Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 AK 102/11

Tenor

1. Die Auslieferung der Verfolgten nach Österreich aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Landesgerichts O. vom 18. August 2010 wird für nicht zulässig erklärt.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Verfolgten fallen der Staatskasse zur Last.

3. Eine Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft wird nicht bewilligt.

Gründe

 
I.
Gegen die am 12.10.2011 festgenommene und aufgrund Senatsbeschlusses vom 18.10.2011 seit diesem Zeitpunkt bis zur Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls am 14.02.2012 in Auslieferungshaft befindliche Verfolgte besteht ein Europäischer Haftbefehl des Landesgerichts O. vom 18.08.2010, aus welchem sich ergibt, dass die österreichischen Justizbehörden die Auslieferung der Verfolgten zur Strafverfolgung begehren und ihr insoweit die Begehung der nachfolgend umschriebenen, aus elf Teilakten bestehenden und von den österreichischen Justizbehörden als eine einheitliche Straftat gewerteten Taten zur Last legen:
wird ausgeführt
Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 27.10.2011 beantragt, die Auslieferung der Verfolgten nach Österreich zur Strafverfolgung im nachgesuchten Umfang für zulässig zu erklären; zugleich hat sie entschieden, dass nicht beabsichtigt sei, Bewilligungshindernisse gemäß § 83 b IRG geltend zu machen. Die Verfolgte hat gegen ihre Auslieferung Einwendungen erhoben und durch ihren Rechtsbeistand mit Schriftsatz vom 21.11.2011 unter anderem geltend, ihre Auslieferung sei wegen in der Bundesrepublik Deutschland eingetretener Verfolgungsverjährung nicht zulässig.
II.
Die Auslieferung der Verfolgten nach Österreich aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Landesgerichts O. vom 18.08.2010 ist nicht zulässig, da ein Auslieferungshindernis nach § 9 Nr. 2 IRG besteht.
1. Insoweit ergibt zunächst die unter ergänzender Heranziehung der Ausschreibung der Verfolgten durch die österreichischen Justizbehörden im Schengener Informationssystem (SIS) gebotene Auslegung des Europäischen Haftbefehls, dass der Verfolgten die Begehung von elf Betrugsstraftaten im Zeitraum von Februar bis Juli 2006 zur Last gelegt wird, wobei es sich bezüglich des unter Ziffer 10 mitgeteilten Tatzeitpunktes „14.06.2010“ ersichtlich um ein redaktionelles Versehen handelt. Auch ist dem Europäischen Haftbefehl - ohne dass es einer ergänzenden Anfrage bei den österreichischen Justizbehörden insoweit bedurft hätte - hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Verfolgte die ihr vorgeworfenen mittäterschaftlichen Betrugshandlungen zum Nachteil der in Österreich wohnhaften Geschädigten durch Telefonanrufe aus F./Deutschland begangen haben soll, so dass sie sich auch nach deutschem Recht strafbar gemacht haben könnte und daher für die Taten auch die deutsche Gerichtsbarkeit nach Maßgabe der §§ 3, 9 StGB begründet ist.
2. Der Zulässigkeit der Auslieferung steht vorliegend das Hindernis der Verfolgungsverjährung nach § 9 Nr.2 IRG entgegen. Nach dieser Vorschrift ist bei konkurrierender Gerichtsbarkeit eine Auslieferung unzulässig, wenn die Verfolgung nach deutschem Recht verjährt ist. Hiervon ist vorliegend auszugehen, da §§ 78 Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4, 78a StGB für die der Verfolgten zur Last gelegten Vergehen des besonders schweren Falls des Betruges bzw. der Urkundenfälschung gemäß §§ 263 Abs. 1 und 3 bzw. 267 Abs. 1 und 3 StGB eine Verjährungsfrist von fünf Jahren vorsehen, so dass ausgehend von einem zeitnahen Erfolgseintritt mangels inländischer Unterbrechungshandlungen nach § 78 c StGB im Juli 2011 - anders als nach dem Recht der Republik Österreich, das insoweit eine Verjährungsfrist von zehn Jahren vorsieht - in Deutschland Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist.
a. Die Vorschrift des § 9 Nr.2 IRG kommt i.V.m. § 82 IRG vorliegend auch zur Anwendung. Der Achte Teil des IRG enthält in den §§ 78 ff. IRG bezüglich der Frage der Verjährung keine ausdrückliche Sonderregelung. Damit finden nach § 78 Abs.1 IRG die übrigen Bestimmungen des IRG - also auch § 9 Nr. 2 IRG - Anwendung. Dieser Verweis beinhaltet die dem Vollstreckungsmitgliedstaat in Art. 4 Nr. 4 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (2002/584/jI) (im folgenden: RbEuHb) eingeräumte Möglichkeit, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates verjährt ist und - wie hier - nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand.
b. Auch internationale oder bilaterale Vereinbarungen stehen der Annahme eines Auslieferungshindernisses nicht entgegen. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die in §§ 1 Abs.3, 78 Abs.2 IRG genannten völkerrechtlichen Vereinbarungen den nicht abschließend im Achten Teil getroffenen sonstigen Regelungen im IRG vorgehen oder Art. 31 Abs. 1 RbEuHb, wonach der RbEuHb die dort genannten internationalen Übereinkommen in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten ersetzt, einer solchen Bewertung entgegenstehen würde (so EuGH, Urt. v. 12.08.2008, C - 296/08 (Goicoechea); Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 78 IRG Rn. 8). Denn die Bundesrepublik Deutschland hat mit Erklärung vom 03.11.2010 an das Generalsekretariat des Rates und der Europäischen Kommission (Nr. 16037/10) ihre ursprüngliche Erklärung vom 07.09.2006 (Nr. 12509/06) zu Artikel § 31 Abs.2 Unterabsatz 4 des RbEuHb, wonach die in Art. 31 Abs. 1 RbEuHb genannten multilateralen Übereinkommen weiter anwendbar bleiben sollen, ausdrücklich zurückgenommen.
c. Soweit daher Art. 62 des Übereinkommens vom 19.06.1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.06.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (Schengener Durchführungsübereinkommen, im folgenden: SDÜ) vorsieht, dass für die Unterbrechung der Verjährung allein die Rechtsvorschriften des ersuchenden Staates maßgebend sind, ist seine Anwendung nunmehr ausgeschlossen, da das diese Regelung enthaltende Kapitel dieses Übereinkommens ausdrücklich in Art. 31 Abs.1 lit.e RbEuHb genannt ist. Gleiches gilt auch für Art. IV des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über die Ergänzung des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13.12.1957 (im folgenden: EuAlÜbk) und die Erleichterung seiner Anwendung vom 31.01.1972 (BGBL. 1975 II S. 1162 fO.). Zwar ist dieser Zusatzvertrag nicht ausdrücklich in Art.31 Abs. 1 RbEuHb aufgeführt, jedoch dort unter lit. a das EuAlÜbk, ohne dessen Bestand die Ergänzung ihre Grundlage verliert. Im Übrigen hat die Bundesrepublik Deutschland am 14.12.2010 gegenüber dem Generalsekretär des Europarates in Abänderung ihrer Erklärung vom 17.08.2004 ausdrücklich erklärt (BGBL. 2011 II Nr.2 S. 66), dass die Bestimmungen im EuAlÜbk gegenüber einem Mitgliedstaat nur bei Unanwendbarkeit des RbEuHb anwendbar sind und dies auch für die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einzelnen Mitgliedstaaten geschlossenen bilateralen Vereinbarungen gilt.
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d. Der Senat sieht auch keine Rechtsgrundlage, für die Frage einer möglichen Unterbrechung der Verjährung auf die Vorschriften des ersuchenden Staates abzustellen. Zwar hält der Bundesgerichtshof im Rahmen des EuAlÜbk eine solche Betrachtung für rechtlich zulässig (BGHSt 33, 26; in diesem Sinne auch jüngst OLG München, Beschluss vom 07.03.2013, OLG Ausl 14 Ausl. A 1033/12 (69/13) u.a.), eine Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf die Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union scheidet jedoch schon - wie oben dargestellt - mangels Fortgeltung des EuAlÜbk aus. Im Übrigen ist der Senat der Ansicht, dass auch bei der Auslieferung nicht deutscher Staatsangehöriger aufgrund eines Europäischen Haftbefehls (zu deutschen Staatsangehörigen siehe ausdrücklich BVerfG StraFo 2009, 455; BGHSt 52,191) eine insoweit notwendige Abweichung vom Wortlaut der Vorschrift des § 9 Nr.2 IRG einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedarf, da insoweit jedenfalls in das dem Verfolgten zustehende Grundrecht aus Art.2 Abs.1 GG eingegriffen würde. Im Übrigen soll durch den RbEuHb (vgl. hierzu den Erwägungsgrund Nr.5 RbEuHb i.V.m. der in Art. 4 Nr.4 RbEuHb zur Verjährung ausdrücklich getroffenen Regelung) auch der bislang zwischen den Mitgliedstaaten bestehende Auslieferungsverkehr durch ein vereinfachtes System der Übergabe ersetzt werden, so dass auch nicht von einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke ausgegangen werden kann (ebenso Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, a.a.O., § 78 IRG Rn. 8,9). Deshalb kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die österreichischen Justizbehörden Handlungen vorgenommen haben, welche bei sinngemäßer Umstellung des Sachverhalts ihrer Art nach geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Vorschriften zu unterbrechen. Der Senat hat daher von einer entsprechenden Anfrage an die österreichischen Justizbehörden abgesehen.
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Bei dieser Sachlage steht der Auslieferung der Verfolgten nach Österreich zur Strafverfolgung das Hindernis des § 9 Nr. 2 IRG entgegen. Diese war daher als unzulässig abzulehnen.
III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 IRG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
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Eine Entschädigungspflicht der Staatskasse nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen für die vollzogene Auslieferungshaft scheidet aus, weil eine entsprechende Anwendung dieses Gesetzes auf die Auslieferungshaft grundsätzlich ausgeschlossen ist (BGHSt 32, 221) und ein Fall, in welchen Behörden der Bundesrepublik Deutschland die nach deutschem Recht unberechtigte Verfolgung im Sinne eines Verschuldens zu vertreten hätten, nicht vorliegt (OLG Hamm StraFo 1997, 93; BVerfG, Beschluss vom 05.06.1992, 2 BvR 1403/91). Allein die zum Recht der Verjährung erfolgte Abänderung einer durchaus vertretbaren anderen Rechtsauffassung und deren Neubewertung durch den Senat rechtfertigt eine solche Annahme nicht.

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