Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 17 U 203/02

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Vorbehaltsurteil des LG Heidelberg vom 8.10.2002 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 97.145,46 Euro nebst Zinsen i.H.v. 1 % über dem Zinssatz der Spitzenrefinanzierungsfazilität (SRF) der Europäischen Zentralbank seit dem 12.4.2002 zu zahlen. Der weiter gehende Zinsanspruch wird abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 97.145,46 Euro.

Gründe

 
Die zulässige Berufung der Beklagten ist - bis auf einen Teil der Zinsforderung - sachlich nicht begründet.
I. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung einer rechnerisch unstreitigen Restvergütung von 97.145,46 Euro nebst Verzugszinsen i.H.v. 5 % über dem SRF-Satz der EZB seit dem 12.4.2002 verurteilt, und zwar unter dem Vorbehalt der Entscheidung über eine von der Beklagten zur Aufrechnung bzw. Verrechnung gestellte Ersatzforderung wegen angeblich mangelhaft ausgeführter Unterfangungsarbeiten der Klägerin. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Vorbehaltsurteil vom 8.10.2002 verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Entgegen der Ansicht der Beklagten hat das LG ein nach § 302 Abs. 1 ZPO zulässiges Vorbehaltsurteil zu Gunsten der Klägerin erlassen. Denn es stehen sich hier mit dem Restvergütungsanspruch der Klägerin und den behaupteten Ersatzansprüchen der Beklagten zwei voneinander unabhängige (selbständige) Forderungen gegenüber, so dass es sich um eine Aufrechnung gem. §§ 387 ff. BGB und nicht um eine bloße Verrechnung („Abrechnung”) nach der so genannten Differenztheorie handelt. Das LG durfte der Klägerin somit die noch offene Werklohnforderung aus dem Generalunternehmervertrag insgesamt zusprechen und die Klärung der streitigen Gegenansprüche der Beklagten dem Nachverfahren vorbehalten.
Wann bei Geltendmachung von Mängelschadensersatzansprüchen ggü. einer Werklohnklage des Unternehmers eine echte Aufrechnung i.S.v. § 302 Abs. 1 ZPO oder eine „Verrechnung” unselbständiger Rechnungsposten vorliegt, ist im Einzelnen nach wie vor umstritten (zum Streitstand vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl., Rz. 2576, 2577). Bei Gegenrechten auf Schadensersatz nach § 635 BGB oder § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B nahm die bisher vorherrschende Meinung ein Verrechnungsverhältnis nur an, wenn der Bauherr die mangelhafte Werkleistung insgesamt zurückweist und Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrages verlangt; behält er aber die Werkleistung und fordert Schadensersatz wegen einzelner genau bezeichneter Mängel, so sollen sich zwei voneinander unabhängige Forderungen aufrechenbar gegenüberstehen (vgl. OLG Karlsruhe v. 22.11.2000 - 7 U 216/98, OLGReport Karlsruhe 2001, 125; OLG Düsseldorf v. 19.12.2000 - 21 U 38/00, OLGReport Düsseldorf 2001, 109 = NJW-RR 2001, 882; Soergel in MünchKomm/BGB, 3. Aufl., § 635 BGB Rz. 37; Peters, JZ 1986, 669 f.; Koeble, Die Verrechnung beim Werkvertrag, Festschrift für von Craushaar, S. 259 f.). Nach neuerer Rspr. (s. OLG Naumburg, BauR 2001, 1616 und Nichtannahmebeschluss des BGH v. 15.4.2001; OLG Düsseldorf NJW-RR 2002, 1536; OLG Oldenburg, NZBau 2003, 439) soll auch dann ein Fall der Verrechnung und keine Aufrechnungslage vorliegen, wenn der Bauherr lediglich bestimmte Mängel liquidieren will.
Inwieweit es sich auch dann nur um Verrechnungsposten im Rahmen eines Abrechnungsverhältnisses handelt, wenn der Besteller wegen einzelner Baumängel den sog. „kleinen” Schadensersatz nach § 635 BGB oder § 13 Nr. 7 VOB/B wählt, kann hier offen bleiben. Denn die Beklagte macht einen Regressschaden geltend, der als entfernter Mangelfolgeschaden den Regeln der pVV unterliegt. Wie sich aus dem Vortrag der Beklagten ergibt, begehrt sie Ausgleich dafür, dass auf ihre Kosten Risseschäden am Gebäude auf dem Nachbargrundstück saniert worden sind, welche die Klägerin bei Ausführung von Unterfangungsarbeiten auf dem Grundstück der Beklagten schuldhaft herbeigeführt haben soll. Der behauptete Schaden der Beklagten liegt also nicht darin, dass sie für ein (teilweise) unbrauchbares Werk der Klägerin eine Vergütung zahlen soll. Vielmehr geht es um die Erstattung von Aufwendungen, die der Beklagten im Zuge der Regulierung einer angeblich von der Klägerin verursachten Eigentumsverletzung der Grundstücksnachbarin entstanden sind und noch weiter entstehen können. Bei Verletzung der Rechtsgüter eines Dritten durch den Unternehmer, ggü. dem der Auftraggeber möglicherweise aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 909 BGB) haftpflichtig wird, stellt dessen Regressverlangen aber keinen unter § 635 BGB fallenden Nichterfüllungsschaden dar. Der von der Beklagten begehrte Aufwendungsersatz ist als entfernter Mangelfolgeschaden nur aus pVV (vgl. BGH NJW 1969, 838) zu erstatten. Derartige Ausgleichsansprüche können nicht mehr als Teil einer einheitlichen Gesamtabrechnung angesehen werden, auch wenn die Gegenforderung - wie hier - aus demselben Vertragsverhältnis resultiert und auf eine Verletzung von werkvertraglichen Leistungspflichten gestützt wird. Soweit sich die Beklagte ggü. der Klageforderung mit einem Anspruch auf Ersatz der von ihr aufgewendeten Sanierungskosten verteidigt, handelt es sich deshalb der Sache nach nicht um einen bloßen Rechnungsposten im Rahmen einer Gesamtabrechnung. Das gilt erst recht, soweit die Beklagte den Gegenanspruch aus übergegangenem Recht der Eigentümerin des beschädigten Nachbaranwesens herleitet. Der von der Beklagten weiter verfolgte Kostenerstattungsanspruch steht der Werklohnforderung der Klägerin somit als rechtlich selbständiger Gegenanspruch i.S.d. §§ 387 ff. BGB ggü., der durch Aufrechnung geltend zu machen ist (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl., Rz. 2577; Peters, JZ 1986, 670). Der Erlass eines Vorbehaltsurteils gem. § 302 Abs. 1 ZPO war daher zulässig.
Der Zinsanspruch ergibt sich gem. § 16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B (2000) aus dem Zahlungsverzug der Beklagten. Er ist allerdings der Höhe nach auf 1 % über dem SRF-Satz der EZB zu ermäßigen. Denn der von der Klägerin begehrte und vom LG zuerkannte Zinssatz von 5 % über dem SRF-Zinssatz gilt aufgrund der Neufassung der VOB vom 30.5.2000 erst bei Vertragsabschlüssen ab 1.7.2000 (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 10. Aufl., § 16 B Rz. 153), wie die Beklagte zu Recht geltend macht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO. Die Beklagte hat die gesamten Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen, da die Zuvielforderung der Klägerin hinsichtlich der Zinsen verhältnismäßig geringfügig war und keine besonderen Kosten verursacht hat. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2, S. 1 ZPO sieht der Senat keine Veranlassung. Der vorliegenden Sache kommt auch im Hinblick auf die Abgrenzung Aufrechnung - Verrechnung keine grundsätzliche Bedeutung zu; denn Rspr. und Schrifttum gehen - soweit ersichtlich - übereinstimmend davon aus, dass es sich jedenfalls bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen entfernter Mangelfolgeschäden aus pVV um eine Aufrechnung mit einer (selbständigen) Gegenforderung i.S.d. § 302 Abs. 1 ZPO handelt.

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