Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 12 U 240/21

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12.07.2021, Az. 11 O 217/20, wird zurückgewiesen.

2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 55 % und die Beklagte 45 % zu tragen.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

 
I.
Die Klägerin macht die Feststellung der Unwirksamkeit mehrerer Tariferhöhungen in ihrer privaten Kranken- und Pflegeversicherung, die Rückzahlung auf diese Prämienerhöhungen geleisteter Beiträge und die Feststellung der Verpflichtung zur Herausgabe von Nutzungen aus diesen Prämienanteilen nebst Verzinsung geltend.
Die Klägerin unterhält bei der Beklagten seit dem 01.08.2001 unter der Versicherungsvertragsnummer … eine private Kranken-/Krankentagegeld und Pflegeversicherung u.a. mit den versicherten Tarifen VITAL 250, VITAL Z, BEAE P/290,1 und BEAE P/300,1.
Diesem Vertrag liegen die in Anlage B 1 vorgelegten allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und Tarifbedingungen zugrunde.
In den Besonderen Bedingungen für die Beitragsermäßigung im Alter für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeld- und Pflegetarife (Hauptversicherung) wird für den Tarif BEA PLUS unter Ziffer 4 zur Beitragsanpassung Folgendes geregelt (Anlage B 1-5, i.F.: Besondere Bedingungen):
„Wird auf Grundlage des § 8b Teil I der Allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Pflegepflichtversicherung eine neue Sterbetafel eingeführt, so erfolgt auch eine Beitragsanpassung in BEA PLUS zum gleichen Termin.
Die Beitragsanpassung im BEA PLUS unterliegt genauso wie die Kostenversicherung der Zustimmungspflicht durch einen unabhängigen Treuhänder.“
Die Beklagte führte in den von der Klägerin abgeschlossenen Tarifen u.a. folgende Beitragsanpassungen durch:
- im Tarif BEAE P 290 eine Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 48,46 EUR,
- im Tarif BEAE P 300 eine Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 0,36 EUR.
10 
Im Tarif BEAE P wurden die Leistungen stetig angepasst und die Tarifbezeichnung zum 01.06.2019 von 290,1 auf 300,1 geändert.
11 
In den Änderungsmitteilungen zu den Beitragsänderungen zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 (Anlagen B 5-8 und 5-9) wird im Nachtrag zum Versicherungsschein zum geänderten Tarif BEAE P/290,1 bzw. BEAE P/300,1 der Änderungsgrund mit der Ziffer 1 bezeichnet. Zu dieser Ziffer findet sich im Beiblatt „Änderungsgründe“ jeweils ein Verweis auf die beiliegenden „Informationen zur Beitragsanpassung“. In diesen Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2019 und zum 01.01.2020 wird unter Punkt „3. Was sind die maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassungen in den Tarifen BEA P, BEAE P (...)“ jeweils Folgendes erläutert:
12 
„Der Tarif BEA entlastet Ihren Krankenversicherungsbeitrag im Alter. Deswegen wird bei der Betragsberechnung die statistische Lebenserwartung (die sogenannte Sterbetafel) zugrunde gelegt. Verlängert sich die Lebenserwartung, muss dies bei der Prämienkalkulation berücksichtigt werden. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Leistungen des Tarifs dauerhaft erfüllt werden können.
13 
Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen sehen daher vor, dass die Rechnungsgrundlagen des Tarifs BEA immer dann überprüft und ggf. mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders angepasst werden, wenn in der Privaten Pflegepflichtversicherung eine neue Sterbetafel eingeführt wird (§ 8b Teil 1 der allgemeinen Versicherungsbedingungen). Das ist zum [01.01.2019 bzw. 01.01.2020] der Fall.
14 
[...]“
15 
Wegen des weiteren Inhalts der Anpassungsmitteilungen wird auf die im Anlagenkonvolut B 5 vorgelegten Schreiben Bezug genommen.
16 
Die Beitragserhöhungen in den Beitragsentlastungstarifen (BEA) erfolgten jeweils aufgrund der Einführung einer neuen Sterbetafel (Anlage B 2).
17 
Die Klägerin hat die Prämien auf die streitgegenständlichen Beitragserhöhungen vorbehaltlos gezahlt.
18 
Die Klägerin hat, soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse, vorgetragen:
19 
Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Beitragserhöhungen sei zulässig. Die Feststellung sei eine Vorfrage für den Leistungsantrag und gehe zugleich über das dort erfasste Rechtsschutzziel der Klägerin hinaus.
20 
Die Mitteilungen der Beklagten über die streitgegenständlichen Beitragserhöhungen erfüllten die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Begründung gemäß § 203 Abs. 5 VVG nicht und seien deshalb formal unwirksam.
21 
Soweit die Beklagte die Beitragserhöhungen in den Tarifen BEAE P aufgrund der Einführung einer neuen Sterbetafel vorgenommen habe, fehle es zudem an einer Anspruchsgrundlage für die Beitragsanpassung. Die in den Besonderen Vertragsbedingungen zur Beitragsanpassung insoweit enthaltene Klausel stelle eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar, da die Klausel mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen zur Prämienanpassung, von denen abgewichen werde, nicht zu vereinbaren sei. Der Versicherer könne nicht einseitig neue Gründe für eine Prämienanpassung in den AVB entwickeln. Dies sei aber vorliegend mit der Anpassung aufgrund der neuen Sterbetafel geschehen, da die Prämienanpassung damit unabhängig von der Überschreitung des gesetzlich vorgeschriebenen Schwellenwerts bei der Sterbewahrscheinlichkeit geregelt sei. Zwar gehe mit der Einführung einer neuen Sterbetafel meist auch eine Änderung der Sterbewahrscheinlichkeit einher, aber eine Aussage im Hinblick auf den gesetzlichen Schwellenwert sei damit nicht verbunden. In der Regel seien die Abweichungen zwischen den jährlich neu erstellten Sterbetafeln geringer. Darüber hinaus sei die Klausel intransparent, da auf vertragsferne AVB für die private Pflegeversicherung verwiesen werde. Der in Bezug genommene § 8b der AVB PVN enthalte auch keine Regelung zur Einführung einer neuen Sterbetafel. Deshalb seien diese Anpassungen bereits materiell rechtswidrig.
22 
Die Klägerin hat nach Teilklagerücknahme des Antrags Ziffer 2 um 73,05 EUR beantragt:
23 
1. Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des Monatsbeitrags in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer 000839252H unwirksam sind:
24 
a) im Tarif TV 42/ 92,03 die Erhöhung zum 01.01.2011 in Höhe von 5,82 EUR
25 
b) im Tarif TV 42/ 92,03 die Erhöhung zum 01.01.2012 in Höhe von 4,80 EUR
26 
c) im Tarif BEAE P/280,1 die Erhöhung zum 01.04.2012 in Höhe von 2,94 EUR
27 
d) im Tarif TV 42/92,03 die Erhöhung zum 01.01.2013 in Höhe von 8,73 EUR
28 
e) im Tarif BEAE P/280,1 die Erhöhung zum 01.04.2013 in Höhe von 4,45 EUR
29 
f) im Tarif VITAL 250 die Erhöhung zum 01.01.2014 in Höhe von 76,45 EUR
30 
g) im Tarif VITAL-Z die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 15,40 EUR
31 
h) im Tarif VITAL 250 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 55,00 EUR
32 
i) im Tarif BEAE O 280,1 die Erhöhung zum 01.01.2015 in Höhe von 17,54 EUR
33 
j) im Tarif VITAL 250 die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 23,37 EUR
34 
k) im Tarif BEAE P/290,1 die Erhöhung zum 01.01.2019 in Höhe von 48,46 EUR
35 
l) im Tarif BEAE P/300,1 die Erhöhung zum 01.01.2020 in Höhe von 0,36 EUR
36 
m) im Tarif VITAL-Z die Beitragsanpassung zum 01.01.2020 in Höhe von -4,87 EUR
37 
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 14.448,78 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
38 
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte
39 
a) der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat,
40 
b) die nach 3a) herauszugebenden Nutzungen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verzinsen hat.
41 
Die Beklagte hat beantragt,
42 
die Klage abzuweisen.
43 
Die Beklagte hat zu den im Berufungsverfahren noch relevanten Beitragsanpassungen im Tarif BEAE P vorgetragen:
44 
Diese Beitragsanpassungen unterlägen nicht den Anforderungen des § 203 VVG. Der Tarif entlaste den Krankenversicherungsbeitrag im Alter. Daher werde bei der Beitragsberechnung die statistische Lebenserwartung zugrunde gelegt, die sich aus der Sterbetafel ergebe. Preisanpassungsklauseln seien bei Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich zulässig. Eine Preisanpassung sei auch in § 40 Abs.1 VVG grundsätzlich vorgesehen. Die Anpassungsklausel der Beklagten hielte der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB stand. Eine unangemessene Benachteiligung liege nicht vor, da die Anpassung eine dauerhaft gesicherte Kalkulation gewährleiste. Eine Anpassung könne auch nur dann erfolgen, wenn es in der Pflegepflichtversicherung zu einer Beitragsanpassung auf Basis des Anspringens eines auslösenden Faktors komme, weshalb der Tarif auch in den Jahren 2016, 2017 und 2018 nicht habe angepasst werden können.
45 
Die gesetzlichen Vorschriften zur Prämienanpassung seien auch nicht abschließend, sondern lediglich ein Mindestrahmen, wann die Anpassung auf jeden Fall erfolgen müsse. Eine Beschränkung würde dem Äquivalenzprinzip zuwiderlaufen.
46 
Die in Bezug genommenen AVB der Pflegepflichtversicherung seien auch nicht vertragsfern, sondern Bestandteil des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien.
47 
Ein Anspruch auf Herausgabe der gezogenen Nutzungen könne ab dem Zeitpunkt, ab dem Rechtshängigkeitszinsen verlangt würden, nicht bestehen. Für die Verzinsung der Nutzungen gebe es keine Anspruchsgrundlage.
48 
Das Landgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen die Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen in den Tarifen BEAE P/290,1 zum 01.01.2019, BEAE P/300,1 zum 01.01.2020, VITAL 250 zum 01.01.2014 und zum 01.01.2015 und VITAL-Z zum 01.01.2015 und die Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe von Nutzungen aus den darauf gezahlten Prämienanteilen festgestellt sowie die Beklagte zur Zahlung von 4.293,60 EUR verurteilt. Die Feststellungsanträge seien zulässig. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Rückzahlung der auf die Erhöhung des Tarifs BEAE P/290,1 zum 01.01.2019 bis zum 31.12.2019 und des Tarifs BEAE P/300,1 zum 01.01.2020 im streitgegenständlichen Zeitraum bis zum 31.08.2020 gezahlten Prämien in Höhe von insgesamt 584,40 EUR. Auch diese Prämienerhöhungen seien formell unwirksam. Der Versicherungsnehmer könne der Begründung nicht entnehmen, ob die Beitragserhöhung auf der Veränderung der Leistungsausgaben oder der Sterbewahrscheinlichkeit beruhe.
49 
Dagegen richtet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit welcher sie sich zuletzt nur noch gegen die Verurteilung hinsichtlich der Tarife BEAE P/290,1 und BEAEP/300,1 richtet. Zur Begründung trägt sie vor:
50 
Hinsichtlich der Beitragsanpassungen im Tarif BEAE P habe das Landgericht verkannt, dass § 203 VVG nicht anwendbar sei. Es handele sich nicht um eine substitutive private Krankenversicherung; der Tarif diene vielmehr dazu, als eine Art Sparanlage ab dem Alter von 65 Jahren eine Beitragsermäßigung herbeizuführen. Unabhängig davon habe die Beklagte in den jeweiligen Mitteilungsschreiben mitgeteilt, dass die Änderung der Beiträge auf einer Veränderung der Sterbetafel in der Pflegeversicherung beruhten und damit auf Grundlage der vertraglichen Bestimmungen (B 1) erfolgt seien.
51 
Die Beklagte beantragt nach teilweiser Rücknahme der Berufung zuletzt,
52 
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Mannheim, Az. 11 O 217/20
53 
o im Hinblick auf Ziffer 1 des Urteilstenors, betreffend Buchstaben a) und b) aufzuheben
54 
o hinsichtlich Ziffer 2 des Urteilstenors insoweit aufzuheben, als dass die Beklagte zur Zahlung eines Betrages in Höhe von EUR 584,40 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 09.01.2021 verurteilt wurde und demzufolge auch
55 
o Ziffer 3 des Urteilstenors im Hinblick auf die Nutzungen, die aus den unter Ziffer 1 des Urteilstenors Buchstaben a) und b) genannten Beitragsanpassungen gezogen wurden, aufzuheben
56 
sowie die Klage in dem vorbenannten Umfang abzuweisen.
57 
Die Klägerin hat zunächst ihrerseits Berufung eingelegt, diese aber mit Schriftsatz vom 20.12.2021 zurückgenommen. Sie tritt der Berufung der Beklagten entgegen.
58 
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
II.
59 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
60 
1. Die Feststellungsanträge sind zulässig.
61 
a) Die Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen ergibt sich jedenfalls aus der Vorgreiflichkeit für die Rückforderung der Erhöhungsbeträge. Für eine Zwischenfeststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO genügt schon die bloße Möglichkeit, dass das inzidenter ohnehin zu klärende Rechtsverhältnis zwischen den Parteien noch über den gegenwärtigen Streitgegenstand hinaus Bedeutung hat oder gewinnen kann (BGH, Urteil vom 17.05.1977 - VI ZR 174/74, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 19.12.2018 aaO Rn. 17). So ist es hier. Die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung ist eine Vorfrage für den Leistungsantrag und geht zugleich über das dort erfasste Rechtsschutzziel des Klägers hinaus (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17, juris Rn. 17; Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19, juris Rn. 20). Ob über den Leistungsantrag hinaus Bereicherungsansprüche mit Erfolg geltend gemacht werden können, ist unerheblich, da ein Feststellungsinteresse für die Zwischenfeststellungsklage aufgrund der Vorgreiflichkeit entbehrlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 aaO; Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. § 256 Rn. 25). Schon aus diesem Grund steht die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede der Zulässigkeit der Feststellungsanträge nicht entgegen.
62 
b) Der Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung, dass die Beklagte zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet ist, steht der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage nicht entgegen, da die von der Beklagten gezogenen Nutzungen aus den nach Auffassung der Klägerin rechtsgrundlos gezahlten Prämienanteilen für sie im Zeitpunkt der Klageerhebung nur teilweise bezifferbar waren und es daher an der Zumutbarkeit der Erhebung einer Leistungsklage fehlte (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018 - IV ZR 255/17, juris Rn. 20).
63 
2. Zu Recht hat das Landgericht unter Ziffer 1 des Tenors die Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen festgestellt. Die zuletzt im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Beitragsanpassungen in den Jahren 2019 und 2020 im Tarif BEAE P/290,1 bzw. BEAE P/300,1 sind sowohl formell als auch materiell unwirksam.
64 
a) Die formellen und materiellen Anforderungen an die Prämienanpassung richten sich nach § 203 Abs. 2 und Abs. 5 VVG.
65 
Der Anwendungsbereich des § 203 Abs. 2 VVG umfasst alle Krankenversicherungsverträge, bei denen gesetzlich - etwa nach § 206 VVG - oder vertraglich das Recht zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen ist (Brand in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. § 203 Rn. 21 und 24; Voit in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. § 203 Rn. 14).
66 
Hier ist ein Recht des Versicherers zur ordentlichen Kündigung auch hinsichtlich des Tarifs BEA PLUS sowohl gesetzlich als auch vertraglich ausgeschlossen (für einen gesetzlichen Ausschluss des Kündigungsrechts auch: OLG Celle, Urteil vom 13.01.2022 - 8 U 134/21, juris Rn. 104 ff.).
67 
aa) Ausgeschlossen ist das Recht des Versicherers zur ordentlichen Kündigung nach § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG und § 14 (1) Satz 1 AVB (Anlage B 1, AH I 9) in der substitutiven Krankenkostenversicherung gemäß § 195 Abs. 1 VVG, d.h. in der Krankenversicherung, die geeignet ist, den im gesetzlichen Sozialversicherungssystem vorgesehenen Krankenversicherungsschutz zu ersetzen. Darunter fällt Versicherungsschutz für ambulante, stationäre und zahnärztliche Heilbehandlung, wobei es ausreicht, wenn die Versicherung im Kern Leistungsarten beinhaltet, die auch die GKV bietet (Reinhard in Looschelders/Pohlmann, VVG, 3. Aufl. § 195 Rn. 3; Hütt in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 5. Aufl. § 195 VVG Rn. 6). Der Versicherungsvertrag ist insgesamt zu betrachten, nicht isoliert nach Einzeltarifen (Reinhard aaO; Hütt aaO Rn. 12; Voit in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. § 195 Rn. 3; MünchKomm-VVG/Boetius, 2. Aufl. Vor § 192 Rn. 635). Bereits daraus folgt, dass hier nicht nur die Tarife VITAL 250 (ambulante und stationäre Heilbehandlung) und VITAL-Z (zahnärztliche Heilbehandlung), sondern auch der Beitragsermäßigungstarif BEA PLUS als Bestandteil der substitutiven Krankenkostenversicherung von dem Ausschluss des Kündigungsrechts nach § 206 Abs. 1 Satz 2 VVG umfasst ist.
68 
bb) Auch aus einer Auslegung der Besonderen Bedingungen für die Beitragsermäßigung im Alter aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2020 - IV ZR 217/19, juris Rn. 11 m.w.N., st. Rspr.) ergibt sich, dass der Tarif BEA Plus - unabhängig von der Qualifikation dieses Tarifs als Teil einer substitutiven Krankenversicherung - durch den Versicherer nicht (isoliert) gekündigt werden kann. Nach Ziffer 10 Satz 1 der Besonderen Bedingungen kann der Tarif BEA PLUS jederzeit ohne Einhaltung einer Frist zum Monatsende gekündigt werden. Bereits aus Satz 2, wonach der Versicherungsnehmer zur Vermeidung von Anspruchsverlusten vor einer Kündigung die Möglichkeit einer Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung prüfen soll, folgt, dass dieses Kündigungsrecht allein dem Versicherungsnehmer zusteht. Aus diesem Hinweis auf die Gefahr von Anspruchsverlusten wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer schließen, dass der Versicherer nicht berechtigt sein soll, den Tarif jederzeit zu kündigen. Weiter kann er Ziffer 11 der Besonderen Bedingungen entnehmen, dass diese „in Verbindung mit den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung“ gelten. Zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Versicherer kündigen kann, wird der Versicherungsnehmer § 14 AVB in den Blick nehmen, da die Besonderen Bedingungen eine Regelung zur Kündigung durch den Versicherer nicht enthalten. Aufgrund der Abhängigkeit des Beitragsermäßigungstarifs vom Bestand einer Krankheitskostenversicherung, welche bereits in der Überschrift der Besonderen Bedingungen als „Hauptversicherung“ bezeichnet ist, wird er annehmen, dass der Ausschluss des Kündigungsrechts des Versicherers hinsichtlich der substitutiven Krankheitskostenversicherung gemäß § 14 (1) Satz 1 AVB auch den Beitragsermäßigungstarif umfassen soll. Nach Ziffer 1 Satz 1 der Besonderen Bedingungen setzt die Aufnahme in den Tarif BEA Plus eine bestehende Krankheitskostenversicherung voraus. Nach Ziffer 9 Satz 1 der Besonderen Bedingungen endet mit Beendigung der Hauptversicherung grundsätzlich auch der Anspruch auf Beitragsermäßigung. Für die Erstreckung des Ausschlusses der Kündigung der substitutiven Krankenkostenversicherung auf den Tarif BEA PLUS spricht schließlich auch der erkennbare Zweck des Tarifs, die Finanzierbarkeit der Krankheitskostenversicherung im Alter, d.h. ab Vollendung des 65. Lebensjahres sicherzustellen.
69 
b) Durch Ziffer 4 der Besonderen Bedingungen ist § 203 VVG als halbzwingende Regelung (§ 208 Satz 1 VVG) nicht wirksam abbedungen, da die Klausel einseitig von der gesetzlichen Bestimmung zu Lasten des Versicherungsnehmers abweicht.
70 
Die Änderung durch Ziffer 4 der Besonderen Bedingungen ist für den Versicherungsnehmer nachteilig, da hierdurch eine Änderungsbefugnis - bei Einführung einer neuen Sterbetafel - unabhängig von den in § 203 Abs. 2 VVG umschriebenen Voraussetzungen eingeräumt wird (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2008 - IV ZR 169/06, juris Rn. 8). So ist eine Überprüfung und Anpassung mit der (regelmäßigen) Folge einer Beitragserhöhung abweichend von § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG unabhängig von der Überschreitung des für das Sterberisiko geltenden gesetzlichen Schwellenwerts von 5 % (§ 203 Abs. 2 Satz 4 VVG i.V.m. § 155 Abs. 4 Satz 2 VAG) und auch bei einer nur als vorübergehend anzusehenden Veränderung der Sterbewahrscheinlichkeiten zulässig.
71 
Hieran ändert der Verweis auf § 8b Teil 1 der AVB in der Pflegepflichtversicherung nichts, da unstreitig (AS I 105) dort keine - einschränkenden - Regelungen zur Einführung einer neuen Sterbetafel enthalten sind.
72 
Dass sich eine regelmäßige Überprüfung und Anpassung des Beitragsermäßigungstarifs bei Einführung neuer Sterbetafeln auch zugunsten des Versicherungsnehmers auswirken kann, etwa durch eine höhere Beitragsermäßigung im Alter, ist zum Ausgleich dieser Nachteile nicht geeignet. Jedenfalls führt die gebotene Gesamtschau nicht zu einem klaren Überwiegen der Vor- gegenüber den Nachteilen der Klausel, so dass von einer negativen Abweichung auszugehen ist (vgl. Brand aaO; HK-VVG/Rogler, 4. Aufl. § 208 Rn. 4). Soweit sich die Beklagte darauf beruft, die Klausel gewährleiste eine dauerhaft gesicherte Kalkulation (AS I 164), ergibt sich daraus kein Vorteil des Versicherungsnehmers, da die dauerhafte Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung und die grundsätzliche Konstanz der Prämien auch bei Anwendung der gesetzlichen Regelungen (§§ 203 VVG, 155 VAG) gesichert ist.
73 
Die für den Versicherungsnehmer ungünstige Abweichung hat die Unwirksamkeit von Ziffer 4 der Besonderen Bedingungen zur Folge (vgl. Brand in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. § 208 Rn. 1).
74 
c) Somit kommt als Grundlage für die Beitragserhöhungen im Tarif BEAE P/290.1 zum 01.01.2019 und im Tarif BEAE P/300,19 zum 01.01.2020 nur § 203 VVG in Betracht. Danach sind sie bereits deshalb unwirksam, weil die Mitteilungen den formellen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG nicht entsprechen (a.A.: OLG Celle, Urteil vom 13.01.2022 - 8 U 134/21, juris Rn. 98, das von einer materiellen Unwirksamkeit der Beitragserhöhung ausgeht; a.A. auch: OLG Köln, Urteil vom 27.10.2020 - I-9 U 63/20, juris Rn. 60 und OLG Hamm, Urteil vom 09.06.2021 - 20 U 162/20, BeckRS 2021, 18962 Rn. 34 f., die allerdings auf die Frage der Wirksamkeit von Ziffer 4 der Besonderen Bedingungen nicht eingehen, da die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Prämienerhöhungen dort nicht gerügt war).
75 
Die Mitteilung der Voraussetzungen von Ziffer 4 der Besonderen Bedingungen genügte den gesetzlichen Anforderungen nicht, da mit der Klausel § 203 Abs. 2 VVG nicht wirksam abbedungen wurde. Mitzuteilen war vielmehr die Veränderung der bzw. einer der in § 203 Abs. 2 VVG genannten Rechnungsgrundlagen, welche mit dem hier anwendbaren § 203 Abs. 5 VVG in Bezug genommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19, juris Rn. 28 f.).
76 
Daran fehlt es. Der Versicherungsnehmer konnte den Mitteilungen nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen und/oder Sterbewahrscheinlichkeit über dem jeweils geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat (vgl. BGH, Urteil vom 21.07.2021 - IV ZR 191/20, juris Rn. 26). Vielmehr konnte er die Mitteilung auch dahingehend verstehen, dass allein die Einführung einer neuen Sterbetafel zum 01.01.2015 unabhängig von der Überschreitung des für das Sterberisiko geltenden gesetzlichen Schwellenwerts zu der Überprüfung geführt hat.
77 
d) Die Prämienanpassungen sind auch materiell unwirksam. Dass die Voraussetzungen der §§ 203 Abs. 2 VVG, § 155 Abs. 4 VAG erfüllt waren, hat die Beklagte nicht behauptet; vielmehr beruft sie sich ausschließlich auf die Einführung neuer Sterbetafeln zum 01.01.2018 und zum 01.01.2019 (vgl. OLG Celle, Urteil vom 13.01.2022 - 8 U 134/21, juris Rn. 122).
78 
3. Die Höhe der sich aus der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen ergebenden Ansprüche hat das Landgericht zutreffend - und von der Berufung der Beklagten unbeanstandet - berechnet. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
79 
4. Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte zur Herausgabe von Nutzungen aus den ab dem 01.01.2017 gezahlten Prämienanteilen verpflichtet ist (§ 818 Abs. 1 BGB). Der Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen besteht, wie das Landgericht in den Urteilsgründen zutreffend ausführt, nur für die Zeit bis Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19, juris Rn. 57 f.), d.h. bis zum 08.01.2021.
III.
80 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO; zu berücksichtigen war bei der Quotenbildung, dass die Terminsgebühren - im Hinblick auf die noch vor dem Verhandlungstermin erfolgte Berufungsrücknahme der Klägerin - allein durch die nach Teilrücknahme noch aufrechterhaltene Berufung der Beklagten verursacht wurden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
81 
Die Revision wird nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugunsten der Beklagten zugelassen, soweit sie wegen Unwirksamkeit der Prämienanpassungen in den Tarifen BEAE P/290,1 zum 01.01.2019 und BEAE P/300,1 zum 01.01.2020 verurteilt worden ist (so auch OLG Celle, Urteil vom 13.01.2022 - 8 U 134/21, juris Rn. 139).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen