Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 Ws 206/16

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts W. vom 07. September 2016 aufgehoben.

2. Das Vollstreckungsübernahmeverfahren aufgrund des Vollstreckungsübernahmeersuchens des rumänischen Justizministeriums vom 26. August 2015 wird eingestellt.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

 
I.
M. V. - ein 1967 in O./Rumänien geborener und seit 2011 in Deutschland lebender rumänischer Staatsangehöriger - wurde durch Urteil des Amtsgerichts O./Rumänien vom 06.11.2013, rechtskräftig durch Strafbeschluss des Berufungsgerichts O./Rumänien vom 23.06.2014, wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, wobei die Strafe aufgrund einer Vorverurteilung um ein Jahr auf insgesamt vier Jahre und sechs Monate erhöht wurde, weil er am 20.02.2006 bei der Niederlassung der Bank B. O./Rumänien in betrügerischer Absicht 24.000 Lei erschwindelt hatte. Mit Beschluss vom 28.07.2015 (1 AK 47/15) erklärte der Senat die Auslieferung des Verfolgten nach Rumänien aufgrund des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts O./Rumänien vom 15.09.2016 für nicht zulässig, da das schutzwürdige Interesse des Verfolgten nach § 83 b Abs.2 Satz 1 lit b IRG die Vollstreckung der gegen den Verfolgten in Rumänien verhängten Strafe im Inland gebiete. Am 01.10.2016 ging bei der Generalstaatsanwaltschaft sodann ein Vollstreckungsübernahmegesuch des rumänischen Justizministeriums vom 26.08.2015 ein, welchem neben einem Bericht des Amtsgerichts O./Rumänien das Urteil dieses Gerichts vom 06.11.2013 sowie der Strafbeschluss des Berufungsgerichts O./Rumänien vom 23.06.2014 beigefügt war. Nach Anhörung des Verurteilten beantragte die Staatsanwaltschaft W. am 17.08.2016 beim Landgericht W., die Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts O./Rumänien vom 06.11.2013, rechtskräftig durch Strafbeschluss des Berufungsgerichts O./Rumänien vom 23.06.2014, für zulässig zu erklären, woraufhin die angerufene Strafvollstreckungskammer des Landgerichts W. - ohne dem Verurteilten hierzu rechtliches Gehör zu gewähren - mit Beschluss vom 07.09.2016 entsprechend entschied.
Gegen die dem Verurteilten am 28.09.2016 zugestellte Entscheidung hat sein Verteidiger fristgemäß sofortige Beschwerde eingelegt, mit welcher er zahlreiche sachliche Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Vollstreckungsübernahme erhebt.
II.
Die gemäß § 84g Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 55 Abs. 2 Satz 1 IRG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte (§ 77 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Nr. 1 IRG, § 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist begründet und führt zur Einstellung des Verfahrens.
Die Vollstreckung ausländischer Erkenntnisse über freiheitsentziehende Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich im Bereich des hier in Rede stehenden Vollstreckungshilfeverkehrs mit einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach §§ 84 ff. IRG in der seit dem 25.07.2015 geltenden Fassung, durch die der Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27.11.2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, ABl. L 327 vom 05.12.2008, S. 27 (im Folgenden: Rb-Freiheitsstrafen) umgesetzt worden ist (Senat, Beschluss vom 31.01.2017, 1 Ws 235/16, abgedruckt bei juris).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts W. im angefochtenen Beschluss scheidet eine Anwendung der Vorschriften der §§ 84 ff. IRG nicht deshalb aus, weil die rumänischen Justizbehörden ihr Vollstreckungsübernahmegesuch nicht unter Beifügung der in Artikel 4 Rb-Freiheitsstrafen aufgeführten Bescheinigung gestellt haben. Zwar ließe der reine Wortlaut von § 84 Abs. 2 Nr. 2 IRG, nach welchem die Vorschriften des Vierten Teils des IRG sowie die allgemeinen Bestimmungen des Ersten und Siebenten Teils des IRG zur Anwendung kommen, wenn kein Ersuchen nach Maßgabe des Rb-Freiheitsstrafen gestellt wurde, mit der Folge der Anwendbarkeit der §§ 48 ff. IRG eine solche Deutung zu, jedoch entspricht eine solche Auslegung weder dem Willen des Gesetzgebers noch der Intention des Rb-Freiheitsstrafen.
a. Insoweit ergibt sich zunächst aus der Gesetzesbegründung, dass die Vorschriften der §§ 84 ff. IRG immer dann vorrangig zur Geltung kommen sollen, wenn der Anwendungsbereich des Rb-Freiheitsstrafen eröffnet ist. Hieran fehle es, wenn sich die verurteilte Person in einem Drittstaat aufhalte oder der andere Mitgliedstaat den Rb-Freiheitsstrafen noch nicht in sein nationales Recht umgesetzt habe (Bt.-Drucks. 18/4347, S. 110). In einem solche Falle bestehe durchaus die Möglichkeit, weiterhin Vollstreckungshilfe auf Grundlage völkerrechtlicher Übereinkommen und darüber hinaus auch nach §§ 48 ff. IRG auf vertragsloser Grundlage zu leisten. Beide Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor, da sich der Verfolgte in der Bundesrepublik Deutschland und nicht in einem Drittstaat aufhält und der Rb-Freiheitsstrafen in Rumänien schon am 26.12.2013 in das nationale Recht umgesetzt worden ist (vgl. hierzu https://www.ejn-Crimjust.europa.eu/ejn/EJN_Library_StatusOfImpByCat.aspx? CategoryId=36).
b. Dass die Vorschrift des § 84 Abs. 2 IRG in diesem Sinne eingeschränkt auszulegen ist, ergibt sich zunächst klarstellend aus § 84 Abs. 3 IRG, wonach die § 84 ff. IRG den völkerrechtlichen Regelungen vorgehen. Diese haben ohnehin nach Art. 26 Abs. 1 Rb-Freiheitsstrafen seit 05.11.2011 ihre Gültigkeit verloren, so dass etwa das Europäische Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21.02.1093 (ÜberstÜbK) weder unmittelbar noch ergänzend zur Anwendung kommen kann. Zudem hat EuGH in seiner Entscheidung vom 12.08.2008 (NJW 2009, 657 - Goicoechea) bezüglich des Europäischen Haftbefehls klarstellend ausgesprochen, dass der Rb-EuHB das Ziel bezwecke, die dort aufgeführten Übereinkommen durch ein einfacheres und wirksameres Regime zu ersetzen, weshalb eine ergänzende Anwendung außer Kraft getretener Übereinkommen auch bei entsprechender Erklärung der Mitgliedstaaten nicht in Betracht komme. Diese Erwägungen treffen im Grundsatz auch für den Rb-Freiheitsstrafen zu (ebenso Hackner in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Auflage 2012, Rb-Freiheitstrafen Rn. 4) und verbieten nicht nur eine Fortgeltung oder ergänzende Anwendung früherer Übereinkommen, sondern auch - wie vom Landgericht W. zu Unrecht angenommen - einen Rückgriff auf die Regelungen der allgemeinen Vollstreckungshilfe. Insoweit hat der Senat auch bedacht, dass die Vorschriften des Rb-Freiheitstrafen und ihre Umsetzung in §§ 84 ff. IRG nicht nur für alle Mitgliedstaaten einheitliche und wirksame Regelungen enthalten, sondern diese auch dem Ziel und damit dem Schutz des Verurteilten dienen, durch die teilweise auch verpflichtende Möglichkeit der Übernahme der Vollstreckung seine soziale Eingliederung entweder in seinem Heimatland oder in dem Mitgliedstaat zu ermöglichen, in welchem er sich regelmäßig auf Dauer aufhält (Bt.-Drucks. 18/4347, S.33).
c. Danach ist vorliegend aber festzustellen, dass die rumänischen Justizbehörden trotz bestehender Möglichkeit ihr Ersuchen nicht unter Beifügung der in Artikel 4 Rb-Freiheitsstrafen aufgeführten und hier durchaus notwendigen Bescheinigung gestellt haben. Für eine Verfahrensweise nach § 84c Abs. 2 IRG ist somit kein Raum. Auch eine nachträgliche Anforderung der Bescheinigung scheidet vorliegend aus.
III.
Der Senat hat daher das Verfahren unter Aufhebung des Beschlusse des Landgerichts W. vom 07.09.2016 ohne weitere Sachprüfung eingestellt, was den rumänischen Justizbehörden die Möglichkeit einer erneuten Antragstellung unter Beifügung der in Artikel 4 Rb-Freiheitstrafen aufgeführten Bescheinigung belässt.
10 
Die Kosten und Auslagenentscheidung beruht auf §§ 84 Abs. 2 Nr. 1, 77 Abs. 1 IRG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

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