Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 W 81/06

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 22.08.2006 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird festgesetzt auf EUR 183.731,-.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

 
1. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht das Ablehnungsgesuch des Klägers gegen Richterin am Landgericht Dr. X als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe sein Ablehnungsrecht nicht verloren, obwohl er nach Ablehnung der Richterin noch Sachanträge gestellt habe. Das Ablehnungsrecht bleibe nämlich bestehen, wenn Verhandlung und Antragstellung durch ein inkorrektes gerichtliches Verfahren veranlasst worden seien, etwa wenn die abgelehnte Richterin - wie hier - entgegen § 47 Abs. 1 ZPO verhandelt habe. Der Richter sei zu unvoreingenommener und neutraler Amtsführung verpflichtet, wozu insbesondere strenge Sachlichkeit und die Wahrung des gleichen Abstandes zu den Prozessparteien gehöre. Deshalb könne ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er gegen das Gleichbehandlungsgebot verstoße und seine Unvoreingenommenheit durch unsachliches Verhalten im Laufe des Verfahrens in Frage stelle oder das richterliche Vertrauensverhältnis beeinträchtige. Solche Verstöße der abgelehnten Richterin behaupte der Kläger im Einzelnen. Er habe diese Verstöße allerdings nicht glaubhaft gemacht. Da sich die vom Kläger erhobenen Vorwürfe gegen Richterin am Landgericht Dr. X und der Inhalt der dienstlichen Stellungnahme wegen dieser Vorwürfe diametral widersprächen, könne die Kammer im Ablehnungsverfahren nicht feststellen, dass sich die abgelehnte Richterin gegenüber dem Kläger voreingenommen, nicht neutral oder sonst wie parteiisch gezeigt habe. Der unstreitige äußere Verfahrensablauf, etwa die zweimalige Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, vermöge die Annahme einer Unvoreingenommenheit (gemeint ist: Voreingenommenheit) nicht zu rechtfertigen.
Hiergegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers. Zur Begründung legt er eine Erklärung einer namentlich nicht genannten Lebensgefährtin des Klägers vom 20.07.2006, übersandt per Fax am 28.09.2006 (Anlagenband B) vor. Hieraus ergebe sich die Glaubhaftmachung seines Vortrags. Ein diametraler Widerspruch zu der Darstellung im Befangenheitsantrag des Klägers sei ohnehin nicht festzustellen, soweit es die Inaktivität der Richterin insbesondere zu den klägerseits gestellten Fragen betreffe. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers habe unter anderem drei Fragen gestellt. Diese Fragen seien von der Richterin in beiden Stellungnahmen bestätigt worden. Auf die erste Frage, nämlich ob die interne Vereinbarung bereits 1999 vorgelegen habe, habe die Richterin geantwortet, dies könne offen bleiben. Auf die zweite Frage, ob sie davon ausgehe, dass die Beklagte die Bürgschaftsbank Anfang 2003 wissentlich falsch informiert habe, habe die Richterin in ihrer Stellungnahme geantwortet, dass sie sich zu einer Stellungnahme in dieser Frage nicht veranlasst sehe. Im Anschluss an die zweite weitere Unterbrechung der Verhandlung habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers dann die dritte Frage gestellt, nämlich wie die Richterin das Verhalten der Beklagten im Rechtsstreit Ganter im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit bewerte. Die Richterin habe hieraufhin erklärt, es sei alles gesagt. Diese Antwort, unterschlage die Richterin in ihren beiden Stellungnahmen, obwohl sie bereits in der handschriftlichen Stellungnahme zum Befangenheitsantrag enthalten gewesen sei. Die Verweigerung einer Stellungnahme zur dritten Frage und ihrer Antwort in ihren Stellungnahmen begründeten darüber hinaus einen weiteren Grund der Besorgnis der Befangenheit. Jedenfalls sei insbesondere die dritte Frage unsachlich von der Vorsitzenden Richterin beantwortet worden. Zu allen drei Fragen hätte die Richterin in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Ausführungen machen müssen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift verwiesen.
2. Das Rechtsmittel des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.
a) Soweit der Kläger erstmals in der Beschwerdeschrift im Anschluss an die Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung einen Befangenheitsgrund daraus ableitet, dass ein Verstoß nach § 47 Abs. 1 ZPO vorliege, woraus sich bereits die Besorgnis der Befangenheit rechtfertige, verkennt der Kläger die Bedeutung der durch das 1. Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24.08.2004 (BGBl I 2198) eingeführten Bestimmung des § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO. Dieses Gesetz ist nach Art. 14 am 1. Tag des auf die Verkündung folgenden Kalendermonats in Kraft getreten. Es gilt folglich auch für das vorliegende Verfahren. Nach § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO kann der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn ein Richter während der Verhandlung abgelehnt wird und die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung erfordern würde. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob die Annahme der angefochtenen Entscheidung, die abgelehnte Richterin habe trotz Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit die Verhandlung fortgeführt, überhaupt zutrifft, was die Beklagte Ziffer 1 bereits im Schriftsatz vom 02.08.2006 abweichend dargestellt und auch der Kläger nicht gerügt hatte.
b) Allerdings vertritt Vollkommer (in Zöller/Vollkommer ZPO 25. Aufl. § 47 Rdnr. 3) die Auffassung, dass eine Ablehnung während der mündlichen Verhandlung nur dann vorliege, wenn die Anträge bereits gestellt seien. Bei einer Ablehnung im Zeitraum zuvor, z. B. "im Rahmen einer informellen Erörterung des Rechtsstreits" oder einer Güteverhandlung gelte nur die Regelung des § 47 Abs. 1 ZPO. Diese restriktive Auffassung teilt der Senat nicht. Zweck der mit § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO eingeführten Regelung ist, zur Vermeidung einer Vertagung des Termins die Fortsetzung einer Verhandlung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch zu erlauben (Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 02.09.2003 BT-Drucksache 15/1508 S.16). § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO bezieht sich ausweislich seines Wortlauts nicht lediglich auf die mündliche Verhandlung im Sinne von § 137 Abs. 1 ZPO. Der in § 47 Abs. 2 S. 1 ZPO verwandte Begriff der „Verhandlung“ umfasst auch den im Gesetz als „Güteverhandlung“ vorgesehenen Termin zur gütlichen Beilegung des Rechtsstreits (§ 278 Abs. 2 ZPO), an den sich bei Scheitern die streitige mündliche Verhandlung anschließen kann. Auch insoweit kommt es also nicht darauf an, wann tatsächlich die Anträge gestellt worden sind.
c) Nach § 42 Abs. 1 und 2 ZPO ist die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit begründet, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßgebend ist hierbei, ob vom Standpunkt des betreffenden Beteiligten aus genügend objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Betrachters geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu erregen.
Solche Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen.
Zusammengefasst wirft der Kläger der abgelehnten Richterin vor, sich nicht auf das von ihm gewünschte Rechtsgespräch eingelassen zu haben. Sie habe in wenigen Sätzen den aus den Akten befindlichen Sachstand, wie er sich bis September 2005 ergeben habe, erläutert und daraufhin ihre Rechtsansicht knapp und sinngemäß wie folgt mitgeteilt: Die Beklagte könne ihr Kreditengagement mangels Vorlegung entsprechender Urkunden durch den Kläger jederzeit beenden nach § 18 KWG. Selbst wenn eine Falschberatung vorgelegen habe, dann hätte die Beklagte trotzdem kündigen dürfen. Im Anschluss hieran habe der Klägervertreter die bereits geschilderten Fragen gestellt.
Dies wie auch die vom Kläger behaupteten Reaktionen der abgelehnten Richterin geben vom Standpunkt des betreffenden Beteiligten keinen vernünftigen Anlass, der Unparteilichkeit der Richterin zu misstrauen. Auch nach dem Vortrag des Klägers hat die Richterin das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite erörtert (§ 139 Abs. 1 S. 1 ZPO). Darauf, wie lange diese Erörterungen gedauert haben, kommt es nicht an. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Dass die abgelehnte Richterin auf den hier zu beurteilenden Einzelfall bezogen ihrer materiellen Prozessleitungspflicht unzureichend nachgekommen wäre, ist schon nicht dargetan. Die Rechtsauffassung der Richterin, es komme nicht darauf an, ob die interne Vereinbarung bereits 1999 vorgelegen habe und welche rechtliche Relevanz sie habe, ist nicht geeignet, an der Unvoreingenommenheit der Richterin zu zweifeln. Vielmehr ist die Richterin mit der Mitteilung ihrer bis dahin gewonnenen Rechtsauffassung den Anforderungen nach § 139 ZPO gerecht geworden. Der Umstand, dass der Kläger ersichtlich diese Rechtsauffassung nicht teilt, ändert hieran nichts. Soweit die abgelehnte Richterin auf die Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers (vgl. dessen Darstellung im Schriftsatz vom 21.07.2006 Seite 3), wie sie das Verhalten der Beklagten im Rechtsstreit G. bewerte, mitgeteilt hat, „gar nicht, es ist alles gesagt“, kann dies weder dem Inhalt noch der Form nach beanstandet werden. Aufgabe der abgelehnten Richterin war es nicht, das Verhalten der Beklagten Ziffer 1 in einem von ihr nicht zu beurteilenden Rechtsstreit zu bewerten. Dass die Antwort der abgelehnten Richterin nach der klägerischen Darstellung kurz gefasst war, ist für sich ohnehin nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen und ist vorliegend im Zusammenhang mit den von der Beklagten Ziffer 1 wie aber auch der anonymen Lebensgefährtin des Klägers berichteten Frage des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu sehen, „Frau Dr. X, haben sie eigentlich die Schriftsätze gelesen?“.
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d) Soweit der Kläger die Besorgnis der Befangenheit daraus ableiten will, dass die abgelehnte Richterin die Verhandlung unterbrochen habe, um den Prozessbevollmächtigten der Beklagten Ziffer 1 zu ermöglichen, seine Vollmacht für den Beklagten Ziffer 2 nachzuweisen, bestehen ebenfalls keine Gründe, die die Ablehnung rechtfertigen könnten. Ausgehend von seiner eigenen Darstellung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, nachdem er zu Beginn der mündlichen Verhandlung einen Schriftsatz übergeben hat, mit dem die Klage auf den Beklagten Ziffer 2 erweitert worden war, ohne dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten Ziffer 1 dort als Zustellungsbevollmächtigter genannt gewesen wäre, die Richterin zu beeinflussen versucht, in die mündliche Verhandlung mit dem Kläger und dem Beklagten Ziffer 1 einzutreten, obwohl die Klage dem Beklagten Ziffer 2 noch gar nicht zugestellt worden war. "Man könne doch über die rechtliche Situation reden" (As. 343). Verfahrensrechtlich unbedenklich hat die abgelehnte Richterin hierzu geäußert, sie beabsichtige, einen neuen Termin zu bestimmen. Nach einer Verhandlungspause hat die abgelehnte Richterin ihre Absicht bekundet, das Verfahren gegen den Beklagten Ziffer 2 abzutrennen. Alleine diese gleichfalls rechtlich zulässige Maßnahme hätte die vom Kläger gewünschte Verhandlung zur Sache noch an diesem Tage ermöglicht. Erst nachdem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten Ziffer 1 erklärt hatte, auch den Beklagten Ziffer 2 zu vertreten und sich für ihn zur Sache einzulassen, konnte überhaupt im anhängigen, auf einen zweiten Beklagten erweiterten Verfahren die Verhandlung fortgesetzt werden. Dass die abgelehnte Richterin in der Interpretation des Klägers dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten Ziffer 2 die Gelegenheit geben wollte, die vom Klägervertreter gewünschte schriftliche Prozessvollmacht beizubringen, ist nicht zu beanstanden und erst recht nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen.
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3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wurde ausgehend von der auf EUR 734.924,- ermäßigten Klage mit einem Viertel dieses Wertes angesetzt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

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