Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 9 U 204/11

Tenor

1. Das Zwischen-Feststellungs-Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.11.2011 - 7 O 64/10 KfH - wird auf die Berufung der beiden Beklagten aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an die 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz zurückverwiesen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

 
I.
Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Zahlung in Höhe von 683.648,10 EUR nebst Zinsen. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 20.12.2010 hat der Kläger eine entsprechende Klage an das „Landgericht Konstanz - Kammer für Handelssachen –“ gerichtet.
Das Verfahren ist beim Landgericht Konstanz in der Folgezeit von der 7. Kammer für Handelssachen geführt worden. Beide Beklagten haben die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen gerügt. Zuständig sei die allgemeine Zivilkammer, da keine Handelssache im Sinne der Vorschriften des GVG vorliege. Hilfsweise haben beide Beklagte beantragt, das Verfahren an die 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz abzugeben, da diese nach dem Geschäftsverteilungsplan - und nicht die 7. Kammer - zuständig sei.
Der Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Konstanz für das Jahr 2010 enthält für die Kammern für Handelssachen folgende Regelungen:
II. Kammern für Handelssachen:
1) 9. Kammer für Handelssachen:

Für die Handelssachen im Sinne von § 95 ff. GVG aus den Amtsgerichtsbezirken Villingen-Schwenningen und Donaueschingen ist … die 9. Kammer für Handelssachen mit Sitz in Villingen-Schwenningen zuständig.
2) 7. und 8. Kammer für Handelssachen:

Die Handelssachen im Sinne von § 95 ff. GVG aus den übrigen Teilen des Landgerichtsbezirks werden in der Reihenfolge ihres Eingangs abwechselnd der 7. und 8. Kammer für Handelssachen, beginnend mit der 7. Kammer für Handelssachen, zugeteilt.
Gehen mehrere Verfahren gleichzeitig ein, richtet sich die Reihenfolge nach dem Namen der beklagten Partei, der im Alphabet vorgeht, bei mehreren Beklagten ist der im Alphabet vorgehende Beklagte maßgebend.
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Der Geschäftsverteilungsplan enthält im Übrigen unter „F. Ergänzende Bestimmungen für die Zuteilung der Geschäfte“ die folgende weitere Regelung:
11 
9.) Eine Kammer behält eine ihr irrtümlich zugeschriebene Sache, wenn sie diese in Behandlung genommen hat. Die Sache ist in Behandlung genommen mit der Bestimmung des frühen ersten Termins, der Einleitung des schriftlichen Vorverfahrens oder der Entscheidung über ein Prozesskostenhilfegesuch.
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Wegen der übrigen Regelungen zur Geschäftsverteilung wird auf den bei den Akten befindlichen Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Konstanz verwiesen.
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Das Landgericht Konstanz hat hinsichtlich der Zuteilung des vorliegenden Verfahrens an die 7. Kammer für Handelssachen folgende Feststellungen getroffen: Die Klage ging per Fax am 20.12.2010 um 18:44 Uhr beim Landgericht Konstanz ein, und zwar unter der Fax-Nummer 07531/280-1211 auf einem Faxgerät, welches sich auf der Geschäftsstelle einer Zivilkammer befand. Die gemeinsame Geschäftsstelle der 7. und 8. Kammer für Handelssachen hatte kein eigenes Faxgerät. Ein Original der Klageschrift wurde am 21.12.2010 per Boten zum Landgericht Konstanz gebracht. Sowohl das Fax als auch die Originalklage gelangten jeweils am 21.12.2010 zur gemeinsamen Geschäftsstelle der beiden Kammern für Handelssachen.
14 
Auf der Geschäftsstelle wurde - im Hinblick auf den Fax-Eingang - im Register als Eingangsdatum zwar der 20.12.2010 notiert (vgl. den Registerauszug I, 745). Für die turnusmäßige Verteilung im Verhältnis zwischen der 7. und der 8. Zivilkammer ging die Geschäftsstelle jedoch von einem Klageeingang am 21.12.2010 aus, da an diesem Datum die Klageschrift zur Geschäftsstelle gelangt war. Die Geschäftsstelle stellte fest, am 21.12.2010 seien zwei weitere Klagen bei den Kammern für Handelssachen eingegangen, und legte daher eine Reihenfolge der insgesamt drei dem 21.12.2010 zugeordneten Klagen nach dem Anfangsbuchstaben der Beklagten fest. Bei einem der beiden anderen Verfahren (8 O 24/09 KfH, vgl. den Registerauszug I, 743) war der Anfangsbuchstabe „B“ für die Beklagte maßgeblich, so dass die Geschäftsstelle dieses Verfahren gegenüber dem vorliegenden Rechtstreit (Anfangsbuchstabe des Beklagten Ziff. 1: „E“) als vorrangig behandelte. Da im Turnus das erste Verfahren am 21.12.2010 der 8. Zivilkammer zuzuordnen war, wurde das vorrangige Verfahren (8 O 24/09 KfH) der 8. Kammer für Handelssachen zugewiesen, während der vorliegende Rechtstreit (nach der Zuordnung der Geschäftsstelle zweites Verfahren in der Rangfolge) der 7. Kammer für Handelssachen zugewiesen wurde.
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Das Landgericht hat aus den Registerauszügen (I, 743, 745) im Übrigen festgestellt, dass am 20.12.2010 keine weiteren Verfahren bei der Kammer für Handelssachen eingegangen sind. Wenn die Geschäftsstelle für das vorliegende Verfahren als Eingangsdatum den 20.12.2010 als maßgeblich erachtet hätte, wäre mithin eine Zuordnung zur 8. Zivilkammer erfolgt. Denn dann wäre das dem 21.12.2010 (also dem Folgetag) zugeordnete Verfahren 8 O 24/09 KfH nicht als vorrangig der 8. Zivilkammer zugeteilt worden.
16 
Das Landgericht hat nach mündlicher Verhandlung mit Zwischen-Feststellungs-Urteil vom 28.11.2011 die Zuständigkeit der 7. Kammer des Landgerichts Konstanz für Handelssachen für das Verfahren gegen die Beklagten Ziff. 1 und Ziff. 2 festgestellt. Die Anträge der Beklagten auf Abgabe bzw. Verweisung an die zuständige Zivilkammer bzw. an die 8. Kammer für Handelssachen hat das Landgericht gleichzeitig zurückgewiesen. Die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen ergebe sich für beide Beklagten aus § 95 Abs. 1 Ziff. 4 a GVG. Im Verhältnis zur 8. Kammer für Handelssachen sei die 7. Kammer für Handelssachen zuständig geworden. Die Zuweisung an die 7. Kammer für Handelssachen sei nach dem Geschäftsverteilungsplan korrekt. Denn maßgeblich für die Zuteilung im Turnus sei im Verhältnis zwischen den beiden Kammern nicht der Eingang der Klage per Fax am 20.12.2010. Es komme vielmehr auf den Eingang bei der Geschäftsstelle der beiden Kammern für Handelssachen an, wohin die Klage erst am 21.12.2010 gelangt sei. Mithin habe für die mehreren am selben Tag eingegangenen Klagen auf der Geschäftsstelle die Vorrangregelung nach dem Anfangsbuchstaben des Beklagten Anwendung finden müssen. Daraus folge die Zuständigkeit der 7. Kammer für Handelssachen, für das vorliegende Verfahren.
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Gegen diese Entscheidung haben beide Beklagte Berufung eingelegt. Die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen wird im Berufungsverfahren nicht mehr gerügt. Das Landgericht habe jedoch die Zuständigkeitsregelung im Geschäftsverteilungsplan fehlerhaft angewendet. Zuständig sei die 8. Kammer für Handelssachen und nicht die 7. Kammer für Handelssachen. Bei der Zuweisung im Turnus sei der Eingang der Klage per Fax bei Gericht (20.12.2010) und nicht der Eingang auf der Geschäftsstelle (21.12.2010) maßgeblich. Der Fehler des Landgerichts sei ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), der im Berufungsverfahren gerügt werden könne.
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Der Beklagte Ziff. 1 beantragt,
19 
das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.11.2011 - 7 O 65/10 KfH - aufzuheben und die Sache an die zuständige 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz zu verweisen.
20 
Der Beklagte Ziff. 2 beantragt,
21 
das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.11.2011 - 7 O 65/10 KfH - aufzuheben und die Sache an die zuständige 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Konstanz zu verweisen.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
die Berufung des Beklagten Ziff. 1 vom 12.12.2011 und die Berufung des Beklagten Ziff. 2 vom 15.12.2011 zurückzuweisen.
24 
Der Kläger verteidigt das Urteil des Landgerichts. Selbst wenn man die Anwendung des Geschäftsverteilungsplans durch das Landgericht Konstanz als fehlerhaft erachten würde, sei die Berufung gemäß § 513 Abs. 2 ZPO unzulässig.
25 
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
26 
Der Senat hat zur Frage der Zuteilung der verschiedenen Verfahren beim Landgericht dienstliche Stellungnahmen der zuständigen Richterin und der zuständigen Mitarbeiterin auf der Geschäftsstelle eingeholt. Insoweit wird auf die dienstlichen Stellungnahmen (II 113 ff.) verwiesen. Außerdem hat der Senat die Akten des Landgerichts Konstanz 8 O 24/09 KfH, 8 O 63/10 KfH und 8 O 64/10 KfH beigezogen. Mit Schriftsatz vom 17.07.2012 hat der Kläger nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergänzend zur Rechtslage Stellung genommen.
II.
27 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Für das weitere Verfahren vor dem Landgericht Konstanz ist die 8. Kammer für Handelssachen zuständig.
28 
1. Das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.11.2011 ist ein Zwischenurteil im Sinne von § 280 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Im Hinblick auf die Zulässigkeit der Berufung ist die Entscheidung nach der gesetzlichen Regelung in § 280 Abs. 1 Satz 1 ZPO - anders als ein Zwischenurteil gemäß § 303 ZPO - als Endurteil anzusehen.
29 
a) Das Landgericht hat keine Anordnung gemäß § 280 Abs. 1 ZPO getroffen, dass über die Zulässigkeit der Klage abgesondert verhandelt werden sollte. Dies steht einer Qualifizierung der Entscheidung als Zwischenurteil im Sinne von § 280 Abs. 2 ZPO jedoch nicht entgegen. Die abgesonderte Verhandlung hat Auswirkungen lediglich auf eine vorläufige Begrenzung des Prozessstoffs (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 29. Auflage 2012, § 280 ZPO, Rdnr. 1, 3). Die abgesonderte Verhandlung ist jedoch nicht Voraussetzung für ein Zwischenurteil im Sinne von § 280 Abs. 2 ZPO, das hinsichtlich der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen ist.
30 
b) Es ist anerkannt, dass eine Entscheidung „über die Zulässigkeit der Klage“ im Sinne von § 280 ZPO nicht nur dann vorliegt, wenn das Gericht die Zulässigkeit insgesamt bejahen oder verneinen will. Unter § 280 ZPO fällt vielmehr auch jede sonstige Entscheidung, mit der eine einzelne Prozessvoraussetzung bejaht oder verneint wird (vgl. Zöller/Greger a. a. O., § 280 ZPO, Rdnr. 2, 7; Zöller/Vollkommer a. a. O., § 303 ZPO, Rdnr. 5). Beispielsweise kann durch ein Zwischenurteil im Sinne von § 280 ZPO auch - isoliert - die örtliche Zuständigkeit bejaht werden (vgl. BGH, NJW 1998, 1230). Nach Auffassung des Senats kann für ein Zwischenurteil, durch welches die Zuständigkeit der 7. Kammer für Handelssachen bejaht wird, nichts anderes gelten. Denn auch insoweit handelt es sich um eine Sachurteilsvoraussetzung, die entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelung in § 280 ZPO abschließend geklärt werden soll, bevor das Landgericht in die Sachprüfung eintritt. Es kann dahinstehen, ob der Begriff „Zulässigkeit der Klage“ in § 280 Abs. 1 ZPO so auszulegen ist, dass auch die Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan mit umfasst ist. Denn § 280 Abs. 1 ZPO ist aus den angegebenen Gründen nach Auffassung des Senats auf den vorliegenden Fall – Zwischenurteil zur Feststellung der Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan – zumindest analog anzuwenden.
31 
Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Bundesgerichtshof in BGH NJW 1998, 1230 keine abweichende Auffassung vertreten. In der vom Kläger zitierten Entscheidung ging es allein um die Frage der örtlichen Zuständigkeit, die – wenn vom Landgericht bejaht – im Berufungsverfahren gemäß § 513 Abs. 2 ZPO nicht überprüft werden kann. Im vorliegenden Verfahren geht es jedoch (anders als in BGH, NJW 1998, 1230) um die Frage des gesetzlichen Richters (siehe unten).
32 
2. § 513 Abs. 2 ZPO (keine Berufung, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat) steht der Zulässigkeit nicht entgegen, wenn ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) gerügt wird.
33 
a) § 513 Abs. 2 ZPO betrifft grundsätzlich auch die gerichtsinterne Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan. Es entspricht Sinn und Zweck der Regelung, dass „einfache“ Fehler bei der Frage der Zuständigkeit am Bestand einer gerichtlichen Entscheidung nichts ändern sollen. Dies gilt auch für die Zuständigkeit nach dem Geschäftsverteilungsplan (vgl. Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Auflage 2004, § 513 ZPO, Rdnr. 16; Zöller/Lückemann a. a. O., § 22 d GVG, Rdnr. 1).
34 
b) Die Beschränkung der Berufung gemäß § 513 Abs. 2 ZPO beschränkt sich allerdings auf Fehler des Gerichts bei der Prüfung der Zuständigkeit. Der Begriff „Zuständigkeit“ umfasst bereits nach dem Wortlaut nicht das Gebot des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist vielmehr generell eine Rechtsverletzung, auf welche eine Berufung gemäß § 513 Abs. 1 ZPO gestützt werden kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 31.05.2011 - 1 U 1122/11 -, zitiert nach Juris; OLG Oldenburg - zur früheren Regelung gemäß § 512 a ZPO a. F. - NJW-RR 1999, 865; Gerken in Wieczorek/Schütze a. a. O.; Rimmelspacher in Münchener Kommentar, ZPO, Band II, 3. Auflage 2007, § 513 ZPO, Rdnr. 19). Ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters kann daher gemäß § 513 Abs. 1 ZPO auch dann im Berufungsverfahren überprüft werden, wenn ein Fehler in der Anwendung der Geschäftsverteilung geltend gemacht wird (ebenso zur gleichartigen Problematik in der Revisionsinstanz gemäß § 545 ZPO BGH, NJW 2009, 1351).
35 
3. Die Entscheidung des Landgerichts verstößt gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, soweit das Landgericht die Zuständigkeit der 7. Kammer für Handelssachen im Rahmen der Geschäftsverteilung angenommen hat.
36 
a) Nicht jede fehlerhafte Anwendung von Zuständigkeitsnormen ist gleichzeitig ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters. Es kommt vielmehr darauf an, ob die Entscheidung über die Zuständigkeit als willkürlich anzusehen ist, wobei der Begriff der Willkür in einem rein objektiven Sinne verstanden wird (grundlegend BVerfG, NJW 1970, 2155; BGH, NJW 2003, 3712; Müller-Terpitz in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommentar zum Grundgesetz, 11. Auflage 2008, Art. 101 GG, Rdnr. 20; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage 2011, § 16 GVG, Rdnr. 13). Bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise kommt es insbesondere nicht darauf an, ob den erstinstanzlichen Richter ein Verschuldensvorwurf trifft (vgl. Jacobs in Stein/Jonas a. a. O., § 16 GVG, Rdnr. 14; Müller-Terpitz in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf a. a. O., Art. 101 GG, Rdnr. 20). Die Rechtsprechung nimmt einen Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters an, wenn eine Zuständigkeitsentscheidung objektiv nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheint (vgl. BGH, NJW 1991, 1964). „Objektive Willkür“ in diesem Sinne ist immer dann anzunehmen, wenn eine Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt sachlich vertretbar erscheint (vgl. BVerfG a. a. O.; BGH a. a. O.; vgl. zur Prüfung eines Fehlers bei der Anwendung des Geschäftsverteilungsplans im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch BGH, Beschluss vom 24.03.2011 - 4 StR 637/10 -, zitiert nach Juris). Ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters ist hingegen nicht anzunehmen, wenn eine Entscheidung zur Zuständigkeit zumindest vertretbar erscheint, oder dem betreffenden Gericht ein „schlichter Verfahrensirrtum“ unterlaufen ist (vgl. Müller-Terpitz in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf a. a. O., Art. 101 GG, Rdnr. 20; Jacobs in Stein/Jonas a. a. O., § 16 GVG, Rdnr. 13).
37 
b) Nach Auffassung des Senats ist auf der Basis der dargelegten Maßstäbe die Annahme der eigenen Zuständigkeit im Urteil des Landgerichts Konstanz vom 28.11.2011 als „objektiv willkürlich“ zu bezeichnen. Es ist klarzustellen, dass - wie oben ausgeführt - damit kein persönlicher Vorwurf gegenüber den entscheidenden Richtern verbunden ist. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Auslegung und Anwendung des Geschäftsverteilungsplans durch das Landgericht dem Senat unter sachlichen Gesichtspunkten nicht mehr vertretbar erscheint. Die maßgebliche Regelung der Geschäftsverteilung im Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2010 des Landgerichts Konstanz ist nach Auffassung des Senates so eindeutig, dass eine abweichende Handhabung als Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters anzusehen ist. Im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG muss es dabei auch darum gehen, schon den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung zu vermeiden (vgl. BGH, Beschluss vom 04.08.2009 - 3 StR 174/09 -, zitiert nach Juris; vgl. zur „Qualität“ des relevanten Fehlers im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG auch BGH, NJW 2009, 1351).
38 
aa) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass von einem „gleichzeitigen“ Eingang im Sinne der maßgeblichen Bestimmung des Geschäftsverteilungsplans dann auszugehen ist, wenn die betreffenden Verfahren im Zeitraum desselben Tages eingehen. Dies ist nach Auffassung des Senates nicht zu beanstanden, auch wenn der Begriff „gleichzeitig“ in der maßgeblichen Regelung der Geschäftsverteilung nicht genauer konkretisiert ist. Die entsprechende Handhabung (Gleichzeitigkeit bei Eingang am selben Tag) entspricht dem Verständnis des Begriffes „gleichzeitig“, wie es in anderen Regelungen des selben Geschäftsverteilungsplans (für die Zuständigkeit der großen Strafkammern und der kleinen Strafkammern) konkretisiert ist.
39 
bb) Unhaltbar ist allerdings nach Auffassung des Senates die Auslegung des Begriffs „Eingang“ durch das Landgericht. Die Formulierung „Eingang“ bzw. „gehen mehrere Verfahren gleichzeitig ein“ ist eine im juristischen Bereich gängige Begriffsbildung. Der Begriff „Eingang“ meint generell die Einreichung einer Klage bei einem bestimmten Gericht, und nicht etwa die Weiterleitung an eine bestimmte organisatorische Einheit (Geschäftsstelle) innerhalb des Gerichts (vgl. Zöller/Stöber/Greger, ZPO, 29. Auflage 2012, § 167 ZPO, Rdnr. 5; Zöller/Greger a. a. O., § 253 ZPO, Rdnr. 4). Wenn in einem Geschäftsverteilungsplan vom „Eingang“ die Rede ist - ohne ausdrücklichen Hinweis auf einen Eingang bei der Geschäftsstelle -, kann bei einer Klage nur der Zeitpunkt gemeint sein, in welchem das Schriftstück in die Verfügungsgewalt des betreffenden Gerichts gelangt ist. In diesem Sinne ist die Klage bereits am 20.12.2010 per Fax beim Landgericht Konstanz eingegangen.
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Auch das Bundesarbeitsgericht (BAG, NZA 1999, 895) versteht den Begriff des „Eingangs“ eines Schriftsatzes – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht anders als der Senat. In der vom Kläger zitierten Entscheidung ging es um die Frage, welcher Schriftsatz gegebenenfalls vorrangig anzusehen ist, wenn ein Schriftsatz zunächst per Fax eingeht, und anschließend im Original. Diese Frage hat für die Entscheidung des Landgerichts jedoch keine Rolle gespielt. Im vorliegenden Fall geht es allein darum, ob beim Eingang eines Schriftsatzes per Fax die Verfügungsgewalt des Gerichts oder die (eventuell spätere) Verfügungsgewalt der zuständigen Geschäftsstelle maßgeblich ist.
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Eine andere Auslegung des Begriffs „Eingang“ kommt allerdings in Betracht, wenn ein Verfahren beim Landgericht Konstanz von der allgemeinen Zivilkammer an die Kammern für Handelssachen verwiesen wird. Denn in einer solchen Konstellation macht es keinen Sinn, auf den (zeitlich wesentlich früher liegenden) Eingang bei Gericht abzustellen, so dass es nahe liegt, dass bei einer gerichtsinternen Verweisung für den „Eingang“ das Datum des Eingangs auf der Geschäftsstelle maßgeblich sein muss. Diese Erwägungen können allerdings nur für gerichtsinterne Verweisungen gelten; auf den Neueingang einer Klage, die an die Kammern für Handelssachen des Landgerichts Konstanz gerichtet ist, sind die Überlegungen nicht übertragbar.
42 
cc) Die abweichende Auslegung des Landgerichts ist auch deshalb objektiv nicht verständlich, weil die identische Begriffsbildung an zwei anderen Stellen des Geschäftsverteilungsplans, nämlich bei der Geschäftsverteilung für die großen Strafkammern und für die kleinen Strafkammern auftaucht. Auch dort ist im Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2010 eine Turnusverteilung vorgesehen, bei der es darauf ankommen sollte, wann die betreffenden Verfahren „eingehen“. Sowohl bei der Regelung für die großen Strafkammern als auch bei der gleichartigen Regelung für die kleinen Strafkammern ist im Geschäftsverteilungsplan ausdrücklich festgehalten: „Maßgebend ist der Eingang beim Landgericht“. Der Senat sieht keinen vernünftigen Grund dafür, weshalb eine identische Formulierung bei den Kammern für Handelssachen anders ausgelegt werden sollte (Eingang auf der Geschäftsstelle) als bei den Strafkammern (Eingang beim Landgericht). Eine solche abweichende Handhabung identischer Formulierungen in der Geschäftsverteilung ist nach Auffassung des Senates für einen Dritten nicht mehr nachvollziehbar. Angesichts der eindeutigen Auslegung des Geschäftsverteilungsplans kann nach Auffassung des Senats die Frage keine Rolle spielen, ob und inwieweit die Kammern für Handelssachen des Landgerichts Konstanz in der Vergangenheit ähnlich verfahren sind.
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dd) Das Landgericht hat für seine abweichende Auslegung (Maßgeblichkeit des Eingangs auf der Geschäftsstelle) lediglich angeführt, es gebe keine „zentrale Eingangsstelle“ beim Landgericht Konstanz. Dieser Gesichtspunkt kann die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des Geschäftsverteilungsplans jedoch nicht rechtfertigen. Denn eine „zentrale Eingangsstelle“ bei einem Gericht ist lediglich für die Zuordnung und Weiterleitung von Verfahren im gerichtsinternen Geschäftsbetrieb verantwortlich. Auch eine ggf. vorhandene zentrale Eingangsstelle muss berücksichtigen, dass Klagen auf unterschiedliche Art und Weise (per Post, per Boten und per Fax an die vorhandenen Faxgeräte des Gerichts) in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangen können. In gleicher Weise kann - und muss - die gemeinsame Geschäftsstelle der beiden Kammern für Handelssachen beim Landgericht Konstanz berücksichtigen, dass verschiedene Klagen auf unterschiedliche Weise (per Fax und per Boten) am selben Tag in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangen können.
44 
ee) Die Ermittlungen des Senats haben im Übrigen einen weiteren Fehler bei der Anwendung des Geschäftsverteilungsplanes ergeben, der als Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters anzusehen ist. Das (von der Geschäftsstelle dem 21.12.2010 zugeordnete) Verfahren 8 O 24/09 KfH ist beim Landgericht Konstanz erneut in die Turnusverteilung aufgenommen worden, obwohl es bereits seit längerer Zeit (wenn auch ruhend) anhängig war. Wenn in der Geschäftsverteilung der „Eingang“ für die Turnusverteilung maßgeblich ist, kann das Wiederanrufen eines ruhenden Verfahrens nicht als erneuter „Eingang“ für die Turnusverteilung berücksichtigt werden. Zwar kann das Ruhen eines Verfahrens dazu führen, dass die Akte nach den Regelungen in der Aktenordnung weggelegt wird; auch kann das Ruhen dazu führen, dass nach einer bestimmten Zeit das Verfahren in der sogenannten Zählkartenstatistik als „erledigt“ angesehen wird. Weder das Weglegen einer Akte nach der Aktenordnung, noch die zählkartenmäßige Behandlung haben jedoch prozessuale Bedeutung. Wenn im Geschäftsverteilungsplan nichts anderes geregelt ist, kann mit „Eingang“ nur ein prozessualer Vorgang gemeint sein. Mithin hätte das Verfahren 8 O 24/09 KfH beim Wiederanruf des ruhenden Verfahrens durch einen am 21.12.2010 eingegangenen Schriftsatz in der alten Zuständigkeit der 8. Kammer für Handelssachen verbleiben müssen, ohne neue Berücksichtigung bei der Turnusverteilung. Das bedeutet, dass insoweit ein weiterer Grund dafür vorliegt, weshalb das Verfahren 8 O 24/09 KfH bei der Verteilung nicht dem vorliegenden Rechtsstreit hätte vorgezogen werden dürfen, mit der Konsequenz, dass das vorliegende Verfahren auch aus diesem Grund der 8. Kammer für Handelssachen hätte zugeordnet werden müssen. Auch im Hinblick auf diesen Fehler erscheint dem Senat die Anwendung des Geschäftsverteilungsplanes durch das Landgericht offensichtlich unhaltbar, so dass von einem Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters auszugehen ist.
45 
c) Die Regelung im Abschnitt F Ziff. 9 des Geschäftsverteilungsplans über die Behandlung „irrtümlich zugeschriebener Sachen“ ändert nichts an der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine fehlerhafte Zuweisung eines Verfahrens an eine bestimmte Kammer kann nach dieser Regelung „mit der Bestimmung des frühen ersten Termins“ nur bei einem einfachen Fehler geheilt werden („irrtümlich zugeschriebene Sache“). Ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters kann durch eine derartige salvatorische Klausel in einem Geschäftsverteilungsplan jedoch grundsätzlich nicht nachträglich geheilt werden (vgl. BGH, NJW 2009, 1351, 1352).
46 
d) Es kann dahinstehen, ob das Landgericht auch in anderen Fällen ruhende Verfahren, die wiederangerufen wurden, fehlerhaft neu bei der Turnusverteilung berücksichtigt hat. Zwar könnten solche Fehler bei anderen Verfahren – in der Vergangenheit – indirekt auch Auswirkungen auf die Zuteilung des vorliegenden Rechtsstreits gehabt haben. Denn jede zusätzliche Berücksichtigung eines Verfahrens verschiebt in einem Turnussystem die Zuordnung aller Verfahren, die zu einem späteren Zeitpunkt eingehen. Für die Entscheidung des Senats im vorliegenden Fall ist dies jedoch ohne Bedeutung. Denn es wäre nach Auffassung des Senats untragbar, wenn die Kammern für Handelssachen bei jeder Zuteilung eines Verfahrens im Turnussystem prüfen müssten, ob irgendwann in der Vergangenheit andere Fehler bei der Zuteilung erfolgt sind, die sich aus rechnerischen Gründen auf die jeweils aktuelle Zuteilung auswirken würden. Es ist nach Auffassung des Senats – im Sinne des Gebots des gesetzlichen Richters – zumindest nicht willkürlich, wenn das Landgericht bei der Zuteilung nur die jeweils am selben Tag eingegangenen Verfahren in die Zuständigkeitsprüfung einbezieht, und auf eine Prüfung eventueller Fehler in der Vergangenheit verzichtet.
47 
e) Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf der Rechtsverletzung. Bei einer Berücksichtigung des Verfahrenseingangs am 20.12.2010 per Fax musste das Verfahren der 8. Kammer für Handelssachen und nicht der 7. Kammer zugewiesen werden. Dies ergibt sich aus den entsprechenden Feststellungen des Landgerichts.
48 
4. Eine weitere Schriftsatzfrist für den Kläger war nicht geboten. Bereits aus der Verfügung des Vorsitzenden vom 19.04.2012 konnte der Kläger erkennen, welche Fragen für die Entscheidung des Senats möglicherweise von Bedeutung sein könnten. Die Rechtslage ist zudem im Senatstermin vom 12.07.2012 eingehend erörtert worden. Die Rechtsausführungen im Schriftsatz des Klägervertreters vom 17.07.2012 hat der Senat berücksichtigt. Aus dem Schriftsatz ergibt sich nicht, zu welchen – entscheidungsrelevanten – Punkten aus der Sicht des Klägers gegebenenfalls noch ergänzendes Vorbringen in Betracht kommen könnte.
49 
5. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil des Landgerichts vorbehalten (vgl. Zöller/Greger a. a. O., § 280 ZPO, Rdnr. 7).
50 
6. Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO. Die Frage, ob § 280 ZPO (unmittelbar oder analog) auch auf ein Zwischenurteil Anwendung findet, in welchem die Zuständigkeit eines Spruchkörpers nach dem Geschäftsverteilungsplan festgestellt wird, hat nach Auffassung des Senats grundsätzliche Bedeutung.

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