Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 12 U 221/20

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe - Zivilkammer XXI - vom 03.07.2020, Az. 21 O 342/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO besteht Gelegenheit zur Stellungnahme und ggf. Rechtsmittelrücknahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

 
I.
Die Klägerin (red. Anmerkung: eine GmbH) begehrt die Rückzahlung von Versicherungsbeiträgen und die Herausgabe gezogener Nutzungen nach Widerspruch gegen eine Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht, die sie im Juli 2004 für ihren Angestellten M. F. bei der Beklagten im so genannten Policenmodell nach § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: a.F.) abschloss.
Dem Schreiben vom 15.07.2004, mit dem die Beklagte der Klägerin den Versicherungsschein übersandte, waren als Anlagen u.a. ein „Leitblatt Verbraucherinformation“, eine Aufstellung „Beitragsfreie Leistungen und Rückkaufswerte“ sowie „Allgemeine Bedingungen für die Rentenversicherung“ beigefügt (Anl. K1 u. B 2). Auf der letzten Seite des zweiseitigen Versicherungsscheins befand sich nachstehender, in Dickdruck gehaltener Hinweis:
„Sie können dem Versicherungsvertrag ab Stellung des Antrags bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins einschließlich der Versicherungsbedingungen und der übrigen Verbraucherinformationen schriftlich widersprechen. Eine Erklärung in Textform, z.B. per Fax oder eMail mit Angabe Ihres Namens, genügt. Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.“
Die Klägerin zahlte auf den Vertrag bis zum Ablauf der vertraglichen Beitragsdauer am 01.08.2016 Prämien von insgesamt 72.000 EUR. Nach Ausübung des Kapitalwahlrechts erhielt sie von der Beklagten eine Auszahlung von 81.421,34 EUR. Mit Anwaltsschreiben vom 26.11.2016 erklärte die Klägerin den Widerspruch und verlangte die Zahlung weiterer 9.860,46 EUR. Dem kam die Beklagte nicht nach. Zur Vorbereitung der Klage ließ die Klägerin durch die I. GmbH eine „Quantifizierung der Rückabwicklungsfolgen“ erstellen, für die ihr 595 EUR in Rechnung gestellt wurden.
Die Klägerin hat in erster Instanz die Ansicht geäußert, ihr Widerspruch sei wirksam, weil sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht informiert worden sei. Entgegen den Vorgaben von § 5a VVG a.F. sei das sogenannte „Textformerfordernis" in der Widerspruchsbelehrung unzureichend beachtet worden. Darüber hinaus lägen unvollständige Verbraucherinformationen zu den beitragsfreien Leistungen und Rückkaufswerten vor, weil sich aus den übermittelten Unterlagen nicht ergebe, ob und inwieweit die angegebenen Leistungen garantiert seien. Danach sei der Widerspruch auch heute noch möglich. Auch bei Vertragsabschluss durch einen Arbeitgeber wie hier seien die verbraucherschutzrechtlichen Vorschriften des Europarechts anwendbar. Verwirkung sei nicht eingetreten.
Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
1. an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 16.172,67 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. fünf Prozentpunkten per anno über dem Basiszinssatz seit dem 13.12.2016 zu bezahlen,
2. die Klägerin von Gutachterkosten der Firma I. GmbH in Höhe von 595 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten per anno hieraus über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen und
3. die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 887,03 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten per anno hieraus über den Basiszinssatz seit dem 13.12.2016 freizustellen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat die Ansicht vertreten, der Widerspruch sei verfristet, weil die erteilte Belehrung und die Angaben zu den beitragsfreien Leistungen sowie zu den Rückkaufswerten nicht zu beanstanden seien. Jedenfalls sei das Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. erloschen, der hier Geltung beanspruche, weil die Klägerin keine Verbraucherin sei. Überdies sei das Widerspruchsrecht nach jahrelanger unbeanstandeter Vertragsdurchführung und regulärer Beendigung mit Auszahlung der Ablaufleistung verwirkt.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil das Widerspruchsrecht jedenfalls wegen Ablaufs der Ausschlussfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. bereits vor seiner Ausübung erloschen gewesen sei. Die Vorschrift, deren tatbestandliche Voraussetzungen gegeben seien, sei anwendbar. Ihre Nichtanwendung aufgrund bindender Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union setze ersichtlich voraus, dass Versicherungsnehmer ein Verbraucher sei. Demgegenüber sei der Versicherungsnehmer hier ein Formkaufmann gewesen (§ 6 Abs. 1 HGB i.V.m. § 13 Abs. 3 GmbHG), der nicht desselben Schutzes wie ein Verbraucher bedürfe.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiterverfolgt. Sie wendet ein, die bindende Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union, die zur Unanwendbarkeit von § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. führe, gelte für jeden individuellen Versicherungsnehmer und nicht nur für Verbraucher. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
II.
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Für das Rechtsmittel der Klägerin besteht keine Erfolgsaussicht. Das angefochtene Urteil erweist sich zwar nicht mit der gegebenen Begründung, aber im Ergebnis als richtig.
16 
1. Anders als das Landgericht angenommen hat, ist die Vorschrift des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. im Streitfall nicht anwendbar.
17 
Wie der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 07.05.2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet hat, ist die Regelung richtlinienkonform teleologisch dergestalt zu reduzieren, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat. Entgegen der Ansicht des Landgerichts und der Beklagten ist von diesem Grundsatz keine Ausnahme zu machen, wenn der Versicherungsnehmer kein Verbraucher ist (a.A. OLG Stuttgart, VersR 2020, 1165 [juris Rn. 28-35]).
18 
Nach Maßgabe der für die nationalen Gerichte bindenden Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 02.04.2020 (C-20/19, NJW 2020, 1499 - kunsthaus muerz) sind die Art. 35 und 36 der Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.11.2002 über Lebensversicherungen dahin auszulegen, dass sie auch für Versicherungsnehmer gelten, die keine Verbraucher sind (aaO Rn. 41). Nichts Anderes gilt für Art. 15 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie 90/619/EWG des Rates vom 08.11.1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/EWG (Zweite Richtlinie Lebensversicherung) und Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG des Rates vom 10.11.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der Richtlinien 79/267/EWG und 90/619/EWG (Dritte Richtlinie Lebensversicherung), auf deren Auslegung die richtlinienkonforme Reduktion des Anwendungsbereichs von § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. beruht (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.2014 - IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 19-21). Denn auch insoweit ergibt sich aus dem Zusammenhang der Richtlinien, dass sowohl natürliche als auch juristische Personen Versicherungsnehmer im Sinne der Bestimmungen sein können.
19 
So definiert Art. 2 Buchst. e der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung - wie Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2002/83/EG - den Mitgliedstaat der Verpflichtung als den Mitgliedstaat, in dem der Versicherungsnehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder, wenn der Versicherungsnehmer eine juristische Person ist, den Mitgliedstaat, in dem sich die Niederlassung dieser juristischen Person befindet, auf die sich der Vertrag bezieht (vgl. EuGH aaO Rn. 31). Darüber hinaus sieht Art. 4 Abs. 2 der Zweiten Richtlinie Lebensversicherung - wie Art. 32 Abs. 2 der Richtlinie 2002/83/EG - vor, dass die Parteien nur dann das Recht des Mitgliedsstaats wählen können, dessen Staatsangehöriger der Versicherungsnehmer ist, wenn es sich um eine natürliche Person handelt (vgl. EuGH aaO Rn. 32). Weiter räumt Art. 30 Abs. 2 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung - wie Art. 35 Abs. 2 der Richtlinie 2002/83/EG - den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, den besonderen Schutz u.a. dann auszuschließen, wenn der Versicherungsnehmer dessen aufgrund seines Status oder wegen der Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wird, nicht bedarf (vgl. EuGH aaO Rn. 33). Überdies unterscheiden die Richtlinien in ihren Zielsetzungen nicht danach, ob der Versicherungsnehmer Verbraucher ist oder nicht (vgl. EuGH aaO Rn. 34 f. unter Bezugnahme auf die Erwägungsgründe 2 und 5 der Richtlinie 2002/83/EG, die insoweit Erwägungsgrund 3 der Dritten Richtlinie Lebensversicherung entsprechen). All dies zeigt, dass alle genannten Richtlinien keine Verbrauchereigenschaft des Versicherungsnehmers voraussetzen.
20 
Diese Auslegung der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung wird nicht durch den 23. Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie Lebensversicherung in Frage gestellt. Denn dieser lässt - ebenso wie der entsprechende 52. Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/83/EG - nicht den Schluss zu, dass das Erfordernis, Information über das Rücktrittsrecht zu erteilen, ausschließlich für Versicherungsnehmer gilt, die Verbraucher sind (EuGH aaO Rn. 36). Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht aufgrund der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19.12.2013 (C-209/12, VersR 2014, 225 - Endress) veranlasst, die sich u.a. auf den 23. Erwägungsgrund der Dritten Richtlinie Lebensversicherung und verbraucherschützende Erwägungen im Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 13.12.2001 (C-481/99, NJW 2002, 281 - Heininger) stützt (aaO [juris Rn. 24, 27-30]). Denn aus der Endress-Entscheidung geht hervor, dass der insoweit vom Gerichtshof der Europäischen Union angestellte Vergleich zwischen Versicherungsnehmern und Verbrauchern nur auf dem Vorliegen von Gemeinsamkeiten in ihrer vertraglichen Situation beruht. Dies bedeutet nicht, dass die dortigen Erwägungen auf Versicherungsnehmer begrenzt werden sollten, die zugleich Verbraucher sind (vgl. EuGH, Urteil vom 02.04.2020 - C-20/19, NJW 2020, 1499 Rn. 39 - kunsthaus muerz).
21 
2. Die Klageabweisung stellt sich gleichwohl als richtig dar, weil der Widerspruch der Klägerin wegen vorherigen Ablaufs der Frist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. unwirksam war. Diese lief nach Maßgabe von § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bereits an, als die Klägerin mit Schreiben der Beklagten vom 15.07.2004 den als Anlage K1 vorgelegten Versicherungsschein erhielt, dem unstreitig die mit der Anlage B 1 vorgelegten Versicherungsbedingungen sowie die auf die Anlagen K1 und B 1 verteilte Verbraucherinformation beigefügt waren. Der im Jahr 2016 erfolgte Widerspruch war damit verspätet.
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a) Anders als die Klägerin meint, steht dem Fristbeginn nicht entgegen, dass sie über das ihr nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt worden wäre.
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aa) Die im Versicherungsschein enthaltene Belehrung weist - was die Klägerin zu Recht nicht in Abrede stellt - eine drucktechnisch deutliche Form i.S.d. § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. auf. Um zu verhindern, dass der Widerspruch aus Unkenntnis der Rechtslage unterbleibt, ist es erforderlich, den Versicherungsnehmer durch eine entsprechende Ausgestaltung auf sein Widerspruchsrecht unübersehbar hinzuweisen. Die Belehrung muss sich danach aus dem übrigen Text deutlich herausheben und so die Rechtslage unübersehbar zur Kenntnis bringen. Sie darf in den Vertragsunterlagen nicht nahezu untergehen und ist so gesondert zu präsentieren bzw. drucktechnisch so stark hervorzuheben, dass sie dem Versicherungsnehmer nicht entgehen könnte, selbst wenn er nicht nach einer Widerspruchsmöglichkeit sucht (Senatsurteil vom 24.03.2016 - 12 U 141/15, VersR 2016, 908 [juris Rn. 43] m.w.N.).
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Diesen Anforderungen wird die erteilte Belehrung gerecht. Sie befindet sich auf der letzten Seite des sehr übersichtlichen, nur zweiseitigen Versicherungsscheins unmittelbar vor den Unterschriften und damit an einer Stelle, die üblicherweise selbst dann in den Blick des Versicherungsnehmers gerät, wenn er sich nicht im Detail mit den ihm übermittelten Unterlagen befasst. Außerdem ist die Belehrung anders als die vorangehenden Textpassagen in Dickdruck gehalten.
25 
bb) Auch inhaltlich bestehen keine Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Belehrung. Nach Maßgabe von § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG in der hier maßgeblichen Fassung war der Widerspruch in Textform zu erklären. Auf dieses Formerfordernis war in der Belehrung hinzuweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.06.2015 - IV ZR 426/13, juris Rn. 12). Der entsprechende Hinweis ist in Satz 2 der Belehrung enthalten.
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Die Ansicht der Klägerin, die Belehrung sei unzureichend bzw. irreführend, weil in Satz 1 der Belehrung von Schriftlichkeit die Rede ist, geht fehl. Entscheidend für die Ordnungsgemäßheit der Belehrung ist, ob dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer das für die Ausübung seines Widerspruchsrechts erforderliche Wissen vermittelt wird. Das ist hier der Fall. So geht aus dem zweiten Satz der Belehrung eindeutig und unmissverständlich hervor, dass eine Erklärung in Textform genügt. Die Aussage im ersten Satz, dass der Versicherungsnehmer dem Vertrag „schriftlich“ widersprechen könne, ändert hieran nichts, weil sie weder unzutreffend noch widersprüchlich ist. Die Verwendung des Wortes „schriftlich“ ist angesichts des Kontexts nicht gleichzusetzen mit Schriftform i.S.d. § 126 BGB; auch eine lesbare Erklärung in Textform gemäß § 126b BGB kann als im weiteren Sinne „schriftlich“ verstanden werden. Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht im Hinblick auf die weiteren im Versicherungsantrag (Anl. B 1) und im „Leitblatt Verbraucherinformation“ (Anl. B 2) enthaltenen Widerspruchsbelehrungen veranlasst, weil diese hinsichtlich des Hinweises auf das Formerfordernis mit der im Versicherungsschein enthaltenen Belehrung übereinstimmen.
27 
b) Dem Beginn der Widerspruchsfrist stand auch nicht entgegen, dass die Beklagte der Klägerin eine unzureichende Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. zur Verfügung gestellt hätte. Der von der Klägerin in erster Instanz erhobene Einwand, die in der Anlage zum Versicherungsschein angegebenen beitragsfreien Leistungen und Rückkaufswerte seien entgegen § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. i.V.m. Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b, c und d der Anlage D zum VAG a.F. insoweit unvollständig, als sich aus ihnen nicht ergebe, ob und inwieweit die angegebenen Leistungen garantiert seien, greift nicht durch. Die von der Klägerin vermissten Angaben sind den übersandten Unterlagen in noch hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen.
28 
Aus dem letzten Satz der genannten Anlage, laut dem der Versicherungsnehmer den Rückkaufswert erhält, falls die beitragsfreie Versicherungssumme nicht den Mindestbetrag erreicht, der in den Allgemeinen Bedingungen genannt ist, lässt sich bereits ersehen, dass die in der Tabelle genannten Beträge als Mindestwerte vertraglich vereinbart und damit auch garantiert sind. Der ausdrücklichen Formulierung einer Garantie bedurfte es insofern nicht. Daneben wird der Versicherungsnehmer durch die Information „Wichtiger Hinweis zur Überschußbeteiligung“ (Anl. B 2) allgemein darüber unterrichtet, dass die Beklagte auf das aus den Beiträgen - nach Abzug der tariflichen Kosten und Risikobeiträge - angelegte Kapital eine Verzinsung von 2,75% über die gesamte Vertragslaufzeit garantiert und sie zusätzlich zu dieser garantierten Verzinsung eine Überschußbeteiligung gewährt, die nicht garantiert ist. Dadurch wird dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar, dass sich die Versicherungsleistung in jedem Fall in einen garantierten Teil und eine nicht garantierte Überschussbeteiligung aufteilt. Weiter wird im „Leitblatt Verbraucherinformation“ (ebenfalls Anl. B 2) unter Nr. 7 und 8 darauf hingewiesen, dass in der Anlage zum Versicherungsschein die beitragsfreien Versicherungsleistungen und Rückkaufswerte jeweils ohne künftige Überschussanteile ausgewiesen sind. Hieraus zieht der durchschnittliche Versicherungsnehmer den Schluss, dass die in der genannten Anlage genannten Werte nur den garantierten Teil der Versicherungsleistung, nicht aber die unsichere Überschussbeteiligung ausweisen. Auf dieser Grundlage ist für ihn zu erkennen, dass die Werte, die in der dem Versicherungsschein beigefügten Aufstellung „Beitragsfreie Leistungen und Rückkaufswerte“ (Anl. K1) enthalten sind, in ihrer angegebenen Höhe garantiert sind.
29 
c) Die Frage, ob das Policenmodell mit den europarechtlichen Lebensversicherungsrichtlinien vereinbar ist, stellt sich hier nicht, weil es der Klägerin im Falle unterstellter Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrags auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Der Versicherungsnehmer verhält sich treuwidrig, wenn er nach ordnungsgemäßer Belehrung über die Möglichkeit, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen jahrelang durchführt und erst dann vom Versicherer, der auf den Bestand des Vertrags vertrauen darf, unter Berufung auf die behauptete Unwirksamkeit des Vertrags Rückzahlung aller Prämien verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 16.07.2014 - IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 32-42; Beschluss vom 27.05.2015 - IV ZR 36/13, r+s 2015, 336 Rn. 12).
30 
So liegt der Fall hier. Die Klägerin zahlte nach ordnungsgemäßer Belehrung und Verstreichenlassen der Widerspruchsfrist bis zu ihrem Widerspruch ausweislich ihrer Forderungsberechnung zwölf Jahre lang die Versicherungsprämien. Die jahrelangen Prämienzahlungen der ordnungsgemäß belehrten Klägerin haben bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrags begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für die Klägerin auch erkennbar.
III.
31 
Nach all dem regt der Senat an, eine Rücknahme der Berufung zu prüfen. Die Rücknahme hätte die Halbierung der Gerichtskosten zweiter Instanz zur Folge (Nr. 1222 KV GKG).

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