Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (12. Zivilsenat) - 12 WF 125/20

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg – Altona vom 11. September 2020 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über den VKH - Antrag an das Amtsgericht Hamburg – Altona zurückverwiesen.

Gründe

I.

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Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer Gewaltschutzanordnung in einem einstweiligen Anordnungsverfahren.

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Die Beteiligten waren miteinander verheiratet. Die Antragstellerin behauptet, dass der Antragsgegner am 26. Mai 2020 gegen ihren Willen in den Flur ihrer Wohnung eingedrungen sei. Sie habe ihn zurückdrängen können. Er habe anschließend einen Fuß zwischen die Tür gestellt und sei erst gegangen, nachdem er ihr ein Formular zur Einkommensteuererklärung überreicht habe. Am späten Abend hätten sie und ein Nachbar gesehen, dass er alle vier Reifen ihres Autos zerstochen habe. Ihre Schilderungen hat die Antragstellerin durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht.

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Am 28. Mai 2020 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung gestellt. Diesen hat das Amtsgericht dem Antragsgegner zur Stellungnahme übersandt, der den Ablauf abweichend geschildert hat. Er hat seinerseits eine eidesstattliche Versicherung eingereicht. Darauf hat das Amtsgericht einen Termin zur Erörterung für den 17. Juni 2020 anberaumt. Auf Antrag der Antragsgegnervertreterin hat es den Termin auf den 27. Juli 2020 verlegt und gleichzeitig den Beteiligten einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreitet. Die Umladung erreichte den Antragstellervertreter nicht rechtzeitig, so dass er vergeblich am Gerichtsort erschien. Ein Vergleich kam im weiteren Verlauf nicht zustande, da der Antragsgegner zweimal Änderungsvorschläge unterbreitete. Die Antragstellerin stimmte jeweils zu.

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Am 18. Juni 2020 hat die Antragstellerin die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt und eine Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingereicht. Unter dem 23. Juni 2020 bat der Antragstellervertreter seinerseits um Verlegung des (verlegten) Termins und wies im Rahmen seines Antrags auf zahlreiche bereits bestehende Termine und den 3-wöchigen Urlaub der Antragstellerin hin. Unter dem 21. Juli 2020 und dem 22. Juli 2020 erneuerte der Antragstellervertreter sein noch nicht beschiedenes Terminsverlegungsgesuch und wies darin wiederum auf zahlreiche bereits bestehende Termine hin. Am 22. Juli 2020 verlegte das Gericht den anberaumten Termin auf einen Tag, der in den zuvor mitgeteilten Jahresurlaub des Antragstellervertreters fiel. Darauf bat dieser erneut telefonisch und schriftsätzlich um Terminsverlegung, dem das Gericht nachkam.

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Am 4. August 2020 bat nun die Antragsgegnervertreterin ihrerseits um eine Verlegung des Termins und wies dabei auch auf den anstehenden 6-wöchigen Urlaub des Antragsgegners hin. Darauf hob das Amtsgericht am 11. September 2020 den für den 23. September 2020 anberaumten Termin auf und wies den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurück. Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin habe keine Aussicht auf Erfolg. Es bestehe kein Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden. Der Antragstellervertreter habe zweimal eine Verlegung des anberaumten Termins beantragt und damit zu erkennen gegeben, dass kein Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Tätigwerden bestehe. Gegen die Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.

II.

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Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (dazu unter 1.) und begründet (dazu unter 2.).

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1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob eine sofortige Beschwerde gegen eine ablehnende Verfahrenskostenhilfeentscheidung zulässig ist, wenn in dem zugrundeliegenden Anordnungsverfahren gemäß § 57 S. 2 FamFG eine Entscheidung auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung aussteht (vgl. zum Streitstand: Dürbeck in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Auflage 2020, Rn. 13a). Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass im Fall einer Katalogsache des § 57 S. 2 FamFG auch ohne vorherige Durchführung einer mündlichen Erörterung die sofortige Beschwerde statthaft ist. Denn die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 127 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO liegen, wie das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. überzeugend ausführt (OLG Frankfurt, 8 WF 196/18, B. v. 14.2.2019, NZFam 2019, 695, juris Rn. 18), im Hinblick auf die von § 57 S. 2 FamFG erfassten Verfahren nicht vor. Entscheidend ist, ob die Sachentscheidung auf Betreiben des Beschwerdeführers in die nächste Instanz gelangen kann und nicht, ob dafür noch in der Ausgangsinstanz weitere prozessuale Zwischenschritte zu absolvieren sind. Dementsprechend ist es auch nicht entscheidend, ob ein Antragsgegner zunächst einen Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung gemäß § 924 ZPO (vgl. OLG München, 5 W 1394/08, B. v. 14.5.2008, BeckRS 2008, 42082) erheben muss oder eine Partei erst einen Einspruch gemäß § 338 ZPO gegen ein Versäumnisurteil (vgl. OLG Köln, B. 27.4.2001, 10 UF 60/01, NJW-RR 2002, 1231) einlegen muss.

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2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

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Gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

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Aussicht auf Erfolg gemäß § 114 ZPO bedeutet, dass Erfolg noch möglich sein muss. Maßgeblich ist dabei grundsätzlich nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag. § 114 ZPO beschränkt die Prozesskostenhilfe auf die „beabsichtigte“ Rechtsverfolgung. Zweck der Prozesskostenhilfe ist, der Partei die Prozessführung zu ermöglichen, nicht aber, ihr nachträglich die Kosten für einen bereits geführten Prozess oder ihrem Rechtsanwalt das Honorar zu beschaffen (vgl. Zöller/Schultzky, 33. Auflage 2020, § 114 Rn. 17).Aussicht auf Erfolg bedeutet zunächst, dass Erfolg noch möglich sein muss. Maßgeblich ist dabei grundsätzlich nicht der Zeitpunkt der Antragstellung, sondern der der gerichtlichen Entscheidung über den Verfahrenskostenhilfeantrag. Entfällt die Erfolgsaussicht während des Verfahrens ist daher grundsätzlich Verfahrenskostenhilfe zu versagen (vgl. Zöller/Schultzky, 33. Auflage 2020, § 114 Rn. 21). Eine Ausnahme ist geboten, wenn das Gericht die Bewilligungsentscheidung pflichtwidrig verzögert hat, also trotz Entscheidungsreife nicht unverzüglich entschieden hat. Wenn sich hier die Erfolgsprognose zwischen Entscheidungsreife und Entscheidung verschlechtert hat, ist dies zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, B. v. 22.8.2018, 2 BvR 2647/17, NVwZ-RR 2018, 873, juris Rn. 15; Zöller/Schultzky, 33. Auflage 2020, § 127 Rn. 18). Zur Entscheidung reif ist das Verfahrenskostenhilfebegehren, wenn die Partei es schlüssig begründet, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und wenn der Gegner Gelegenheit gehabt hat, sich innerhalb angemessener Frist zum Verfahrenskostenhilfegesuch zu äußern (vgl. BGH, B. v. 7.3.2012, XII ZB 391/10, FamRZ 2012, 964, juris Rn. 19f).

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Die Antragstellerin hat ihren Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe am 18. Juni 2020 einschließlich einer Erklärung zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsgegner bereits in der Sache Stellung genommen. Damit war der Antrag entscheidungsreif. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Rechtsverfolgung der Antragstellerin in Form eines Antrags auf Erlass einer Gewaltschutzanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung ausreichende Aussicht auf Erfolg. Gemäß § 49 Abs. 1 FamFG kann das Gericht durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Maßnahme treffen, soweit dies nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt ist (dazu unter a)) und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht (dazu unter b)).

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a) Nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften war gemäß § 49 Abs. 1 FamFG der Erlass einer einstweiligen Anordnung gerechtfertigt. Dafür genügt es im Verfahrenskostenbewilligungsverfahren, dass die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Im Verfahrenskostenhilfe-Prüfungsverfahren findet dabei eine Beweisaufnahme nicht statt. Verfahrenskostenhilfe ist vielmehr in der Regel bereits dann zu bewilligen, wenn der Erfolg der Rechtsverfolgung oder -verteidigung vom Ausgang einer Beweisaufnahme abhängt; dabei genügt es, dass die Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt (vgl. Zöller/Schultzky, 33. Auflage 2020, § 114 Rn. 33).

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Gemäß § 51 Abs. 1 S. 2 FamFG hat der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu begründen und die Voraussetzungen für die Anordnung glaubhaft zu machen. Gemäß § 31 Abs. 1 FamFG kann sich der Antragsteller für eine Glaubhaftmachung aller Beweismittel einschließlich einer Versicherung an Eides statt bedienen. Gemäß § 32 Abs. 1 S. 1 FamFG steht die Anordnung eines Termins zur mündlichen Erörterung der Sache mit den Beteiligten im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Dieses hat somit grundsätzlich Gestaltungsfreiheit und kann im Einzelfall zwischen schriftlichem und mündlichem Verfahren wählen oder beide Verfahrensarten miteinander kombinieren. Erscheint aber nach den konkreten Umständen eine mündliche Erörterung sachdienlich, findet eine Ermessensreduzierung statt. Dann darf nach dem Willen des Gesetzgebers nur aus wichtigem Grund von der Durchführung eines Termins abgesehen werden (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 20. Auflage 2020, § 32 Rn. 3).

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Die Antragstellerin hat behauptet, dass der Antragsgegner gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 a) GewSchG vorsätzlich und widerrechtlich in ihre Wohnung eingedrungen sei. Diese Behauptung hat sie durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 31 Abs. 1 FamFG glaubhaft gemacht. Zur Glaubhaftmachung bedarf es nicht der vollen gerichtlichen Überzeugung, sondern es genügt ein geringerer Grad der richterlichen Überzeugungsbildung, der bereits vorliegt, wenn bei freier Würdigung des gesamten Verfahrensstoffs eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die glaubhaft zu machende Tatsache zutrifft. Praktisch bedeutet dies, dass nach der vorzunehmenden Würdigung aller Umstände für das Vorliegen der Tatsache mehr spricht als dagegen. Darüber, ob die Glaubhaftmachung ausreichend ist, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung. Dabei sind neben dem tatsächlichen Vorbringen und dessen Glaubhaftmachung durch die übrigen Beteiligten auch weitere präsente Beweismittel zu berücksichtigen (vgl. OLG Brandenburg, B. v. 5.8.2020, 15 UF 126/20, juris Rn. 6).

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Der Vortrag der Antragstellerin und ihre Glaubhaftmachung führt vorliegend dazu, dass das Ermessen des Gerichts insoweit reduziert war, dass ein Termin zur Erörterung durchzuführen war, bei dem der Erfolg von der Beweisaufnahme, insbesondere der persönlichen Anhörung der Beteiligten abhing. Der Antrag auf Erlass einer – nicht notwendigerweise der beantragten – Gewaltschutzanordnung bot damit ausreichende Aussicht auf Erfolg.

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b) Es lag ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Tätigwerden vor.

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Erforderlich ist grundsätzlich ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Einschreiten, das ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestattet. Ob ein dringendes Bedürfnis anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalls (vgl. Zöller/Feskorn, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 49 FamFG Rn. 8). Gemäß § 214 Abs. 1 S. 2 FamFG liegt ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden in der Regel vor, wenn eine Tat nach § 1 des Gewaltschutzgesetzes begangen wurde. Dies hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht.

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Es ist jedoch anerkannt, dass die zugunsten des Antragstellers bestehende Vermutung der Dringlichkeit durch dessen eigenes Verhalten widerlegt werden kann und insbesondere dann entfällt, wenn der nicht durch eine gerichtliche Regelung geschützte Antragsteller mit der Rechtsverfolgung zu lange wartet oder das Verfahren nicht zügig, sondern schleppend betreibt. Er gibt dann durch sein Verhalten selbst zu erkennen, dass es „ihm nicht eilig ist“. Die Grundsätze sind im Wettbewerbsrecht entwickelt worden, enthalten aber einen verallgemeinerungsfähigen Ausschlussgedanken hinsichtlich des Verfügungsgrundes, der in anderen Rechtsgebieten ebenfalls Gültigkeit besitzt (vgl. MükoZPO/Drescher, 6. Auflage 2020, § 935 Rn. 18). Dies gilt jedenfalls für den Erlass einer Gewaltschutzanordnung, die bereits aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gemäß § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG zeitlich befristet werden soll. Eine Dringlichkeit kann auch noch während des Verfahrens entfallen. Dabei können auch Fristverlängerungs- oder Terminverlegungsanträge die Dringlichkeitsvermutung widerlegen (vgl. OLG Stuttgart, B. v. 12.10.2017, 2 U 162/16, WRP 2018, 369 Rn. 43). Umstritten ist dabei, ob das Gericht den Antragsteller darauf hinzuweisen hat, dass die Verlegung des Termins zum Wegfall der Dringlichkeit führen kann (vgl. Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Auflage 2020, Rn. 3.16).

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Die Streitfrage ist vorliegend nicht zu entscheiden, da der Antragstellervertreter im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Verfahrenskostenhilfeantrags am 18. Juni 2020 das Verfahren jedenfalls noch nicht zögerlich betrieben hat. Zu diesem Zeitpunkt hatte lediglich die Antragsgegnervertreterin erfolgreich um eine Terminsverlegung nachgesucht. Er selbst hatte noch keinen Verlegungsantrag gestellt. Aber auch mit dem ersten Verlegungsantrag musste der Antragstellervertreter noch nicht damit rechnen, dass sich die Anberaumung eines Termins in dringlichkeitsschädlicher Weise verzögert. Deswegen ist die Entscheidung aufzuheben, damit das Amtsgericht unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin erneut über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entscheiden kann.

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