Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich aufgrund der für die Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB anerkannten Kriterien, wobei die Erforderlichkeit einer (teilweisen) Sorgerechtsübertragung stets mit Blick auf die erteilte Vollmacht und die durch sie erweiterten Handlungsbefugnisse des hauptverantwortlichen Elternteils zu beurteilen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2020, XII ZB 112/19, FamRZ 2020, 1171, juris Rn. 34).

15

Die Eltern haben sich in zwei vorangegangenen gerichtlichen Verfahren darauf verständigt, dass sie die elterliche Sorge gemeinsam ausüben und der Antragsgegner die Antragstellerin bevollmächtigt. Die letzte Vereinbarung der Eltern erfolgte noch in diesem Jahr. Diese Vereinbarung spricht vorliegend entscheidend gegen den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter.

16

Zwar führt eine Sorgerechtsvereinbarung der Eltern nicht dazu, dass der Maßstab des § 1696 BGB für die zu treffende Sorgerechtsentscheidung maßgeblich ist. Trotzdem ist dieser ursprüngliche Wille bei der nach § 1671 BGB zu treffenden Entscheidung zu beachten. Denn die im elterlichen Konsens getroffene Entscheidung lässt vermuten, dass sie dem Kindeswohl entspricht, weshalb sie eine gewisse Indizwirkung entfaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2011, XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796, juris Rn. 78; BeckOK BGB/Veit, § 1696 Rn. 10.1).

17

Demgegenüber hat die Mutter keine Gesichtspunkte von ausreichendem Gewicht vorgetragen, die gegen eine gemeinsame Sorge sprechen. Sie hat mitgeteilt, dass sie mit der Vollmacht ein Bankkonto nicht eröffnen konnte. Sie hat aber nicht dargelegt, dass sie den Vater für diese nicht eilige Maßnahme vergeblich aufgefordert hat mitzuwirken. Die weiteren Ausführungen, dass der Vater für sie nicht erreichbar sei und Unterschriften nicht zu erlangen seien ist nicht ausreichend konkretisiert worden. Vielmehr hat die Mutter diese Vorwürfe bereits in dieser pauschalen Form in den vorangegangenen Verfahren erhoben.

18

Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich (§§ 76 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).

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