Endurteil vom Oberlandesgericht München - 21 U 3683/19

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 12.06.2019, Az. 26 O 18635/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil und das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 32.250,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte als Herstellerin eines Fahrzeugs, das aufgrund des eingebauten Dieselmotors vom Typ EA 189 vom sog. Dieselabgasskandal betroffen ist.

Der Kläger erwarb von der Firma M. am 09.09.2015 einen gebrauchten VW Tiguan, der am 06.02.2014 erstmals zugelassen worden ist. Das Fahrzeug hatte einen Kilometerstand von 20.276 km und kostete 32.250,00 €. Der Kläger zahlte 12.250,00 € an, der Rest wurde finanziert. Die Finanzierung lief bis zum Jahr 2019. Mit Schlusszahlung vom 10.09.2019 über 15.788,24 € wurde der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs.

Bei Übergabe an den Kläger verfügte das Fahrzeug über eine Software, die eine Testsituation von Abgaswerten auf dem Prüfstand erkennt. Durch eine erhöhte Abgasrückführung werden im Testbetrieb niedrigere Stickoxid-Abgaswerte gemessen, als der Wagen im normalen Fahrbetrieb verursacht. Wegen dieser, vom Kraftfahrtbundesamt als unzulässig qualifizierten Abschalteinrichtung ist der streitgegenständliche Fahrzeugtyp Gegenstand von Rückrufen des Kraftfahrtbundesamtes (vgl. Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamtes vom 16.10.2015, vorgelegt als Anlage K 5). Zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit entwickelte die Beklagte ein Softwareupdate, welches vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben und im Einvernehmen mit dem Kläger auf das Fahrzeug aufgespielt wurde.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Er fordert - Zug um Zug gegen die Rückgabe des erworbenen Wagens - die Zahlung des Kaufpreises nebst deliktischer Zinsen und vorgerichtlicher Kosten, hilfsweise begehrt er eine 25-prozentige Minderung zuzüglich der Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten f2;r weitere Schäden.p>

Im Einzelnen wird - auch in Bezug auf das streitige Vorbringen der Parteien - auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage ohne Anhö;rung des Klägers abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB nicht bestehe, weil schon nicht nachvollziehbar sei, welchem Irrtum der Kläger bei Ankauf des Fahrzeugs unterlegen sei. Es bestehe auch kein Anspruch aus § 826 BGB, weil der Kläger ein Gebrauchtfahrzeug erworben hat und die Beklagte nur bei Neuwagen unmittelbar rechtlich relevante Erklärungen abgegeben habe. Es sei aber auch der Vorsatz einer sittenwidrigen Schädigung des Klägers durch Organe der Beklagten nicht ersichtlich. Eine sekund8;re Darlegungslast der Beklagten bestehe hier nicht.

Dagegen richtet sich die vom Kläger eingelegte Berufung, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter verfolgt. Er führt aus, dass eine strafrechtlich relevante Täuschung i.S.d. § 263 StGB durch die Beklagte vorliege, die kausal für den beim Kläger eingetretenen Vermögensschaden sei. Das Urteil des Landgerichts sei auch deshalb fehlerhaft, weil der Schädigungsvorsatz der Beklagten im Rahmen von § 826 BGB unzutreffend verneint worden sei. Die sekundäre Beweislast sei verkannt worden. Weiter habe der Kläger durch den für ihn wirtschaftlich nachteiligen Vertrag einen Schaden erlitten. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung, Schriftsatz vom 05.08.2019, Bl. 279 ff. d.A., sowie den weiteren Schriftsatz vom 21.10.2019, Bl. 361 ff. d.A., verwiesen.

Der Kläger beantragt in der Berufung:

1. Das Urteil des Landgerichts München vom 12.06.2019 (Az. 26 O 18635/18) wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke: Volkswagen, Typ: Tiguan, Fahrzeug-Identifizierungsnummer: …93 an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 32.250,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Hilfsweise:

1. Die Beklagte wird verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs 32.250,00 €, mindestens somit 8.062,50 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei über den Betrag aus Hilfsantrag zu 1) hinausgehenden Schadensersatz für weitere Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs, …93, mit der manipulierten Motorsoftware resultieren, zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus 32.250,00 ∙€ seit dem 09.09.2015 bis zu Beginn der Rechtshängigkeit zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

5. Für den Fall des Unterliegens wird ferner beantragt, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

das am 17. Juni 2019 (richtig: 12.06.2019) verkündete Urteil des Landgerichts München 26 O 18635/18 aufrechtzuerhalten und die Berufung des Klägers vollumfänglich zurückzuweisen.

Die Beklagte führt in ihrer Berufungserwiderung u.a. aus, dass der Vertragsschluss für den Kläger nicht nachteilig sei und ihm auch kein Schaden entstanden sei. Selbst wenn man einen ersatzfähigen Schaden zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bejahen würde, sei dieser durch das aufgespielte Update wieder entfallen. Zudem fehle es an einem Kausalzusammenhang, einen Kausalitätsnachweis habe der Kläger nicht geführt. Insbesondere das Verhalten der Klagepartei nach Vertragsschluss und nach Bekanntwerden der EA 189-Thematik im September 2015 spreche gegen die Kausalität. Es liege nahe, dass nicht die hier streitgegenständliche Umschaltlogik, sondern damit nicht in Zusammenhang stehende sonstige Motive den Kläger zur Geltendmachung von Ansprüchen bewogen hätten. Im Einzelnen wird auf die Berufungserwiderung der Beklagten vom 08.10.2019, Bl. 314 ff. d.A. verwiesen.

Der Senat hat über den Rechtsstreit am 02.03.2020 mündlich verhandelt und in diesem Termin den Kläger persönlich angehört (vgl. Hinweis Bl. 386 d.A.). Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bl. 387 ff. d.A. Bezug genommen.

Beide Parteien haben zwar schriftsätzlich bekundet, vergleichsbereit zu sein, ein Vergleich ist aber letztlich nicht zustande gekommen. Trotz des Hinweises des Senats, dass sich der Kläger selbst im Falle der Verurteilung der Beklagten gezogene Nutzungen anrechnen lassen müsse, beharrte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf einer Rückgabe des Wagens gegen Zahlung des vollständigen Kaufpreises. Die Beklagte bot ihrerseits zum aktuellen Zeitpunkt nur noch eine Einmalzahlung von 4.200 € an und war zu einer Rückabwicklung nicht bereit.

II.

1. Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache nicht begründet. Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich im Ergebnis als zutreffend.

2. Unabhängig von den in sonstigen Fällen des sog. Dieselabgasskandals diskutierten Voraussetzungen einzelner deliktischer Anspruchsgrundlagen, scheitern hier die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche jedenfalls am Nachweis der Kausalität. Die Kausalität ist von der Beklagten bestritten worden. Der Senat konnte aufgrund der durchgeführten Anhörung des Klägers keine Überzeugung dahingehend gewinnen, dass für den Kläger die strittige Täuschung (heimliche, sittenwidrige Ausstattung des Wagens mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wodurch die Gefahr des Verlustes der Zulassung bestand) eine kausale Rolle für seinen Kaufentschluss hatte. Es blieb letztlich zweifelhaft, ob der Kläger täuschungsbedingt eine ungewollte Verbindlichkeit eingegangen ist, er also bei Kenntnis der wahren Umstände vom Kauf Abstand genommen hätte. Der Kläger ist damit beweisfällig geblieben. Die entsprechende Darlegungs- und Beweislast trägt der Anspruchsteller, vgl. Palandt/ Sprau BGB, 79. Auflage 2020, Rn. 18 zu § 826 BGB.

a) Zur Problematik der „Kausalität“ stellen sich verschiedene rechtliche Grundfragen.

aa) Soweit es um die Anforderungen an die Darlegung bzw. den Nachweis der Kausalität geht, wird in den sog. Abgasfällen teilweise in Anlehnung an die Rechtsprechung im Kapitalanlagerecht der Standpunkt vertreten, es greife eine Art „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ zugunsten der Käufer betroffener Fahrzeuge. Aus Sicht des Senats wird von den Senaten des Bundesgerichtshofs allerdings lediglich im Bereich der Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Aufklärungspflichten angenommen, dass derjenige, der die Aufklärungspflicht verletzt hat, abweichend von den allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass der Geschädigte bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem Rat bzw. dem Hinweis nicht gefolgt wäre (BGH, Urteil vom 19.11.2019, VI ZR 575/16, Rn. 23 m.w.N.). Die zur Beweislastumkehr führende widerlegbare tatsächliche Vermutung, dass der Schaden bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht eingetreten wäre, wird mit dem besonderen Schutzzweck der Aufklärungspflicht gerechtfertigt und greift auch dann ein, wenn der pflichtgemäß aufgeklärte Anleger verschiedene Handlungsalternativen gehabt hätte (BGH, Urteil vom 15.05.2015, IX ZR 267/12, Rn. 2 m.w.N.)

Außerhalb (vor-)vertraglicher Beziehungen, insbesondere im Bereich des Deliktsrechts zieht der Bundesgerichtshof die Rechtsfigur der „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ dagegen nicht heran (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 541/15, Rn. 30 m.w.N.).

Der Senat sieht angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Kausalitätsnachweis in den Fällen des orm>§ 826 BGB keinen Raum für die Anwendung der im Bereich der Kapitalanlagen entwickelten Vermutung „aufklärungsrichtigen Verhaltens“ für die „Dieselfälle“. Der Bundesgerichtshof hat im Bereich des Deliktsrechts, insbesondere mit dem Urteil vom 04.06.2013 (Az. VI ZR 293/12, Rn. 25 ff m.w.N.) ausdrücklich entschieden, dass „im Rahmen des Anspruchstatbestandes des § 826 BGB (…) auf den Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des jeweiligen Anlegers selbst bei extrem unseriöser Kapitalmarktinformation nicht verzichtet werden“ kann. Auch bei dem hier geltend gemachten Anspruch handelt es sich nicht um einen vertraglichen oder quasi-vertraglichen Schadensersatzanspruch, sondern um einen deliktischen Anspruch aus § 826 BGB (bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Normen der EG-FVG als Schutzgesetz). Der Senat sieht daher keinen Raum für eine Vermutung der Kausalität zugunsten des Klägers.

bb) Mit der Erwägung, es entspreche der Lebenserfahrung, dass sich ein verständiger Käufer bei Kenntnis vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung und der damit drohenden Gefahr der Betriebsuntersagung nicht für den Kauf eines solchen Fahrzeugs entscheiden würde, bejahen einige Oberlandesgerichte zumindest einen - zu einer Beweiserleichterung führenden - Anscheinsbeweis zugunsten der Käufer (so u.a. OLG Köln, Urteil vom 10.03.2020, Az. 4 U 219/19, Rn. 57 ff mit zahlreichen Nachweisen zu weiteren obergerichtlichen Urteilen).

Hiergegen lässt sich vorbringen, dass jedenfalls nach Bekanntwerden des Abgasskandals betroffene Fahrzeuge durchaus nicht „unverkäuflich“ waren, zumal - wie geschehen - auch statt der unbedingten und endgültigen Stilllegung der betroffenen Fahrzeuge von Seiten der zust28;ndigen Behörden eine technische Nachbesserung als milderes Mittel zur Herstellung eines gesetzeskonformen Zustandes in Betracht gezogen werden muss (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 17.03.2020, Az. 7 U 92/20, Rn. 58 ff, das einem Anscheinsbeweis in diesen Fällen eher ablehnend gegenübersteht).

Sowohl im Hinblick auf die sog. „ComROAD“- Entscheidungen des Bundesgerichtshofs als auch im Lichte der weiteren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 826 BGB (Urteil vom 04.06.2013, Az. VI ZR 293/12, Rn. 25 ff m.w.N.) hält es der Senat für kritisch, die Kausalität unter Hinweis auf die Lebenserfahrung im Rahmen deliktischer Haftung pauschal ohne individuelle Prüfung zu bejahen. Das Oberlandesgericht Köln führt hierzu wie folgt aus: Zwar mag auch die Entscheidung für den Kauf eines bestimmten Kraftfahrzeugmodells von einem ganzen Motivbündel getragen sein. Vorliegend geht es aber um die Täuschung über die Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugs. Soweit diese in Frage steht, droht eine Stilllegung. Unter diesen Umständen treten die weiteren Motive für die Wahl des konkreten Fahrzeugmodells in den Hintergrund, weil dieser Mangel den elementaren Zweck des Autokaufs, nämlich die Fortbewegung auf öffentlichen Straßen, gefährdet (vgl. nur OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. September 2019 - 17 U 45/19 -, juris Rn. 21; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 38; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019 - 18 U 70/18 -, NJW-RR 2019, 984, 987; OLG Köln, Beschluss vom 16. Juli 2018 - 27 U 10/18 -, juris Rn. 15; zustimmend Heese, JZ 2020, 178, 182; a.A. Armbrüster, ZIP 2019, 837, 845). Im Hinblick auf diesen klaren Bezug zur Kaufentscheidung droht hier auch keine dem Zweck der Haftungsnorm widersprechende uferlose Ausweitung der Haftung nach § 826 BGB (OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 38). Hierzu ist allerdings festzustellen, dass gerade auch in den Fällen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilung ein Bezug zu einer konkreten Kaufentscheidung vorhanden ist, ebenso ging es auch in dem oben zitierten Fall des Bundesgerichtshofs um eine Kaufentscheidung. In der vom Oberlandesgericht Köln (a.a.O, Rn. 56) herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 1995 (Az. V ZR 34/94 -, NJW 1995, 2361, 2362) ging es nur um eine vertragliche und nicht um eine deliktische Haftung. Für den Bereich des Deliktsrechts lässt sich aus dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs mithin nichts ableiten. Die Haftung des nicht vertraglich verbundenen Beklagten zu 3) in dem zitierten Fall wurde von vorneherein verneint.

Fraglich erscheint, ob im Rahmen eines individuellen Willensentschlusses überhaupt Raum ist für die Heranziehung eines Anscheinsbeweises (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., Rn. 31, Vorb. zu § 284 ZPO). Der Anscheinsbeweis gilt nur für typische Geschehensabläufe, bei denen ein bestimmter Sachverhalt nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge schließen lässt. Bei individuell geprägten Willensentschlüssen, wie etwa einem Aktienerwerb geht die höchstrichterliche Rechtsprechung davon aus, dass es grundsätzlich keinen Anscheinsbeweis für sicher bestimmbare Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen gibt (BGHZ 100, 214, 216; vgl. auch BGHZ 123, 311, 315, 316 f. zu denkbaren Ausnahmen von diesem Grundsatz).

cc) Darüber hinaus lässt sich auch über die Zuordnung der Kausalität streiten. Bei einem Schadensersatzanspruch aus Vertragsverletzung gehört der Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zur haftungsbegründenden, sondern zur haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. BGH, Urteil vom 06.12.2018, Az. IX ZR 176/16, Rn. 23). Entsprechendes gilt für den Bereich der Verletzung von Amtspflichten eines Notars (BGH, Urteil vom 07.03.1996, Az. IX ZR 169/95, Rn.5 m.w.N.). Demgegenüber ordnet der Bundesgerichtshof in den „ComROAD“- Fällen den Zusammenhang zwischen einem fehlerhaften Verkaufsprospekt und der Kaufentscheidung dem Bereich der haftungsbegründenden Kausalität zu (BGH, Urteil vom 03.03.2008, Az. II ZR 310/06, Rn. 9 ff). Der Hintergrund für diese unterschiedliche Zuordnung ist die Reichweite des konkreten Haftungsgrundes. Alles, was tatbestandlich dem Haftungsgrund zuzuordnen ist, unterliegt dem Beweismaß des § 286 ZPO. Erfordert die Haftungsnorm die Feststellung einer Rechtsgutverletzung, wie etwa im Bereich des § 823 Abs. 1 BGB, muss dies als (Erst-)Schaden auch zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Im Bereich der vertraglichen Haftung zählt der Schaden dagegen nach der Rechtsprechung nicht zum Haftungsgrund, sondern zu den Folgen. Hier genügt das Beweismaß des § 287 ZPO. Vorliegend spricht die Struktur des § 826 BGB (Haftung für vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) dafür, dass der Eintritt des Schadens (hier: in Form der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit) zum Haftungsgrund gehört, mithin auch dem Beweismaß des § 286 ZPO unterliegt (so auch OLG Hamm, Urteil vom 17.03.2020, Az. 7 U 92/20, Rn. 58 ff, siehe auch BGH, Urteil vom 04.12.2012, Az. VI ZR 378/11, Rn. 11). Zugunsten des Klägers hat der Senat dennoch den günstigeren Maßstab des § 287 ZPO herangezogen.

dd) Auch wenn man mit der o.g. Rechtsprechung davon ausgeht, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsschluss naheliegend im Sinne einer Lebenserfahrung ist, handelt es sich bei der Frage, ob der Käufer täuschungsbedingt einen „ungewollten“, subjektiv nachteiligen Vertrag geschlossen hat, um die Feststellung einer inneren Tatsache (vgl. hierzu BGH, Urteil v. 05.03.2009 - III ZR 17/08 - juris unter Rn 21). Auf das Vorliegen innerer, dem Beweis nur eingeschränkt zugänglicher Tatsachen kann nur mittelbar aus in der Regel auf äußeren Tatsachen basierenden Indizien geschlossen werden. Daher ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Getäuschte Umstände darlegt, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf diese Entschließung hat (vgl. BGH, Urteil v. 12.05.1995, Az. V ZR 34/94, juris Rn. 17). Letztlich ist es Aufgabe des Tatrichters, hierzu Feststellungen zu treffen anhand von Plausibilität und Schlüssigkeit des Vortrags unter Berücksichtigung der Gesamtumstände (wie z.B. Handlungsalternativen, nach der Lebenserfahrung naheliegende Reaktion, Stimmigkeit mit dem weiteren Verhalten des Anspruchsstellers).

Der Senat misst in diesem Zusammenhang dem persönlichen Eindruck und den individuellen Erklärungen des Anspruchsstellers wesentliche Bedeutung zu (vgl. auch BGH, Urteil vom 27.09.2017, Az. XII ZR 48/17). Dessen Angaben können je nach Schlüssigkeit zu einer Überzeugungsbildung in Bezug auf die Kausalität führen (oder auch begründete Zweifel hinterlassen). Allein der schriftsätzliche Vortrag macht eine - zumindest in einer Instanz durchgeführte - persönliche Anhörung des Anspruchsstellers nicht entbehrlich, wenn die Beklagtenseite die Kausalität mit nachvollziehbaren Argumenten bestritten hat und im Verfahren in weitem Umfang mit Mustertextbausteinen ohne Individualbezug gearbeitet wird. Dementsprechend hat der Senat den Kläger im Termin zu der Frage der Kausalität befragt und das Ergebnis gewürdigt.

b) Der Senat ist im Hinblick auf die aufgezeigten dogmatischen Unterschiede zugunsten des Klägers von dem Beweismaß des § 287 ZPO ausgegangen. Auch wurde berücksichtigt, dass die Betriebszulassung für den Käufer eines Wagens in der Regel ein zentraler Faktor ist, so dass es naheliegt, von dem Kauf eines Fahrzeugs Abstand zu nehmen, wenn die Zulassung wegen der Verwendung unzulässiger, manipulativer Software objektiv gefährdet ist.

Nach Anhörung des Klägers, insbesondere unter Würdigung seines Verhaltens nach Bekanntwerden der Dieselthematik, hält der Senat im vorliegenden Einzelfall den Nachweis der Kausalität dennoch aus folgenden Gründen nicht für geführt:

aa) Der Kläger hat gleich zu Beginn der Verhandlung erklärt, „dass er den Wagen nicht gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass man ihn betrogen habe“. Der Kläger war hierzu noch gar nicht vom Senat befragt worden, es ging vielmehr zunächst nur darum, unter welchen Bedingungen sich der Kläger eine gütliche Einigung vorstellen könnte. Ungeachtet jeglicher Fragestellung hatte der Kläger aber nur diese, ersichtlich vorab vorbereitete Erklärung im Blick, die er dem Gericht nahebringen wollte. Ein solches Aussageverhalten weist zwar nicht zwingend darauf hin, dass die Angaben nicht dem real Erlebten bzw. den tatsächlichen Umständen entspricht. Sie legt jedoch nahe, dass der Aussagende darauf konzentriert ist, eine schon im Vorfeld der Anhörung durch beratende Gespräche oder Überlegungen herausgearbeitete, als wesentlich angenommene Information zu bestätigen, damit das Gericht in der erwünschten Weise entscheidet. Es wird nicht eine Frage des Gerichts nach individueller Überlegung und innerer Reflexion beantwortet, sondern allein das geschildert, was man sich vorher vorgenommen hat. Eine solche Erklärung kann wahrheitsgemäß sein, es kann sich aber auch um eine wahrheitswidrige, rein aus prozesstaktischen Gründen abgegebene Aussage handeln. Allein die formelhafte und einstudiert wirkende wiederholte Erklärung des Klägers, er „hätte den Wagen nicht gekauft“, war für den Senat nicht ausreichend für den geforderten Nachweis der Kausalität.

bb) Der Kläger hat - vom Senat befragt - seine Motive für den Erwerb des streitgegenständlichen Wagens dargelegt. Demnach waren für den Kläger die individuellen Ausstattungsmerkmale des Wagens von zentraler Bedeutung, nämlich Allradantrieb, Anhängerkupplung, Zuverlässigkeit und niedriger Verbrauch. Besonderes Augenmerk auf Abgaswerte hat der Kläger nicht gelegt, er meinte dazu nur, er sei davon ausgegangen, das habe seine Richtigkeit. Dass diesbezügliche Abweichungen für den Kläger im Rahmen der Kaufentscheidung bedeutsam gewesen wären, kann der Senat nicht erkennen.

Im Übrigen betonte der Kläger sein „Sicherheitsbedürfnis“, indem er herausstellte, dass er den Wagen bewusst bei einem Händler erworben hat, damit „alles in Ordnung ist“ und er eine Garantie habe. Befragt zu seiner Reaktion auf das allgemeine Bekanntwerden des Abgasskandals kurz nach dem Kauf im Herbst 2015 und Offenlegung der konkreten Betroffenheit seines Wagens gab der Kläger an, er habe dies durch Schreiben der Beklagten im Januar/Februar 2016 erfahren. Der Kläger hat zudem alsbald die Information vom Kraftfahrtbundesamtes erhalten, dass er ein Update machen lassen muss und dass der Wagen ansonsten zwangsweise stillgelegt wird. Der Kläger wusste mithin noch in den ersten Monaten des Jahres 2016 - also noch während des üblichen Laufs von Gewährleistungs- und Garantiefristen beim Kauf vom Händler - positiv, dass er ein abgasmanipuliertes Auto erworben hat und dass dem Wagen deshalb der Entzug der Betriebserlaubnis droht. Dennoch hat sich der Kläger nicht - was angesichts seiner vorangegangenen Angaben nahegelegen hätte - an den Händler als seinen Vertragspartner gewandt und Ansprüche erhoben, sondern im Herbst 2016 im Rahmen einer Inspektion das Update durchführen lassen. Auf Frage, warum er den Händler nicht in Anspruch genommen hat, verwies der Kläger auf das Softwareupdate, mit dem eine Stilllegung nicht mehr drohte und dass damit - laut Händler - „das schon passt“. Außer einem etwas raueren, lauteren Lauf des Wagens nannte der Kläger keine konkreten, störenden Nachteile nach Aufspielen des Software-Updates. Auch dies nahm Kläger nicht zum Anlass, Ansprüche gegen den Händler zu erheben.

Es konnte damit nicht festgestellt werden, dass den Kläger die Tatsache der Betroffenheit des erworbenen Wagens vom Abgasskandal im Jahr 2016 besonders störte oder dass der Kläger seinen Kaufentschluss damals rückblickend in Frage gestellt hätte. Vielmehr legen seine Angaben nahe, dass er ebenso wie sein Händler darin ein durch ein Update lösbares technisches Problem sah, das mit dem Aufspielen erledigt war. Hierfür sprechen sowohl seine Angaben als auch der lange Zeitraum bis zur erstmaligen Geltendmachung von Ansprüchen ausschließlich gegenüber der Beklagten sowie die vom Kläger geschilderte Motivation zur Klage.

cc) Auch im Rahmen der über mehrere Jahre laufenden Finanzierung interessierte sich der Kläger nicht für Möglichkeiten, den Wagen zurückzugeben oder sich vom Vertrag zu lösen. Er zahlte im November 2019 die Schlussrate, ohne sich für ein mögliches Rückgaberecht zu interessieren, um das - üblicherweise zur Sicherung an das Kreditinstitut übereignete - Fahrzeug endgültig zu erwerben.

dd) Befragt zu seiner Klagemotivation gab der Kläger an, dass er „sich betrogen fühle“. Er habe in den Medien gehört, dass man bei einem Verkauf eines vom Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs nicht mehr so viel bekomme. Auch dies erscheint nicht stichhaltig. Abgesehen davon, dass die Nachfrage nach Dieselfahrzeugen herstellerunabhängig vor dem Hintergrund etwaiger Fahrverbote gesunken ist, hat sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt erkundigt, wie viel Geld er bei einem Verkauf seines Wagens noch bekommen würde.

ee) Letztlich war Werbung im Internet für den Kläger der Anlass zu einer Kontaktaufnahme mit der Kanzlei, die ihn nunmehr im Prozess vertritt. Der rechtsschutzversicherte Kläger hat sich, wie er bekundete, überlegt, „man könne da mal hinschreiben und schauen, was rauskommt“. Der Kläger wusste nicht einmal mehr, ob dies Ende 2017 oder im Dezember 2018 war (Zeitpunkt des erstmaligen Anspruchsschreibens der Klägervertreter).

In der Gesamtschau aller Umstände kann der Senat damit keine Überzeugung gewinnen, dass für den Kläger die Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs vom Abgasskandal eine relevante Bedeutung für den Kaufentschluss gehabt hätte, ihn mithin vom Erwerb des Wagens abgehalten hätte, den er bis heute nutzt. Vielmehr legt das Verhalten und die Angaben des Klägers nahe, dass er die Aufdeckung dieses Umstandes relativ gelassen und gleichgültig zur Kenntnis nahm, er mit der Durchführung des Software-Updates auch zufrieden war und die Problematik als erledigt betrachtet hat, zumal er noch im Jahr 2019 eine hohe Schlusszahlung von über 15.000 € für den Wagen geleistet hat. Vom Eingehen einer „ungewollten“ Verbindlichkeit kann bei dieser Sachlage nicht ausgegangen werden. Nur durch entsprechende Publikationen im Internet, durch die gezielt Käufer zu - für sie dank Rechtsschutzversicherung praktisch risikolosen - Klagen motiviert werden, hat sich der Kläger nach Jahren entschlossen, auch „sein Glück zu versuchen“.

c) Unter Berücksichtigung all dieser angeführten Umstände des Einzelfalls ist damit jedenfalls der Nachweis der Kausalität vom Kläger nicht zur Überzeugung des Senats geführt und die Berufung bereits aus diesem Grund erfolglos.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht geboten, weil die Rechtssache aufgrund der hier vorliegenden besonderen Fallgestaltung keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Eine Grundsatzbedeutung lässt sich nicht darauf stützen, dass derzeit zahlreiche „Diesel-Klagen“ bundesweit bei Gerichten anhängig sind, denn es kommt hinsichtlich des Nachweises der Kausalität jeweils auf den Einzelfall an. Hinsichtlich der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens sieht sich der Senat in voller Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Auf die Frage eines möglichen Beweises des ersten Anscheins kommt es nicht entscheidungserheblich an, da dieser durch die individuellen Angaben des Klägers in der Zusammenschau mit den Gesamtumständen erschüttert ist.

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