Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 VAs 1/22

Tenor

1. Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der
 Staatsanwaltschaft K. vom 01. Juli 2021 - R806 VRs 330 Js 39105/19 – in Gestalt des Beschwerdebescheids der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 13. Dezember 2021 - 36 Zs 2131/21 KA - wird als unzulässig verworfen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen.

4. Der Geschäftswert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller verbüßt aktuell eine mit Urteil des Landgerichts K. vom 07.08.2020, rechtskräftig seit 15.09.2020, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 2 tatmehrheitlichen Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellung kinderpornografischer Schriften verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten. Außerdem stehen noch zwei widerrufene Strafen von 2 Monaten und von 7 Monaten zur Vollstreckung an. Der gemeinsame Halbstrafenzeitpunkt wird unter Anrechnung von Untersuchungshaft und sonstiger anrechenbarer Tage am 16.01.2023 erreicht sein, 2/3 aller Strafen wären am 16.01.2024 verbüßt. Das gemeinsame Strafende ist auf den 13.01.2026 notiert.
Mit Verfügung des Regierungspräsidiums K. vom 12.11.2020, bestandskräftig seit 27.04.2021, wurde der Verurteilte aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und seine Abschiebung in den I. angedroht.
Durch Verfügung vom 01.07.2021 sah die Staatsanwaltschaft K. gemäß § 456a StPO von der weiteren Vollstreckung der noch zu verbüßenden Strafen zum Zeitpunkt der Abschiebung des Verurteilten aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, frühestens jedoch zum 16.01.2023, ab. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Verurteilten hat die Generalstaatsanwaltschaft K. mit Bescheid vom 13.12.2021 keine Folge gegeben.
Hiergegen richtet sich der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG vom 03.01.2022, auf dessen Verwerfung als unzulässig die Generalstaatsanwaltschaft mit Antragsschrift vom 02.02.2022 angetragen hat. Der Verurteilte meint, er werde durch das Absehen von der weiteren Vollstreckung frühestens zum 16.01.2023 in seinen Rechten verletzt, weil er gegen seinen Willen aus der Strafhaft entlassen werde. Zwar fehle es im Rahmen des § 456a StPO an einem gesetzlich normierten Einwilligungserfordernis. Hierbei handele es sich aber um eine planwidrige Regelungslücke. Die Interessenlage sei vergleichbar mit der vorzeitigen Entlassung nach § 57 StGB, die ebenfalls nicht ohne Einwilligung des Verurteilten zulässig sei.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist bereits unzulässig.
Gegenstand des Verfahrens nach § 23 EGGVG ist eine unmittelbare Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers durch eine staatliche Maßnahme oder ihre Ablehnung bzw. Unterlassung (§ 24 Abs. 1 EGGVG). Daran fehlt es vorliegend.
Zwar ist nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur gegen den ablehnenden Bescheid der Vollstreckungsbehörde nach § 456a StPO - nach durchgeführtem Beschwerdeverfahren nach § 21 StVollstrO - der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG zulässig (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 29.11.2011 - 2 VAs 21/11 -, NStZ 2012, 655, und vom 25.03.2013 - 2 VAs 5/13 -, BeckRS 2013, 6179; BeckOK/Coen, StPO, 42. Ed. Stand 01.01.2022, § 456a Rn. 10 f. m.w.N.; KK/Appl, StPO, 8. Aufl. 2019, § 456a Rn. 5 m.w.N.). Eine nach § 456a Abs. 1 StPO positive Entscheidung ist dagegen für den Verurteilten mangels Beschwer nicht anfechtbar (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1999, 126; BeckOK/Coen, a.a.O. Rn. 12; KK/Appl, a.a.O., Rn. 5). Denn die Anordnung des Absehens von der weiteren Strafvollstreckung ist ein den Verurteilten begünstigender Verwaltungsakt (vgl. Senat, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 VAs 10/07 -, NStZ 2008, 222; OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2014 - 4 VAs 1/13 -, BeckRS 2014, 6742; OLG Hamm, Beschluss vom 12.07.2012 - 3 Ws 167/12 -, NStZ-RR 2013, 30), ohne dass es darauf ankommt, ob der Verurteilte dies tatsächlich wünscht oder nicht. Belastet wird der Verurteilte nicht durch die Absehensentscheidung der Vollstreckungsbehörde, sondern durch die verwaltungsrechtliche Ausweisungs- und Abschiebungsentscheidung.
Der Antragsteller hat zutreffend erkannt, dass der Gesetzgeber in § 456a StPO ein Einwilligungserfordernis - anders als bei der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB - nicht vorgesehen hat. Insoweit handelt es sich aber entgegen seiner Auffassung nicht um eine planwidrige Regelungslücke. Denn die Sachverhalte sind gerade nicht vergleichbar. Mit der Einführung des § 456a StPO sollte im öffentlichen Interesse unter Durchbrechung des grundsätzlich auch für die Vollstreckung geltenden Legalitätsprinzips die Möglichkeit geschaffen werden, die Justizvollzugsanstalten von der Last der Vollstreckung von Strafen gegen solche Ausländer zu befreien, die ohnehin demnächst ausgeliefert oder ausgewiesen werden sollen (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.), weshalb die weitere Vollstreckung weder unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung noch unter dem der Prävention sinnvoll wäre (OLG Frankfurt a.a.O.; BeckOK/Coen, 42. Ed. Stand 01.01.2022, § 456a Rn. 1; MüKo/Nestler, StPO, 1. Aufl. 2019, § 456a Rn. 2; KK/Appl, StPO, 8. Aufl. 2019, § 456a Rn. 1 m.w.N.). Demgegenüber dienen die Regelungen in § 57 StGB dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit. Der Gesetzgeber hat die vorzeitige Entlassung eines Straftäters in die Freiheit nach § 57 StGB von seiner Einwilligung abhängig gemacht, um zu verhindern, dass diesem eine von seiner Mitarbeit abhängige Maßnahme aufgezwungen wird. Die oftmals mit der Aussetzung eines Strafrests verbundenen sozialpräventiven Maßnahmen (§ 57 Abs. 3 S. 1 i.V.m. §§ 56 c, 56 d StGB), die häufig länger andauern als die Reststrafe selbst, sollen - zum Schutz der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit - einer Person nicht gegen ihren Willen abverlangt werden, weil dies ggf. die Kriminalprognose eher verschlechtert als verbessert (vgl. Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl. 2019, § 57 Rn. 18; Dölling/Duttge/Rössner/Braasch, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. 2022, § 57 StGB Rn. 14; Hubrach in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2007, § 57 Rn. 22). Entscheidungen nach § 456a StPO dagegen dienen nicht dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit, weshalb die Kriminalprognose im Rahmen des § 456a StPO grundsätzlich keine Bedeutung erlangt (vgl. Senat, Beschluss vom 25.03.2013 - 2 VAs 5/13 -, NStZ-RR 2013, 227).
III.
Die Beschwerde zum Bundesgerichtshof ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 EGGVG nicht gegeben sind. Die Entscheidung ist demzufolge unanfechtbar (BGH, Beschluss vom 01.09.2011 - 5 AR (VS) 46/11 -, juris).
10 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 2 Nr. 19, § 22 GNotKG, Nr. 15301 KV zum GNotKG. Die Voraussetzungen für eine Nichterhebung der Kosten (§ 21 Abs. 1 GNotKG) liegen nicht vor.
11 
Die Festsetzung des Geschäftswerts ergibt sich aus § 79 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 und 3 GNotKG. Es war vom grundsätzlichen Geschäftswert in Höhe von 5000 Euro auszugehen (OLG Celle NStZ-RR 2014, 64).

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