Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (12. Zivilseant) - 12 UF 128/21

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 11. Juni 2021 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Hamburg zurückverwiesen.

II. Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.

Gründe

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I. Der Vater begehrt Umgang mit seinen beiden Söhnen.

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Der 40-jährige Vater und die 34-jährige Mutter sind die geschiedenen Eltern des 7-jährigen Noah. und des 5-jährigen Elijah. Sie üben das gemeinsame Sorgerecht aus. Noah besucht die erste Klasse einer Grundschule, Elijah einen Kindergarten.

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Die Kinder leben bei der Mutter. Sie ist im öffentlichen Dienst beschäftigt. Der Vater ist derzeit arbeitslos. Er lebt mit seiner Mutter und einem seiner vier Geschwister zusammen. Er hat einen weiteren inzwischen volljährigen Sohn, der bei seiner Mutter in Berlin lebt.

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Die Mutter erklärt, dass die Ehe durch den Drogenkonsum des Vaters geprägt gewesen sei, der letztlich auch zur Trennung geführt habe. Der Vater habe eine Haftstrafe absolviert. Nach der ersten Schwangerschaft sei es für zwei Jahre ruhig gewesen. Der Vater leide unter Psychosen. Er habe im Jahr 2016 eine Entgiftung absolviert. Im Jahr 2018 sei er zwangsweise zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingewiesen worden. Ihr sei mitgeteilt worden, dass er unter einer drogeninduzierten Psychose gelitten habe. Sie wolle, dass der Vater Umgang mit seinen Kindern habe. Er müsse aber vorher einen negativen Drogentest vorlegen. Je länger der Vater drogenfrei sei, umso besser könne mit ihm kommuniziert werden. Die Kinder bräuchten Stabilität.

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Der Vater meint, dass die Mutter versuche ihm die Kinder zu entfremden. Sie wolle ihm schaden. Einen Drogentest lehnt er nachdrücklich ab. Im Jahr 2018 sei er aufgrund eines zu hohen Alkoholkonsums im Krankenhaus gewesen. Er sei in einer psychischen Krise gewesen. Inzwischen habe er sich stabilisiert, lebe in einer Partnerschaft und habe sein Leben im Griff. Sein Therapeut habe ihm gesagt, dass er nicht mehr kommen müsse.

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Der letzte Umgang des Vaters mit den Kindern fand im Juli 2019 statt. Im März 2020 trafen sich die Eltern zufällig auf dem Marktplatz. Es kam zu einer lautstarken und handgreiflichen Auseinandersetzung der Eltern vor den Kindern. Nach einer weiteren Auseinandersetzung im April 2020 leitete die Mutter ein Gewaltschutzverfahren ein (Az. 280 F 43/20).

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Mit Schriftsatz vom 10. November 2020 bat der Vater um die Regelung des Umgangs mit seinen beiden Söhnen. Für die Kinder wurde mit Beschluss vom 16. November 2020 eine Verfahrensbeiständin bestellt. Diese regte nach einem Gespräch mit den Eltern und dem Jugendamt einen begleiteten Umgang an. Auch der vom Jugendamt eingesetzte freie Träger sprach sich für einen begleiteten Umgang aus.

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In der mündlichen Erörterung am 11. Februar 2021 lehnte der Vater die Entnahme einer Haarprobe ab. Er sei ausschließlich mit Urinproben einverstanden. Die Sitzung wurde zwischenzeitlich zur Beruhigung für mehrere Minuten unterbrochen, da der Vater der Vorsitzenden ins Wort fiel und auch auf ihre lautstarken Aufforderungen nicht reagierte. Am 20. Mai 2021 hörte das Amtsgericht erneut die Eltern und am 3. Juni 2021 die Kinder in Anwesenheit der Verfahrensbeiständin an. Die Kinder äußerten, dass ihnen egal sei, ob sie ihren Vater sehen. Sie wären mit einem begleiteten Umgang einverstanden.

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Mit Beschluss vom 11. Juni 2021 ordnete das Amtsgericht in der Zeit vom 27. Juni 2021 bis zum 19. Dezember 2021 einen begleiteten Umgang der Kinder mit dem Vater an. Als Begleiter wählte es den Diplom-Psychologen R. aus.

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Gegen die Entscheidung wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde vom 14. Juli 2021. Der Beschluss verletze ihr rechtliches Gehör, da der Vermerk über die Anhörung der Kinder der Mutter nicht vor der Entscheidung zur Stellungnahme übersandt worden sei. Beide Kinder wollten den Vater nicht sehen. Der Wille der Kinder sei zu berücksichtigen. Eine Gefährdung des Wohls der Kinder liege vor. Der Vater verschleiere bewusst das Ausmaß seiner Drogenerkrankung. Er habe es geschafft, den älteren Halbbruder der Kinder an Drogen zu bringen. Dieser sei ebenfalls drogenabhängig. Er verharmlose sein eigenes Suchtverhalten. Sie sei in der Vergangenheit von Bekannten angerufen worden, dass der Vater verwirrt durch die Gegend laufe. An der Medizinisch-Psychologischen-Untersuchung sei er gescheitert. Der Konsum von Kokain habe sich auf circa 12,5 Gramm die Woche belaufen. Angesichts der Drogenkarriere handele es sich nicht um eine abstrakte Gefährdung. Ein begleiteter Umgang würde vor diesem Hintergrund ins Nichts führen.

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Der Vater teilt auf den Hinweis des Senats vom 27. Juli 2021 mit Schriftsatz vom 18. August 2021 mit, dass inzwischen der erste Umgangstermin stattgefunden habe. Es sei davon auszugehen, dass bei gutem Ablauf der begleitenden Umgänge das Misstrauen der Mutter nicht mehr vorhanden sei und die Eltern die weiteren Umgänge selbst klären können. Sollte dies nicht der Fall sein, liege es am Vater erneut eine Umgangsregelung zu beantragen. So sei es immer, wenn Sachverhalte sich aufgrund der natürlichen Dynamik veränderten.

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II. Die zulässige Beschwerde der Mutter hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Das Amtsgericht hat eine unzulässige verdeckte Teilentscheidung über die Regelung des Umgangs getroffen. Die Beschwerde führt zu einer Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung und zu einer Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht.

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Gemäß §69 Abs. 1 S. 2 FamFG darf das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens nur dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverweisen, wenn dieses in der Sache noch nicht entschieden hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht das Umgangsrecht eines Elternteils unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Es ermöglicht dem umgangsberechtigten Elternteil, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung fortlaufend persönlich zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihm aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen und dem Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen (BVerfG, Beschluss vom 25. April 2014 1 - BvR 3326/14, juris Rn, 17, NJW 2015, 2561).

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Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass mit der Zurückweisung eines Antrags auf gerichtliche Regelung des Umgangsrechts ein Zustand eintritt, der dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz nicht gerecht wird, unter dem das Umgangsrecht des jeweiligen Elternteils steht. Denn durch eine Entscheidung, durch die das Umgangsrecht weder versagt noch in irgendeiner Weise eingeschränkt wird, die aber eine gerichtliche Hilfe zur tatsächlichen Ausgestaltung verweigert, bleibt das Umgangsrecht nur scheinbar unberührt. Der umgangsberechtigte Elternteil weiß nämlich nicht, in welcher Weise er das Recht tatsächlich wahrnehmen darf und in welchem zeitlichen Abstand er einen neuen Antrag auf gerichtliche Regelung zu stellen berechtigt ist. Demgemäß hat das zur Umgangsregelung angerufene Familiengericht entweder Umfang und Ausübung der Umgangsbefugnis konkret zu regeln oder, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist, die Umgangsbefugnis ebenso konkret einzuschränken oder auszuschließen; es darf sich aber jedenfalls im Regelfall nicht auf die Ablehnung einer gerichtlichen Regelung beschränken (BGH, Beschluss vom 13. April 2016 – XII ZB 238/15, juris Rn. 17, FamRZ 2016, 1058).

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Eine entsprechend nicht ausreichende Regelung des Umgangs liegt vor, wenn in einem Hauptsacheverfahren der Umgang nur für einen begrenzten Zeitraum von einem halben Jahr gegen den Willen der Eltern konkret geregelt wird, ohne dass für eine Fortführung des Umgangs eine konkrete Perspektive besteht (vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. April 2021 - 8 UF 71/21, juris Rn. 11, NZFam 2021, 651; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. September 2019 – 4 UF 62/18, juris Rn. 12, FamRZ 2019, 214; Staudinger/Dürbeck (2019) BGB § 1684 Rn. 467, 505). Denn damit würden die Eltern praktisch mit Abschluss des Verfahrens in ein erneutes Umgangsverfahren gezwungen werden.

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Es bleibt im vorliegenden Verfahren unklar, in welcher Weise der Umgang nach den bis zum Ende des Jahres angeordneten begleiteten Umgangsterminen fortgesetzt werden soll. Die Mutter lehnt mit Blick auf den von ihr dem Vater vorgeworfenen Drogenkonsum, eine daraus resultierende drogeninduzierte Psychose und eine fehlende Einsicht in die Erkrankung den Umgang ab, so dass es insoweit jedenfalls an einer für eine Teilregelung notwendigen Anschlussperspektive an einen begleiteten Umgang fehlt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 17. September 2019 – 4 UF 62/18, juris Rn. 12). Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ist nicht erfolgt.

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Darüber hinaus hat das Amtsgericht eine Begleitung des Umgangs durch einen Diplom-Psychologen angeordnet. Es dürfte jedoch an der Voraussetzung der Mitwirkungsbereitschaft des Dritten gemäß § 1684 Abs. 4 S. 3 BGB fehlen. Denn dieser geht davon aus, dass die Kosten seiner Tätigkeit aus der Staatskasse getragen werden. Dafür fehlt es aber an einer gesetzlichen Grundlage.

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Gemäß § 1684 BGB ist zwischen einer Umgangsbegleitung und einer Umgangspflegschaft zu unterscheiden. Im Fall der Anordnung einer Umgangspflegschaft richtet sich der Ersatz von Aufwendungen und die Vergütung des Umgangspflegers nach § 277 FamFG. Die Kosten einer Umgangsbegleitung werden ausnahmsweise Bestandteil einer Umgangspflegschaft, mit der Folge einer Vergütung nach § 1684 Abs. 3 Satz 6 BGB, wenn die Anwesenheit des Umgangspflegers bei der Durchführung des Umgangs notwendig ist, damit er seine ihm aus § 1684 Abs. 3 Satz 3 und 4 BGB übertragenen Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass das Gericht neben der Umgangspflegschaft auch die Anwesenheit des Umgangspflegers bei den Umgangskontakten ausdrücklich angeordnet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018 – XII ZB 135/18, juris Rn. 24, FamRZ 2019, 199). Demgegenüber findet sich für die Anordnung einer isolierten Umgangsbegleitung gemäß § 1684 Abs. 4 S. 3 BGB keine gesetzliche Regelung zur Tragung der Kosten. Insoweit wird das Amtsgericht die Voraussetzungen der Mitwirkungsbereitschaft eines Dritten zur Begleitung des Umgangs und die Tragung der Kosten insbesondere mit dem Vater und dem Jugendamt weiter aufzuklären haben.

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Weiter legt das Amtsgericht zutreffend zu Grunde, dass der Konsum von Kokain nicht pauschal einen Umgangsausschluss rechtfertigt. Dies ist eine Frage des Einzelfalls. Der Vater bestreitet allerdings einen Drogenkonsum zumindest in der jüngeren Vergangenheit. Er lehnt die Abgabe einer Haarprobe ab. Damit sind die Möglichkeiten der gerichtlichen Amtsermittlung jedoch nicht erschöpft.

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Der Grundrechtsschutz beeinflusst weitgehend die Gestaltung und Anwendung des Verfahrensrechts. Zwar muss auch in Verfahren mit Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 26 FamFG dem erkennenden Gericht überlassen bleiben, welchen Weg es im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Das Verfahren muss aber grundsätzlich geeignet sein, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2016 - 1 BvR 1547/16, juris Rn. 21, FamRZ 2016, 1917; BGH, Beschluss vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 41/18, juris Rn. 13, FamRZ 2019, 115).

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Vorliegend besteht die Möglichkeit den Sachverhalt durch die Einsichtnahme staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsakten weiter aufzuklären. Die Mutter hat unter Vorlage einer staatsanwaltschaftlichen Einstellungsmitteilung darauf hingewiesen, dass gegen den Vater ein Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen eine Gewaltschutzanordnung gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf ein laufendes Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist. Die Mutter trägt, insoweit nicht ausdrücklich vom Vater bestritten, weitere staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, die Verbüßung einer Haftstrafe und die Einweisung in eine Entzugsklinik wegen des Drogenkonsums vor. Insoweit bestehen ausreichende Anhaltspunkte zur weiteren Abschätzung der Gefährdung des Wohls der beiden Kinder im Rahmen der Amtsermittlung gemäß § 474 Abs. 1 StPO Einsicht in die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten zu nehmen und den Beteiligten die relevanten Erkenntnisse bekannt zu geben. Weiter ist der Mutter Gelegenheit zu gegeben, ihre weiteren Darlegungen über die Erkrankung des Vaters und dessen Ausfallerscheinungen sowie die möglichen Auswirkungen auf den Umgang zu konkretisieren. Der Vater hat die Gelegenheit dem entgegenzutreten, seinen Therapeuten zu benennen und von der Schweigepflicht zu entbinden, sowie den Entlassungsbericht über seine Behandlung im Krankenhaus vorzulegen.

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Gegebenenfalls ist vom Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 49 FamFG eine Umgangsregelung über einen begleiteten Umgang zu treffen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. April 2021 - 8 UF 71/21, juris Rn. 12, NZFam 2021, 651) und auf der Basis der weiteren Erkenntnisse über eine längerfristige Umgangsanordnung zu entscheiden.

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