Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 20 U 105/21
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 08.07.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen – Az. 9 O 405/20 – wird zurückgewiesen.
Die Anschlussberufung des Klägers wird bzgl. des Antrags zu 3) als unzulässig verworfen; im Übrigen wird sie als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 23 % und die Beklagte zu 77 %.
Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird für die Beklagte im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel in § 8b AVB, die in weiten Teilen § 8b MB/KK 2009 entspricht, zugelassen.
1
Gründe:
2I.
3Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragsanpassungen in der bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer A bestehenden privaten Krankenversicherung des Klägers. Wegen aller Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils sowie das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und ihre zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
4Das Landgericht hat festgestellt, dass insgesamt elf der von der Beklagten vorgenommenen Erhöhungen von Monatsbeiträgen unwirksam seien, nämlich im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2012 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 20,89 EUR, im Tarif C die Erhöhung zum 01.01.2012 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 4,98 EUR, im Tarif D(D) die Erhöhung zum 01.01.2012 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 29,40 EUR, im Tarif D(D) die Erhöhung zum 01.01.2013 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 11,51 EUR, im Tarif C die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 1,88 EUR, im Tarif E die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 7,67 EUR, im Tarif C die Erhöhung zum 01.01.2016 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 3,49 EUR, im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2016 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 35,23 EUR, im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2017 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 26,29 EUR, im Tarif C die Erhöhung zum 01.01.2017 bis zum 31.12.2017 in Höhe von 2,56 EUR und im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 49,23 EUR. Ferner hat das Landgericht die Beklagte zur Zahlung von 2.132,22 EUR nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, dass diese dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet sei, die sie in dem Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 17.12.2020 aus dem Prämienanteil gezogen habe, den der Kläger auf die unwirksamen Beitragsanpassungen gezahlt habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
5Soweit für Berufung und Anschlussberufung noch relevant, hat das Landgericht zur Begründung folgendes ausgeführt:
6Die Erhöhungen im Tarif B zum 01.01.2016, zum 01.01.2017 und zum 01.01.2020 sowie der Tarife D und E zum 01.01.2013 seien unwirksam, weil die diesen zugrundeliegende Rechtsgrundlage unwirksam sei. Bei diesen Beitragsanpassungen habe die Veränderung bei den Versicherungsleistungen unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 %, aber über 5 % gelegen. § 8b AVB ermögliche bei einer Abweichung der Versicherungsleistungen von mehr als 5 % zwar eine Anpassung der Prämie. Die Klausel sei aber unwirksam, weil sie §§ 12b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3 S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG zum Nachteil des Versicherungsnehmers widerspreche. Nach dem Wortlaut von Abs. 2 der Klausel könne von einer Beitragsanpassung abgesehen werden, wenn die Veränderung der Versicherungsleistungen nur vorübergehend sei. Daraus folgere der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dass dem Versicherer bei einer nur vorübergehenden Veränderung ein Ermessensspielraum zustehe. Damit werde dem Versicherer entgegen der gesetzlichen Regelung die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen zum Nachteil des Versicherungsnehmers eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Die Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 AVB führe auch zur Unwirksamkeit des hiermit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Abs. 1. Hiernach könne eine Beitragsanpassung nämlich auch dann erfolgen, wenn der maßgebliche Schwellenwert überschritten sei und zwar entgegen der gesetzlichen Regelung auch dann, wenn eine nur vorübergehende Veränderung vorliege.
7Aus der Unwirksamkeit der vorgenannten Erhöhungen folge auch die Unwirksamkeit des gesetzlichen Betragszuschlags (C) zum 01.01.2013, zum 01.01.2016 und zum 01.01.2017.
8Dem Kläger stehe gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB ein Anspruch auf Rückzahlung der auf die unwirksamen Prämienanpassungen geleisteten Erhöhungsbeiträge zu, die nach dem 01.01.2017 geleistet worden seien. Soweit Zahlungen bis einschließlich 2016 erfolgt seien, seien Bereicherungsansprüche dagegen jedenfalls verjährt. Der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist gemäß § 195 BGB habe mit Erhalt der insoweit relevanten Anpassungsschreiben begonnen; zu diesem Zeitpunkt habe bei dem Kläger die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände vorgelegen. Eine unklare Rechtslage, aufgrund derer die Klageerhebung unzumutbar gewesen wäre, habe nicht bestanden.
9Der Anspruch auf Herausgabe in unverjährter Zeit gezogener Nutzungen folge aus § 818 Abs. 1 BGB; ein Anspruch auf Verzinsung bestehe insoweit nicht.
10Auch ein Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten bestehe nicht, weil nicht dargetan sei, dass sich die Beklagte bereits bei Mandatierung der klägerischen Prozessbevollmächtigten in Verzug befunden habe.
11Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung ihr Begehren nach Klageabweisung (nur) weiter, soweit das Urteil des Landgerichts auf der Annahme der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel § 8b AVB bzw. § 8b MB/KK beruht.
12Unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag meint die Beklagte, dass das Landgericht zu Unrecht von einer Unwirksamkeit von § 8 Abs. 2 MB/KK ausgegangen sei; jedenfalls schlage eine etwaige Unwirksamkeit nicht auf Abs. 1 durch. Der von dem Landgericht angenommene untrennbare Zusammenhang zwischen den Regelungen in Abs. 1 und Abs. 2 liege nicht vor. Die gesetzgeberischen Anforderungen müssten in AVB nicht vollständig wiederholt werden. Nach Maßgabe des blue-pencil-tests liege eine Teilbarkeit der Regelungen vor; die Regelungen seien klar voneinander abgrenzbar. Auch bei Hinwegdenken von Abs. 2 verbleibe mit Abs. 1 ein aus sich heraus verständlicher Klauseltext. Ohnehin sei bereits in § 8a Abs. 1 MB/KK festgelegt, dass die Berechnung der Beiträge nach Maßgabe des VAG zu erfolgen habe, woraus sich ergebe, dass eine nur vorübergehende Änderung nicht zur Beitragsanpassung berechtigte. Ohnehin sei die Absenkung der Schwellenwerte für den Versicherungsnehmer aber auch nicht nachteilig, sondern vorteilhaft, weil durch häufigere Beitragsanpassungen große Sprünge vermieden würden.
13Die Beklagte beantragt,
14das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und die Klage auch hinsichtlich des Urteilstenors zu Ziff. 1 d)-p), 2 und 3 abzuweisen.
15Der Kläger beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Der Kläger meint, dass das Landgericht § 8b AVB zu Recht als unwirksam angesehen habe. Die Klausel stelle eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar, weil diese Beitragsanpassungen auch bei nur vorübergehenden Veränderungen der Rechnungsgrundlagen ermögliche. Abs. 1 könne aufgrund der Unwirksamkeit von Abs. 2 ebenfalls keinen Bestand haben, weil dieser keine Eingrenzung dahingehend enthalte, dass Beitragsanpassungen bei nur vorübergehenden Veränderungen nicht möglich seien. Eine solche Einschränkung folge weder aus der Wendung „soweit erforderlich“ noch ergäben sich solche aus § 8a AVB wonach die Berechnung der Beiträge nach Maßgabe des VAG erfolge.
18Der Kläger ist jedoch der Ansicht, das Landgericht habe seinen Zahlungsantrag zu Unrecht zurückgewiesen, soweit Zahlungen auf unwirksame Beitragserhöhungen bis zum 31.12.2016 geleistet worden seien. Verjährung liege nicht vor. Für die Kenntniserlangung der anspruchsbegründenden Umstände im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB sei – so meint der Kläger - auch ein Rechtsbewusstsein über die Fehlerhaftigkeit der Beitragsanpassung erforderlich. Dieses aber sei erst durch Beratung durch einen Rechtsanwalt entstanden. Verjährung sei aber auch dann nicht eingetreten, wenn man die rein objektive Tatsachenkenntnis für die Kenntniserlangung als ausreichend erachte. Der Beginn der Regelverjährungsfrist sei nämlich jedenfalls bis zum 01.01.2019 hinausgeschoben gewesen, da dem Kläger die Klageerhebung bis dahin aufgrund einer zweifelhaften und unsicheren Rechtslage unzumutbar gewesen sei.
19Im Wege der selbständigen Anschlussberufung beantragt der Kläger daher,
20das Urteil des Landgerichts Aachen vom 08.07.2021 abzuändern und
211. die Beklagte zu verurteilen, an ihn über den erstinstanzlich zum Antrag zu 2) ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 2.369,64 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;
222. festzustellen, dass die Beklagte
23a) ihm zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den er auf die unter 1) und im Folgenden aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat:
24aa. im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 20,89 EUR bis zum 31.12.2016
25bb. im Tarif C die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 4,98 EUR bis zum 31.12.2016
26cc. im Tarif D(B) die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 29,40 EUR bis zum 31.12.2012
27dd. im Tarif C die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von 3,49 EUR bis zum 31.12.2016
28ee. im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2016 in Höhe von 35,23 EUR bis zum 31.12.2016
29b) die nach 2a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
303. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 1.394,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
31Die Beklagte beantragt,
32die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
33Sie meint, das Landgericht habe zu Recht Verjährung bejaht.
34II.
351. Sowohl die Berufung der Beklagten als auch die unselbständige Anschlussberufung des Klägers bleiben im Ergebnis ohne Erfolg. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die selbständige Anschlussberufung des Klägers ist im Hinblick auf den Antrag zu 3) unzulässig, im Übrigen unbegründet.
36a. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
37Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil (nur) insoweit an, als dieses darauf beruht, dass elf Prämienerhöhungen deshalb als unwirksam angesehen worden sind, weil es an einer wirksamen Rechtsgrundlage hierfür fehle. Dies betrifft die Prämienerhöhungen im Tarif B zum 01.01.2016, zum 01.01.2017 und zum 01.01.2020, in den Tarifen D und E zum 01.01.2013 sowie die diesbezüglichen gesetzlichen Beitragszuschläge.
38Da die Veränderung der insoweit relevanten Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei diesen Beitragsanpassungen unstreitig unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liegt, scheidet § 203 Abs. 2 VVG als Rechtsgrundlage aus. Die Beitragsanpassungen wären daher nur dann wirksam, wenn diese auf der Grundlage von § 8b der dem zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (Anlage F1, Bl. 167 ff. d.A., im Folgenden: AVB) wirksam erfolgen konnten.
39§ 8b AVB lautet auszugsweise:
40„§ 8b Beitragsanpassung
41Teil I
42(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z. B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 10%, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5% können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Sterbewahrscheinlichkeiten für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 5%, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. (…)
43(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
44(…)“
45Die Regelung entspricht damit in weiten Teilen der Regelung des § 8b MB/KK. Der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln erachtet die Beitragsanpassungsklausel des § 8b MB/KK in ständiger Rechtsprechung (vgl. hierzu nur Urteil vom 07.09.2021, Az. 9 U 199/20; Urteil vom 22.09.2020; Az. 237/19 – juris) für unwirksam. Dem schließt sich der erkennende Senat sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung an.
46aa. Die Unwirksamkeit der Regelung, die dem Versicherer bereits bei einer Abweichung der Versicherungsleistungen von mehr als 5 % eine Überprüfung aller Beiträge dieser Beobachtungseinheit und ggf. eine Anpassung der Prämie mit Zustimmung des Treuhänders gestattet, ergibt sich zwar nicht bereits daraus, dass bei den Versicherungsleistungen ein gegenüber der gesetzlichen Regelung geringerer Prozentsatz vorgesehen ist. Die Zulässigkeit einer entsprechenden Absenkung des Schwellenwertes ergibt sich vielmehr bereits aus §§ 12 b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3 S. 2 VAG.
47bb. Der Senat teilt aber zum einen die Auffassung des 9. Zivilsenats, der ausführt (vgl. nur Urteil vom 07.09.2021, Az. 9 U 199/20), dass sich die Unwirksamkeit der Tarifbedingung in § 8b Abs. 1, 2 MB/KK daraus ergibt, dass abweichend von den §§ 12b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG von einer Beitragsanpassung abgesehen werden kann, wenn die Veränderung der Versicherungsleistungen nur vorübergehend ist. Diese Regelung – so der 9. Zivilsenat weiter - wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dahin verstehen, dass dem Versicherer bei einer nur vorübergehenden Veränderung der Versicherungsleistung ein Ermessensspielraum bei der Entscheidung darüber eingeräumt wird, ob es zu einer Prämienanpassung kommt oder nicht. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8b Abs. 1, 2 MB/KK wird dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage „Versicherungsleistungen" zum Nachteil des Versicherungsnehmers eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Dies widerspricht insoweit dem eindeutigen Wortlaut der §§ 12b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG, nach denen eine Prämienanpassung nur dann zulässig ist, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art ist. Nach der halbzwingenden Vorschrift des § 208 Abs. 1 VVG kann von der gesetzlichen Regelung nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden (vgl. Voit in: Prölss/Martin, VVG, 31. Auflage 2021, § 8b MB/KK 2009 Rn. 2).
48Dieser Bewertung steht das Urteil des BGH vom 22.09.2004 (Az. IV ZR 97/03, VersR 2004, 1446 = NJW-RR 2004, 1677) – worauf der 9. Zivilsenat ebenfalls hinweist und was sich der erkennende Senat zu eigen macht – entgegen der Bewertung zahlreicher anderer Oberlandesgerichte nicht entgegen. Diese Entscheidung verhält sich nämlich nicht zur Wirksamkeit von § 8b MB/KK oder einer entsprechenden Beitragsanpassungsklausel, sondern allein zu Prämienanpassungen unter Geltung der Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG am 29.07.1994. Hierzu hat der BGH klargestellt, dass bei solchen Prämienanpassungen nach altem Recht, in denen die vertraglichen Bestimmungen zur Beitragsanpassung (dort § 8a Teil II, III AVB) „weniger strenge Vorgaben enthalten" als die seit dem 29.07.1994 geltenden Rechtsvorschriften und „dem Versicherer einen Ermessensspielraum eröffnen", diese „Ermessensausübung auf ihre Billigkeit nach § 315 BGB zu prüfen" ist. Mit der Frage, ob eine solche Regelung auch mit §§ 12b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3, S. 2 VAG, 203 Abs. 2, 208 Abs. 2 VVG zu vereinbaren ist, hatte der BGH sich im Rahmen seiner Entscheidung dagegen nicht auseinanderzusetzen; denn im Streit stand allein die Wirksamkeit von Prämienerhöhungen zum 01.07.1994, also nach altem Recht.
49Der Senat teilt schließlich auch die Bewertung des 9. Zivilsenats, wonach die Unwirksamkeit der Klausel in § 8b Abs. 2 MB/KK auch zur Unwirksamkeit des § 8b Abs. 1 MB/KK führt (a.A. aber die wohl herrschende Rspr., vgl. nur OLG Schleswig, Urteil vom 13.12.2021, Az. 16 U 94/21 – zitiert nach juris; OLG München, Hinweisverfügung vom 07.07.2021, Az. 25 U 797/21, Bl. 637 ff. d.A., OLG Stuttgart, Urteil vom 18.11.2021, Az. 7 U 244/21, BeckRS 2021, 37369; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 21.06.2021, Az. 9 O 1326/18). Denn die Regelungen in den Abs. 1 und 2 zu den Voraussetzungen einer Prämienerhöhung stehen in einem untrennbaren Zusammenhang. Im Falle des Wegfalls der Regelung in § 8b Abs. 2 MB/KK wegen Unwirksamkeit könnte die Regelung – so führt der 9. Zivilsenat aus – in § 8b Abs. 1 MB/KK nicht alleine fortbestehen, ohne nicht ebenfalls gegen die in §§ 12b Abs. 2 S. 2 VAG a.F., 155 Abs. 3 S. 2 VAG, 203 Abs. 2 VVG vorgesehene Voraussetzung einer nicht nur vorübergehenden Veränderung für eine Prämienanpassung zu verstoßen (blue pencil test). Bei Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK könnte nach § 8b Abs. 1 MB/KK eine Beitragsanpassung schon dann erfolgen, wenn der maßgebliche Schwellenwert überschritten ist, und zwar entgegen dem Gesetz auch dann, wenn eine nur vorübergehende Veränderung vorliegt.
50Entgegen der Rüge der Berufung ergibt sich aus dem isoliert betrachteten Wortlaut von Abs. 1 keineswegs, dass eine Anpassung nur für den Fall einer dauerhaften Veränderung der Rechnungsgrundlage über dem Schwellenwert zulässig sein soll. Die Regelung verhält sich hierzu schlicht nicht. Entsprechendes ergibt sich – anders als die Beklagte meint - insbesondere auch nicht aus der Formulierung, dass Beiträge „soweit erforderlich“ angepasst würden. Denn dafür, dass die Erforderlichkeit der Beitragsanpassung in irgendeiner Weise von der Dauerhaftigkeit der Veränderung abhängen sollte, gibt die Regelung nichts her. Wann eine Anpassung erforderlich sein soll, bleibt völlig offen. Der Zusammenhang legt vielmehr nahe, dass die Erforderlichkeit von dem Umfang der Abweichung von dem festgelegten Schwellenwert abhängen könnte.
51Entgegen der Auffassung der Beklagten kann es auch nicht genügen, dass die Berechnung der Beiträge gemäß § 8a Abs. 1 AVB „nach Maßgabe der Vorschriften des VAG“ erfolgen soll. Zum einen betrifft § 8a AVB die Berechnung der Beiträge und nicht deren Anpassung. Zum anderen aber genügt ein allgemeiner Verweis auf das Gesetz ohne konkreten Bezug auf eine bestimmte Vorschrift auch nicht den Transparenzanforderungen.
52Ohne Erfolg macht die Berufung auch geltend, dass § 8b AVB insgesamt unter Berücksichtigung der zwingenden Gesetzesvorschriften zu interpretieren sei, so dass das gesetzlich vorgeschriebene Dauerhaftigkeitsmerkmal auch dann auf die entsprechende AVB-Regelung anzuwenden sei, wenn diese eine Regelungslücke enthielten. Denn ungeachtet aller sonstigen sich stellenden Fragen fehlt es hier bereits an einer erkennbaren Regelungslücke, die den Rückgriff auf gesetzliche Vorschriften gebietet. Streicht man Abs. 2, so verhält sich § 8b AVB schlicht gar nicht zu der Frage der Erforderlichkeit der Dauerhaftigkeit der Veränderung der Rechnungsgrundlage. Daraus ergibt sich dann aber nicht, dass § 203 Abs. 2 VVG ergänzend gelten soll. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird vielmehr davon ausgehen, dass die nicht genannte Dauerhaftigkeit der Veränderung auch nicht Voraussetzung für die Beitragsanpassung ist.
53Mit dem 9. Zivilsenat ist im Übrigen auch der erkennende Senat der Auffassung, dass ein Rückgriff auf § 306 Abs. 2 BGB, wonach sich der Inhalt des Vertrages nach den gesetzlichen Vorschriften richtet, soweit einzelne Bestimmungen nicht Vertragsinhalt geworden oder unwirksam sind, nicht zur Wirksamkeit der Prämienanpassung in materiell-rechtlicher Hinsicht führt (so aber OLG Schleswig, Urteil vom 13.12.2021, Az. 16 U 94/21 – zitiert nach juris) . Wie der 9. Zivilsenat zutreffend ausführt sind nach dieser Grundregelung die §§ 203 Abs. 2 VVG, 155 Abs. 3 VAG einschlägig, die eine Anpassung auf der Basis der Überschreitung eines Schwellenwertes von 10 % - die hier nicht vorliegt - für den Fall des Fehlens abweichender Bestimmungen in den AVB vorsehen. Ein solches Fehlen liegt hier infolge der Unwirksamkeit von § 8b Abs. 1 AVB gerade vor.
54Anders als die Beklagte geltend machen möchte, handelt es sich hier schließlich auch nicht um eine dem Versicherungsnehmer rein vorteilhafte und deshalb zulässige Abweichung, weil durch häufigere Beitragsanpassungen große Sprünge vermieden würden. Denn diese Argumentation übersieht, dass die Anpassung zunächst vor allem mit einer – nachteilhaften - Beitragserhöhung verbunden ist. Das Risiko gestiegener Ausgaben unter bestimmten Schwellenwerten weist das Gesetz aber mit § 203 VVG gerade dem Versicherer zu.
55cc. Unabhängig von diesen Erwägungen scheitert die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 AVB im vorliegenden Fall aber jedenfalls – womit sich die oberlandesgerichtliche Rechtsprechung, die von der Wirksamkeit vergleichbarer Klauseln ausgeht, soweit ersichtlich nicht auseinandersetzt (vgl. etwa OLG Schleswig, Urteil vom 13.12.2021, Az. 16 U 94/21 – zitiert nach juris) - auch an der insoweit von § 8b Abs. 1 MBKK abweichenden Formulierung in S. 4, die bestimmt (Hervorhebung durch den Senat)
56„Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit von uns überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden.“
57und dem Versicherer damit ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge einräumt. Ein solches Ermessen widerspricht jedoch der geltenden gesetzlichen Regelung (§ 208 S. 1 VVG) und benachteiligt die Vertragspartner der Beklagten i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen.
58Anders als nach der gesetzlichen Konzeption des § 155 Abs. 3 VAG, nach der ein Versicherungsunternehmen bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um den gesetzlichen Prozentsatz von 10 % oder einen in den AVB niedriger festgelegten Prozentsatz zu prüfen und – bei einer als nicht nur vorübergehend anzusehenden Abweichung – anzupassen hat, gilt die Anpassungspflicht nach § 8b AVB nur bei Überschreiten der gesetzlichen 10 %-Schwelle. Bei einer Abweichung im Bereich zwischen „mehr als 5 %“ und bis zu 10 % darf die Beklagte dagegen – „soweit erforderlich“ – anpassen.
59Die Nennung der 5 %-Schwelle in § 8b AVB kann auch nicht als „Restklausel“ mit eigenständigem Regelungsgehalt angesehen werden, „die AGB-rechtlich jedenfalls insoweit nicht zu beanstanden (ist), als in ihr der geringere Prozentsatz in Übereinstimmung mit § 203 Abs. 2 S. 4 VVG i.V.m. § 155 Abs. 3 S. 2 Teils. 2 VAG ‚vorgesehen‘ ist“ (so Bruns, VersR 2021, 541, 549). Eine aufrechterhaltene Restklausel darf nämlich keine von der bisherigen Gestaltung völlig abweichende oder neue Regelung enthalten. Sie muss sich vielmehr dem Vertragszweck sach- und interessengerecht einfügen (Bruns, VersR 2021, 541, 549). Unter Mitberücksichtigung des vorangehenden S. 3 ergibt sich hier, dass die Beklagte den geringeren Prozentsatz unter dem gesetzlichen von 10 % gerade und nur für den Bereich vorgesehen hat, in dem ihr bei Abweichungen, anders als unter rein gesetzlichen Voraussetzungen, eine Möglichkeit zur Prämienanpassung gegeben sein sollte. Müsste sie jetzt auch bei Abweichungen unterhalb von „mehr als 10 %“ anpassen, weil von S. 4 lediglich die „vorgesehene“ 5 %-Schwelle bliebe, bei deren nicht als vorübergehend anzusehender Überschreitung sie zur Anpassung gezwungen wäre, erhielte der Vertrag insoweit einen anderen Charakter. Es entfiele nicht nur S. 4, auch die Klausel in S. 3 würde geändert.
60dd. Ausgehend hiervon hat das Landgericht zutreffend festgestellt, dass die auf § 8b AVB beruhenden Erhöhungen im Tarif B (B) zum 01.01.2012, im Tarif C zum 01.01.2012, , im Tarif D(D) zum 01.01.2012, im Tarif D(D) zum 01.01.2013, im Tarif C und zum 01.01.2013, im Tarif E zum 01.01.2013, im Tarif C zum 01.01.2016, im Tarif B (B) zum 01.01.2016, im Tarif B zum 01.01.2017, im Tarif C zum 01.01.2017 und im Tarif B (B) die Erhöhung zum 01.01.2020 unwirksam gewesen sind.
61Hieraus folgt die sich aus § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB ergebende Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung von auf die unwirksamen Beitragserhöhungen gezahlten Beträgen in Höhe von 2.132,22 EUR nebst Zinsen sowie zur Herausgabe der hieraus im Zeitraum vom 01.01.2017 bis zum 17.12.2020 gezogenen Nutzungen. Wegen der Einzelheiten der Begründung und Berechnung wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen in dem angegriffenen Urteil Bezug genommen. Diese werden – über die all dem zugrundeliegende Annahme der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel hinaus – zu Recht auch von der Berufung nicht angegriffen.
62b. Die (selbständige) Anschlussberufung des Klägers ist teilweise unzulässig, im Übrigen aber unbegründet.
63aa. Soweit der Kläger mit der Berufung als Klageantrag zu 3) seinen ursprünglichen Klageantrag zu 4) weiterverfolgt und begehrt, die Beklagte zur Zahlung außergerichtlich entstandener Rechtanwaltskosten i.H.v. 1.394,32 EUR nebst Zinsen zu verurteilen, stellt sich die Berufung bereits als unzulässig dar, weil die diesbezügliche Berufungsbegründung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt.
64Das Landgericht hat die insoweit erfolgte Klageabweisung trotz teilweisen Erfolgs der ursprünglichen Klageanträge zu 1) bis 3) darauf gestützt, dass der Kläger nichts dafür vorgetragen habe, dass sich die Beklagte bei Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten bereits im Verzug befunden habe. Mit diesem die Teilklageabweisung tragenden Gesichtspunkt setzt sich die Berufungsbegründung entgegen § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO in keiner Weise auseinander.
65bb. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
66(1) Ein durchsetzbarer Anspruch auf Rückzahlung von vor dem 01.01.2017 geleisteten Beiträgen i.H.v. 2.369,64 EUR besteht nicht. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ansprüche auf Rückzahlung von bis zum 31.12.2016 geleisteten Beiträgen jedenfalls verjährt wären.
67Die für etwaige auf Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB) gegründete Ansprüche des Klägers geltende regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann jeweils mit dem Schluss des Jahres, in dem die ohne Rechtsgrund geleisteten Prämienanteile gezahlt wurden. Denn mit der Zahlung des jeweiligen nicht geschuldeten Prämienanteils entstand der korrespondierende Rückzahlungsanspruch.
68Die Regelverjährung beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB grundsätzlich mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Kläger hatte bereits mit dem Zugang der Änderungsmitteilungen im November 2010, 2011, 2012, 2014 und 2017 im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20 – zitiert nach juris).
69Der Verjährungsbeginn setzt gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Nicht erforderlich ist in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht.
70Ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn zwar hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH, Urteil vom 21.02.2018, Az. IV ZR 304/16 m.w.N. – zitiert nach juris). Hieraus folgt aber nichts zu Gunsten des Klägers. Diesem war eine Geltendmachung seiner Ansprüche möglich. Die Erhebung einer Klage, mit der die formelle Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen aufgrund einer unzureichenden Begründung bzw. – insoweit kann nichts anderes gelten - Fehlens einer Rechtsgrundlage aufgrund Unwirksamkeit von § 8b AVB geltend gemacht wird, war ihm insbesondere nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage unzumutbar. Für eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung genügte es nicht, dass es zu den Anforderungen an die nach § 203 Abs. 5 VVG mitzuteilenden Gründe einer Prämienanpassung einen Meinungsstreit gab, der zur Zeit der Klageerhebung noch nicht geklärt war oder es zur Wirksamkeit von § 8b MB/KK noch keine Rechtsprechung gab. Eine Rechtslage ist nämlich nicht schon dann im Sinne der genannten Rechtsprechung unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (BGH, Urteil vom 17.11.2021, Az. IV ZR 113/20; BGH, Urteil vom 21.2.2018, Az. IV ZR 304/16 m.w.N. – jeweils zitiert nach juris). Bei einer solchen Konstellation ist dem Gläubiger die Erhebung einer Klage jedenfalls dann nicht unzumutbar, wenn er gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen. So liegt es hier. Die Klageschrift des Klägers ist bereits am 17.11.2020 bei Gericht eingegangen und offenbar in Unkenntnis der Entscheidung des BGH vom gleichen Tag erfolgt. Ungeachtet des ungeklärten Meinungsstreits ging der Kläger damit selbst von der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen aus. Umstrittener als zu diesem Zeitpunkt war der Inhalt des § 203 Abs. 5 VVG jedoch auch in den Jahren ab 2010 nicht, so dass ihm die Klageerhebung auch vorher nicht unzumutbar war. Eine entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung, die ausnahmsweise den kenntnisabhängigen Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben könnte, gab es nicht.
71(2) Soweit Nutzungen aus vor dem 01.01.2017 zu viel gezahlten Beträgen beansprucht werden, sind diesbezügliche Ansprüche jedenfalls nach § 217 BGB mitverjährt.
722. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
733. Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf die Frage der Wirksamkeit der Beitragsanpassungsklausel in § 8b Abs. 1, 2 AVB, die in weiten Teilen § 8b MB/KK 2009 entspricht, sowie Beitragsanpassungsklauseln, die dem Versicherer hinsichtlich der Überprüfung und Anpassung der Beiträge unterhalb des gesetzlichen Schwellenwerts von 10 % ein Ermessen einräumen, zugelassen. Die Rechtssache hat insoweit grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO); die Zulassung ist darüber hinaus im Hinblick auf die – wie dargestellt – divergierende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
74Streitwert für das Berufungsverfahren: 10.291,98 EUR
75davon für die Berufung der Beklagten: 7.922,34 EUR
76davon für die Berufung des Klägers: 2.369,64 EUR
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- BGB § 307 Inhaltskontrolle 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- § 155 Abs. 3 VAG 1x (nicht zugeordnet)
- § 203 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 8b Abs. 1 AVB 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 520 Berufungsbegründung 1x
- § 208 S. 1 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- 9 O 405/20 1x (nicht zugeordnet)
- 7 U 244/21 1x (nicht zugeordnet)
- § 203 Abs. 2 VVG 2x (nicht zugeordnet)
- § 8a AVB 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen 4x
- BGB § 812 Herausgabeanspruch 3x
- IV ZR 304/16 2x (nicht zugeordnet)
- § 8b Abs. 2 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 217 Verjährung von Nebenleistungen 1x
- § 203 Abs. 5 VVG 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 195 Regelmäßige Verjährungsfrist 2x
- 25 U 797/21 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 97/03 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 12b Abs. 2 S. 2 VAG 1x (nicht zugeordnet)
- § 203 Abs. 2 S. 4 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 8a Abs. 1 AVB 1x (nicht zugeordnet)
- 16 U 94/21 3x (nicht zugeordnet)
- 9 U 199/20 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs 1x
- IV ZR 113/20 2x (nicht zugeordnet)
- § 8b AVB 10x (nicht zugeordnet)
- 9 O 1326/18 1x (nicht zugeordnet)