Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (12. Zivilsenat) - 12 WF 45/21
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg – Harburg vom 17. Februar 2021 aufgehoben und das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg – Harburg zurückverwiesen.
II. Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt die Ahndung von Verstößen gegen eine Gewaltschutzanordnung.
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Die Beteiligten sind Nachbarn. Für beide wurde eine rechtliche Betreuung angeordnet. Sie verfügen zusätzlich beide über einen ambulanten pädagogischen Betreuer. Sie hatten Kontakt zueinander und haben sich zerstritten. Unter dem 16. Dezember 2020 beantragte der Antragsteller aufgrund von Belästigungen durch die Antragsgegnerin den Erlass einer einstweiligen Gewaltschutzanordnung, die mit Beschluss vom gleichen Tag erlassen wurde. Sie wurde der Antragsgegnerin am 17. Dezember 2020 zugestellt.
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Unter dem 30. Dezember 2020 wandte sich der Antragsteller an das Amtsgericht und teilte mit, dass die Antragsgegnerin gegen den Beschluss verstoßen habe und wünschte, dass das Gericht etwas unternimmt. Die angehörte Betreuerin teilte unter dem 11. Januar 2021 mit, dass ihr bekannt sei, dass die Antragsgegnerin regelmäßig Dritte mit E-Mails belästige. Deswegen sei dieser Kommunikationsweg auch gegenüber der Betreuerin gesperrt. An beide Betreuten seien im Ergebnis bereits diverse erfolglose Ansprachen erfolgt.
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Mit Beschluss vom 17. Februar 2021 hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen. Für die Verhängung des Ordnungsmittels sei grundsätzlich eine vorsätzliche Rechtsgutsverletzung erforderlich. Ausweislich der Stellungnahme der Betreuerin sei aber gerade das teilweise renitente aufdringliche Verhalten der Antragsgegnerin Teil ihrer Persönlichkeitsstörung, so dass eine vorsätzliche Begehungsweise ausgeschlossen sei. Dieser Sichtweise schließe sich das Gericht ausdrücklich an, dem das Verhalten der Antragsgegnerin aus Parallelverfahren bekannt sei.
II.
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Die gemäß §§ 87 Abs. 4 FamFG, 567ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache vorläufigen Erfolg.
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Die formellen Voraussetzungen für eine Zwangsvollstreckung liegen vor. Die Gewaltschutzanordnung (§ 86 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) ist der Antragsgegnerin am 17. Dezember 2020 zugestellt worden (§ 87 Abs. 2 FamFG). Eine Klauselerteilung ist gemäß § 86 Abs. 3 FamFG nicht erforderlich, da die Zwangsvollstreckung durch das Gericht erfolgt, das den Titel erlassen hat. Der Antragsteller hat darum gebeten, dass das Gericht etwas unternimmt und damit den erforderlichen Antrag (§§ 87 Abs. 1 S. 2, 23 FamFG) auf Zwangsvollstreckung gestellt. Die gemäß §§ 95 Abs. 1 Nr. 4, 96 Abs. 1 S. 3 FamFG, 890 Abs. 2 ZPO erforderliche Androhung erfolgte in der einstweiligen Anordnung.
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Die Zwangsvollstreckung nach den §§ 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, 890 Abs. 1 ZPO setzt weiter voraus, dass der Schuldner schuldhaft gegen das Unterlassungsgebot verstoßen hat, denn es handelt sich bei der Festsetzung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft nicht nur um Zwangsmittel, sondern auch um die Sühne einer Zuwiderhandlung (BVerfG, Beschluss v. 4.12.2006 – 1 BvR 1200/04, NJW-RR 2007, 860, juris Rn. 11; Gruber in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 890 Rn. 21). Die Feststellungslast für seine Schuldunfähigkeit trägt der Schuldner (Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 890 Rn. 6). Die Schuldfähigkeit bzw. Zurechnungsfähigkeit beurteilt sich gemäß § 276 Abs. 1 S. 2 BGB nach den §§ 827, 828 BGB. Nach § 827 Abs. 1. S. 1 BGB ist jemand für einen Schaden nicht verantwortlich, den er in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit verursacht hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 3.3.2017 - 7 WF 130/16, juris Rn. 50f).
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Die Antragsgegnerin hat unstreitig unter dem 30. Dezember 2020 gegen die Wohnungstür des Antragstellers geklopft und E-Mails an den Antragsteller gesandt. Soweit das Amtsgericht zu Grunde legt, dass die Antragsgegnerin aufgrund einer Persönlichkeitsstörung nicht schuldhaft gegen die einstweilige Anordnung verstoßen hat, fehlt es dafür bisher an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen. Das Amtsgericht hat die festgestellte Persönlichkeitsstörung der Antragsgegnerin nicht belegt. Die nicht konkretisierende Bezugnahme auf Parallelverfahren genügt nicht. Sie erschließt sich bisher auch deswegen nicht, weil auch der Erlass einer Gewaltschutzanordnung einen schuldhaften Verstoß voraussetzt und das Amtsgericht die einstweilige Anordnung erst unter dem 16. Dezember 2020 selbst erlassen hat.
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Von der Erhebung von Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und einer Erstattung außergerichtlicher Kosten wurde abgesehen.
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Referenzen
- FamFG § 96 Vollstreckung in Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz und in Ehewohnungssachen 1x
- 7 WF 130/16 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 87 Erlöschen der Vollmacht 1x
- FamFG § 95 Anwendung der Zivilprozessordnung 2x
- FamFG § 86 Vollstreckungstitel 2x
- BGB § 827 Ausschluss und Minderung der Verantwortlichkeit 2x
- FamFG § 87 Verfahren; Beschwerde 2x
- ZPO § 890 Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen 2x
- BGB § 276 Verantwortlichkeit des Schuldners 1x
- BGB § 828 Minderjährige 1x
- 1 BvR 1200/04 1x (nicht zugeordnet)
- FamFG § 23 Verfahrenseinleitender Antrag 1x
- §§ 87 Abs. 4 FamFG, 567ff ZPO 1x (nicht zugeordnet)