Beschluss vom Oberlandesgericht Koblenz (Vergabesenat) - Verg 1/18

1. Auf sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 6. Februar 2018 aufgehoben.

2. Dem Auftraggeber wird untersagt, auf der Grundlage der vorliegenden Vergabeunterlagen den Auftrag zu erteilen.

3. Der Auftraggeber trägt die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Antragstellers.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Antragsteller insoweit entstandenen notwendigen Auslagen tragen der Auftraggeber sowie die Beigeladene je zur Hälfte.

5. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

6. Der Streitwert wird auf bis zu 84.999 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Dem durch die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Süd als Obere Fischereibehörde vertretenen Land Rheinland-Pfalz (Auftraggeber) steht das Fischereirecht auf großen Teilen der überwiegend linksrheinischen pfälzischen Rheinstrecke zwischen der deutsch-französischen Grenze bei Wörth und Stromkilometer 438,326 (bei Frankenthal) zu.

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Das Fischereirecht umfasst die Befugnis, in einem Gewässer Fische, Neunaugen, zehnfüßige Krebse und Muscheln (kurz: Fische) zu fangen und sich anzueignen sowie die Pflicht zur Hege (§ 4 Abs. 1 Satz 1 LFischG). Zur Hegepflicht gehören beispielsweise die Schaffung von Laichstellen, die Pflege des Ufers und Maßnahmen gegen regelwidriges Fischen oder Fischwilderei.

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Die Ausübung des Fischereirechts kann durch Abschluss eines Fischereipachtvertrages (§ 16 LFischG) vollständig auf eine andere (natürliche oder juristische) Person übertragen werden (§ 14 Abs. 1 LFischG). Das Fischereiausübungsrecht umfasst gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 LFischG die Befugnis, Fischereierlaubnisverträge mit Fischereischeininhabern (§§ 33 f. LFischG) anzuschließen und Fischereierlaubnisscheine (§§ 41, 42 LFischG) auszustellen. Die Mindestpachtzeit beträgt zwölf Jahre (§ 16 Abs. 1 Satz 2 LFischG).

4

Zuletzt war die pfälzische Rheinstrecke an den Antragsteller (zwei Teilstrecken) und den SFV (eine Teilstrecke im Raum Speyer) verpachtet. Die Verträge liefen am 31. Dezember 2017 aus.

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2. Im August 2017 leitete die SGD Süd ein Interessenbekundungsverfahren ein und gab über die online-Plattform „Vergabemarktplatz Rheinland-Pfalz“ bekannt, dass mit Wirkung ab 1. Januar 2018 neue Fischereipachtverträge für die pfälzische Rheinstrecke (Los 1) und die rheinhessische Rheinstrecke (Los 2) abgeschlossen werden sollen. Interessenten wurden zur Abgabe von Angeboten auf der Grundlage der elektronisch zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen aufgefordert; die Angebotsfrist endete am 5. September 2017, 18:00 Uhr. Die Pachtverträge sollen eine Laufzeit von 12 Jahren haben.

6

Mit der Übertragung der Ausübung des Fischereirechts verfolgt das Land den Zweck, Fischereischeininhabern (Freizeitanglern) die Angelfischerei zu ermöglichen (ohne sich selbst darum kümmern zu müssen), aber auch eigene wirtschaftliche Interessen. Neben der sich aus dem Gesetz ergebenden Hegepflicht soll der Pächter vertraglich weitere Verpflichtungen übernehmen, insbesondere

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- die Ermöglichung der Angelfischerei für Freizeitangler durch Ausstellung von Fischereierlaubnisscheinen (sog. Angelkarten);

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- die Einrichtung und den Betrieb von mindestens 25 Ausgabestellen für Angelkarten je Los;

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- die Benennung und Betreuung vom mindestens 20 amtlich verpflichteten Fischereiaufsehern je Los,

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- die Führung und Auswertung von Fanglisten.

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Eine wirtschaftliche Verwertung von Fischen oder Fischerzeugnissen ist dem Pächter untersagt. Seine wichtigste Einnahmequelle wäre die Ausgabe von Angelkarten an Freizeitangler gegen Entgelt. Von den Einnahmen aus dem Verkauf der Angelkarten sollen - wie schon in der Vergangenheit - 1/3 dem Pächter verbleiben und 2/3 dem Land zufließen. In den Jahren 2015, 2016 und 2017 beliefen sich die Anteile der Pächter der pfälzischen Rheinstrecke auf durchschnittlich ca. ... €/a. Der dem Land zustehende Anteil fließt zur Hälfte in den Landeshaushalt, die andere Hälfte dient der Mitfinanzierung von Hegemaßnahmen wie Fischbesatz.

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Nach den Vergabebedingungen kommen als Pächter nur eingetragene Fischereiverbände und Angelvereine aus der Region in Betracht (wobei angesichts des Umfangs der ausgeschriebenen Leistungen Angelvereine zumindest als Einzelbieter faktisch ausscheiden).

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Auswahlkriterien sind der von den Interessenten anzubietende Pachtzins (maximal 30 Punkte) und in den Vergabeunterlagen näher beschriebene rein bieterbezogene Umstände wie „strukturelle Qualifikation“ und „fachliche Referenzen des Bieters“ (maximal 70 Punkte). So wird beispielsweise die Existenz einer Geschäftsstelle oder eines Geschäftsführers (20 Punkte) ebenso positiv gesehen wie Erfahrungen als Fischereipächter (15 Punkte).

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Die Vergabeunterlagen enthielten keinen bis auf den Pachtzins unterschriftsreifen Vertrag(sentwurf), sondern lediglich die Eckpunkte einer Vereinbarung, deren Einzelheiten mit dem jeweiligen Ausschreibungsgewinner besprochen werden sollen.

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3. Um Los 1, das Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens ist, bewarben sich der LFV Rheinland-Pfalz (Antragsteller) und eine Bietergemeinschaft, die aus dem LFV Pfalz (einem der 7 Bezirksverbände des Antragstellers) und dem SFV Pfalz besteht (Beigeladene). Mit Schreiben vom 9. September 2017 teilte die SGD Süd der Bietergemeinschaft mit, ihr werde der „Zuschlag“ für Los 1 erteilt. Los 2 ging an den Antragsteller, der ebenfalls mit einem Schreiben vom 9. September 2017 entsprechend informiert wurde. Beide Schreiben enthielten die Ankündigung einer Einladung „zur Besprechung für die Regelung des neuen Pachtvertrages“. Die jeweils unterlegenen Bieter erhielten keine Informationen. Der Vertragsschluss für Los 1 steht noch aus.

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4. In der Folgezeit erfuhr der Vertreter des Antragstellers vermutlich über die Verbandsschiene von dem beabsichtigten Vertragsschluss über Los 1 mit der Beigeladenen und rügte mündlich die Vergabemodalitäten als intransparent. Nachdem dem Antragsteller mit Schreiben vom 11. Oktober 2017 auch offiziell mitgeteilt worden war, dass das Los 1 an die Beigeladene gehen soll, weil diese eine höhere Punktzahl erreicht habe, stellte er einen Nachprüfungsantrag. Er war und ist der Meinung, es läge ein bei einem Auftragswert> 209.000 € nachprüfungsfähiger Dienstleistungsauftrag vor. Die Annahme einer Dienstleistungskonzession scheitere an § 105 Abs. 2 GWB, weil den Pächter kein Betriebsrisiko treffe. Mögliche Schwankungen bei der Anzahl der ausgegebenen Angelkarten gingen mit entsprechenden Schwankungen bei den Aufwendungen einher. Er selbst erfülle derzeit seine vertraglichen Verpflichtungen überwiegend nahezu kostenfrei mit Freiwilligen im Rahmen der Vereinsarbeit; die auf die Ausgabestellen entfallenden Provisionen seien umsatzabhängig. Auch mit dem fixen jährlichen Pachtzins übernehme der Pächter kein wesentliches Betriebsrisiko, weil der zu zahlende Betrag überschaubar und aufgrund langjähriger Erfahrungen vorhersehbar sei, mit welchen Erlösen aus der Ausgabe der Angelkarten zu rechnen sei. In der Sache beanstandete er das Absehen von einer TED-Bekanntmachung und eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien.

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Der Antragsgegner war der Auffassung, der Nachprüfungsantrag sei bereits deshalb unzulässig, weil es um die Verpachtung eines Fischereirechts gehe und somit weder ein Dienstleistungsauftrag noch eine Dienstleistungskonzession vorliege.

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5. Mit Beschluss vom 6. Februar 2018 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als unzulässig verworfen. Ausgeschrieben sei die Vergabe einer Dienstleistungskonzession, deren Überprüfung daran scheitere, dass der bis zum 31. Dezember 2017 maßgebliche Schwellenwert von 5,225 Mio. € bei einem Vertragswert von höchstens 2 Mio. € nicht erreicht sei.

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Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde, die der Auftraggeber und die Beigeladene für unbegründet halten.

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6. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat stellte sich (als unstreitig) heraus, dass die „unter normalen Betriebsbedingungen“ zu erwarten Einnahmen des künftigen Pächters (in Gestalt seines Anteils an dem Erlös aus dem Verkauf der Angelkarten) die wahrscheinlichen Ausgaben deutlich - um mindesten 200% - übersteigen werden und der Pächter, wer immer es auch werden mag, selbst bei einem - sehr unwahrscheinlichen - deutlichen Rückgang des Interesses an Angelkarten kein wirtschaftliches Risiko trüge, weil

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- die für die Hege und Bewirtschaftung des Fischereirechts notwendigen Leistungen unabhängig davon, wer Pächter ist, (nicht nur) am Rhein traditionell von Mitgliedern der (verbandsangehörigen) Angelvereine unentgeltlich erbracht werden und nichts dafür spricht, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte;

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- die Kosten für den Druck der Angelkarten (ca. ... €/a) über Gebühren auf die Erwerber umgelegt werden (sollen);

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- die Verkaufsstellen umsatzabhängige Provisionen erhalten (sollen).

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Der einzige wirklich ins Gewicht fallende Ausgabenposten ist der Pachtzins, der allerdings unabhängig von der Person des Pächters um mehr als 100.000 €/a unter den zu erwartenden Einnahmen läge. Faktisch läuft die Aufteilung der Einnahmen aus dem Verkauf der Angelkarten auf eine Subventionierung von Fischereiverbänden durch das Land hinaus.

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Nachdem der Senat darauf hingewiesen hatte, dass die Annahme der Dienstleistungskonzession an § 105 Abs. 2 GWB scheitern dürfte und der Vertreter der SGD Süd anmerkte, dass Land könne sich auch vorstellen, künftig nicht mehr zu teilen, sondern - wie schon seit Anfang 2018 als Übergangslösung - sich auf Dauer selbst um die Bewirtschaftung des Fischereirechts zu kümmern, erklärten der Antragsteller und die Beigeladene, dass sie außergerichtlich eine einvernehmliche Lösung anstreben wollen. Deshalb wurde der Verkündungstermin auf Wunsch der Beteiligten aufgeschoben.

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Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2018 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit, man habe „leider zu keiner gemeinsamen Lösung gefunden“.

II.

27

Die sofortige Beschwerde ist begründet und der Nachprüfungsantrag hat Erfolg, weil

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- keine (wegen Unterschreitung des Schwellenwerts nach § 106 Abs. 2 Nr. 4 nicht der Nachprüfung zugängliche) Vergabe einer Dienstleistungskonzession im Sinne des § 105 GWB, sondern die Vergabe eines Dienstleistungsauftrag (§ 103 Abs. 1, 4 GWB) beabsichtigt ist und deshalb ein förmliches Vergabeverfahren nach den Regeln der §§ 97 f. GWB und der VgV durchzuführen gewesen wäre;

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- angesichts eines Nettoauftragswerts von rund ... Mio. € (12 x Anteil an den jährlichen Einnahmen abzgl. Pacht) der Zugang zum Nachprüfungsverfahren eröffnet ist (§ 106 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB);

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- die nichtmonetären Zuschlagskriterien entgegen § 127 GWB nicht leistungsbezogen sind und die Wahl dieser Zuschlagskriterien auch nicht durch § 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV gedeckt ist;

31

- die Leistungsbeschreibung in Verbindung mit der vom Auftraggeber gewählten Verfahrensgestaltung die Einreichung zuschlagsfähiger Angebote nicht zulässt.

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1. Die Statthaftigkeit des Nachprüfungsantrags scheitert nicht an § 107 Abs. 1 Nr. 2 GWB, weil dieser Ausnahmetabestand nur einschlägig ist, wenn ein Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB als Nachfrager, also z.B. als Pächter auftritt. Zudem geht es vorliegend nicht um ein Immobiliengeschäft.

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2. Der Zugang zum Nachprüfungsverfahren ist eröffnet, weil ein Dienstleistungsauftrag vergeben werden soll, dessen Auftragswert über dem zur Zeit der Einleitung des Interessenbekundungsverfahrens maßgeblichen Schwellenwert von 209.000 € liegt.

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a) Tritt ein Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB als Anbieter eines Gegenstandes oder eines Rechtes auf, fehlt es grundsätzlich an der für die Anwendbarkeit des Vergaberechts notwendigen Beschaffung einer Ware oder Leistung; die bloße „Beschaffung“ einer Einnahme z.B. in Form eines Pachtzinses ist vergaberechtsfrei.

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Die vorgesehene Vereinbarung beschränkt sich jedoch nicht auf die „vergaberechtsfreie“ Gewährung eines Gebrauchs- und Genussrechts im Sinne des § 581 Abs. 1 BGB gegen Zahlung eines Pachtzinses, sondern reicht weiter und enthält das für die Anwendbarkeit des Vergaberechts notwendige Auftragselement. Zum einem übernimmt der Pächter mit dem Fischereiausübungsrecht auch die Hegeverpflichtung. Zum anderen soll er vertraglich zu weitergehenden Leistungen verpflichtet werden, die in der Summe darauf hinauslaufen, dass er mit der Aufgabe betraut wird, das Fischereirecht nach Vorgaben des Landes und auch in dessen monetärem Interesse befristet zu verwalten und zu bewirtschaften.

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b) Die vertraglichen Verpflichtungen wären verbindlich und nach nationalem Recht einklagbar (zur einklagbaren Leistungsverpflichtung als notwendiges Element eines öffentlichen Auftrags auch in Gestalt einer Konzession vgl. EuGH v. 25.03.2010 - C-451/08 - juris Rn. 59 - 63; siehe auch EG 14 RL 2014/23/EU). Zwar dürfte es wahrscheinlicher sein, dass der Antragsgegner auf eine Leistungsverweigerung des Pächters mit einer fristlosen Kündigung reagierte. Rechtlich bestünde aber auch die Möglichkeit, auf Erfüllung zu klagen und z.B. die Ausgabe von Angelkarten gemäß § 887 ZPO durchzusetzen. Es liegt somit das für die Bejahung eines öffentlichen Auftrags im weiteren Sinne - Dienstleistungsauftrag nach § 103 Abs. 1, 4 GWB oder Dienstleistungskonzession nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB - notwendige Auftragselement vor.

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c) Weil die Auftragselemente, die der Nutzung des Fischereirechts im beiderseitigen wirtschaftlichen Interesse dienen, den Hauptgegenstand der vorgesehenen Vereinbarung und mit dem Pachtvertragselement eine untrennbare Einheit bilden, ist der Teil 4 des GWB anwendbar. Für den in §§ 110 - 112 GWB nicht geregelten Fall, dass ein Auftraggeber eine gemischte Vereinbarung mit ausschreibungspflichtigen und „vergaberechtsfreien“ Elementen anstrebt, ergibt sich dies aus der insoweit nach wie vor maßgeblichen Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 06.05.2010 - C-145/08 - juris Rn. 48, 49; vgl. auch Hüttinger in: Beck‘scher Vergaberechtskommentar, GWB 4. Teil, 3. Aufl. 2017, § 110 GWB Rn. 40).

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d) Vergeben werden soll keine Dienstleistungskonzession, sondern ein Dienstleistungsauftrag.

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aa) Allerdings sind die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Nr. 2 GWB erfüllt: Ein Auftraggeber will Leistungen, an deren Erbringung er auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse hat, nicht selbst ausführen, sondern von einer von ihm unabhängigen (juristischen) Person ausführen lassen. Als Gegenleistung soll sein Vertragspartner keine Vergütung im engeren Sinne, sondern das Recht erhalten, das dem Antragsgegner zustehende Fischereirecht durch Ausübung wirtschaftlich zu nutzen und einen Teil der so erzielten Einnahmen zu behalten. Unerheblich ist, dass der Auftraggeber an diesen Einnahmen partizipieren soll. Es gibt keine vergaberechtliche Regelung, in der stünde oder aus der sich ableiten ließe, eine Konzession setze voraus, dass der Konzessionsnehmer allein von der Nutzung profitiert. Auch ist unerheblich, dass der Pächter des Fischereirechts - anders als z.B. der Baukonzessionär, der das von ihm auftragsgemäß errichtete Gebäude auch noch bewirtschaften muss - die Einnahmen unmittelbar mit der Erbringung (eines Teils) der vertraglich geschuldeten Leistung erzielt und keine darüber hinausgehenden Leistungen erbringen muss, um von seinem Nutzungsrecht zu profitieren (vgl. auch EuGH v. 10.09.2009 - C-206/08 - juris Rn. 57).

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bb) Der Annahme einer Dienstleistungskonzession steht jedoch § 105 Abs. 2 GWB entgegen. Diese Norm umschreibt mit dem Betriebsrisiko nicht nur die Folgen der Vergabe einer vergaberechtlichen Konzession, die zumindest dann, wenn die Übertragung des Nutzungsrechts die einzige Gegenleistung ist, regelmäßig eintreten. Vielmehr stellt sie auch klar, dass trotz Bejahung eines konzessionstypischen Entgelts im Sinne des § 105 Abs. 1 GWB ausnahmsweise keine Konzession, sondern ein nicht unter das Konzessionsrecht fallender öffentlicher Auftrag vorliegt, wenn den Leistungserbringer kein Betriebsrisiko wirtschaftlicher Art trifft.

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Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung, das unter den Beteiligten unstreitig ist, trägt der Pächter des Fischereirechts unter „normalen Betriebsbedingungen“ (zu denen insbesondere die „branchentypische“ unentgeltliche Leistungserbringung im Rahmen der Vereinsarbeit gehört) kein wie auch immer geartetes wirtschaftliches Risiko. Selbst bei einem - äußerst unwahrscheinlichen - deutlichen Rückgang der Einnahmen aus dem Verkauf der Angelkarten um 50% käme er immer noch auf seine Kosten. Nach menschlichem Ermessen können rote Zahlen während der Vertragslaufzeit ausgeschlossen werden.

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3. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB steht der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags nicht entgegen. Das Schreiben des Auftraggebers an die Beigeladene vom 9. September 2017 enthielt keinen Zuschlag im Sinne des Vergaberechts (vgl. dazu Thiele in: Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 168 Rn. 36 f.), weil ihr Erklärungsinhalt trotz Verwendung des Begriffs „Zuschlag“ nicht auf die zu einem Vertragsschluss führende Annahme eines Angebots abzielte. Es enthielt lediglich die Ankündigung, mit einem ausgewählten Interessenten noch über die Einzelheiten eines später abzuschließenden Vertrages sprechen zu wollen. Ein Vertragsschluss ist noch nicht erfolgt.

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4. Dem Antragsteller fehlt allerdings die Antragsbefugnis, soweit er - in der Sache durchaus zu Recht - das Absehen von einer EU-weiten Bekanntmachung beanstandet (vgl. Horn/Hofmann in: Beck‘scher Vergaberechtskommentar, GWB 4. Teil, 3. Aufl. 2017, § 160 Rn. 37 m.w.N.). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung verletzt nicht ohne weiteres auf eine (potentiell) schadenskausale Weise die Rechte eines Bieters, der nicht nur durch eine andere Form der Bekanntmachung über die Vergabeabsicht informiert und deshalb in die Lage versetzt wird, durch Anforderung der Vergabeunterlagen sein Interesse an der Auftragsvergabe zu bekunden, sondern auch tatsächlich ein Angebot abgibt. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass dem Antragsteller mangels ordnungsgemäßer Bekanntmachung Informationen fehlten, die ihn in die Lage versetzt hätten, ein chancenreicheres Angebot abzugeben. Auch den Weg zur Vergabekammer hat der Antragsteller ohne die in die EU-weite Bekanntmachung aufzunehmenden Informationen gefunden. Welches vergaberechtliche Regelwerk im konkreten Verfahren anzuwenden ist, richtet sich ohnehin unabhängig von Art und Inhalt der Bekanntmachung nach Faktoren wie Auftragsart und Auftragswert.

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Dass der an Recht und Gesetz gebundene Auftraggeber gehalten ist, von sich aus das Notwendige zu tun, um bei fortbestehender Vergabeabsicht das Verfahren in vergaberechtskonforme Bahnen zu lenken, steht auf einem anderen Blatt.

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5. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet, soweit der Auftraggeber ankündigte, die Entscheidung über die Auftragsvergabe überwiegend anhand von Kriterien treffen zu wollen, die sich entgegen § 127 Abs. 3 GWB nicht auf den Auftragsgegenstand beziehen, sondern an unternehmensbezogene Umstände anknüpfen. Im Ergebnis soll ein „Mehr an Eignung“ mit einer Gewichtung von 70% in die Entscheidung über den „Zuschlag“ einfließen. Dies ist grundsätzlich unzulässig, weil unternehmensbezogene Umstände nichts über das Preis-Leistungs-Verhältnis (§ 127 Abs. 1 Satz 3 GWB) aussagen und deshalb für die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots untauglich sind.

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§ 58 Abs. 2 Nr. 2 VgV, wonach die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals als Zuschlagskriterien aufgestellt werden können, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann, ist hier offensichtlich nicht einschlägig.

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6. Des Weiteren ist zu beanstanden, dass keine den Anforderungen der §§ 121 Abs. 1 GWB, 31 VgV genügende Leistungsbeschreibung vorliegt und der Auftraggeber nach Abschluss des Vergabeverfahrens mit dem als Vertragspartner ausgewählten Interessenten über Einzelheiten des noch abzuschließenden Vertrages verhandeln will. Dieser vom Antragsteller nicht ausdrücklich ausgegriffene Vergaberechtsverstoß ist ausnahmsweise von Amts wegen zu berücksichtigen, weil er eine vergaberechtskonforme Fortsetzung des Vergabeverfahrens schlechterdings nicht zulässt (vgl. OLG Celle v. 17.11.2011 - 13 Verg 6/11 - juris Rn. 44). Es genügte nicht, dem Auftraggeber allein zu untersagen, anhand der bisherigen Auswahlkriterien den Zuschlag zu erteilen. Auch die Wahl neuer, vergaberechtskonformer Kriterien im Sinne des § 127 GWB könnte nichts daran ändern, dass der Auftragsgegenstand zu unbestimmt ist und die vom Auftraggeber gewählte Verfahrensweise es den Interessenten unmöglich macht, zuschlagstaugliche Angebote einzureichen.

III.

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1. Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Antragstellers hat der Auftraggeber zu tragen (§ 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 GWB). Zu den erstattungsfähigen Auslagen gehören auch die Anwaltskosten, weil die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch den Antragsteller als „Gelegenheitsbieter“ notwendig war (§ 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 19 Abs. 2 AGVwGO). Die Beigeladene war am Verfahren vor der Vergabekammer nicht beteiligt.

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2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragstellers werden gemäß § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 78 GWB der Billigkeit entsprechend dem Auftraggeber und der auf dessen Seite mitunterlegenen Beigeladenen auferlegt. Sie haben die Kosten und Auslagen nach Kopfteilen, hier hälftig, zu tragen; eine gesamtschuldnerische Haftung kommt nicht in Betracht (vgl. BGH, v. 08.02.2011 - X ZB 4/10 juris Rn. 75).

50

3. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 50 Abs. 2 GKG; Berechnungsrundlage ist eine geschätzte Bruttoauftragssumme von 1,66 Mio. €.

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