Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 11 Wx 100/12

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mannheim vom 29. Juni 2012 - (…) 8 UR III 17/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligten zu 2 und 3 haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Geschäftswert der Beschwerdeinstanz wird auf EUR 3.000 festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Die Beteiligte zu 2, die Mutter der Betroffenen, und ihr jetziger Ehemann - der Beteiligte zu 3 - wenden sich gegen die Anordnung des Amtsgerichts, als Familiennamen der Betroffenen denjenigen ihres früheren Ehemanns - des Beteiligten zu 4 - einzutragen.
Die Beteiligte zu 1 wurde am ... Oktober 2005 in Mannheim als Tochter der Beteiligten zu 2, einer marokkanischen Staatsangehörigen, geboren. Bei der Beurkundung der Geburt gab die Beteiligte zu 2 an, noch nie verheiratet gewesen zu sein. Das entsprach nicht den Tatsachen; tatsächlich war die Beteiligte zu 2 zu diesem Zeitpunkt noch mit dem Beteiligten zu 4 - einem marokkanischen Staatsangehörigen - verheiratet, mit dem sie 1990 in Marokko die Ehe geschlossen hatte. Aufgrund vorgeburtlicher Anerkennung der Vaterschaft wurde der Beteiligte zu 3, der deutscher Staatsangehöriger ist, als Vater des Kindes in das Register eingetragen. Es wurde gemeinsame elterliche Sorge vereinbart und der Familienname des Beteiligten zu 3 als Geburtsname der Beteiligten zu 1 bestimmt. Nachdem die zwischen den Beteiligten zu 2 und 4 bestehende Ehe am 30. Januar 2008 von einem marokkanischen Gericht - in Abwesenheit des Beteiligten zu 4 - geschieden worden war, schlossen die Beteiligten zu 2 und 3 am 22. Mai 2008 in Marokko die Ehe. Der Beteiligte zu 4 ist unbekannten Aufenthalts.
Standes- und Rechtsamt der Stadt Mannheim haben bei dem Amtsgericht beantragt, das Geburtenregister in der Weise zu berichtigen, dass als Vater der Beteiligten zu 1 der Beteiligte zu 4 eingetragen und dessen Familienname auch für die Beteiligte zu 1 übernommen wird. Sie haben die Auffassung vertreten, sowohl nach marokkanischem als nach deutschem Recht gelte der Beteiligte zu 4 als Vater der Betroffenen; dessen Familienname sei daher in Anwendung des marokkanischen Rechts auch als Familienname der Betroffenen einzutragen.
Die Beteiligten zu 2 und 3 sind dem Antrag entgegengetreten. Zur Begründung haben sie vorgetragen, der Beteiligte zu 3 sei der leibliche Vater des Kindes; eine Vaterschaft des Beteiligten zu 4 sei ausgeschlossen. Seit einer Trennung im Jahr 2002 habe die Beteiligte zu 2 keinen Kontakt zu dem Beteiligten zu 4 mehr gehabt. Die Vaterschaftsanerkennung des Beteiligten zu 3 sei jedenfalls gemäß § 1598 Absatz 2 BGB wirksam, da seit der Eintragung in das Personenstandsregister fünf Jahre vergangen seien.
Hilfsweise haben die Beteiligten zu 2 und 3 beantragt, das Personenstandsverfahren bis zur erfolgreichen Durchführung einer Vaterschaftsanfechtungsklage auszusetzen, da diese vorgreiflich sei. Die Beteiligte zu 1 sei es auch aufgrund ihrer Herkunft aus dem arabisch-islamischen Kulturkreis unzumutbar, nicht mehr den Familiennamen ihres leiblichen Vaters, sondern eines ihr fremden Menschen zu tragen; es drohten hierdurch psychische Schäden.
Das Amtsgericht hat dem Berichtigungsantrag stattgegeben. Das Geburtenregister sei gemäß §§ 48, 50 PStG zu berichtigen, da es von Anfang an unrichtig sein. Da die Beteiligte zu 2 zum Zeitpunkt der Geburt der Beteiligten zu 1 mit der Beteiligten zu 4 verheiratet gewesen sei, sei dieser sowohl nach deutschem als auch nach marokkanischen Recht als rechtlicher Vater des Kindes im Register einzutragen. Aus dem Vaterschaftsanerkenntnis des Beteiligten zu 3 ergebe sich nichts anderes. Ein Vaterschaftsanerkenntnis sei gemäß § 1594 Absatz 2 BGB nicht wirksam, solange die Vaterschaft eines anderen Mannes bestehe. Dem Hilfsantrag auf Aussetzung des Verfahrens sei nicht zu entsprechen, da die Voraussetzungen des §§ 21 FamFG nicht vorlägen. Trotz gerichtlicher Aufforderung habe die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 2 und 3 nicht dargelegt, dass ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren überhaupt anhängig gemacht worden sei. Auch der Sache nach liege ein wichtiger Grund nicht vor, da der Beteiligte zu 4 als rechtlicher Vater in jedem Fall zunächst in das Geburtenregister einzutragen sei, bevor gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt nach erfolgreicher Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft des Beteiligten zu 4 in einem gerichtlichen Verfahren eine Fortschreibung des Registers und einer Eintragung des Beteiligten zu 3 aufgrund des Vaterschaftsanerkenntnisses erfolgen könne.
Gegen diese Entscheidung, die ihrer Verfahrensbevollmächtigten am 12. Juli 2012 zugestellt worden ist, richtet sich die am 13. August 2012 - einem Montag - eingegangene Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3. Diese sind der Auffassung, dass eine Aussetzung auch dann möglich sei, wenn eine Vorgreiflichkeit nicht bestehe. Die Erforderlichkeit der Aussetzung ergebe sich hier aus dem Kindeswohl. Diesem widerspreche es offenkundig, wenn der rechtliche Vater nur eine juristische Sekunde lang eingetragen werde. Die Konfrontation mit dem Namen des rechtlichen Vaters sei dem Kindeswohl abträglich.
Die Beteiligte zu 1 - vertreten durch die Beteiligte zu 2 - hat bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Mannheim am 15. Oktober 2012 einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für das Vaterschaftsanfechtungsverfahren gestellt. Eine Entscheidung über diesen Antrag ist von den Beteiligten nicht mitgeteilt worden und war jedenfalls bis zum 19. August 2013 nicht ergangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
10 
Der Senat hat zum marokkanischen Recht schriftliche Gutachten der Professoren Dr. J. und Dr. R. eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
II.
11 
Die nach § 58 Absatz 1 FamFG zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
12 
(…)
B.
13 
1. Gegen eine Entscheidung, mit der das Standesamt zur Vornahme einer Berichtigung angewiesen wird, ist nach § 51 Absatz 1 PStG in Verbindung mit § 58 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde eröffnet. Beschwerdeberechtigt ist dabei jeder, der nach dem Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist (Gaaz/Bornhofen, PStG, 2. Auflage, § 48, Rn. 14). Unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens ist nicht nur die Beteiligte zu 2 als Mutter des Kindes, sondern auch der Beteiligte zu 3 als der nach seinem Vortrag leibliche Vater (§ 7 Absatz 2 Nr. 1 FamFG) als Beteiligter und Beschwerdeberechtigter anzusehen; das Verfahren berührt das ihm nach seiner Auffassung zustehende Recht, als rechtlicher Vater der Betroffenen in das Personenstandsregister eingetragen zu werden.
14 
2. Die deutschen Gerichte sind für die Entscheidung zuständig, weil eine Eintragung im deutschen Geburtenbuch betroffen ist; die internationale Zuständigkeit folgt insoweit aus der örtlichen Zuständigkeit. Aus der internationalen Zuständigkeit ergibt sich auch die Anwendbarkeit des deutschen Verfahrensrechts (BayObLG 2002, 1009).
C.
15 
Der Senat kann das Verfahren nicht aus wichtigem Grund aussetzen (§ 21 Absatz 1 Satz 1 FamFG), bis über eine Vaterschaftsanfechtungsklage - für die die Betroffene mittlerweile einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe gestellt hat - entschieden ist.
16 
1. Das Regelbeispiel des § 21 Absatz 1 Satz 1 FamFG - Vorgreiflichkeit der Entscheidung in einem anderen Verfahren - ist aus den vom Erstgericht zutreffend ausgeführten Gründen nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für eine Vaterschaftsanfechtung sind im Gegenteil nur dann gegeben, wenn der Beteiligte zu 4 rechtlicher Vater des Kindes ist und dessen Stellung durch eine Anfechtungsklage zugunsten des Beteiligten zu 3 beseitigt werden soll.
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2. Auch außerhalb des Regelbeispiels ist eine Aussetzung des Verfahrens nicht möglich. Der Zweck des § 21 FamFG besteht darin, eine Verfahrensaussetzung aus prozessökonomischen Gründen oder dann zu ermöglichen, wenn aus Gründen, die außerhalb des Verfahrens liegen, eine sachgerechte Entscheidung noch nicht möglich ist. Eine derartige Situation liegt nicht vor. Die sachgerechte Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen von der Entscheidung über die Vaterschaftsanerkennung abhängig. Soweit die Beteiligten zu 2 und 3 der Auffassung sind, dass eine Führung des Familiennamens des Beteiligten zu 4 dem Wohl der Betroffenen schaden könnte, stehen hierfür die - notfalls auch mit gerichtlicher Ersetzung der Zustimmung des rechtlichen Vaters mögliche - Einbenennung nach § 1618 BGB und die Namensänderung aus wichtigem Grund nach den öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 3 Absatz 1 NamÄndG) zur Verfügung.
18 
3. Bei der Entscheidung über die Aussetzung war auch zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 2 als Sorgeberechtigte der Beteiligten zu 1 hinreichend Gelegenheit hatte, eine zwischenzeitliche Eintragung des neuen Namens durch rechtzeitige Einreichung einer Vaterschaftsanfechtungsklage abzuwenden. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Standesamtes ist sie bereits am 16. November 2011 über das beabsichtigte Berichtigungsverfahren informiert worden, nachdem ihr die Angelegenheit bereits zuvor in mehreren Gesprächen erläutert worden sei. Ein Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine Vaterschaftsanfechtungsklage ist aber erst knapp ein Jahr später - nämlich mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2012 - gestellt worden. Das Verfahren ist offenbar auch nicht mit Nachdruck betrieben worden, wie die Mitteilung des Familiengerichts vom 29. Mai 2013 zeigt, die Antragstellerin erwäge „derzeit eine Antragsrücknahme“.
D.
19 
Das Amtsgericht hat dem Berichtigungsantrag des Standesamts, dem sich die Aufsichtsbehörde angeschlossen hat, zu Recht entsprochen; die Betroffene stammt - unabhängig von dem für die Abstammung anwendbaren Recht - rechtlich von dem Beteiligten zu 4 ab und hat daher auch dessen Familiennamen zu tragen.
20 
1. Nach Artikel 10 Absatz 1 EGBGB unterliegt der Name einer Person dem Recht des Staates, dem sie angehört.
21 
a) Sollte die Beteiligte zu 1 rechtlich von dem Beteiligten zu 3, einem deutschen Staatsangehörigen, abstammen, so würde sich aus deutscher Sicht das Namensrecht gemäß Artikeln 10 Absatz 1, 5 Absatz 1 EGBGB nach deutschem Recht richten. In diesem Fall wäre die Beteiligte zu 1 nämlich Inhaberin einer doppelten Staatsangehörigkeit; sie hätte die marokkanische Staatsangehörigkeit über die Mutter (Artikel 6 des Gesetzes über die marokkanische Staatsangehörigkeit vom 6. September 1958, zitiert nach der deutschen Übersetzung in Bergmann/Ferid, Stand der 186. Lieferung, Abschnitt Marokko, S. 15) und die deutsche Staatsangehörigkeit über den Vater (§ 4 Absatz 1 StAG) erworben. Da die Beteiligten zu 2 und 3 nach Vaterschaftsanerkennung des Beteiligten zu 3 die gemeinsame Sorge vereinbart und eine Namenserklärung zugunsten des Namens des Beteiligten zu 3 abgegeben haben, wäre der jetzt eingetragenen Familienname - die Abstammung der Beteiligten zu 1 vom Beteiligten zu 3 vorausgesetzt - richtig; der Antrag des Standesamtes wäre dann zurückzuweisen. Auf marokkanisches Kollisionsrecht käme es in diesem Fall nicht an, da dieses nicht zu einem anderen Ergebnis führt; nach marokkanischem Recht erhält ein Kind den Familiennamen des Vaters (vgl. Nelle in: Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Familienrecht, Stand der 186. Lieferung, Abschnitt Marokko, S. 60; Artikel 20 Zivilstandsgesetz vom 3. Oktober 2002, deutsche Übersetzung zitiert nach ebenda, S. 98). Im Übrigen wird - wie die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. J. zeigen (Seite 5 des schriftlichen Gutachtens) - eine etwa einschlägige Verweisung des deutschen auf das marokkanische Recht von diesem angenommen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 FamGB Marokko).
22 
b) Sollte die Beteiligte zu 1 rechtlich von dem Beteiligten zu 4 abstammen, wäre sie ausschließlich marokkanische Staatsangehörige; in diesem Falle würde sie nach Artikel 10 Absatz 1 EGBGB in Verbindung mit dem marokkanischen Recht dessen Familiennamen tragen.
23 
2. Die Betroffene stammt rechtlich vom Beteiligten zu 4 ab; das gilt unabhängig davon, ob insoweit deutsches oder marokkanisches Recht anzuwenden ist.
24 
a) Nach Artikel 19 Absatz 1 Satz 1 EGBGB unterliegt die Beurteilung der Abstammung dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; dies ist hier Deutschland, wo die Beteiligte zu 1 auch geboren wurde. Nach Satz 2 und 3 dieser Vorschrift käme dagegen die Anwendung marokkanischen Rechts in Betracht, weil der Beteiligte zu 4 diesem Staat angehört (Satz 2) und die allgemeinen Wirkungen seiner Ehe mit der Beteiligten zu 2 wegen der gemeinsamen Staatsangehörigkeit nach dem Recht dieses Staates zu beurteilen sind (Satz 3 in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 1 Nr. 1 EGBGB).
25 
b) In welchem Verhältnis die Anknüpfungen in Artikel 19 Absatz 1 EGBGB stehen, ist im Einzelnen umstritten (vgl. etwa BayObLG NJW-RR 2002, 1009; BeckOK/BGB/Heiderhoff, Edition 27, Artikel 19, Rn. 20 ff., jeweils m. w. N.). Nach der ganz überwiegend vertretenen Auffassung gilt das sogenannte Günstigkeitsprinzip; danach ist diejenige Anknüpfungsalternative zu wählen, die für das Kind am Günstigsten ist. Das wird von der herrschenden Auffassung dahin verstanden (ebenda, Rn. 21), dass dasjenige Statut zu wählen sei, auf Grund dessen eine Abstammung zuerst gesetzlich festgestellt werden kann oder gerichtlich festgestellt wurde. Letztlich kommt es auf diese Frage jedoch nicht an, weil sowohl das deutsche als auch das marokkanische Recht zu einer rechtlichen Vaterschaft des Beteiligten zu 4 führen.
26 
aa) Nach deutschem Recht gilt die Beteiligte zu 1 bis zu einer erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung als Kind des Beteiligten zu 4, der zum Zeitpunkt ihrer Geburt mit der Beteiligten zu 2 verheiratet war (§ 1592 Nr. 1 BGB). Dieser Zuordnungsgrund ist nach deutschem Recht vorrangig gegenüber demjenigen der Vaterschaftsanerkennung (§ 1592 Nr. 2 BGB). Dass die Anerkennung mehr als fünf Jahre zurückliegt, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer keine andere Beurteilung. Sind seit der Eintragung in ein deutsches Personenstandsbuch fünf Jahre verstrichen, so ist die Anerkennung nach § 1598 Absatz 2 BGB allerdings grundsätzlich wirksam, auch wenn sie den Erfordernissen der vorstehenden Vorschriften nicht genügt. Zu diesen Vorschriften zählt zunächst auch § 1594 Absatz 2 BGB. Dennoch ist § 1598 Absatz 2 BGB nicht auf die Anerkennungssperre des § 1594 Absatz 2 BGB anzuwenden. Das ergibt eine teleologische Auslegung von § 1598 Absatz 2 BGB. Nach ihrem Zweck soll die Heilungsvorschrift des § 1598 Absatz 2 BGB zur Befriedung von Unklarheiten über die Wirksamkeit der Anerkennung führen. Die Anwendung des § 1598 Absatz 2 BGB würde jedoch eine nicht denkbare Doppelvaterschaft zur Folge haben (OLG Rostock FamRZ 2008, 2226, juris-Rn. 10 m. w. N.; Münchener Kommentar/Wellenhofer, BGB, 6. Auflage, § 1598, Rn. 24; jurisPK/Nickel, 6. Auflage, § 1598, Rn. 12).
27 
bb) Die Anwendung des marokkanischen Rechts würde, wie sich aus den vom Senat eingeholten Gutachten ergibt, zu keiner anderen Beurteilung führen.
28 
(1) Grundlage der Beurteilung ist das am 5. Februar 2004 in Kraft getretene marokkanische Familiengesetzbuch. Übergangsregelungen, die eine Anwendung dieses Rechts auf die Geburt der Beteiligten zu 1 im Jahre 2005 ausschließen würden, sind nicht ersichtlich (vgl. Gutachten Prof. Dr. J. , S. 6 f.).
29 
(2) Ausgangspunkt der Abstammungsregeln im marokkanischen FamGB ist Artikel 151, wonach die väterliche Abstammung „aufgrund einer Vermutung festgestellt“ und nur durch gerichtliche Entscheidung entkräftet werden könne. In Artikel 152 FamGB heißt es dann, die väterliche Abstammung werde alternativ durch „eheliche Kohabitation“, Anerkennung durch den Vater oder „irrtümlich sexuelle Beziehungen“ festgestellt. Zu der ersten Variante - eheliche Kohabitation - heißt es in Artikel 154, dass die Abstammung auf diesem Wege festgestellt werde, wenn das Kind mindestens sechs Monate nach Errichtung der Eheurkunde geboren wurde und es „die Möglichkeit ehelicher Beziehungen zwischen den Eheleuten gab“.
30 
(3) Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Voraussetzung der „Kohabitation“ formal zu verstehen sei und sie zwar durch Zeugungsunfähigkeit des Ehemanns, nicht aber durch seine bloße Abwesenheit ausgeschlossen werde. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. beruhen, wie sich aus dessen Mitteilungen ergibt, aus der Auswertung amtlicher marokkanischer Dokumente, dortiger Fachliteratur und einem Gespräch mit einem Doktoranden der Universität Agadir. So hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich der Begriff der Kohabitation von dem arabischen Begriff al-Firasch für „das Bett“ ableite und „das Bett“ in diesem Sinne nach der marokkanischen Kommentarliteratur die „rechtsgültige Ehe“ bedeute (Gutachten R. , Seite 4). Diese Beurteilung entspricht, wie die weiteren vom Sachverständigen angeführten Zitate zeigen, einem Konsens im marokkanischen Schrifttum.
31 
(4) Die nach dem Gesetz bestehende zeitliche Voraussetzung für eine Abstammungsfeststellung aufgrund Kohabitation - Geburt mindestens sechs Monate nach Eheschließung - ist erfüllt, da die Ehe zwischen den Beteiligten zu 2 und 4 im Jahre 1990 geschlossen wurde und die Betroffene im Jahre 2005 geboren wurde.
32 
(5) Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat dargelegt, dass sich weder in den amtlichen Erläuterungen zum marokkanischen FamGB noch in den Quellen zur Rechtspraxis Hinweise darauf finden, dass die vom Gesetz als Voraussetzung der Abstammungsfeststellung weiter verlangte Möglichkeit des Ehevollzugs bereits dann entfällt, wenn der Ehemann abwesend sei. Der im arabischen Originaltext verwendete Begriff amkana heiße im vorliegenden Zusammenhang, dass der Ehemann zur Zeugung „fähig sein“ müsse und nicht, dass er zur Zeugung „Gelegenheit haben“ müsse (Seite 7 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. R. ). Der Begriff der Trennung in Artikel 154 Nr. 2 FamGB Marokko sei als Oberbegriff für die Eheauflösung durch Scheidung oder Tod zu verstehen; tatsächliche räumliche Distanz unter lebenden, nicht geschiedenen Eheleuten sei als solche unbeachtlich. Das ergebe sich bereits aus den amtlichen Erläuterungen des Gesetzestext, wonach der Terminus „Trennung“ die „Beendigung der ehelichen Beziehung“ bedeute; eine - auch längere - räumliche Trennung oder eine Scheidungsabsicht genüge insoweit nicht (Seite 9 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. R.). Die Ausführungen des zunächst beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. J. bestätigen diese Einschätzung; auch dieser kommt zu dem Ergebnis, dass als „Trennung“ gemäß Artikel 154 Nr. 2 FamGB nur eine Beendigung der Ehe durch Tod oder Scheidung anzusehen sei (S. 9 des Gutachtens Prof. Dr. J.).
33 
(6) Anhaltspunkte dafür, dass die marokkanische Rechtspraxis vom Fehlen einer ehelichen Abstammung - entgegen der Vorgaben des geschriebenen Rechts - bereits dann ausgeht, wenn die Mutter geltend macht, dass Kind stamme nicht von ihrem Ehemann ab, haben die hierzu angestellten Ermittlungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. nicht ergeben.
34 
(7) Auch nach marokkanischem Recht schließt die aufgrund Ehe festgestellte Vaterschaft eines Mannes die Wirksamkeit eines Anerkenntnisses aus; in Artikel 160 Nr. 2 FamGB ist nämlich geregelt, dass ein Anerkenntnis nicht möglich ist, wenn das betroffene Kind „bekanntermaßen von einem anderen“ abstammt.
35 
(8) Nach den überzeugend begründeten Ausführungen beider Sachverständiger kann (auch) nach marokkanischem Recht eine - nach den vorstehenden Ausführungen hier geltende - Vaterschaftsvermutung durch eine gerichtliche Entscheidung widerlegt werden.
III.
36 
(…)

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